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Der Welt-Detektiv Band 6

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Gold – Kapitel 7.2

Gold-Band-1Friedrich Gerstäcker
Gold
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 7 Teil 2
Nach dem Brand

Oben in Pacific Street, in einem kleinen einzeln stehenden Haus, das nur von Sparrenwerk errichtet war, und Wände und Dach von darüber gespannten, blauen, schon in der Sonne arg verschossenen Kattun hatte, lag auf einer, in die Ecke und auf die nackte Erde geschobenen Matratze, mit einer weißen wollenen Decke zugedeckt, ein Kranker in festem, aber unruhigem Schlaf.

Neben dem Lager stand eine junge bleiche bildschöne Frau. Ein alter Mann mit weißen Haaren hatte sich gerade über den Fieberkranken gebeugt, um mit vorsichtigem Finger seinen Puls zu fühlen. Die Frau schaute mit ängstlich gefalteten Händen und besorgtem Blick nach dem Ausdruck seiner Züge. Als der alte Arzt nachdenklich mit dem Kopf schüttelte, ergriff sie leise seinen Arm und führte ihn der Tür zu.

»Sie sind mit seinem Zustand nicht zufrieden, Doktor?«, fragte sie ihn mit zitternder Stimme. »Oh bitte, verhehlen Sie mir nichts. Seien Sie überzeugt, dass die schreckliche Gewissheit immer tausendmal besser ist, als dieses peinliche Zagen, diese Angst, die mich zuletzt verzehren müsste.«

»Fürchten Sie nichts, Mrs. Hetson«, sagte aber der alte Mann freundlich, »sein Puls gefällt mir allerdings nicht recht, aber er liegt gerade in stärkster Fieberhitze, und ich hoffe ziemlich fest, dass aus der ganzen Sache weiter nichts wird, als eben ein Fieber, das wir schon wieder heben können. Freilich wäre es wünschenswert, dass sich dazu, besonders für Sie, eine freundlichere Umgebung schaffen ließ, als eben diese Kattunbude, die der erste starke Regen zusammenwaschen müsse.«

»Oh denken Sie nicht an mich, Doktor«, bat die Frau. »Schaffen Sie mir nur die Beruhigung, dass mein armer Frank wieder hergestellt wird, und ich will Ihre Kunst segnen.«

»Ja, beste Mrs. Hetson«, sagte achselzuckend der Arzt, »ich fürchte fast, dass das eigentliche Übel Ihres Gatten außer dem Bereich meiner Kunst und mehr in seinem Geist – vielleicht seiner Einbildung beruht. Sie wissen, was ihm diesen Zustand zugezogen?«

»Nein, nicht das Geringste.«

»Und wo fanden Sie ihn?«

»Der Arzt fand ihn, ein Gentleman aus England, in dessen Haus wir geflüchtet waren, ehe die Flamme auch dort hinüberschlug, und uns zwang zu flüchten. Hetson war indessen zu dem Parkerhaus zurückgeeilt, wenn möglich noch Einiges von unseren Sachen zu retten. Jener Arzt fand ihn bewusstlos auf der Straße liegen, mit einer Anzahl Neugieriger um ihn her, erkannte ihn glücklicherweise, ließ ihn in dies kleine Haus schaffen, das ebenfalls ihm gehört, und brachte mich, die er indes in die Wohnung seines Bruders geführt hatte, zu ihm. Er ist jetzt fortgegangen, Medizin zu holen, und ich danke nur Gott, dass er Ihre Schritte hierher gelenkt hat. Aber wie erfuhren Sie, dass wir uns hier befanden?«

»Nur durch einen anscheinenden Zufall«, sagte der alte Mann, »der hier das kalifornische Schicksal zu vertreten scheint – wenn wir überhaupt in unserem wunderbaren Leben einen Zufall wollen gelten lassen. Von Mitpassagieren hörte ich, dass Mr. Hetson, der einigen auf der Straße begegnet war, seine Frau verloren habe und außer sich darüber geraten sei. Einer der Leute hatte ihn aber glücklicherweise mit in diese Wohnung tragen helfen und war so freundlich, mich selber hierher zu führen.«

»Aber wie kann um Gotteswillen diese Krankheit nur in seiner Einbildungskraft beruhen?«, fragte die Frau.

