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Der goldene Fels – Kapitel 11

Der-goldene-FelsRobert Kohlrausch
Der goldene Fels
Kriminalroman, Alster-Verlag, Hamburg, 1915

Elftes Kapitel

Martha de la Motte hatte den Tag in schweren Zweifeln und Kämpfen verbracht. Für sie war der Tote, der viele Stunden lang dort unten im Zimmer ihres Vaters lag, nicht stumm. Für sie bewegten sich die blutlos gewordenen Lippen und flüsterten ihr mit grausamer Beharrlichkeit wieder und wieder zu: »Burkhardt hat mich erschlagen!« Sie konnte, so sehr sie sich dagegen wehrte, dieser furchtbaren Vorstellung nicht entfliehen, unter deren Last ihre stille Hoffnung auf ein fernes Glück zerbrach. Sie kannte Burkhardts heftiges Temperament von Kindheit an, sie wusste, dass er den Toten gehasst und ihn schon einmal niedergeschlagen hatte. Sie war Zeugin gewesen, als er vor dem hingestreckten Körper stand. In den starr entsetzten Blicken seiner Augen meinte sie, seine Schuld gelesen zu haben. Freilich hatte niemand ihres Wissens ein Zusammensein der beiden bekundet, niemand von einem Wortwechsel zwischen ihnen gesprochen. An die schwache Hoffnung, die darin für sie lag, suchte sie sich in diesen Stürmen einer tödlichen Angst mit allen Kräften anzuklammern wie an ein rettendes Boot. Aber der Halt entglitt ihr stets aufs Neue, und sie fühlte sich hilflos in ein Meer der Verzweiflung versinken.

Niemand war da, zu dem sie von ihrer Angst und Sorge hätte sprechen können. Ihr Vater bejammerte sein eigenes Leid, und sie musste sich gewaltsam zwingen, ihm geduldig zuzuhören. Wenn sie es nicht mehr ertrug, flüchtete sie sich in das Kinderzimmer oder in den Garten und horchte hier auf das fröhliche Geplauder ihres Knaben, das wie von einer fernen, glücklichen Insel ganz von Weitem herüberklang. Dass ihr Mann auch an diesem schweren Tag dem Haus fernblieb, war ihr Erleichterung, nicht Kummer.

Langsam, langsam zogen die Stunden auf müden Flügeln vorüber. Martha begrüßte die Dämmerung des Lichtes mit einem Gefühl, in dem sich Beklemmung und Freude mischten.

Der Abend nahte, der ihr Gewissheit bringen sollte. Vielleicht aber bedeutete diese Gewissheit für sie dauerndes Elend. Sie wünschte den Abend herbei und bebte zugleich vor ihm zurück. Aber die Sehnsucht nach Klarheit besiegte doch zuletzt jedes andere Gefühl, und gegen sieben Uhr duldete sie es nicht länger im Haus. Leise stahl sie sich fort und eilte zur Fabrik hinüber. Der Abendwind spielte mit sanfter Hand in den Zweigen der Parkbäume, die hoch und finster über ihr standen, und bestreute den Weg der geängstigten Frau mit sterbenden Blättern. Aber sie sah nicht, was um sie war, und stürmte vorwärts, von ihren Gedanken gejagt.

Erstaunt betrachtete sie der Torwächter der Fabrik, während er höflich die Mütze vor der Tochter seines Brotherrn zog. Was hatte sie hier um diese Stunde zu suchen? Doch das Erstaunen des Mannes glitt an ihr gleich allen anderen Dingen der Außenwelt ab.

Nur mit einem Gedanken beschäftigt, ging sie geradewegs auf das kleine Werkmeisterhäuschen zu, das Burkhardt bewohnte. Sie sah kein Licht im Fenster seines Zimmers, aber die Haustür war unverschlossen, gestattete den Eintritt. Vom Fabrikhof her drang mit Martha zugleich das grellweiße Licht einer Bogenlampe in den engen Flur hinein und ließ erkennen, dass die Wohnzimmertür nur angelehnt war. Die junge Frau trat ein. Auch in dieses Gemach fielen helle, viereckige Lichtflecke durch die beiden Fenster auf den Boden und erfüllten mit ihrem Reflex den ganzen Raum. Ein Leuchter mit Streichhölzern und einer Kerze stand auf einem Tischchen. Martha griff danach und machte Licht.

