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Die Macht der Drei – Teil 25

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Die Hausglocke erklang. Andreas Termölen fuhr aus seinem Schlummer empor. Eine kräftige männliche Stimme im Vorraum. Wilhelm Lüssenkamp trat in das Zimmer. Der blonde Rheinländer begrüßte den alten Oheim herzlich und brachte ihm seine Gabe dar. Einen Korb mit Rosen, zwischen denen die rotgekapselten Hälse von einem Dutzend guter Flaschen verheißungsvoll blinkten.

»Alter Wein für alte Leute, Onkelchen. Meine besten Glückwünsche. Lange kann ich nicht bleiben. Wir arbeiten mit Nachtschicht. Mit List und Tücke bewog ich den Kollegen Andriesen, mich über den Nachmittag zu vertreten. Erwischte einen freien Werkflieger, der mich bis Düsseldorf mitnahm, und da bin ich.«

Andreas Termölen ließ den Wortschwall über sich ergehen. Drückte die Hände seines Neffen herzlich und lange.

»Et freut mich, Jong, dat du noch auf en paar Stündchen den Weg zu deinem alten Ohm jefunden hast. Dafür sollst du och dat erste Stück vom Kuchen haben.«

Sie setzten sich an den Kaffeetisch, griffen zu und ließen sich schmecken, was Frau Luise darbot.

In die idyllische Ruhe diesem stillen Heim kam Wilhelm Lüssenkamp aus dem sausenden Getriebe der großen Essener Stahlwerke. Kam, brachte die Unrast und Anspannung harter Arbeit mit und fand bei dem alten Mann freudiges Verständnis. Bis vor fünfzehn Jahren hatte Andreas Termölen selbst eine leitende Stellung in der rheinischen Stahlindustrie bekleidet. Er wusste, was es bedeutet, den Gang der Schmelzöfen zu überwachen und Abstich auf Abstich in die Kokillen zu bringen. Begierig lauschte er den Erzählungen des Neffen.

Dass das Werk im Laufe der letzten vierzehn Tage die Zahl der Stahlöfen verdreifacht habe. Tag und Nacht wurde mit riesenhaft vermehrtem Personal gearbeitet. Eben trocken, wurden die Ofen schon in Betrieb genommen. Vorsichtig begann die Beheizung. Die Gasanlage war Gott sei Dank auf Zuwachs gebaut und lieferte den nötigen Brennstoff.

War nach vierundzwanzigstündiger Beheizung die letzte Spur von Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk getrieben, dann wurde der volle Flammenstrom angestellt. Dann stieg die Hitze im Ofeninneren in wenigen Stunden auf grelle Weißglut. Dann warfen die Maschinen Charge auf Charge in den Ofen. Gussbrocken, Schmiedeeisen und alle anderen Rohstoffe, aus denen in der Höllenglut der edle Stahl gekocht wurde.

Der warme Betrieb musste Tag und Nacht durchgehen, weil man die Öfen nicht einfrieren lassen durfte. Aber er ging jetzt forciert. Er war schon verdreifacht und sollte noch einmal verdreifacht werden.

»Wat soll dat all? Wo wollt ihr mit der Unmasse Stahl hin?«

Wilhelm Lüssenkamp zuckte mit den Achseln.

»Nicht meine Sorge, Ohm. Das Schmelzwerk hat den Auftrag, soviel Stahl wie möglich zu liefern. Wenigstens aber eine Million Tonnen im Jahr. Da heißt es: Anbauen und sich dranhalten. Übrigens … ich verrate damit kaum ein Geheimnis: Es ist stadtbekannt, dass die Amerikaner unmenschliche Stahlmengen für ein Sündengeld fest gekauft haben und in Deutschland stapeln.«

