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Der Welt-Detektiv Band 6

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Aëlita – Teil 7

Alexej-Tolstoi-AelitaAlexej Tolstoi
Aëlita
Ein utopischer Roman

Im schwarzen Himmel

Nachdem Losj die Eingangsluke zugeschraubt hatte, nahm er Gussew gegenüber Platz und schaute ihm in die Augen – mitten in die wie bei einem gefangenen Vogel stechenden Punkte der Pupillen.

»Wir fliegen also, Alexej Iwanowitsch?«
»Schalten Sie ein!«
Da ergriff Losj den kleinen Hebel des Rheostats und drehte ihn leicht herum. Es ertönte ein dumpfer Schlag – jener erste, bei dem auf dem großen Platz die tausendköpfige Menge erbebte. Er schaltete den zweiten Rheostat ein. Unter den Füßen erscholl ein dumpfes Knattern, und nun wurden die Erschütterungen des Apparats so stark, dass Gussew sich an seinem Sitz festhielt und die Augen ihm fast aus den Höhlen traten.

Losj schaltete jetzt beide Rheostate voll ein. Der Flugapparat machte einen Ruck. Die Schläge wurden leiser, die Erschütterung verringerte sich. Losj schrie: »Wir sind aufgestiegen!«

Gussew wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es wurde heiß. Der Geschwindigkeitsmesser zeigte fünfzig Meter in der Sekunde, und der Zeiger rückte immer weiter vor.

Der Apparat raste auf der Tangente gegen die Richtung der Erdrotation. Die Zentrifugalkraft zog ihn nach Osten. Nach den Berechnungen musste er sich in einer Höhe von hundert Kilometern aufrichten und weiter auf der Diagonale fliegen.

Der Motor arbeitete gleichmäßig, ohne auszusetzen. Losj und Gussew knöpften ihre kurzen Pelze auf und schoben ihre Helme in den Nacken. Das elektrische Licht war ausgeschaltet, und durch die Scheiben der Luken drang ein blasser Schein.

Gegen eine Schwäche und beginnenden Schwindel ankämpfend, kniete Losj nieder und blickte durch das Guckloch auf die enteilende Erde. Sie breitete sich vor ihm als eine ungeheure, randlose, blaugraue konkave Schale aus. Hier und da lagen darauf Reihen von Wolken, das war der Atlantische Ozean. Allmählich verengte sich die Schale und sank nach unten. Ihr rechter Rand begann silbern zu leuchten, der andere überzog sich mit Schatten. Und da erschien die Schale bereits als eine Kugel, die in die Tiefe davonflog.

Gussew presste sein Gesicht an die andere Luke und sagte: »Leb wohl, Mütterchen, ich habe genug auf dir gelebt, genug Blut vergossen.« Er erhob sich von den Knien, taumelte aber plötzlich und fiel auf das Kissen. Er riss sich den Kragen auf: »Ich sterbe, Mstislaw Sergejewitsch, ich kann nicht mehr!«

Auch Losj fühlte sein Herz schneller und schneller schlagen. Nun hörte es auf zu schlagen – es bebte schmerzhaft. Das Blut klopfte in den Schläfen. Ihm wurde dunkel vor Augen.
Er kroch zum Zähler. Der Zeiger raste ungestüm vorwärts und registrierte eine unglaubliche Geschwindigkeit. Die Luftschicht ging zu Ende. Die Anziehungskraft der Erde verringerte sich. Der Kompass zeigte, dass sie sich senkrecht unter ihnen befand. Der Apparat, der mit jeder Sekunde seine Geschwindigkeit vergrößerte, raste mit irrsinniger Schnelligkeit in den eisigen Weltenraum.

Losj konnte sich gerade noch, die Fingernägel dabei abbrechend, den Kragen des Pelzes aufknöpfen – das Herz stand still.

In der Voraussicht, dass die Geschwindigkeit des Apparates und der darin befindlichen Körper einen Grad erreichen würde, bei dem eine merkliche Veränderung des Herzschlages, des Kreislaufs, überhaupt des ganzen Lebensrhythmus eintritt – in der Voraussicht dieser Umstände hatte Losj den Geschwindigkeitsmesser eines der Gyroskope (es waren ihrer zwei im Apparat) durch elektrische Leitungen mit den Hähnen der Behälter verbunden, die im gleichen Augenblick eine größere Menge Sauerstoff und Ammoniaksalze abgeben mussten.

Losj erwachte zuerst. Die Brust schmerzte und der Kopf schwindelte ihm, das Herz arbeitete laut wie ein Brummkreisel. Gedanken tauchten auf und verschwanden – ungewöhnliche Gedanken, schnelle und klare. Die Bewegungen waren leicht und präzis.

Losj drehte die überflüssigen Hähne an den Behältern zu und warf einen Blick auf den Zähler. Der Apparat legte fünfhundert Kilometer in der Sekunde zurück. Es war hell. Durch eines der Gucklöcher drang ein geradezu blendender Sonnenstrahl herein. Unter diesem Strahl, auf dem Rücken, lag Gussew mit gefletschten Zähnen und aus den Höhlen getretenen, glasigen Augen.