Sie hatte den unbestimmten Gedanken dabei, sich niedersetzen zu wollen und abzuwarten, bis Burkhardt kam. Aber in ihrer Seele war die Unruhe viel zu groß, als dass es ihr möglich gewesen wäre, still dazusitzen. Sie ging hastig in dem engen Raum hin und her und spähte mit weit geöffneten Augen umher in allen Ecken und Winkeln, als ob Geheimnisse dort in der flackernden Dämmerung lauerten, die das von ihrer eigenen Bewegung mitbewegte Licht in den Raum warf. Ihr schwarzer, vergrößert an den Wänden hingleitender Schatten schwebte neben ihr wie das Gespenst ihrer düsteren Sorge. Beim rastlosen Umherwandern fiel Marthas Blick auch einmal auf den Schreibtisch, der am Fenster stand. Etwas Helles war dort, ein schmaler Streifen aus weißem Papier, den das doppelte Licht aus dem Zimmer und von außen so stark hervorhob, dass er zu rufen schien: »Sieh her, sieh mich an!« Sie blieb stehen, sah genauer darauf nieder. Aus einer geschlossenen Schreibmappe schaute der weiße Streifen hervor, offenbar der obere Rand eines beschriebenen Briefbogens. Nur Datum und Ort waren zu lesen, aber es war Burkhardts Handschrift. Sie hatte diese Schrift seit langer Zeit nicht mehr gesehen – gerade sein Schweigen hatte sie ja getrennt, aber sie hätte sie herauserkannt unter Hunderten. Und nun fühlte sie sich gewaltsam angelockt und hingezogen. Kurze Zeit nur schwankte sie noch, dann öffnete sie die Mappe. Der Brief lag vor ihr, angefangen, aber nicht vollendet. Aus der Anrede sah sie, dass er an sie selbst gerichtet war, und nun fühlte sie das Recht, ihn zu lesen. »Einzig Geliebte!« nannte Burkhardt sie. Mit einem warmen Freudengefühl trank sie die Worte. Dann aber, sobald sie weiter las, entfloh dieses Empfinden. Alle Befürchtungen, die sie den Tag über bedrängt hatten, schienen in den wenigen Zeilen des Briefes Bestätigung zu finden.

Burkhardt hatte geschrieben: »Du hast mich gestern Abend um etwas gebeten. Du weißt, was ich meine, weißt auch, dass es keine größere Freude für mich gibt, als deine Wünsche zu erfüllen, wenn ich es kann. Aber ich bin im Zweifel, ob ich es diesmal kann. Ich habe die ganze Nacht schlaflos gelegen und mit mir gekämpft, aber nur immer größer ist meine Wut auf den Zerstörer meines Glückes in mir geworden. Ob ich mich werde beherrschen können, wenn er vor mir steht, und ich bin es uns beiden schuldig, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn ich mir sein Gesicht ausmale mit seinem kalten, zynischen Lächeln …«

Hier endete der Brief, brach plötzlich ab. Irgendjemand musste Burkhardt unterbrochen, ihn vielleicht abgerufen haben. Er hatte die Mappe zugeschlagen, das unvollendete Schreiben darin liegen lassen, es über Dinge vergessen, die seine Seele stärker beschäftigten. Auf ihr Herz fielen die Worte des Briefes wie Hammerschläge. Sie musste sich niedersetzen, so sehr zitterten ihr die Knie, nachdem sie sie gelesen hatte. Doch nach ein paar angstvollen, keuchenden Atemzügen schon sprang sie wieder empor, verbarg den Brief in der Mappe, löschte das Licht und stürmte hinaus ins Freie.

Wo war Burkhardt, warum ließ er sie in dieser Not allein? Ihr kam der Gedanke, dass er sie vielleicht in der Eschenallee erwartete, wo sie den Abend vorher zusammen gewesen waren. Ohne Besinnen eilte sie dorthin, durchmaß den Weg vom Anfang bis ans Ende, bis an die Gittertür, die schon verschlossen war und ihr Halt gebot. Kein lebendes Wesen war auf dem ganzen Weg zu sehen. Langsam ging sie zurück, blieb stehen, unschlüssig, wohin sie sich wenden sollte, sah die leuchtend herabblickenden Fenster der Villa und wandte sich instinktiv wieder dem Haus zu.

