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Die Macht der Drei – Teil 23

Die-Macht-der-Drei

R.F.c.2 hatte Kurs West zu Nordwest. Der Kommandant Charles Boolton stand am Ausguck. In der Kabine saß Dr. Glossin in einem der leichten bequemen Korbsessel. Seine Züge trugen die Spuren von Leiden und Kämpfen, seine Augen waren gerötet. Er machte einen übermüdeten und übernächtigen Eindruck. Ihm gegenüber in einem zweiten Sessel lag die zierliche Gestalt Janes, von tiefer Ohnmacht umfangen. In einer Ecke des Raumes, auf dem Boden, mit starken Stricken schwer gefesselt, Silvester Bursfeld. Dr. Glossin erhob sich von seinem Stuhl. Langsam, als ob jeder Schritt ihm Schmerzen bereitete, ging er durch den Raum auf die Ohnmächtige zu.

Er beugte sich über Jane und fühlte ihren Puls. Mit sanfter Gewalt brachte er ihre Lippen auseinander und flößte ihr aus einer kleinen Kristallflasche einige Tropfen einer rot schimmernden Flüssigkeit ein. Er fühlte, wie der Puls danach stärker ging, wie das Blut die Wangen der Bewusstlosen leicht rötete. Beruhigt kehrte er zu seinem Platz zurück und nahm selbst ein wenig von der Flüssigkeit. Dann ruhte sein Blick lange auf dem gefesselten Silvester.

Bedingungslose Vernichtung hatte Cyrus Stonard befohlen. Den einen der drei hatte er. Diesmal fasste er der Vernichtung nicht entgehen.

Dr. Glossin überschlug die Zeit. Noch eine dreiviertel Stunde. Dann war das Flugschiff über Montana. Dort am Ostabhang der Rocky Mountains hatte er einen Schlupfwinkel. Und dann … dann ging es mit R.F.c.2 in sausender Fahrt nach Sing Sing zurück. Der drahtlose Befehl, die neue Maschine dort betriebsbereit zu halten, war längst gegeben. Diesmal sollte die Vollziehung des Urteils schnell und glatt vonstatten gehen. Ohne Zeugen. Nur er wollte dabei sein und sich überzeugen, dass der Strom diesmal auch wirklich seine Schuldigkeit tat. Dann war die alte Scharte ausgewetzt. Dann konnte ihm auch Cyrus Stonard keinen Vorwurf mehr machen.

Dr. Glossin lächelte befriedigt. Die Arznei hatte ihn körperlich erfrischt. Die Hoffnung, dass seine Pläne schnell zu einem glücklichen Ende kommen würden, stärkte ihn.

Sein Gedankengang wurde unterbrochen. Er hörte, wie der Kommandant in das Telefon zu dem Motorraum sprach.

R.F.c.2 flog mit voller Besatzung. Es hatte außer dem Kommandanten noch einen Ingenieur und zwei Motorwärter an Bord.

Der Kommandant sprach dringlich: »Die Umdrehung beider Turbinen ist von 8000 auf 5000 gefallen und fällt dauernd weiter. Was ist bei Ihnen los?«

Dr. Glossin wurde aufmerksam. Jetzt irgendein Motordefekt. Ein Versagen der Turbinen. Das konnte seine Pläne stören.

Eine leichte Erschütterung ging durch das Schiff. Die Spitze neigte sich etwas nach unten, und im Gleitflug stieg es aus der gewaltigen Fahrthöhe hinab. Die Tür des Motorraumes öffnete sich. Der Ingenieur trat herein. Den Lederanzug bespritzt, Spuren von Ruß und Öl an den Händen.

»Mr. Boolton, beide Maschinen stehen. Sie drehen sich nur noch, weil der Luftzug die Schrauben rotieren lässt. Die Maschinenkraft ist weg.«

Der Kommandant fuhr auf wie eine gereizte Bulldogge. »In drei Teufels Namen, Wimblington, wollen Sie uns bis auf die Knochen blamieren? R.F.c.2 ist das beste Schiff unserer Flotte. Bringen Sie die Maschinen in Gang, oder ich bringe Sie vor das Kriegsgericht.«

Der Ingenieur eilte in den Turbinenraum zurück. Er vergaß es, die Tür hinter sich zu schließen. Das Geräusch von allerlei Werkzeugen und Hantierungen drang in die Kabine. Derweil ging das Flugschiff ohne Motorkraft unaufhaltsam im Gleitflug zur Erde. Nur noch zehn Minuten, und es musste landen, wenn die Maschinenkraft nicht wiederkam.

