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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Sechste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Sechste Erzählung

Von einem brummenden Gespenst, welches einmal einer anderen Spukgestalt in der Mitternachtsstunde einen fürchterlichen Schrecken beibrachte1

Zu N…, einem hannoverschen Dorf, bewohnte die adlige Familie der Herren von M… ein schönes Landhaus, mit zwei Seitenflügeln, in deren einem der Wirtschaftsverwalter, Herr R..s, zu Hause war. Das Hauptgebäude stieß an eine Anhöhe und hatte daher auf der Hofseite nur ein Stockwerk. Die entgegengesetzte Seite im tiefer liegenden Garten hingegen hatte ihrer zwei. Der Verwalter war im Begriff, die Wirtschaftsmamsell der Herrschaft zu heiraten, und nach Verlauf von drei Monaten sollte die Hochzeit sein. Da er aber ein Mann war, der gar nicht gut warten gelernt hatte, so wünschte er, schon vor der kirchlichen Einsegnung mit seiner Braut auf den vertrauten Fuß der Eheleute leben zu können. Seine Braut, die, gleich der Eva, nicht weniger als er selbst, nach verbotener Frucht lüstern war, kam ihm auf halbem Wege entgegen. So wurden sie dann beiderseits über eine baldige nächtliche Zusammenkunft einig. Er, indem er ihr eines Abends spät, vor dem Fenster eines Zimmers an der Hofseite, aus welchem sie sich mit ihm unterhielt, halb scherzend ankündigte, er werde um Mitternacht in eben diesem Fenster fein säuberlich eine Glasscheibe zerbrechen, um sich so durch dasselbe eine Tür zu ihrem Schlafgemach zu bahnen. Und Sie, indem sie, lüstern lächelnd, wie von ungefähr, dies Fenster zuzumachen vergaß, wahrscheinlich, um ihn die Mühe des Scheibenzerbrechens zu ersparen. Zwar verbat sie sich den angekündigten Besuch, jedoch nur in dem Ton, in welchem der Leichtsinn Zudringlichkeiten der Art zurückweist, wenn sie ihm willkommen sind, und worin eine undelikate Schöne, deren sogenannte Tugend nicht auf festen Grundsätzen beruhe, dergleichen beleidigende Anträge zu beantworten pflegt.

Man wünschte sich einander wohl zu schlafen, und ging. Allein beide harrten, wachend auf ihren Zimmern, der Stunde der Gespenster. Nachdem es eine Weile Zwölf geschlagen hatte, umzog mitternächtliche Finsternis den ganzen Horizont. Todesstille herrschte auf dem vom Dorf etwas abgelegenen Landgut. Bloß das spukhafte Käuzchen unterbrach durch seine nächtlichen Töne diese grauenvolle Ruhe.

Indessen hatte der Verwalter sich, vom Kopf bis zu den Füßen, in ein ganz weißes Nachtzeug gekleidet, und so begann er nun die geheime Wallfahrt zu seiner Braut. Er musste von dem Zimmer aus, in welches ihn das offene Fenster gebracht hatte, durch mehrere Türen gehen, welche er, zu seiner Freude, alle unverschlossen vorfand. So äußerst zuvorkommend hatte die ungeduldige Braut für ihren Freund gesorgt. Unter diesen Gemächern war auch ein mächtig großer Rittersaal, durch welchen der nächtliche Abenteurer seinen Weg zu dem Schlafzimmer seiner Schönen nehmen musste. Dieser ganze Teil des weitläufigen Landhauses stand damals unbewohnt. Wer im geringsten graulich ist, dem würde es darin haben kalt überlaufen müssen. Er aber schlich, unbefangen, auf bloßen Strümpfen, von einem Zimmer in das andere, und durch den langen graulichen Rittersaal, dessen sechs Fenster sämtlich in den Garten sehen, wo das Hauptgebäude, wie ich vorhin bemerkt habe, noch einmal so hoch ist wie an der Hofseite.