Der Erste, der ihr im Flur bereits entgegenkam, war ihr Vater, der Kommerzienrat. Er hatte sogleich nach dem Gespräch mit Karl Georg an den Untersuchungsrichter telefoniert und kam eben davon her.

Ohne Martha zu fragen, wo sie gewesen sei, schüttete Helbig unter neuen Klagen über das grausam ihn verfolgende Geschick seine böse Neuigkeit über sie aus.

Der Wortwechsel Burkhardts mit Ebisberg, der daraus notwendig entspringende Verdacht, seine Benachrichtigung der Gerichtskommission, das alles fiel auf einmal auf ihr Haupt. Was noch an matter Hoffnung in ihrer Seele geruht hatte, wurde grausam darunter zermalmt. Und ihr Mann war es, der mit seinem Zeugnis den Geliebten vernichtete!

In halber Bewusstlosigkeit folgte sie dem Vater nach oben, saß wortlos, ohne nur einen Bissen zu genießen, ihm beim Abendbrot gegenüber und hörte seine wortreichen, immer wiederholten Klagen unverstanden an ihrem Ohr vorüberklingen. Er tat ihr leid, ein dumpfes Gefühl des Mitleides war in ihrem Herzen. Aber es wurde von dem wilden Sturm eigenen Schmerzes und rasender Angst um den Geliebten verweht und betäubt.

Als die Hausglocke tönte, und der Diener kam, um das Eintreffen der zurückgekehrten Gerichtskommission zu melden, sprang sie auf, eilte hinüber in ihren Salon und verschloss und verriegelte hinter sich die Tür, als ob sie das Furchtbare damit abwehren könnte, das hinter ihr lauerte.

Der Kommerzienrat empfing die Kommission im Speisezimmer, das am geräumigsten war. Zu seinem Erstaunen befand sich auch Hofen wieder unter den Herren. Er entschuldigte sein Erscheinen mit unbezwingbarer Neugier. Die Herren seien ihm begegnet, hätten von der telefonischen Benachrichtigung durch Helbig erzählt, und er hätte gewagt, sich ihnen anzuschließen in der Hoffnung, nicht umgehend hinausgeworfen zu werden. Da der Untersuchungsrichter nichts gegen sein Bleiben einzuwenden hatte, war auch Helbig damit einverstanden. Er freute sich sogar, den ruhigen und verständigen Menschen wieder zur Seite zu haben.

Karl Georg wurde gerufen und erschien sofort. Sein Gesicht war bleich und müde, sein gewohntes Lächeln aber lag, in matter Andeutung wenigstens, wieder darauf, als er sich bei Wolfert wegen seiner Abwesenheit am Vormittag entschuldigte. Was er dann bekundete, war die genaue, bestimmt und knapp vorgetragene Wiederholung dessen, was er seinem Schwiegervater über den gehörten Wortwechsel zwischen Ebisberg und Burkhardt erzählt hatte.

Der Untersuchungsrichter machte das nachdenklich drohende Gesicht, vor dem schon mancher Übeltäter gezittert hatte. Nach einem kleinen Schweigen sagte er: »Dadurch bekommt allerdings die Sache ein anderes Gesicht. Ist Herr Burkhardt anwesend?«

»Anwesend, nein. Wie dumm, ich hätte daran denken können. Aber wenn man einen Tag hinter sich hat wie den heutigen, ich will gleich jemanden in die Fabrik hinüberschicken. Er ist ein solider Mensch, geht selten abends aus, er wird wohl zu Hause sein.« Der Kommerzienrat sprudelte die Worte rasch, nur von seinem Gewohnheitshusten ein paar Mal unterbrochen, hervor und gab dann dem Diener den Auftrag, Herrn Ingenieur Burkhardt herüberzuholen. Schutzmann Weber bekam Befehl, sich dem Boten anzuschließen. Die Pause, die notgedrungen in der Vernehmung entstand, wurde von Helbig mit betrübten Äußerungen über die schreckliche Wendung der schwebenden Angelegenheit, über Burkhardts treffliche Verwendbarkeit in seinem Geschäft, über seine Fähigkeiten als Elektrotechniker ausgefüllt. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die beiden Abgesandten allein zurückkamen und meldeten, dass der Gesuchte weder in der Fabrik noch in seiner Wohnung aufzufinden gewesen sei.