Der Ingenieur erschien wieder im Raum.

»Herr Kapitän, der Fehler sitzt in den Zündanlagen. Die Maschinen bekommen keinen Zündstrom.«

Der Kommandant wurde blaurot im Gesicht. »In Satans Namen, Herr, Sie sollen die Maschinen in Gang bringen. Sie werden erschossen, wenn wir notlanden müssen.«

Mit der unangenehmen Aussicht auf den Tod durch eine Kugel verließ Wimblington den Raum. Die Dinge erfuhren dadurch keine Änderung. Die Maschinenkraft blieb aus. Der Gleitflug in die Tiefe dauerte an Schon befand sich R.F.c.2 in einer dichten Atmosphäre, nur noch 3000 Meter über dem Boden. Noch vor Kurzem waren die Sonnenstrahlen vom Westen her klar und kräftig in den Raum gefallen. Jetzt nicht mehr dreißig, sondern nur noch drei Kilometer hoch, war das Schiff bereits im Dämmerschatten der Erde. Kommandant Boolton durchspähte zähneknirschend die Gegend und suchte einen passenden Landungsplatz für das Schiff. Er bemerkte, dass es ihm gerade noch möglich sein würde, über einen Hochwald hinwegzukommen und auf einer mäßig großen grasbestandenen Lichtung niederzugehen.

Die Aufregung des Kommandanten hatte sich auch Glossin mitgeteilt. Unruhig lief er mit kurzen Schritten in der Kabine hin und her. Sein Blick fiel auf Silvester Bursfeld. Der Gefangene hatte sich herumgeworfen, sodass er Jane sehen konnte, die immer noch in leichtem Schlummer lag. Die Blicke Glossins und Logg Sars trafen sich, und Schrecken kroch dem Doktor an das Herz.

In diesem Augenblick fühlte er, dass der Motordefekt keine zufällige Panne war. Er fühlte es, dass die unheimliche, unbekannte Macht wieder hinter ihm her war. Er hätte einen Eid darauf geschworen, dass dieselbe Kraft, die damals die Maschine in Sing Sing lähmte, jetzt auch die Turbinen des Rapid Flyers in ihrer Arbeit anhielt. Mechanisch fasste er nach der Tasche, welche die kleine wirksame Schusswaffe barg.

R.F.c.2 setzte auf die Grasnarbe auf. Mit vollendeter Steuerkunst hatte Commodore Boolton das Schiff noch über die letzten Hochstämme des Waldes gebracht. Unmittelbar am Waldrand kam es zur Ruhe und wurde von den Schatten der schnell wachsenden Dämmerung umfangen. Boolton ließ das Steuer los und drehte sich um, als ein Geräusch seine Aufmerksamkeit fesselte. Wie zur Salzfäule erstarrt blieb er stehen und stierte durch die Seitenscheiben.

Ein zweites Flugschiff schoss aus der Höhe hinab, gewann Gestalt und legte sich kaum hundert Meter von R.F.c.2 entfernt auf den Rasen. Das von Minute zu Minute unsicherer werdende Licht der Dämmerung genügte noch, um die Formen erkennen zu lassen. Commodore Boolton fand zuerst die Sprache wieder. »Ich will des Teufels Großmutter heiraten, wenn es nicht R.F.c.1 ist. Es fliegt kein anderer Bau von der Sorte in der Welt. R.F.c.3 ist noch in der Montage.« Der Kommandant hatte seinen Ärger vergessen. Die Neugier, wie R.F.c.1 hier plötzlich auftauchen könne, überwog alle anderen Gefühle. Dr. Glossin stand da, die Hand an der Schusswaffe, und blickte auf das fremde Schiff.

Dort drüben regte sich nichts. Unheimliche Ruhe herrschte. Commodore Boolton brach das Schweigen. »Was brennt hier! Habt ihr Feuer an den Maschinen?«

Er schrie es zum Turbinenraum hin.

Auf die Antwort brauchte er nicht zu warten. Dicht neben ihm öffnete sich die massive Metallwand von R.F.c.2. Das Metall glühte eine Sekunde hellrot, die nächste grellweiß und versprühte dann als Dampf. Noch bevor es Zeit hatte, zu schmelzen und wegzufließen. Die innere Holzbekleidung flammte einen kurzen Moment, aber auch sie versprühte und verschwand, bevor es zu einem richtigen Feuer kommen konnte. Nur ein letzter Brandgeruch machte sich bemerkbar.

Schon war die dem neuen Flugschiff zugekehrte Seitenwand von R.F.c.2 in der Größe mehrerer Quadratmeter verschwunden.