Der Verwalter schmeichelte sich, über die Vorurteile des Gespensterglaubens und über alle kindische Furcht der Art, ganz erhaben zu sein. Allein er blieb doch immer Mensch und konnte sich eines unwillkürlichen Schauderns nicht enthalten, da er bei seinem Eintritt in den Saal ein leises Flüstern zu hören glaubte. Ein anderer, mit dem Kopf voll Geistererscheinungen, würde an seiner Stelle vielleicht gefürchtet haben, die spukenden Ahnherrn und vorigen Besitzer dieses adeligen Gutes flüstern zu hören, deren Bildnisse an den Wänden des Saales aufgehängt waren. Ihm hingegen fiel bei diesem rätselhaften Geräusch bloß der Umstand schwer auf das Herz, dass er eigentlich doch auf unerlaubten Wegen gehe.

Er horchte mit gespitzten Ohren und hörte nichts mehr. Ich habe mich wohl geirrt, dachte er und ging leisen Trittes weiter vorwärts. Er hörte das Flüstern abermals. Es schien ihm aus der Gegend des einen Saalfensters zu kommen. Er stutzte und sann hin und her, wie sich das natürlich erklären lasse. Endlich fiel ihm ein, dass im Garten der Springbrunnen, dessen Wasserbehältnis sich unter den Fenstern des Saales befand, durch das Plätschern seiner Wasserstrahlen dies scheinbar menschliche Flüstern wohl veranlasst haben möchte.

Aber warum höre ich jetzt wieder nichts, dachte er. Das Plätschern des Springbrunnens im Garten währt ja ununterbrochen fort.

Auch schien es ihm, als ob das eine Saalfenster, wo der Schall herkam, offen stehe. Er bückte sich, um so die Gegend dieses Fensters gegen den Horizont vielleicht noch etwas deutlicher beobachten zu können. Zu seinem nicht geringen Erstaunen bemerkte er ziemlich genau den Kopf, die Brust und die Arme einer sich bewegenden Mannesgestalt. Sie schien ihm von außen in das offene Fenster hineinzusehen, und, nach der Bewegung, welche sie machte, auch hineinsteigen zu wollen.

Jetzt hätte es dem Verwalter doch bald an der gehörigen Gegenwart des Geistes und an Entschlossenheit gefehlt. Unwillkürlich wich er ein paar Schritte zurück und wusste nicht, was er denken sollte. Der bedeutende Umstand, dass er hier keineswegs in dem Beruf seiner Pflicht war, fiel ihm abermals zentnerschwer auf das Herz. Er wollte schon ebenso still wieder davon schleichen, wie er gekommen war. Aber jetzt, indem sich das Flüstern vernehmlicher als vorhin erneuerte, jetzt erwachte plötzlich sein Ehrgefühl.

Soll ich fliehen, dachte er, vor einem Gespenst, das vielleicht bloß ein Geschöpf meiner Einbildung ist? Oder vor einem wirklichen Menschen, dem ich jetzt ein ebenso fürchterliches und erschreckendes Gespenst werden kann, als er es mir geworden ist?

Aus mehreren Umständen wurde er immer überzeugter, dass der Kerl da, der kein Gespenst sein konnte, ein Dieb sein müsse; ein Dieb, der die reichen Koffer und Schränke seiner Gutsherrschaft plündern wolle, und in dieser Absicht mittels einer Leiter aus dem Garten durch dies Saalfenster in das zweite Stockwerk des Landhauses zu steigen im Begriff sei.

Der Gedanke, hier so zufälligerweise viel Böses verhindern zu können, machte ihn wieder beherzt, und fest entschlossen, die Diebe übel anlaufen zu lassen, so kritisch auch die Lage war, in welcher er selbst sich befand. Lärm durfte er, um seiner selbst willen, nicht machen, weil alsdann diejenigen erweckt worden wären, welche ihm die mitternächtliche Wallfahrt zur Wirtschaftsmamsell mit Recht in mehr als einem Betracht sehr übel gedeutet haben würden. Und doch, wie sollte er allein ohne Waffen und ohne Geräusch einen Dieb verjagen, der offenbar noch Helfershelfer bei sich haben musste, weil er deren Flüstern gehört hatte.

Was ihn am meisten in Verlegenheit setzte, war der Umstand, dass er nicht wissen konnte, ob der Kerl, der eben erst ins Fenster steigen wollte, der Vorderste und Erste sei, sodass die übrigen Diebe noch auf der Leiter und unten im Garten wären, oder ob nicht vielleicht die Diebesgefährten bereits in dem nämlichen Saal wären, worin er selbst sich jetzt befand.