»Et jibt Krieg, Jong. Ick hab dat schon vorher sefagt.«

»Kann sein, Onkel Andreas. Es sieht so aus, als ob John Bull und Unkle Sam sich an die Kehle wollen. Der Amerikaner kauft Stahl. Der Engländer interessiert sich mehr für fertige Sachen. Im Motorenraum, unsere neuen Turbinen … ich will mich nicht rühmen … aber die haben es in sich und haben es auch den Englischen angetan. Bei den Probefahrten haben wir zwölfhundert Kilometer geschafft. Die bis jetzt schnellsten Maschinen, das ist der amerikanische R.F.c.-Typ. Tausend Kilometer. Von uns um zweihundert Kilometer geschlagen. Der englische Kapitän, der eine Probefahrt mitmachen durfte, war einfach platt. Steckte die Entfernung zwischen Frederiksdal an der grönländischen Südspitze und der Wendemarke auf der Azoreninsel immer wieder auf dem Globus ab und schüttelte den Kopf. Seitdem sind die Engländer scharf hinter den Turbinen her. Zehntausend Stück sofort in festen Auftrag.«

Wilhelm Lüssenkamp ließ den Blick auf den Kriegsorden des Oheims ruhen.

»Du hast die alten Denkzeichen angelegt?«

Er beugte sich vor und ließ einzelne Spangen der Dekoration durch die Finger gleiten.

»Sommeschlacht … Verdun … Kemmelberg … Ypern … Dixmuiden … Chemin des Dames … blutige Orte. Nach dem, was wir schon als Kinder hörten, muss es da böse zugegangen sein.«

Der alte Mann nickte zustimmend. »Jong, et is jetzt vierzig Jahre her. Aber die Tage stehen mir noch wie heute vor dem Gesicht. Manchmal scheint et mir noch heut unglaublich, dat ich damals am Leben geblieben bin … Et war die Hölle. Et war mehr als die Hölle.« Der Alte schwieg, von der Erinnerung ergriffen. Der Neffe nahm das Thema auf. »Es war schlimm, Onkel Andreas. Aber jetzt kommt es noch viel schlimmer. Der Krieg, der uns bevorsteht, wird das Entsetzlichste, was die Welt jemals gesehen hat. Dreihundert Millionen Nordamerikaner gegen siebenhundert Millionen Briten. Die Industrie der Erde schon jetzt keuchend in voller Kriegsarbeit. Neue Mittel, neue Mordmethoden, von denen die meisten Menschen heute noch keine Ahnung haben. Aber … es geht nicht um unsere Haut. Die beiden Weltmächte, die übriggeblieben sind, schneiden sich die Kehle durch. Niemand kann die Katastrophe aufhalten. Sie ist unabwendbar. Wenn sie nicht morgen kommt, dann übermorgen. Aber sie kommt. Ich glaube nicht, dass wir noch im Frieden den Kornschnitt erleben. Nach meiner Meinung muss der amerikanische Diktator ganz plötzlich und unvermutet losschlagen, wenn er die besseren Chancen auf seine Seite bringen will.

Die Engländer sprechen seit fünfzig Jahren vom Saxon day. Ich meine, er steht dicht vor der Tür, und kein Mensch kann das Verhängnis aufhalten.«

»Kein Mensch …«

Der alte Mann wiederholte es nachdenklich. »Sie haben et nicht verdient, dat wir ihnen eine Träne nachweinen. Lasst sie sich meinetwegen die Hälse abschneiden … janz wat anderes, Jung’! In zehn Tagen jibt et bei uns Besuch. Einer von den Bursfelds. Ich hab dir ja erzählt, wie wunderlich wir ihn entdeckt haben. Seine Jroßmutter war meine Schwester. Eine Schwester deiner Mutter. Er wird uns mit seiner jungen Frau besuchen. Sieh, dat du in den Tagen auch mal zu uns kommst.«

Wilhelm Lüssenkamp versprach es. Sah auf die Uhr und bemerkte, dass es die höchste Zeit zum Aufbruch sei. Er musste eilen, wenn er sein Flugzeug an der verabredeten Stelle treffen wollte. Die siedende Arbeit rief ihn zurück, fort aus dieser ruhigen Feierstimmung, in die Gluten und zu den rasselnden Maschinen industriellen Hochbetriebes.