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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Zwölfte Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Zwölfte Erzählung

Von einer wirklich gestorbenen Matrone, welche, unmittelbar nach ihrer Beerdigung, wieder lebend in ihrem Sterbebett lag

Unter der Regierung Ludovico Sforzas, Herzog zu Mailand, lebte in der Nähe des herzoglichen  Residenzschlosses eine reiche Witwe, von deren  letzten Lebensjahren die Geschichte nichts weiter erzählt, als dass sie, anderen gutmütigen Matronen gleich, von einem Tag zum andern schlief, aß und trank, und daneben zu ihrem Zeitvertreib und Vergnügen, die Pfauen, Affen, Hunde etc. des Herzogs fleißig mit Leckerbissen an sich lockte und fütterte. Zum großen Leidwesen dieser Tiere, deren beste Freundin sie war, entschlief sie endlich. Ihr Sterbezimmer war im zweiten Stock ihres Wohnhauses. Man brachte sie, als Leiche, in ein Zimmer unterwärts, von wo sie darauf in einem prächtigen Paradesarg zu ihrer Ruhestätte getragen wurde. Sie war im Leben eine große Gönnerin des katholischen Priesterwesens und hatte eine geistliche Stiftung gemacht. Die Kirche nannte sie daher in ihrer Sprache eine fromme Frau, und ihren Leichenzug begleitete eine Menge Pfaffen und Mönche.

Kaum hatte man ihren Leichnam dem kühlen Schoß der mütterlichen Erde wiedergegeben, kaum war der lange Leichenzug zurückgekehrt, um es sich gut schmecken zu lassen, was zu Ehren der zur Ruhe gebrachten Alten an Schmausereien und köstlichen Weinen aufgetischt wurde. So vereitelten ein paar Kammerjungfern der Verstorbenen alle diese schmackhaften Aussichten. Sie waren, ich weiß nicht in welchem Geschäft auf der Sterbestube gewesen, und eilten nun mit einem durchdringenden Zetergeschrei von der Treppe hinab, zu den Leichengästen hin, die eben im Begriff waren, die wohlbesetzte Tafel zu plündern. Nachdem die beiden Mädchen durch ein weibisches Geheul ihrem Herzen einige Luft gemacht, und die Fragenden über das, was ihnen widerfahren sei, lange genug in Ungewissheit gelassen hatten, erzählten sie der werten Gesellschaft in abgebrochenen Worten und mit Einmischung manches angstvollen Seufzers, dass ihre soeben in die Erde gescharrte selige Frau schon wieder leibhaftig und lebend im Sterbebett liege.

Die Beherztesten unter den Anwesenden unterfingen sich, die Wahrheit dieses Vorgebens in Zweifel zu ziehen, und eilten zur Treppe hinauf. Ihr erster Blick beim Eintritt in das Sterbezimmer war zum Bett hin gerichtet, und ihr erstes Wort: »Jesus Maria! Da liegt sie wahrhaftig schon wieder!« Eiskalt lief es ihnen über, indem sie sich mit eigenen Augen von der Richtigkeit der Sache überzeugten. Die weniger Beherzten waren ihnen in einiger Entfernung nachgeschlichen und hatten alle Ursache, zurückzueilen, um nur nicht von ihren Vorgängern, deren Rückzug keineswegs in bester Ordnung geschah, übergerannt zu werden. Und obgleich unten ohnehin schon großer Aufruhr war, so wurde er doch nun erst vollständig. Alle Gesichter drückten Erstaunen und die höchste Verwunderung aus, und in den Mönchsgesichtern insbesondere war außerdem auch noch heiliges Entsetzen vor diesem Kunststück des Teufels sichtbar. Man weihte sich schon vorläufig durch manches eilfertige Ave Maria und durch tausend andere Äußerungen des Aberglauben, zum geistlieben Kampf mit diesem übermütigen Unhold ein. Kein Laie war ferner lüstern, die Treppe und das fürchterliche Sterbezimmer mit ungeweihtem Fuß zu betreten.

Die wunderseltene Begebenheit war in weniger als einer Viertelstunde keinem Bewohner der Stadt mehr unbekannt, und der Zulauf von Menschen ward immer größer. Einige wollten es längst gemerkt haben, dass die verstorbene Alte mit dem Schwarzen gut daran gewesen sein müsse, denn sonst, meinten sie, würde sie nicht eine so übermenschliche Liebe zu den Tieren des Herzogs gehabt haben. Andere hingegen, die weniger lieblos urteilten, meinten gutmütig, der Teufel könne so wohl aus anderen Ursachen sein Possenspiel treiben, um rachsüchtig der heilig verstorbenen Alten im Grab noch einen Schandfleck anzuhängen. Alle aber stimmten darin überein, dass man sogleich die anwesenden geistlichen Herren und zu deren Unterstützung das ganze benachbarte Kloster ersuchen und auffordern müsse, durch Gebete und Beschwörungen dem unwillkommenen Gast die Tür zu weisen. Dies geschah nun auch auf der Stelle. Alle tonsurierten Häupter sammelten sich auf einen Haufen und zogen dann in Prozession daher. An der Spitze der geweihten Kolonne trug der ehemalige Beichtvater der Wiedererstandenen das goldene Kreuz, und der Kesselträger mit dem geweihten Wasser beschloss den langen Priesterzug.