Im letzteren Fall, dachte er, würde ich unstreitig den Kürzeren ziehen, wenn ich Einzelner die ganze Diebesbande wieder zum Fenster hinaus zu werfen versuchen wollte. Um sicherzugehen, muss ich mich daher notwendig stärker machen, als ich wirklich bin. Ich will deshalb die Rolle eines Gespenstes übernehmen.

Sein blendend weißes Nachtzeug kam ihm dabei sehr gut zustatten. Damit dasselbe selbst durch die nächtliche Finsternis ein wenig durchschimmern und den Dieben sichtbar werden möchte, trat er, mit leisen Schritten dicht vor das Fenster hin, in welches der Kerl von außen hineinsah. Letzterer mochte den sich bewegenden Schimmer des Nachtzeuges schon vorher bemerkt und eben deshalb mit seinen Gefährten, die noch hinter ihm waren, geflüstert haben. Denn jetzt, da ihm dieses Weiß in Menschengestalt immer näher vor das Gesicht trat, verschwand er aus dem offenen Fenster und kletterte, halb fallend von der Leiter, zu seinen Diebesgefährten in den Garten zurück.

Indem hörte der Verwalter die Frage flüstern: »Nu, kipts denn schon wieder epps Neues?«

Der Zurückgescheuchte antwortete ziemlich vernehmlich: »O weimer! Ich hab epps Weißes kesähn, ist wahrlich ein Unhold im Zimmer, ihr könnt mirs klaube. Bei meiner armen Seel, ich steige nit zuerst ins Fenster.«

Der Verwalter war hoch erfreut über die letzteren Worte, denn nun wusste er doch, dass noch keiner von den Dieben im Haus war. Er stellte sich nun dicht an die Spiegelwand neben dem offenen Fenster. Bald darauf kam ein anderer Kerl, der beherzter sein und weniger an Gespenster glauben mochte, die Leiter herauf und steckte fein vorsichtig das Köpfchen in den Saal, wahrscheinlich, um zu beobachten, ob es mit der Aussage des Kameraden seine Richtigkeit habe.

»Ich sehe nichts«, flüsterte er von der Leiter hinab und nannte jenen eine feige Memme. Auch konnte er den Verwalter nun wirklich nicht sehen, weil dieser im Schatten der Spiegelwand und nicht mehr auf jener Stelle vor dem Fenster stand, wo der geringe, von außen in den Saal fallende Lichtschimmer die blendend weiße Kleidung des Verwalters einigermaßen sichtbar gemacht hatte.

Der Dieb machte nun eine Bewegung, welche vermuten ließ, dass er fest entschlossen und soeben im Begriff sei, durch das Fenster in den Saal zu steigen. In dem nämlichen Augenblick schlug ihm der Verwalter eine geballte Faust ins Gesicht. Der Dieb stürzte wie betäubt von der Leiter in den Garten zurück. Der Verwalter, der eine außerordentlich tiefe Bassstimme hatte, lehnte sich nun mit dem weißen Oberkörper zum Fenster hinaus, und, ohne ein Wort zu sagen, brummte er im tiefsten Ton und ganz leise seinen Bass. Den Dieben – drei oder vier Kerle – schien Entsetzen anzukommen.

»O weimer!«, riefen alle aus einem Mund.

Einer von ihnen setzte hinzu: »Da habt ihrs, nun werdet ihr mirs doch klaube.«

Der Eine lud sich den herabgestürzten Gefährten, der nicht gehen zu können schien, auf den Rüchen, und so eilten alle davon.

Der Verwalter verfolgte sie bloß mit seinen dumpfen, furchtbaren Tönen, stieß hierauf die vergessene Leiter um, verschloss das Saalfenster wieder und schlich sich eilfertig durch das Hoffenster, also auf dem nämlichen Weg, welchen er gekommen war, wieder davon. Die Lüsternheit nach verbotenem Genuss war ihm über diese unerwarteten Ereignisse vergangen. Er begnügte und freute sich, so zufälligerweise einen nächtlichen Einbruch vereitelt und allem dem Unglück vorgebeugt zu haben, welches so leicht daraus hätte entstehen können, wenn die Diebe während der Vollendung ihres Bubenstücks durch die Erwachenden genötigt worden wären, gewaltsame Mittel zu ihrer Rettung anzuwenden.