Losj hielt ihm ein starkes Riechsalz vor die Nase. Gussew tat einen tiefen Atemzug, seine Lider bewegten sich leise. Losj fasste ihn unter den Achseln und versuchte mit Mühe, ihn hochzuheben, aber da hing Gussews Körper wie eine Blase in der Luft. Er löste ihm die zusammengepressten Arme. Gussew sank langsam abwärts, streckte die Beine in der Luft aus, hob die Ellbogen, saß wie im Wasser da und blickte um sich: »Mstislaw Sergejewitsch, bin ich etwa betrunken?«

Losj befahl ihm, zu dem oberen Guckloch hinaufzukriechen und zu beobachten. Gussew stand auf, wankte, setzte an und kroch dann wie eine Fliege an der senkrechten Wand aufwärts, sich mit den Händen an die gesteppte Polsterung klammernd. Er presste das Gesicht an das Guckloch. »Es ist dunkel, Mstislaw Sergejewitsch, rein nichts zu sehen.«

Losj setzte ein Rauchglas auf das der Sonne zugekehrte Okular. In deutlichen Umrissen, als ein riesiges zottiges Knäuel hing die Sonne in der schwarzen Leere. An ihren Seiten breiteten sich gleich Flügeln zwei Lichtnebel aus. Von dem festen Kern löste sich eine Fontäne und zerstob in der Form eines Pilzes. Es war die Zeit, in der die großen Sonnenflecken hervortreten. In einiger Entfernung von dem hellen Kern erstreckten sich – weniger leuchtend als die Zodiakalflügel – flammende Lichtozeane, die von der Sonne fortgeschleudert waren und um sie herum kreisten.

Mit Mühe riss sich Losj von diesem Schauspiel des lebenspendenden Weltenfeuers los. Er deckte das Okular mit einer Kappe zu. Es wurde dunkel im Innern des Apparates. Er näherte sich dem der Lichtseite gegenüberliegenden Guckloch. Hier war es dunkel. Er drehte das Okular, und ins Auge fiel stechend der grünliche Strahl eines Sterns. Doch jetzt trat ein hellblauer, klarer und starker Strahl in das Sehfeld – das war der Sirius, der himmlische Diamant, der schönste Stern des nördlichen Firmaments.

Losj kroch zum dritten Guckloch. Drehte das Okular, schaute hindurch, rieb es mit dem Taschentuch. Sah dann genauer hin. Sein Herz krampfte sich zusammen, und er spürte jedes Haar auf seinem Kopf.

Nicht weit, sogar ganz in der Nähe schwebten in der Finsternis undeutliche Nebelflecke. Gussew sagte mit Besorgnis: »Neben uns fliegt irgendein Ding.«

Die Nebelflecke sanken langsam abwärts, sie wurden deutlicher und heller. Gezackte silbrige Linien und Fäden zogen rasch vorbei. Und jetzt begannen sich die deutlichen Umrisse der zerrissenen Ränder eines Felsenkammes abzuzeichnen. Offenbar näherte sich der Apparat einem Himmelskörper, wurde von ihm angezogen und begann als Trabant um ihn zu kreisen.

Mit zitternden Händen tastete Losj nach den Hebeln der Rheostate und drehte sie, bis es nicht mehr weiter ging, wobei er riskierte, den Apparat zu sprengen. In seinem Innern, unter den Füßen, donnerte und heulte es. Die Flecke und die zerrissenen Felsränder bewegten sich jetzt schneller abwärts. Die beleuchtete Oberfläche wurde größer und näherte sich. Deutlich waren jetzt die scharfen, langen Schatten der Felsen zu sehen, sie zogen sich über eine kahle, tote Ebene.

Der Apparat flog auf die Felsen zu. Sie waren bereits ganz nahe, auf der einen Seite übergossen vom Licht der Sonne. Losj dachte, und sein Bewusstsein war ruhig und klar: In einer Sekunde – der Apparat wird nicht Zeit haben, den Hals der ihn anziehenden Felsmasse zuzuwenden –, in einer Sekunde ist der Tod da.

In diesem Bruchteil einer Sekunde bemerkte Losj zwischen den Felsen auf der toten Ebene die Ruinen von stufenförmigen Türmen … Danach glitt der Apparat über die Spitzen der kahlen Felsen … Dort aber, hinter ihnen war ein Abgrund, war die Untiefe, war Finsternis. An den zerrissenen, senkrecht abfallenden Felsen blinkten metallische Adern. Und der Splitter eines zerschlagenen, unbekannten Planeten befand sich bereits weit hinter ihnen. Er setzte seine tote Bahn in die Ewigkeit fort … Der Apparat raste aufs Neue durch die Wüstenei des schwarzen Himmels.

Plötzlich schrie Gussew: »Da ist vor uns so was wie ein Mond!«
Er drehte sich um, löste sich von der Wand und blieb frei in der Luft hängen. Er spreizte die Gliedmaßen und machte Schwimmbewegungen wie ein Frosch, schimpfte dabei leise und versuchte, wieder an die Wand zu kommen. Losj löste sich ebenfalls vom Boden und schwebte in der Luft, wobei er sich am Rohr eines der Gucklöcher festhielt. Er schaute auf die silbern glänzende, die Augen blendende Scheibe des Mars.