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Gold – Kapitel 9.1

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 9 Teil 1
Das Paradies

Wie schon vorher erwähnt, sind die beiden Hauptströme Kaliforniens, an deren Tributarien das Gold entdeckt war, der Sacramento und San Joaquin.

Der Erstere kommt vom Norden herunter, der Letztere vom Süden herauf, beide an dem Fuß des Gebirgsrückens hinlaufend, der im Westen die dritte und niedrigste Bergschichtung des Rückgrats von ganz Amerika bildet, das im Norden die Felsengebirge, in Mittelamerika die Anden, und in Südamerika die Kordilleren genannt wird.

Von diesem Bergrücken nun laufen eine große Anzahl kleiner Bäche und Bergströme von Ost nach West in dieses Tal und in die Hauptströme hinab, mit denen sie sich vereinigen. Gerade an jenen kleinen Wassern hatten sich die Uferbänke und Betten so goldhaltig erwiesen, dass schon Tausende von geschäftigen Händen daran arbeiteten, sie umzuwühlen und ihnen die langbewahrten Schätze zu entreißen.

Oben im Norden waren die Hauptsächlichsten dieser Ströme der Feather River, Yuba und Bearcreek mit der American Fork und manchen anderen kleineren Wassern. Im Süden dagegen hatten der Calaveres, Macalome und Stanislaus mit den ihnen wieder tributpflichtigen Bächen den besten Namen. Zwischen dem Stanislaus und Calaveres, sein Wasser jedoch dem ersteren Strom bringend, floss ein kleiner klarer Bergbach, dem die Indianer in ihrer bilderreichen Sprache den Namen Himmelsauge gegeben haben. Später dort eintreffende Amerikaner aber, ob sie nicht gleich dort gefunden hatten, was sie suchten, oder aus irgendeiner anderen wilden Laune, und sich verwünscht wenig an den alten Namen kehrend, nannten den kleinen freundlichen Bach das Teufelswasser.

Sie hatten beide recht. War der Bergquell mit seiner klaren, unter Blumen hinspielenden Flut früher ein Himmelsauge gewesen – nun mit seinem durchwühlten Bett, mit der getrübten, durch Maschinen gerüttelten Flut, mit seinen umgegrabenen und durcheinander gestürzten und zerhauenen Uferbäumen, mit Gier und Neid und allen bösen Leidenschaften durch seine reichbefundenen Betten geweckt, war es in der Tat zu einem Teufelswasser geworden, und die vertriebenen Nymphen des gestörten misshandelten Stromes hätten sich nicht besser rächen können, als eben durch das Gold.

Ziemlich weit oben, aus einer prachtvollen, von steilen Wänden eingedämmten Kluft niederspringend, bildete das Teufelswasser, welchen Namen es allgemein erhalten hatte, ein breites, kesselartiges Tal mit vollkommen flachem Boden, um weiter unten eben wieder durch eine solche steile, in die Felsen gerissene Kluft abzufließen.

Es war augenscheinlich, dass sich die Wasser des herabkommenden Baches in früheren Jahrhunderten hier zu einem See gesammelt hatten, denn in gewisser Tiefe zeigte der Boden überall klaren Kies und kleine Muscheln , bis sich die angeschwellten Wasser selber eine Bahn ins Freie erzwangen und dadurch den selbstgeschaffenen See plötzlich vollkommen trocken legten. Das Tal selber aber wurde dadurch zu einer sogenannten Flat,  wie sie in diesen Bergen sehr häufig vorkommen. Diese Flat gerade erwies sich nach einigen missglückten Versuchen plötzlich so reichhaltig an dem edlen Metall, dass sie den Namen der reichen diggings erhielt, und aus den Städten nicht allein, nein auch aus den benachbarten Minen eine Masse Goldwäscher herübergeströmt kamen, hier ihr oft versuchtes Glück aufs Neue zu erproben.