Wolfert runzelte die Stirn und warf nachträglich noch einen strafenden Blick auf Karl Georg. »Anscheinend ist es eine Spezialität hier vom Haus, dass die wichtigen Personen abwesend sind, wenn man sie nötig hat. Wenn aber der Vogel selbst ausgeflogen ist, wollen wir uns wenigstens einmal seinen Käfig ansehen.«

»Sie wollen …?«

»Haussuchung halten bei diesem Herrn Ingenieur. Kommen Sie, meine Herren.«

»Mich müssen Sie gütigst entschuldigen, Herr Landgerichtsrat«, sagte Helbig, sich am Tisch haltend, als ob er umzusinken drohte. »Man ist schließlich auch nur ein Mensch. Ich bin am Ende mit meinen Kräften, und wenn ich …«

»Wir bedürfen Ihrer nicht, Herr Kommerzienrat. Ich empfehle mich.«

»Begleite du die Herren hinunter, Karl Georg. Du musst übrigens morgen früh den alten Herrn Ebisberg von der Bahn holen. Er hat vorhin telegrafiert, er kommt acht Uhr dreißig. Verzeihen Sie, Herr Landgerichtsrat, ich sage das nur jetzt gleich, damit ich es nicht vergesse, was mir alles Mögliche über den Hals kommt.«

Die Herren verließen das Zimmer. Hofen war der Letzte, der mit einem kleinen Zögern zur Tür ging. Helbig rief ihn zurück.

»Ach, Herr von Hofen, wenn Sie nichts anderes vorhaben, könnten Sie mir wohl noch etwas Gesellschaft leisten. Ich bin so ganz allein, keiner kümmert sich um mich armen alten Mann. Wenn ich nicht in rastloser, unermüdlicher Arbeit mein Genügen fände, du lieber Gott! Aber jetzt am Abend, und wenn man so einen Toten im Haus gehabt hat, es ist wirklich nicht behaglich.«

Hofen erklärte sich mit Vergnügen bereit, noch ein wenig bei Helbig zu bleiben, der seiner Einladung noch die Worte hinzufügte: »Um unseren Lafitte sind wir heute Morgen auch gekommen. Das wollen wir jetzt nachholen.«

Der Diener hatte die morgens geholte Weinflasche noch nicht wieder in den Keller getragen, und so stand bald ein Paar mit roter, duftender Flut gefüllter Gläser vor den beiden Herren. Ihr erstes Gespräch galt natürlich dem traurigen Ereignis des Tages, wobei Hofen den Kommerzienrat mit der Äußerung überraschte: »Ich halte diesen Herrn Burkhardt übrigens nicht für schuldig.«

»Warum, warum? Ich eigentlich auch nicht, aber warum Sie …?«

Ein verschwiegenes Lächeln ging über Hofens Gesicht. »Gründe kann ich dafür nicht angeben. Aber ich habe, glaube ich, so etwas wie Jagdhundeinstinkt in solchen Dingen. Jetzt müssen Sie aber auch die traurige Sache hinter sich werfen, Herr Kommerzienrat. Sie schaden Ihrer, nicht nur für sich selbst so wertvollen Gesundheit.«

»Ja, das ist wahr!«

»Im Zimmer unten, wo der Tote lag, waren Sie hoffentlich nicht wieder?«

»Seit man ihn fortgebracht hat, nein. Und jetzt am Abend, keine zehn Pferde brächten mich da hinein.«

»Das ist recht. Warum an Trauriges denken, wenn man ein Weinchen vor sich stehen hat wie diesen? Ich sage lieber: Es lebe das Leben! Prosit! Herr Kommerzienrat.«

»Ach ja, das Leben, das ist eine schöne Sache. Wenn es nur noch recht lange dauert!«

»Übrigens, von einem Lebenskünstler muss ich Ihnen wieder etwas erzählen. Von dem schönen Herrn Zebosek.«

