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Das Steppenross – Kapitel 14

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 14
Verfolgung der Fährte

Das Ross wurde also von Wölfen verfolgt.

Die Trapper hatten die Spuren der Tatzen im Schlamm erkannt, und zwar beide Arten von Wölfen – den großen, braunen, texanischen Wolf und den kleinen, bellenden Kojoten, der nur in der Ebene vorkommt. Eine vollständige Herde war an den zahlreichen Spuren zu erkennen. Auch bewiesen die Fährten diesen scharfsinnigen Männern, dass die Wölfe das Pferd verfolgten.

Jenseits des Quells erhob sich der Boden ein wenig und das Pferd war hier hinaufgesprungen, nachdem es am Quell getrunken hatte. Dorthin waren ihm die Wölfe ebenfalls gefolgt, der Eindruck ihrer Klauen war in dem weichen Ton zurückgeblieben. Diese aufgekratzten Streifen zeigten Garey, dass sie in der größten Schnelligkeit liefen. Sie würden nicht einen so weiten Sprung gemacht haben, wenn sie nicht eine Beute verfolgt hätten. Da keine anderen Spuren als die Pferdehufe und die ihren vorhanden waren, so lag es klar vor Augen, dass sie das Ross verfolgten. Außerdem wurde die Fährte des Pferdes von der Fährte der Wölfe gedeckt.

Garey zweifelte ebenso wenig an seinen Folgerungen, wie ein Mathematiker an der Wahrheit eines Lehrsatzes im Euklid zweifelt.

Ich empfand zu meinem Schmerz, dass ich Gareys Folgerungen für wahr annehmen musste. Sie waren gar zu wahrscheinlich. Wäre das Pferd nicht belastet, sondern frei gewesen, so würden es die Wölfe nicht verfolgt haben. Solange sich das wilde Ross in seiner vollen Kraft befindet, wird es selten von ihnen angegriffen. Nur die alten und kranken Pferde und schwachen Füllen fallen diesen hungrigen Bestien zur Beute. Der gemeine Wolf und der Kojote sind ebenso schlau wie der Fuchs, und erkennen, wenn ein Tier tödlich verwundet ist. Einen verwundeten Hirsch, der dem Jäger entrann, verfolgen sie hartnäckig, geben aber bald die Jagd auf, wenn sie merken, dass das Tier nur leicht verwundet ist. Sie hatten bemerkt, dass das Pferd nicht von einem freien Retter geleitet wurde, dass sich nicht alles in Ordnung befand, und folgten ihm mit gierigem Geheul, in der Hoffnung, Ross und Reiter einzuholen.

Es war wahrscheinlich, dass die Wölfe das belastete Ross früher oder später erreichen mussten. Vielleicht gelang es ihnen erst nach einem langen Galopp über Berg und Tal, durch Sumpf und Dickicht, jedenfalls aber holten es diese andauernden unermüdlichen Verfolger endlich ein.

Ich ächzte laut bei diesem fruchtbaren Gedanken.

»Sehen Sie«, sagte Garey, indem er auf den Boden zeigte und seine Kerze so hielt, dass die Stelle beleuchtet wurde, »da ist das Pferd ausgeglitten. Sehen Sie, da ist die Fährte eines großen Wolfes. An dem Kratzen seiner Hinterpfoten sehe ich, dass er einen Sprung gemacht hat.«

Ich untersuchte das Zeichen, das meinen Augen ebenso leserlich war, wie Garey angedeutet hatte. Es waren noch andere Spuren von Wölfen zu sehen, aber einer hatte jedenfalls einen weiten Satz gemacht, um sich an das Tier anzuklammern. An den Hufspuren ließ sich deutlich sehen, dass das Pferd ausgeglitten sei, während es auf dem feuchten Boden vorwärtssprang. Dadurch war der wachsame Verfolger zum Sprung verleitet worden.

Wir eilen weiter. In unserer Aufregung mochten wir keinen Augenblick halten. Die Jäger als auch die Trapper teilten meine Besorgnisse und meinen Eifer. Wir eilten so schnell, wie es möglich war, ohne die Fackel zu löschen.

Nach fünf Minuten drang der Mond unter dem Rand der schwarzen Wolke hervor, welche ihn bisher verhüllt hatte, und seine weiße Fläche schien in so ungewöhnlichem Glanz, als ob der Regensturm sie noch gereinigt hätte. Die Erde war fast so deutlich zu sehen wie am Tage. Wir löschten die Kerze aus und folgten der Fährte nun beim Mondschein mit größerer Schnelligkeit.