Handelsleute schafften zu gleicher Zeit ihre Waren herauf, den Minen die zum Leben nötigen und unnötigen Bedürfnisse: Provisionen, Kleider, Handwerkzeug und Branntwein zu bringen. Wenige Wochen später stand in der Flat, in deren weichem Boden die Spuren des grauen Bären noch nicht einmal wieder durch neue Regen verwischt waren, eine kleine Zeltstadt – einer abgerissenen Ecke San Franciscos nicht unähnlich – recht mitten in die Berge eingebaut.

Allerdings hatte der Ort, da er von Tag zu Tag größer wurde, und in Form von Laubhütten, Schindeldächern und blau und weißen Zelten immer neue Auswüchse ansetzte, auch einen Namen bekommen müssen. Eine Menge waren dazu in Vorschlag gewesen. Zuletzt entschied ein Zufall den Streit.

Ziemlich inmitten der Flat stand ein einzelner knorriger Eichbaum, der mit dem darum liegenden Terrain für die reichste Stelle gehalten wurde, aber schon von einer amerikanischen Gesellschaft in Beschlag genommen war, ehe sich die Miner hierher zogen. Diese, ohne den Platz selber für jetzt umzugraben, da sie noch an einer anderen Stelle arbeiteten, verweigerten allen Übrigen die Erlaubnis, in der Nähe desselben nach Gold zu suchen. Da sie zahlreich genug waren, ihr – wirkliches oder geglaubtes – Recht auch im schlimmsten Fall mit Gewalt behaupten zu können, wagte niemand ihnen Trotz zu bieten. Außerdem lag genug anderes Terrain in der Nachbarschaft, das sich am Ende gerade so reich erwies, als eben der Baumplatz, der von nun an der verbotene hieß. Danach nannte man die Stadt selber auch bald im Scherz das Paradies, und so viel Mühe sich ein gewisser Mr. Brown gab, der hier das erste Zelt gebaut hatte, den Ort nach ihm selber Browntown genannt zu bekommen, scheiterten alle seine Versuche mit Worten und Flaschen Brandy, und das Paradies mit seinem verbotenen Baum stand für ewige Zeiten – solange wenigstens, wie dieses Tal Gold hatte, – am Teufelsbach.

Den Namen ausgenommen, trat das Paradies aber mit außerordentlich geringen Ansprüchen auf. Die ganze kleine Stadt bestand aus einer einzigen, etwa 400 Schritt langen Straße, in der sich alle Kaufzelte gesammelt hatten, während die ,,Vorstädte durch einzelne und unordentlich in der Nachbarschaft derselben umhergestreute Zelte und Buschhütten bildet wurden.

Nichtsdestoweniger war der kleine Staat hier in der Bergwildnis schon organisiert und ein Friedensrichter und Sheriff erwählt worden, während vor dem Zelt des Ersteren, als Zeichen seiner Würde, das Stern- und Streifenbanner der Vereinigten Staaten lustig im Winde flatterte. Sonst trieb aber natürlich jeder, was ihn freute. Steuern und Abgaben existierten nicht, und der Friedensrichter oder alcalde, wie man ihn auf Kalifornisch nannte, musste sehen, wie er sein mutmaßliches Gehalt durch allerlei Sporteln und andere zufällige Einkünfte herausschlug.

Das Paradies bildete solcher Art nur den Mittelpunkt der hier plötzlich und von allen Seiten in Angriff genommenen Minen – den Ort, in dem sich nur ein Teil der wirklichen Goldwäscher für den Augenblick niedergelassen hatte, und von wo die benachbarten Miner ihre Lebensmittel beziehen konnten – solange sie es eben für gut fanden, in der Nachbarschaft zu bleiben. Weiter war überhaupt niemand an den Boden in einer solchen »Stadt« gefesselt, und selbst die wenigen Händler, die sich hier Bretterbuben zu ihrem Warenlager aufgeschlagen hatten, konnten durch die Gewissheit eines reicheren Platzes in der Nachbarschaft augenblicklich bewogen werden, zusammenzupacken und dorthin aufzubrechen – ein Fall, der fast jede Woche in den verschiedenen Minen vorkam.