»Er hat sich verlobt, Sie haben mir das ja schon gesagt.«

»Bisher war das meine neueste Information. Aber jetzt gibt es eine noch Neuere.«

»Hat er geheiratet?«

»Das auch, schon ein paar mal. Und bereits vor geraumer Zeit.«

»Ich verstehe nicht …«

»Ja, bei dem geht alles rasch. Der letzten Verlobung hat er bereits einen anderen Coup folgen lassen. Er hat unter irgendeinem Vorwand seine neue, schon ältliche, dafür aber schwer vergoldete Braut um fünfzehntausend Mark angepumpt und ist ohne Lebewohl verduftet.«

»Das ist denn doch …«

»Eine Gemeinheit, gewiss. Aber Gemeinheiten bringen Geld, und Geld ist alles in unserer schönen Welt. Und wenn der Herr Zebosek auch die jüngst verflossene Braut noch hätte heiraten wollen, so wäre das für einen so jungen Mann wirklich etwas reichlich gewesen. Er hat nämlich schon zwei Frauen an verschiedenen Orten unserer lieben Erde sitzen. Sein Spiegel und früh gesammelte Lebenserfahrung haben ihm gesagt, dass ein schönes Gesicht ein schönes Kapital bedeutet, aus dem sich gute Zinsen schlagen lassen. Er ist nur dumm gewesen und hat gleich Wucherzinsen verlangt. Und in solchen Dingen ist ja die Polizei noch ein wenig altmodisch und redet manchmal ein Wörtchen darein.«

»Um Gottes willen, was ist denn das für ein Mensch?«

»Ein internationaler Heiratsschwindler, nichts weiter. Dafür hat er nun das Vergnügen, sein schönes Gesicht in getreuer Nachbildung über einem kleinen Steckbrief in allen möglichen Zeitungen erblicken zu können.«

»Aber, das ist ja furchtbar! Dieser Mensch hat hier bei mir verkehrt, meine Villa wird ja die reine Räuberhöhle!«

»Seien Sie froh, Herr Kommerzienrat, wenn es dabei bleibt.«

Hofens Gesicht war ungewohnt ernsthaft geworden, und er sprach mit nachdrücklicher Betonung.

»Wieso? Wie meinen Sie das?«

»Ich meine, dass man am besten fährt, wenn man im Leben immer auf alles vorbereitet ist. Und ich meine, dass es angenehmer ist, sich eine Summe von Unannehmlichkeiten auf einmal auszahlen zu lassen als in monatlichen Raten.«

»Ja, soll denn immer noch mehr kommen? Ich hatte jetzt wirklich genug.«

»Das denken wir leicht. Aber der göttliche Pilot für unser zerbrechliches Fahrzeug ist häufig anderer Ansicht.«

Helbig war sichtlich verstimmt über Hofens bedeutungsvoll gesprochene Worte. Doch änderte dieser nun rasch seinen Ton und nahm das gewohnte leichte Geplauder wieder auf. Es gelang ihm auch schnell, den Kommerzienrat auf andere Gedanken zu bringen, und er hörte geduldig noch einmal die Geschichte von den zehn Pfennigen an, die Helbig in seiner Tasche mit nach Berlin gebracht hatte.

Die Flasche Lafitte war inzwischen geleert worden. Der Kommerzienrat hätte gern eine zweite holen lassen, aber Hofen griff nach der Uhr und sagte: »Wie die Zeit beim gemütlichen Plaudern vergeht. Es ist wahrhaftig bereits neun Uhr. Da muss ich mich empfehlen, ich habe noch eine Verabredung.«

Er zwang den Kommerzienrat, ruhig in seinem bequemen Sessel sitzen zu bleiben, und ging allein hinunter. Als er den Garten betrat, ließ er die Blicke nach oben zum nächtlichen Himmel empor schweifen, der mit leichten, flaumigen Wolken bedeckt war und ein mattes weißliches Licht auf die Erde warf.

»Angenehm, dass es nicht regnet«, sagte Hofen halblaut vor sich hin. »Ich könnte mir sonst meinen Pelz heute gründlich nassmachen.«

In raschem Tempo durchschritt er den Garten und öffnete die Gittertür zur Straße.