Das wilde weiße Ross hatte noch immer seinen Galopp fortgesetzt und war meilenweit in der größten Schnelligkeit fortgeflogen. Noch immer waren ihm die gierigen, unermüdlichen Wölfe auf dem Fuße gefolgt.

Jetzt vernahmen wir das Rauschen von Wasser. Als wir näher kamen, sahen wir eine leuchtende Fläche im Mondschein vor uns schimmern, und die Spur führte uns in gerader Richtung darauf hin.

Es war ein Fluss. In unmittelbarer Nähe befand sich ein Wasserfall und das durch den Regen angeschwollene Wasser stürzte in weißem Schaum über die Felsen. Es sah im Mondschein wie eine Schneelawine aus. Die Trapper erkannten einen Nebenfluss des Rio Bravo, der von Norden her von der hohen Steppe kam.

Wir eilten an das Ufer. Die Fährte führte uns zu dem schäumenden Wasserfall, gerade zum Rand des brausenden Wassers, und hörte dann plötzlich auf. Die Hufspuren führten nicht wieder zurück. Das Pferd war also in den Fluss gesprungen.

Es konnte nicht anders sein, das Pferd hatte sich gerade an der Stelle in den Wasserfall gestürzt, wo der Schaum am glänzendsten war und der Sturz sich an dem Felsen brach. An den Spuren der Hufe, die sich am Ufer zusammendrängten, erkannten wir den Punkt, von wo es aufgesprungen war. An dem tiefen Eindruck im Rasen konnten wir sehen, dass es einen kühnen Satz gewagt hatte. Die Verfolger waren ihm dicht auf dem Fuße gefolgt. »War es glücklich hinübergekommen?«, fragten wir uns. Dies war unwahrscheinlich, fast unmöglich. War die Strömung doch so schnell, dass sie Mann und Roß fortreißen musste. Zum Durchwaten schien der Fluss zu tief. War das Pferd zum Schwimmen gezwungen gewesen? Dann müsste es von der Strömung fortgerissen, sein Körper unter das Wasser gezogen worden sein, seine hilflose Reiterin …

»Pah, das Pferd ist nicht geschwommen«, sagte Rube ein wenig verdrießlich. »Wo habt ihr denn zum Geier eure Augen, ihr alle zusammen? Seht nur hierher, und ich will es euch sagen, woher ich es weiß. Seht ihr die Farbe des Wassers dort? Es ist so braun wie ein Büffel im Frühling, es ist frisch heruntergekommen und vor dem Regen konnte nicht die Hälfte davon hier im Bett sein. Das Pferd konnte also ganz leicht durchwaten, und damals ist es durchgewatet. Es ist ganz gewiss vor dem Regen übergesetzt, denn seht nur diese Spuren. Sie entstanden, ehe noch ein Tropfen Regen herunterkam, sonst würden sie viel tiefer in den Boden eingedrückt sein. Pah! Das Pferd ist glücklich hinübergekommen, ohne sich ein Haar auf dem Schenkel nass zu machen. Ängstigen Sie sich nicht wegen des Ertrinkens, junger Bursche! Das Mädchen ist noch sicher.«

»Und glaubt ihr, dass die Wölfe ihm über den Fluss gefolgt sind? Kein Einziger. Das Viehzeug hat mehr Verstand. Sie wussten wohl, dass ihre Beine nicht lang genug waren, und dass der Strom sie eine Meile weit fortgerissen hätte, ehe sie halb hinübergeschwommen wären. Ich sage, die Wölfe sind diesseits geblieben. Sehen Sie hierher, da sind ihre Spuren. Wahrhaftig, das Ufer ist aufgewühlt wie von einer Schafherde.«

Ich betete zum Himmel, dass dies keine bloße Vermutung sein möchte. Rube glaubte fest an seine Worte, und auch ich fühlte mich beruhigt, denn ich hatte mich gewöhnt, ein unbedingtes Vertrauen in die Erfahrung des Trappers zu setzen. Mit leichterem Herzen sprang ich wieder in den Sattel, meine Begleiter folgten meinem Beispiel und wir ritten am Ufer entlang, um eine Stelle zum Übersetzen zu suchen. Ich hielt mich jedoch nicht lange auf. Moro war manche hundert Schritte weit mit mir auf dem Rücken geschwommen und hatte manche Ströme, reißender als dieser, mit seiner stolzen Brust gekeilt.

Ich lenkte ihn zum Ufer, gab ihm die Sporen und setzte in den Fluss.