So defilierte man nun, nicht ohne Herzklopfen, die Treppe hinauf und zu dem Sterbezimmer hin, um den Ungebetenen zuvörderst aus dem Bett hinaus zu manövrieren.

Hu! Welch ein scheußlicher Anblick erschreckte die betenden Herren! Die eben erst Begrabene lag in ihrer schönsten Festtagshaube, aber mit sehr verzerrten Gesichtszügen und kleinen funkelnden Augen, im Bett und empfing die Herren nichts weniger als freundlich. Sie schauderten daher anfangs zusammen und wollten zurückbeben, doch ermannten sie sich und begannen das feierliche Possenspiel der Beschwörung.

Das Schreckbild im Bett sah der allgemeinen Tätigkeit dem Anschein nach ruhig zu. Es fiel ihm gar nicht einmal ein, sich aus dem Bett und Haus zu entfernen. Besonders aber fasste es jenen wohlgenährten Klosterbruder scharf ins Auge, dessen Arm den Weihquast schwang, um geheiligtes Wasser unter die Menge zu verspritzen. Da er aber nun – ich weiß nicht, ob zufällig, oder absichtlich  – auch der im Bett liegenden Matrone das kühle Wasser ins Auge spritzte, verzerrte sie den Mund auf eine entsetzliche Art, knirschte fürchterlich  mit den Zähnen und machte Miene, sich ihrer Haut zu wehren. Die sämtlichen Beschwörer überfiel Grausen und Entsetzen, da sie die Bewegung der Bettdecke bemerkten und daraus auf den nahen Kampf mit dem teuflischen Gespenst schlossen. Unvorbereitet auf diesen Angriff und höchst bestürzt über den schlechten Erfolg ihrer Beschwörungen , fühlten sie durchaus keinen Beruf, mit dem Bekrallten handgemein zu werden, sondern ergriffen eiligst die Flucht. Mit einem grässlichen Geschrei stürzten sie zur Stube hinaus, und mancher dicke Mönchsbauch kam, weil ein jeder zuerst hinaus und in Sicherheit sein wollte, zwischen der Türwand nicht wenig in die Klemme.

Da der Teufel in Gestalt der beerdigten Matrone besonders den Wohlgenährten mit dem Weihquast aufs Korn gefasst zu haben schien, so war dieser auch der Erste an der Treppe. Und da er, den Weihkessel in der Hand, ans großer Eilfertigkeit  immer zwei oder drei Stufen überschritt, um desto geschwinder in Sicherheit zu kommen, so stürzte er, ehe er es sich versah, gar unsanft von der Treppe hinab. Alle, die ihm blind folgten, stolperten über den zuerst Gefallenen Hier und da gab es zwar einen blutigen Kopf, indessen, wie bei einem Unglück immer ein Glück zu sein pflegt, so brach sich auch hier niemand den Hals.

Kaum waren die blutenden und äußerst verlegenen  Herren sämtlich wieder auf den Beinen, so kam das Schreckbild aus dem Sterbebett ebenfalls, jedoch weniger übereilten Schrittes, von der Treppe hinab, und trat mit dem Kopfputz und Schleyer der verstorbenen Hausfrau mitten unter die Wehklagenden. Alle Bestürzung hatte nun plötzlich ein Ende. An ihrer Stelle bemerkte man auf allen Mönchsgesichtern tiefe Beschämung, und rund umher erscholl das laute Gelächter der Volksmenge.

Es war nämlich Mardi, der schöne Affe des Herzogs, der das große Ärgernis veranlasst hatte, und nun in dem Kopfputz seiner verstorbenen Wohltäterin dahergeschritten kam. Während man diese zu Grabe getragen hatte, mochte er sie in dem Sterbezimmer gesucht haben, wo er aus ihren Händen so manchen Leckerbissen dahingenommen hatte.

Aber anstatt der geliebten Gönnerin fand er bloß deren Kopfputz, den er sich aufsetze, und dann wahrscheinlich den vermissten Begräbniskuchen verzehrte, wovon noch einige Überreste im Bett lagen. Vielleicht hatte er den Magen überladen und bedurfte zur besseren Verdauung des Kuchens der Ruhe. Vielleicht wandelte ihn wirklich ein dunkles Gefühl von Traurigkeit über seine vermisste Freundin an. Genug, er legte sich mit verschleiertem Kopf in das Bett der Verstorbenen und zog bis an den Hals die Bettdecke über sich her, um ein Mittagsschläfchen zu machen.

Unglücklicherweise aber störten ihn darin jene unberufenen Herren mit den Rosenkränzen und dem Weihwasser, und brachten ihn auf die Beine, um so, wider ihre Absicht, dem Publikum zu beweisen, dass selbst der possierliche Einfall eines Affen eine ganze Menge mit Verstand begabter Menschen zu verlachenswerten Toren machen könne.