»Vielleicht bin ich selber daran schuld«, sagte Doktor Rascher. »Ich sah Sie während des Feuers in der Begleitung des englischen Arztes, den ich natürlich nicht kannte, glaubte aber Ihren Mann bei Ihnen, und als ich ihn nachher, Sie suchend, fand und ihm sagte, dass ich Sie unter dem Schutz eines fremden Mannes angetroffen habe, fürchte ich beinahe, dass er diesen für seinen Nebenbuhler hielt. Das allein, wenigstens nach dem, was Sie mir selbst darüber mitgeteilt haben, erklärt seinen Zustand.«

Jenny schwieg, aber sie war fast noch blasser als vorher geworden und sah ernst und sinnend vor sich nieder.

»Armer, armer Frank«, flüsterte sie dann leise. »Und was glauben Sie, bester Doktor, dass ihn von diesem unglückseligen Wahn befreien, ihn gründlich heilen könne?«

»Gründliche Heilung«, sagte da der alte Mann, »ist nur – aber immer als ein sehr gewagtes Mittel – durch ein persönliches Begegnen und Verständigen der beiden Männer möglich. Jetzt quält er sich mehr in der Angst um ein Schattenbild, um ein bloßes Phantom, das ihm überall droht und doch nicht erreichbar ist. Wenn er aber erst einmal Auge um Auge ihm gegenübergestanden hätte …«

»Und fürchten Sie nicht, Doktor, dass das seinen Zustand noch verschlimmern könne?«

»Aufrichtig gesagt, nein, wenn sich auch die Entwicklung solcher Seelenzustände unmöglich vorausbestimmen lässt. Wissen Sie, wo sich jener Herr aufhält?«

»Ich habe keine Ahnung davon. Erst durch Frank selber erfuhr ich gestern, dass er in Kalifornien sei, und selbst das kann noch eine Namenstäuschung sein. Überdies fürchtete ich das Schlimmste für seine Gesundheit – vielleicht für sein Leben, wenn er ihm jetzt, erregt und krankhaft wie er ist, begegnete.

»Dann bleibt Ihnen nichts weiter übrig«, sagte der Arzt, »als entweder Kalifornien mit dem ersten besten Schiff wieder zu verlassen, und das wäre für Sie beide, besonders für Sie, Mrs. Hetson, das Allerbeste, oder, wenn Ihr Gemahl sich dazu nicht verstehen sollte, eine Reise in die Gebirge zu machen, sobald Mr. Hetson nur so weit wiederhergestellt ist, das ohne Gefahr für sich unternehmen zu können. Die frische Bergluft, und mehr als das, ein Gefühl der Sicherheit dort oben in jenen Wildnissen, wird alles dazu beitragen, ihm seine alte Kraft und Gesundheit wiederzugeben. Die erst einmal gewonnen, hält er sich auch wohl von selber die früheren hässlichen Träume fern.«

»Doktor!«, flüsterte in dem Augenblick der Kranke, indem er sich mühsam vom Lager erhob. »Doktor, dort die Straße hinauf sind sie eben geflohen, wenn Sie … wenn Sie ein Pferd nehmen, können Sie ihn noch einholen … Jenny! Oh Jenny!«

»Frank … mein Frank!«, rief die Frau an sein Lager eilend und ihre Arme um ihn schlingend.»Ich bin ja hier … bin bei dir, dich nie … nie zu verlassen. Kennst du deine Jenny nicht mehr?«

»Dort die Straße hinauf, Doktor!«, rief aber der Unglückliche, den die sonst so teure Stimme nicht Bewusstsein zurückrufen konnte. »Dort drüben … um Gott! Jetzt sind sie um die Ecke. In dem Gewirr von Menschen werden Sie ihre Spur verlieren!«

»Frank … mein teurer Frank, besinne dich doch. Ich bin ja hier, bin bei dir, oh sieh mich doch nur an!«

»Siftly!«, stöhnte da der Kranke, der dem Laut einen Augenblick gehorcht hatte, dann aber schon wieder unstet mit seinen Gedanken umherirrte. »Siftly! Wo ist Siftly? Rufen Sie ihn mir, Doktor. Ich muss ihn sprechen … aber schnell. Er kennt alle Winkel und Wege dieser tollen Stadt … er … hat mir auch ein Mittel angegeben, mir Ruhe und Frieden wiederzubringen. Siftly … Siftly … kann … mir … helfen!« Erschöpft, mit geschlossenen Augen sank der Unglückliche in die Arme seiner Gattin, die ihn sanft auf sein Lager zurücklegte, wo er regungslos und ruhig liegen blieb.