Hinter mir hörte ich ein Plätschern. Einer meiner Begleiter nach dem anderen vertraute sich dem Wasser an und schwamm schweigend hinüber. Einer nach dem anderen erreichte das jenseitige Ufer und ritt hinauf.

Ich überzählte schnell die Leute, als sie aufritten. Einer war noch nicht angekommen. Rube fehlte. Wie alle Handlungen dieses seltsamen Menschen, so war auch das Übersetzen einzig in seiner Art. Vielleicht hatte er diese Art gewählt, um etwas Besonderes für sich zu haben. Vielleicht wollte er auch seinen Mustang weniger beim Schwimmen hindern. Er war langsam in das Wasser geritten und blieb so lange im Sattel sitzen, bis die Stute keinen Grund mehr fand. Dann glitt er rückwärts über die Schenkel hinunter, nahm den Schweif zwischen die Zähne und schwamm halb, wie ein Fisch an der Angel gezogen, halb rudernd, um den Übergang zu erleichtern. Kaum berührten die Füße des Pferdes den Boden wieder, so zog er sich von hinten herauf und erreichte den Sattel.

Ich spornte mein Pferd und kam bald an der Stelle an, wo ich die Fährte wieder zu finden erwartete. Zu meiner Freude erblickte ich gerade dem Punkt gegenüber, wo das Pferd in das Wasser gegangen war, Hufspuren. Es war also durchgewatet.

Als wir die Fährte wieder aufgenommen hatten, ritt ich mit leichterem Herzen weiter. Garey bestätigte es, als er die Augen auf die Fährte richtete, dass das Roß hier im Schritt gegangen war. Die Reiterin musste durch diese sanfte Bewegung ihre Qual vermindert fühlen. Das Pferd hatte auch vielleicht haltgemacht. Es konnte nicht viel weiter gelaufen sein, da seine Beine durch die wilde Verfolgung ermüdet sein mussten.

Auch wir waren alle ermüdet, aber bei dieser angenehmen Vermutung dachten wir nicht an unsere Mühe und folgten in froher Stimmung der Fährte.

Wir waren jedoch nur wenige Hundert Schritte von dem Fluss entfernt, als wir abermals auf ein ernstliches Hindernis stießen, das nicht nur unser Weiterkommen erschwerte, sondern unser ferneres Suchen fast unmöglich machte.

Gerade vor uns zeigte sich der Rasen von zahlreichen Pferden zertreten. Es waren nicht vier, sondern wohl vierhundert Hufspuren in das Gras eingedrückt, alle so frisch wie die Fährte, welcher wir folgten. Die Fährte des Schimmels mischte sich mit ihnen und ging unseren Blicken verloren.

»Es ist eine Herde wilder Pferde«, erklärten die Führer auf den ersten Blick.

Wie schon erwähnt, ist ein großer Teil von Mittel- und Südamerika mit reichem Graswuchs bedeckt, wo sich Herden von Hornvieh und von wilden Pferden im Überfluss vorfinden. Die Letzteren sollen die Nachkommen von einigen spanischen Pferden sein, welche von den Entdeckern von Europa herübergebracht worden sind. Sie erscheinen aber in ihrem Äußeren als eine Abart ihrer berühmten Vorfahren, obgleich einige von erstaunlicher Schönheit sind. Sie sind schlank und hager, und ihre Gestalt ist eher eckig als gerundet, ihre Bewegungen sind schnell und voll Kraft und der Blick ihrer klugen und ausdrucksvollen Augen zeigt Misstrauen und Furcht vor Gefahr. Im gefangenen Zustand sind sie schwer zu zähmen. Sie leben herdenweise und scheinen sogar eine Art von geselligen Einrichtungen zu haben. Denn wenn sie in der trockenen Jahreszeit oder bei Annäherung der Regenzeit wandern, so bilden die stärksten männlichen Tiere den Vor- und Nachtrab. Sie senden auch einzelne zum Rekognoszieren aus, welche Nachricht geben müssen, sobald eine Gefahr in der Nähe ist. Zu anderen Zeiten wird ihr geselliges Leben durch heftige Kämpfe unterbrochen, in welchen sie sich untereinander den Nacken und die Köpfe auf schreckliche Weise mit ihren Zähnen zerfleischen. In früheren Zeiten fingen die eingeborenen Stämme diese Pferde nur für ihren eigenen Gebrauch, aber jetzt ist ein Handel mit ihnen in Aufnahme gekommen.