Wäre der Verwalter nicht ein so äußerst entschlossener Mann und so ganz ohne Gespensterfurcht gewesen, so hätte er vor Schreck auf der Stelle des Todes sein können, würde sich wenigstens wie ein Poltron, davon geschlichen haben, ohne sogleich zu entdecken, dass das Gespenst, welches ihn jagte, bloß ein einbrechender Spitzbube war. Die Diebesbande würde also auch das Bubenstück ausgeführt haben, dessen Vollendung der Verwalter durch sein ebenso tapferes wie weises Benehmen glücklich verhinderte und gleichsam in der Geburt erstickte.

Möchten meine Leser auch aus dieser Geschichte die großen Gefahren der Gespensterfurcht kennenlernen und immer überzeugter werden, dass männliche Entschlossenheit und Geistesgegenwart beim Anblick eines vermeintlichen Gespenstes, einen Wert haben, den man nicht hoch genug in Anschlag bringen kann!

Zugleich aber mag obige Erzählung uns einen anschaulichen Begriff von der Art und Weife geben, wie der oft so feste Glaube an Gespenster hier und da entsteht und sich auch ferner noch erhalten wird. Wahrscheinlich wird jenen Dieben diese ihre selbst erlebte gedruckte Geschichte nie zu Gesicht kommen, nie von ihnen gelesen. Werden sie daher nicht lebenslang von der Wirklichkeit spukhafter Erscheinungen fest überzeugt bleiben? Werden sie unterlassen, anderen Leuten, wenigstens ihren Kindern, eben diesen Glauben an Übernatürlichem beizubringen? Wer ihnen sagen wollte, dass sie sich vielleicht geirrt hätten, der müsste sich in ihren Augen sogar lächerlich machen, denn sie hatten so das Dasein eines Gespenstes im Rittersaal durch mehr als einen Sinn empfunden. Der erste Dieb sah dasselbe in seiner weißen Gestalt langsam durch den Saal schweben. Des anderen Angesicht empfand die kräftige Hand des Gespenstes nur gar zu schmerzhaft. Und die Übrigen, so wie sie alle, hörten ja das schaudererregende Brummen desselben. Was vermögen alle Vernunftgründe über so handgreifliche Überzeugungen, über so anschauliche Wahrnehmungen dreier verschiedener Sinne und mehrerer Zeugen, welche die furchtbare Tatsache auf das Übereinstimmende bestätigen?

Schließend bemerke ich noch, dass sich im Winter 1790 in einem Dorf unweit Frankfurt an der Oder eine ähnliche Diebesgeschichte zutrug.2 Ein Dieb öffnete des Nachts ein Fenster im Wohnzimmer des dortigen Predigerhauses. Der Prediger, welcher in einer benachbarten Kammer schlief, deren aufstehende Tür zu der Wohnstube führte, erwachte gleich anfangs von dem Knirschen der Fensterscheibe, welche der Dieb mit einem Diamanten oder mit einem Feuerstein zerschnitt und dann zerbrach. Er sprang eiligst aus dem Bett, ergriff im Finstern in Ermangelung eines Gewehrs seinen Stiefelknecht und ging damit, so barfuß und im Hemd, wie er war, leisen Trittes zum Fenster, um zu horchen, was da vorginge. Da sah er eine Hand, welche der Dieb durch die Öffnung der zerbrochenen Fensterscheibe steckte, um das zweifache Übergehänge des Fensters loszuhaken. Auch dies ließ er noch ungestört geschehen. Allein kaum hatte der Dieb das Fenster selbst geöffnet und den Kopf hineingesteckt, so schlug der Herr des Hauses dem ungebetenen Gast mit der Fläche des Stiefelknechts ziemlich unsanft ins Angesicht. Der Ton des angestimmten gar kläglichen Gewimmers verriet auch hier in dem Dieb einen Spitzbuben, der indessen die blutige Liebkosung mit dem Stiefelknecht hoffentlich nicht für die Wirkung einer übernatürlichen, gespensterartigen Ursache gehalten haben wird.

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  1. Nachfolgende Spukgeschichte ist mir zwar mit der erlaubnis mitgeteilt worden, dass ich öffentlichen Gebrach davon machen könne. Allein man hat ausdrücklich bevorwortet, dass ich von den vorkommenden Namen bloß die Anfangsbuchstaben mit abdrucken lassen möchte.
  2. Sie ist mir vom Herrn Prediger Kranz daselbst erzählt worden.