»Wer ist das, nach dem er da verlangt?«, fragte der Arzt mit unterdrückter Stimme, der wieder den Puls gefasst hatte und hielt.

»Ein Jugendfreund meines Mannes, den er zufällig in Kalifornien gefunden hat«, erwiderte Mrs. Hetson.

»Hm – da er nach ihm verlangt, wäre es am Ende das Beste, ihn herzubringen. Vielleicht dass dessen Nähe jene wirren Träume zerstreute. Wissen Sie, wo er zu finden ist?«

»Er wohnte, soviel ich weiß, mit uns im Parkerhaus, schien wenigstens dort sehr bekannt zu sein, denn trotz der Überfüllung des Hauses verschaffte er uns ein Quartier in demselben, aber – sein Aussehen hatte gerade nicht viel Empfehlendes. Ich … ich kann mich irren, aber ich glaube kaum, dass ich mich in seiner Nähe wohlfühlen könnte.«

»Beste Mrs. Hetson«, sagte achselzuckend der Arzt, indem er den Arm des Kranken wieder auf die Decke zurücklegte. »Nachdem, was ich bis jetzt hier von dem Land und seinen Bewohnern und Einwanderern gesehen habe, scheint es mir beinahe, als ob wir nicht immer nach dem äußeren Auftreten der Leute urteilen dürften. Oft steckt hier in der allersonderbarsten unscheinbarsten Hülle ein ganz vortreffliches und tüchtiges Exemplar von einem Menschen. Ich habe davon selber ein ganz merkwürdiges Beispiel entdeckt, das ich Ihnen später vielleicht einmal mitteile. Von dem ersten Eindruck müssen wir also hier einstweilen absehen. Jedenfalls will ich dem Mann im Parkerhaus, das diese tollköpfigen Amerikaner schon wieder aus Leinwand aufgestellt haben, nachforschen, und wenn wir von seiner Anwesenheit Linderung für unseren armen Kranken hoffen dürfen, bringe ich ihn hierher. Sind Sie damit einverstanden?«

»Mit allem, was Sie beschließen, bester Herr«, sagte, seine Hand ergreifend, die Frau. »Sie haben sich mir sowohl an Bord als auch hier als so treuer, redlicher Freund gezeigt, dass ich …«

»Liebe, beste Frau«, sprach abwehrend der alte Mann. »Ich wollte nur, dass ich wirklich etwas Wesentliches für Sie tun könnte. Bis das aber nicht geschehen ist, sparen Sie ja Ihren Dank.«

»Und was soll ich jetzt mit dem Kranken tun?«, fragte die Frau. »Die lange Nacht allein, ohne Hilfe, ohne Beistand, werde ich hier vergehen.«

»Allein dürfen Sie auch nicht bleiben«, sagte der Doktor, »denn man kann nie wissen, was vorfällt. Ich habe deshalb schon daran gedacht, Ihnen eine Frau herüberzuschicken, dieselbe, die auf dem Schiff mit uns die Reise gemacht hat. Allerdings ist es eine Deutsche, aber ich weiß, dass Sie selber meiner Muttersprache nicht ganz fremd sind, sich wenigsten darin verständlich machen können. Und da die Frau Siebert nur ein paar Häuser von hier wohnt und ihre Kinder mit unter der Aufsicht eines Reisegefährten hat, auch immer dann und wann einmal hinübersehen kann, wird sie mir meine Bitte nicht abschlagen. Ich bin ihr ja auch unterwegs oft gefällig gewesen, und habe besonders das jüngste Kind von einer nicht unbedeutenden Krankheit geheilt. Der englische Arzt wird Ihnen indessen wahrscheinlich etwas Beruhigendes für Ihren Gatten bringen, denn irgendein entschiedenes Mittel können wir noch nicht anwenden, ehe wir nicht die Art der Krankheit genau erfahren haben. Jedenfalls sehe ich selber wieder in etwa einer Stunde nach und bringe dann hoffentlich gleich die versprochene Frau und auch einige Medikamente mit.«

Die arme Frau wollte ihm danken, er entzog ihr aber, freundlich mit dem Kopf schüttelnd, seine Hand, griff seinen Hut auf und verließ rasch das Haus, zuerst mit der Frau Siebert zu sprechen und dann seinen Weg zu dem Parkerzelt zu nehmen.