Die Pferdefänger nehmen gewöhnlich verschiedene Reservepferde mit sich, wozu sie die schnellsten auswählen. Wenn sie einer Herde wilder Pferde nahe kommen, so verbergen sie sich soviel wie möglich, indem sie sich an der gedeckten Seite ihrer Pferde herabhängen lassen. Bei der Verfolgung werfen sie ihrer geschlungenen Seile oder Lassos und fangen ihr auserwähltes Opfer selbst aus beträchtlicher Entfernung mit der Schlinge.

Es waren also die Spuren von unbeschlagenen Hufen, welche unsere Späher aufgefunden hatten. Aber daraus ließ sich noch nicht beweisen, dass es wilde Tiere waren. Wenn ein Trupp Indianer vorübergeritten wäre, so würden dieselben Spuren zurückgeblieben sein. Aber die Trapper behaupteten zuversichtlich, dass diese Pferde nicht geritten worden waren. Die Hufspuren von Fohlen, welche sich dabei fanden, bewiesen, dass eine Herde Mustangs vorübergekommen war. Da, wo wir ihre Spuren zuerst fanden, waren sie in vollem Galopp davongelaufen. Die Fährte des Schimmels wich von der früheren Richtung ab und traf endlich in einem spitzen Winkel mit der ihren zusammen.

»Ja«, sagte Rube, »ich sehe, wie es steht. Sie sind über das merkwürdige Aussehen des Schimmels erschrocken gewesen und davongelaufen. Sehen Sie! Da ist keine Fährte obenauf, er ist ihnen nachgelaufen. Dort hat er einige überholt. Seht nur! Das Vieh hat sich nach beiden Seiten zerstreut. Hier sind sie im Galopp wieder zusammengekommen, eine Anzahl vor ihm, eine Anzahl hinter ihm. Pah! Jetzt werden sie ihn doch wohl kennen und sich nicht mehr fürchten. Seht dort! Der Schimmel ist mitten unter der Herde.«

Ich schlug unwillkürlich die Augen auf, denn ich glaubte nach diesen Worten, die Pferde wären zu sehen. Aber der Trapper ritt, während er sprach, vorwärts gebeugt und richtete die Blicke auf die Erde. Alles, was er sagte, las er von der Oberfläche der Steppe ab – diese Schriftzeichen, die für mich unverständlich waren, schienen ihm leichter zu deuten, als die Blätter eines gedruckten Buches.

Bei dieser Entdeckung wurde mein Geist von düsteren Gedanken erfüllt, aufs Neue drängten sich mir schreckliche Ahnungen auf. Ich erkannte sogleich, dass meine Verlobte sich in einer neuen furchtbar gefahrvollen Lage befand.

Ich sah sie in der Mitte einer wiehernden Herde wilder Pferde – Hengste mit glühenden Augen und dampfenden Nüstern, die zornig und eifersüchtig gegen das weiße Roß bäumten und mit mörderischen Hufen darauf losschlugen, mit wütend geöffnetem Rachen und blitzenden Zähnen – es war ein entsetzliches grauenhaftes Bild.

Und die Wirklichkeit war nicht fern. Ich ritt schnell die nächste Erhöhung der Steppe hinauf und erblickte vom Kamm derselben genau den Auftritt, den meine Einbildungskraft heraufbeschworen hatte.

War es ein Traum? Wurden meine Augen von der Fantasie getäuscht? Nein, dort war die Herde wilder Pferde, die bäumenden wiehernden Hengste, dort stand in der Mitte das weiße Ross ebenfalls hoch aufgerichtet und auf seinem Rücken – »Barmherziger Gott, rette sie!«

Diesen lauten Ruf entriss mir das furchtbare Schauspiel. Ich nahm mir nicht Zeit, den Rat meiner Begleiter anzuhören, sondern gab meinem Pferd die Sporen und galoppierte den Hügel hinab auf die Pferde zu.

Die Trapper und die Jäger, welche in gleichem Antrieb handelten, hatten ihre Pferde ebenfalls angespornt und folgten mir dicht auf dem Fuße.

Die Herde war noch fern, der Wind wehte scharf von ihr her. Da wir den Hügel erst zur Hälfte hinab waren, so hatten die wilden Pferche uns weder gesehen noch gewittert.

Ich rief so laut wie möglich und pfiff, um sie in die Flucht zu jagen. Auch meine Gefährten riefen sämtlich, aber unsere Stimmen drangen nicht bis zu der kämpfenden Herde.

Da fiel mir ein besseres Mittel ein. Ich zog die Pistole aus der Halfter und feuerte mehrere Schüsse ab.

