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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Dreizehnte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Dreizehnte Erzählung

Beweis, dass einige Menschen sich selbst doppelt sehen

Mamsell L. besuchte im Frühjahr 1796 eine im Halberstädtischen an einen Ökonomiebeamten verheiratete Jugendfreundin. Das Haus, welches diese bewohnten, hatte, von seiner ehemaligen Bestimmung her, eine ungemein klösterliche, und wenn man will, grauliche Entrichtung. Man fand da noch dem Klosterwesen angemessene, lichtscheue Bauart – große Hallen und Säle – lange finstere Gänge und eine Menge Gewölbe. Selbst von einem vermauerten unterirdischen Gang ging noch die Rede, in welchem unter den Schlangen und Kröten auch sogar Nachtgeister hausen sollten. Ein Wunder daher, dass dieses steinerne Gebäude eines längst verflossenen Jahrhunderts in dem Ruf stand, als ob es nicht bloß des Nachts, sondern selbst am hellen Tag darin umgehe.

Mamsell L., die nichts weniger als voller Gespenstervorurteile war, hörte von diesen Gerüchten, noch ehe sie die neue Wohnung ihrer Freundin je gesehen hatte. Diese führte sie bald nach der Ankunft in der weitläufigen Rummelei umher und wies ihr vorläufig das ihr bestimmte Zimmer an. Wenn man auch ein lichtvolles Wohnhaus im neueren Geschmack viel lieber gehabt hätte, so belächelten doch beide die Schwäche so vieler ihres Geschlechts, deren Sache es nicht sein würde, mit Geistern und Unholden unter einem Dach zu wohnen.

Am nächsten Abend, wo aus der Nachbarschaft, der Mamsell L. zu Ehren, einige Freundinnen und Freunde zusammen gebeten waren, kam zufällig auch die Rede auf die Schreckbilder und geistigen Mitbewohner des Hauses. Da indessen die Gesellschaft aus lauter erleuchteten Köpfen bestand, so hatte man dieses Kapitel bald erschöpft und schloss es lächelnd mit der vielsagenden Bemerkung, dass nur die Furchtsamen und Abergläubigen von den häuslichen Unholden beunruhigt würden, den Beherzten und Vorurteilfreien hingegen erschienen sie nicht.

Es war Mitternacht, als die Gesellschaft zu Bett ging. Die Wirtin begleitete Mamsell L. auf deren Schlafzimmer, zeigte ihr die Bequemlichkeiten, deren sie etwa bedürfen möchte, und verließ sie unter herzlichen Anwünschungen einer guten Nacht.

Ehe sich Mamsell L. zur Ruhe begab, ging sie noch einem geheimen Geschäft nach. Der Weg dahin führte durch zwei Seitengemächer, wovon das hinterste zwei Türen nebeneinander hatte, deren eine die ihr nachgewiesene war. Sie hatte aber vergessen, welche, und ging in die unrechte. Sie fand da mancherlei, nur das nicht, was sie eigentlich suchte. Die Neugierde und der Wunsch, das zu finden, wonach sie sich umsah, veranlasste sie, durch ein Fenster zu sehen, welches dem Anschein nach, nicht nach außen, sondern zu einem benachbarten inneren Zimmer wies. Dieses Zimmer war eine sogenannte Polterkammer, das heißt, ein wirtschaftliches Gemach, in welches allerlei Hausgeräte und andere Sachen, denen man keinen besseren Platz zu geben weiß, aus der Hand gesetzt werden.

Kaum hatte Mamsell L. mit dem Licht in der Hand, einen flüchtigen Blick durch erwähntes Fenster in diese Kammer getan, so fuhr sie mit Entsetzen zurück, denn sie erblickte auf das Deutlichste sich selbst. Das in der Polterkammer hausende Nachtgespenst hatte ihre Gesichtszüge, ihren Kopfputz, kurz, ihre ganze Außenseite, nachäffend, angenommen. Um plötzlich und unerwartet die erklärte Gespensterverleugnerin recht sehr zu erschrecken, stellte es sich dicht vor das Fenster, durch dessen runde Glasscheiben sie sehen wollte, und sah ihr ins Gesicht. Der Schreck war fürchterlich, den sie davon hatte. Es fehlte wenig, sie wäre sinnlos hingesunken. Indessen hatte sie noch so eben Kräfte genug, diese Gegend des Hauses zu verlassen und mit der Farbe einer Leiche ihrer Freundin in die Arme zu eilen.

Man untersuchte und fand das Gespenst noch auf dem nämlichen Fleck; nur mit dem Unterschied, dass es, als durch jene Fensterscheibe der Herr des Hauses sah, dessen Gesichtsbildung, die Schlafmütze, welche er aufhatte, nicht ausgenommen, nachäffte, und unmittelbar darauf wieder das Gesicht der Wirtin zurückgab, die es ohne Umstände ebenfalls wagte, in die Polterkammer zu schauen. Mit den Vorräten und Gegenständen derselben genau bekannt, entdeckte sie sogleich die obwaltende sonderbare Täuschung.

Ein ziemlich großer Spiegel war es, den man innerhalb der Polterkammer dicht vor das Fenster gehangen hatte, sodass man in dem daran stoßenden Gemach durch die Fensterscheiben sich in demselben spiegeln konnte.