Schon der Erste würde genügt haben. Trotz des entgegenstehenden Windes wurde der Knall gehört, und die erschrockenen Steppenpferde standen plötzlich vom Kampf ab. Einige flohen davon, andere umkreisten uns wildschnaubend und mit erhobenem Kopf. Noch andere kamen fast in den Bereich unserer Büchsen, drehten sich dann mit gellendem Wiehern um und flohen davon. Nur der Schimmel blieb mit seiner Last am ersten Ort zurück. Ich war noch viele Hundert Schritte weit entfernt, als ich sah, dass er sich bäumte, sich auf den Hinterfüßen drehte und dann in entschiedener Flucht davoneilte.

Ich folgte dem einzigen Gedanken, der mich in diesem Augenblick beseelte, und galoppierte hinter ihm her, so schnell mein Pferd laufen konnte. Ich hielt mich nicht auf, mich mit meinen noch weit entfernten Gefährten erst zu beraten.

Ich bemerkte bald, dass mein wackeres Pferd ermüdet war, und wurde von Besorgnis erfüllt. Es hatte am vorigen Tag den Sattel zu lange getragen und war durch die beschwerliche Nacht ermüdet worden. Ich fühlte, wie es ermüdet mit immer schwächeren Schlägen galoppierte. Das Steppenross musste noch frisch sein.

Aber von dem Ausgang hing Leben und Tod ab. Meine Verlobte musste gerettet werden. Ich musste die Sporen anwenden und den Schimmel einholen, selbst wenn Moro sterben sollte.

Die Jagd führte über eine wellenförmige Prärie. Wir galoppierten über die wogigen Anschwellungen, die schnell hintereinander folgten. Wir schossen abwechselnd bergauf und bergab. Es war ein scharfer, tödlicher Galopp für mein armes Pferd.

Sollte der fürchterliche Galopp niemals beendet werden? Wurde der Schimmel nie müde? Er musste doch mit der Zeit anhalten, und Moro war ihm an Kraft und Schnelligkeit überlegen.

Aber das Steppenpferd hatte einen doppelten Vorteil. Es war vor der wilden Jagd nicht gebraucht worden und befand sich auf heimatlichem Boden.

Ich hielt meine Augen unverwandt darauf gerichtet, ein geheimnisvolles Gefühl ließ mich befürchten, es könnte verschwinden, sobald ich mich umschaute. Die seltsame Erinnerung an die erste Jagd erfüllte noch immer meinen Geist, ich vertiefte mich fast wie damals in den Glauben an übernatürliche Erscheinungen.

So behielt ich den Gegenstand meiner Verfolgung und die zwischen uns liegende Strecke im Auge und blickte nach keiner Seite.

Die Entfernung schätzte ich bald voll Hoffnung, bald voll Zweifel ab. So bald sich der Boden veränderte, wurde auch der Zwischenraum anders. Bald näherte ich mich, wenn mir die Senkung der Erhöhung zugutekam, bald vergrößerte sich die Entfernung, wenn die Schnelligkeit meines Pferdes durch steile Abhänge gehemmt wurde.

Endlich galoppierte ich über den letzten Hügel der Steppe und erblickte voll Freude eine flache Ebene vor mir. Hier musste ich mich dem Schimmel schnell nähern, das wurde mir zu meiner Freude deutlich.

Zuletzt sah ich zu meinem Entzücken, dass ich dem Schimmel näher kam. Es lagen jetzt nur noch dreihundert Schritte zwischen uns. Ich war so nahe, dass ich ihre Gestalt erkennen konnte. Sie lag noch ausgestreckt, die Glieder an den Rücken des Pferdes geschnallt, die Kleider aufgelöst und zerrissen, ihr verworrenes Haar schleppte am Boden. Wenn das Pferd zuweilen den Kopf zurückwarf, um sein wildes Wiehern vernehmen zu lassen, konnte ich sogar ihre bleichen Wangen sehen.

Ich war nahe genug, um mich hörbar zu machen. Ich schrie so laut ich konnte, ich rief ihren Namen, heftete die Augen auf sie und horchte voller Angst auf eine Antwort. Es schien mir, als erhöbe sie den Kopf, als ob sie mir antworten wollte. Ich konnte aber keinen Laut hören. Vielleicht wurde ihr schwacher Schrei von dem Geräusch der Hufe übertäubt. Ich rief wieder ihren Namen, immer wieder. Da war es mir, als hörte ich einen Schrei, ihr Kopf erhob sich vom Körper des Pferdes. Ich konnte mich nicht geirrt haben.

»Dank dem Himmel! Sie lebt!«

Kaum hatte ich dieses kurze Dankgebet gesprochen, als ich fühlte, wie mein Pferd unter mir nachgab, als ob es in die Erde sinke. Ich wurde aus dem Sattel geschleudert und flog kopfüber auf die Ebene. Mein Pferd war in den Bau eines Präriehundes eingebrochen und infolge des falschen Trittes gestürzt.

Der Präriehund wie die Jäger ihn genannt haben, wahrscheinlich von der eingebildeten Ähnlichkeit zwischen seinem Geschrei und dem Bellen eines Hundes, lebt in großen Gesellschaften in den endlosen Prärien Amerikas. Doktor Woodhouse, welcher der Expedition in den Vereinigten Staaten unter dem Kapitän Setgreaves beigeordnet war, sagt über eine der Hundestädte, wie die Trapper sie trennen, welche Texas durchziehen, dieselbe habe eine Ausdehnung von dreißig englischen Meilen gehabt. Die Höhlen dieser Tiere liegen beinahe in regelmäßigen Entfernungen voneinander, ungefähr zwanzig bis dreißig Fuß. Die Bewohner sitzen am Eingang der Höhlen, lassen ein unaufhörliches bellendes Geschrei hören und wedeln zu gleicher Zeit mit dem Schwanz. Sobald sich eine Gefahr nähert, ziehen sie sich in das Innere der Höhle zurück, und zwar so schnell, dass man nur mit Mühe ihrer habhaft werden kann. Selbst wenn man nach ihnen schießt, taumeln sie in der Regel in die Höhle zurück und verschwinden in die Tiefe. Ihre Nester, welche am äußersten Ende der Höhle angelegt sind, bestehen aus zusammengehäuftem trockenem Gras. Die Nahrung dieser Geschöpfe machen hauptsachlich Gras und Insekten aus.

Über einer solchen Höhle war mein Pferd gestürzt.

Mich hatte der Fall weder betäubt noch gelähmt. In wenigen Augenblicken stand ich wieder auf den Füßen, fasste die Zügel und schwang mich in den Sattel. Als ich aber mein Pferd wieder anspornte, waren das weiße Ross und seine Reiterin meinen Blicken entschwunden.

Ich war wütend, verzweifelt, aber dennoch war das Verschwinden des Pferdes diesmal nicht überraschend. Es wurde durch das Dickicht erklärt. Ich konnte das Pferd nicht mehr sehen, aber noch hören. Als ich wieder aufsaß, vernahm ich den Schall seiner Tritte auf dem festen Boden, das Knacken der dürren Reiser und das Rauschen der zurückschnellenden Zweige. Ich verlor keine Zeit, einen Durchgang zu suchen, sondern lenkte mein Pferd dem Schall nach und stürzte mich in das Dickicht. Mein wackeres Ross drang vorwärts, teilte die Büsche mit der Brust oder sprang über sie hinweg. Aber kaum war ich zwanzig Schritte weit gekommen, als ich wohl das Unvorsichtige meines Verfahrens einsah, ich hätte der Fährte folgen sollen.

Ich spornte mein Ross aufs Geratewohl weiter, aber nach kaum hundert Schritten musste ich ungewiss haltmachen.

Das Dickicht rings um mich war still wie der Tod, nicht einmal ein Vogel bewegte sich in den Zweigen. Ich dachte nun daran, zu der offenen Steppe wieder zurückzukehren, die Fährte wieder aufzusuchen und ihr aufs Neue zu folgen. Dies war das klügste und das einzig verständige Verfahren. An dem Punkt, wo der Schimmel das Dickicht betreten hatte, ließ sich die Fährte leicht wiederfinden und von dort verfolgen.

Ich wandte mein Pferd herum und spornte es auf die Steppe zu, oder vielmehr dorthin, wo ich diese vermutete.

Erst ritt ich eine halbe Stunde lang durch Gebüsch und Bäume, dann noch einmal so weit in entgegengesetzter Richtung, erst zur Rechten, dann zur Linken, dann hielt ich mein Pferd an, ließ die Zügel auf den Hals fallen und gewann die feste Überzeugung, dass ich mich gleichfalls verirrt hatte. Ich hatte mich im Dickicht verirrt, in einem Dickicht, wo jede Pflanze Dornen trägt.

Nicht ohne Verletzung war ich hindurchgekommen. Meine Kleider waren zerfetzt und meine Glieder bluteten.

Ich raffte mich wieder auf und spornte mein Pferd vorwärts durch das Gebüsch.

Ich hatte weder am Himmel noch am Boden ein Zeichen zu meiner Leitung. Wohl wusste ich, dass es Leute gab, die in den Geheimnissen der Wildnis erfahren waren und ohne Kompass und Sterne die Himmelsgegenden unterscheiden konnten. Ich vermochte es nicht.

Ich konnte keinen besseren Ausweg erdenken, als dass ich mich der Führung meines Pferdes überließ. Zu wiederholten Malen, wenn ich im dichten Wald oder auf der weiten Ebene verirrt war, hatte ich Vertrauen auf seinen Naturtrieb gesetzt, und es hatte mich aus der Verlegenheit gerettet. Ich warf ihm die Zügel über den Hals und überließ es seiner eigenen Leitung.

Ich hatte bereits mehrmals laut gerufen, in der Hoffnung, von meinen Gefährten gehört zu werden.

Ich konnte von niemand anders, als von meinen Kameraden gehört werden, denn ein anderes menschliches Wesen befand sich schwerlich an diesem Ort. Selbst die unvernünftigen Geschöpfe waren hier selten und man kann in einem mexikanischen Steppengehölz wohl zwanzig Meilen weit reiten, ohne etwas anderes am Leben zu treffen, als etwa die gehörnte Eidechse, die Klapperschlange, das gepanzerte Armadill, den Steppenwolf, hin und wieder das kleine wilde Schwein, welches sich von den Samenkörnern der

Tornilla nährt. Überall herrscht Totenstille, und der müde Wanderer reist vorwärts, ohne einen anderen Laut als den Hufschlag seines Pferdes zu hören, wenn nicht gerade der Wind in den gefiederten Blättern der Akazie rauscht oder die Heuschrecken in dem dürren Gras zirpen.

Ich hoffte noch immer, meine Kameraden würden mich hören. Jedenfalls war ich sicher, dass sie die Fährte nicht verlassen würden.

Obwohl sie in weiter Ferne hinter mir waren, als ich in das Dickicht eindrang, mussten sie doch, meiner Spur folgend, sicher zu mir gelangen. Nur war die Frage, ob sie meiner Spur oder der Fährte des Schimmels folgen würden. Das Erstere war wahrscheinlicher, denn ich konnte irgendeinen Grund haben, von der Fährte des Schimmels abzugehen, um ihm den Weg abzuschneiden oder ihn zu überholen.

Dieses überlegend, kam ich zu dem Entschluss, nicht eher weiter zu reiten, als bis genügend Zeit verflossen sein würde, in welcher sie mich einholen könnten.

Ich fühlte Mitleid mit meinem keuchenden Pferd und stieg ab. Ich rief mehrere Male und feuerte meine Pistole ab. Nach jedem Schuss horchte ich, aber ich vernahm weder einen Ruf noch einen Schuss. Sie mussten so weit entfernt sein, dass sie den Knall nicht hörten, sonst würden sie auf gleiche Weise geantwortet haben. Schon beunruhigte ich mich über ihr Ausbleiben. Ich feuerte noch mehrere Schüsse ab, erhielt aber nur das Echo als Antwort. Plötzlich vernahm ich das Kreischen von Vögeln.

Ich sprang in den Sattel und blickte über die Büsche. Von den Stimmen der Vögel geleitet, bemerkte ich bald die Ursache des Lärms. Die Elstern und Kardinalvögel flogen in den Zweigen hin und her, augenscheinlich durch etwas aufgeregt, was am Boden vorging. Gleichzeitig hörte ich einen seltsamen Lärm, der die Stimmen der Vögel übertönte, konnte aber nicht erkennen, woher derselbe kam. Ich ritt, so schnell mein Pferd durch das Gebüsch kommen konnte, auf die Stelle zu. Als ich am Rand einer kleinen Baumgruppe herauskam, sah ich das seltsame Schauspiel eines Kampfes zwischen dem roten Panther und einer Herde Javali.

Der Panther wurde von den wilden kleinen Schweinen umringt und kämpfte voller Verzweiflung in ihrer Mitte. Mehrere von seinen Gegnern lagen von seinen starken Tatzen getötet auf der Erde, die übrigen aber hielten ihren Feind unerschrocken eingeschlossen, sprangen mit geöffnetem Rachen auf ihn los und zerfetzten ihn mit den spitzen Hauern.

Durch diesen Auftritt wurde mein Jägergeist angeregt. Ich riss die Büchse herunter und zielte. Ohne über die Wahl meines Ziels nachzudenken, drückte ich ab und jagte dem Panther eine Kugel durch den Kopf, dass er augenblicklich mitten unter seinen Gegnern niedersank. Bald aber musste ich die Wahl meines Opfers bereuen. Ich hätte entweder meine Kugel sparen oder sie gegen einen der Feinde des Panthers richten sollen, denn kaum war derselbe kampfunfähig, so richteten sie ihren Angriff gegen mich, umringten mich und mein Pferd mit der äußersten Wildheit.

Ich hatte kein Mittel, die Bestien von mir fernzuhalten. Es war mir keine Zeit geblieben, die Büchse wieder zu laden, ehe sie mich angriffen, und meine beiden Pistolen waren abgeschossen. Mein Pferd, durch den unerwarteten Anfall der seltsamen Geschöpfe erschrocken, jagte wild schnaubend vorwärts, aber überall hin folgten ihm wenigstens zwanzig der wilden Bestien nach, sprangen an ihm hinauf und zerrissen ihm die Schenkel mit ihren furchtbaren Hauern. Wenn ich in diesem Augenblick aus dem Sattel geworfen worden wäre, so wäre ich in Stücke zerrissen worden.

Ich sah kein anderes Mittel als die Flucht, ließ meinem Pferd die Zügel schießen und spornte es. Aber in diesem verworrenen Dickicht konnten die Javali ebenso schnell vorwärtskommen. Nachdem ich hundert Schritte weit geritten war, sah ich mich noch immer von der ganzen Herde umringt.

Die Sache hätte ein sehr unangenehmes Ende nehmen können, aber in demselben Augenblick hörte ich Stimmen und sah Reiter durch das Unterholz brechen. Es waren mehrere unserer Jäger. Bald waren sie zur Stelle und lichteten mit ihren Revolvern die Reihen der Javali, sodass sich die übrigen kreischend und grunzend in das Gehölz flüchteten.

Wo waren die Trapper? Sie befanden sich nicht unter meinen Befreiern. Ich erriet, ehe mir die anderen antworteten, dass Rube und Garey der Fährte gefolgt waren und es den Jägern überlassen hatten, mir nachzueilen.

Die Trapper mussten jetzt schon weit vorwärtsgekommen sein, denn es war mehr als eine Stunde verflossen, seitdem sie sich von den Jägern getrennt hatten. Durch meinen unregelmäßigen Ritt hatte ich meine Kameraden zu einem langen Zeitverlust genötigt. Jetzt brauchten wir unsere Spuren nicht zurück zu verfolgen. Einer meiner Leute hatte sich die Lage des Dickichts gemerkt und führte uns fast auf geradem Weg hinaus. Als wir die offene Steppe erreichten, drangen wir auf Rubes und Gareys Spuren wieder in das Dickicht ein.

Wir mussten schneller vorwärtskommen als die Trapper. Schon waren wir etwa fünf Meilen weiter gekommen, als sich eine seltsame Empfindung, ein Gefühl des Schmerzes in den Augen einstellte. Ich und meine Begleiter schrieben dies dem Mangel an Schlaf zu. Erst nachdem wir eine Strecke weiter gekommen waren, erklärte sich die Sache, denn wir bemerkten, dass Ranch in der Luft sei. Dieser Rauch hatte den beißenden Schmerz in unseren Augen hervorgebracht.

»Der Wald steht in Flammen!«, sagte Stanfield.

Stanfield war ein Hinterwäldler aus Kanada und dachte daher sogleich an einen Waldbrand.

Jedenfalls wütete eine Feuerbrunst entweder im Wald oder auf der Steppe. Der Wind wehte uns entgegen und der Ranch zog mit dem Wind, die Feuerbrunst musste daher gerade auf der Fährte vor uns sein.

Der Qualm wurde immer dichter. Vor uns zeigten sich gelbe Lichtstreifen am Himmel. Es war mir, als vernähme ich das Prasseln der Flamme. Die Luft war heiß und trocken. Ein erstickendes Gefühl im Hals verursachte, dass wir bald alle erschöpft keuchten. Es war plötzlich so finster geworden und der Rauch blendete uns so, dass wir die Fährte nur mit Mühe erkennen konnten. Meine

Begleiter wollten haltmachen, aber ich trieb sie vorwärts und rief laut, während wir weiter ritten.

»Holla!«, lautete die Antwort von der rauen Stimme des jüngeren Trappers.

Wir eilten dem Schall der Stimme nach. Der Weg führte uns zu einer Lichtung, in deren Mitte wir durch den Rauch die Gestalten von Menschen und Pferden erkannten. Als ich die Gruppe mit forschenden Augen betrachtete, sah ich nur die beiden Trapper.