Commodore Boolton sah, wie sein gutes Schiff sich vor seinen Augen in Dampf und Nichts auflöste. Mit geballten Fäusten stürzte er erbittert auf die entstandene Öffnung zu.

… Und geriet in den sengenden Strahl der telenergetischen Konzentration. Im Augenblick flammten die Kleider an seinem Leib auf. Er wollte zurück und war doch schon tot, verbrannt, in rotglühende Kohle und stäubende Asche verwandelt, bevor noch der Gedanke, dass er bedroht sei, in seinem Gehirn Wurzeln fassen konnte.

Die Flamme des Strahlers fraß weiter. Schon lag die Kabine bloß. Jetzt versprühte die dem Angreifer zugekehrte Wand des Motorenraumes.

Ingenieur Wimblington war nicht gewillt, seine Maschinen ruinieren zu lassen. Seine Rechte fuhr zur Tasche. Schon lag die Präzisionsschusswaffe in seiner Faust. Prasselnd schlugen die Geschosse gegen die Flanken von R.F.c.1.

Das Erste … das Zweite … das Dritte … das Vierte ging darüber hinweg, denn der feurige Strahl fasste den Ingenieur, fraß die Waffe in seiner Hand, fraß die Hand und fraß ihn selbst, bevor er ein fünftes Mal abdrücken konnte.

Mit erhobenen Händen sprangen die Monteure durch die Öffnung ins Freie.

Der eine zersprühte und verglühte im Augenblick des Absprunges. Den Zweiten traf der Strahl in der Zehntelsekunde, die er in der Luft schwebte. Etwas weiße Asche fiel auf den Rasen.

Dr. Glossin hatte die Katastrophe im Motorenraum nicht gesehen. Mit Aufbietung aller Kräfte hatte er in diesen Sekunden die Verschlussschrauben gelöst, die die Tür auf der Backbordfeite des Flugschiffes verschlossen hielten.

Mit einem Sprung riss er Jane an sich. Mit einem Ruck hatte er auch die Schusswaffe wieder zur Hand.

Der Schuss blitzte auf. Aus nächster Nähe war die Waffe auf Silvester gerichtet.

Schmerzlich zuckte der Getroffene zusammen. Eine kräftige Abwehrbewegung mit den eng gefesselten Händen brachte den Doktor ins Wanken. Er wäre gestürzt, hätte er nicht im letzten Moment die Waffe fallen lassen und sich an den Türpfosten geklammert.

Jetzt zeigte sich die Kraft, die in diesem missgestalteten Körper vorhanden war.

Die bewusstlose Jane noch immer auf dem Arm, glitt Glossin von der Plattform der Kabine auf der Backbordseite zum Flugschiff hinaus und lief auf den Wald zu.

Im gleichen Augenblick, in dem Atma R.F.c.1 verließ und in langgestreckten Sätzen auf R.F.c.2 zustürmte. Als Glossin auf der Backbordseite den Boden berührte, sprang Atma auf der Steuerbordseite in das Schiff.

Er sah Silvester gefesselt und durchschnitt die bindenden Stricke gedankenschnell. Er ließ den Strahler in Silvesters Hände fallen, glitt im selben Moment schon zur anderen Seite des Flugschiffs hinab und stürmte dem Wald zu.

Es war höchste Zeit. Nur noch undeutlich schimmerte Janes weißes Kleid durch die Stämme. Dr. Glossin hatte einen bedeutenden Vorsprung, und die Schatten der Dämmerung wuchsen von Sekunde zu Sekunde. Aber Dr. Glossin war alt, und Atma war jung, Dr. Glossin trug eine schwere Last auf seiner Schulter, und Atma war ungehindert.

Der Vorsprung Glossins nahm von Minute zu Minute ab. Durch das Stoßen und Schütteln des Laufes war Jane wieder zu Bewusstsein gekommen und sträubte sich mit allen Kräften. Sie schlug auf den Arzt ein, warf sich wild zurück und hinderte ihn schwer.

Schon hörte er den keuchenden Atem des Inders hinter sich. Da packte ihn die Todesfurcht. Das Verhängnis kam hinter ihm. Nur noch einmal entrinnen!

Eine kleine Schlucht öffnete sich vor ihm. Er ließ Jane zu Boden gleiten, sprang in die Tiefe und lief die Bodenfalte entlang. Hier herrschte schon Dunkelheit. In seiner dunklen Kleidung war er in dem dichten Unterholz nicht mehr zu sehen. Vorsichtig schlich er von Baum zu Baum weiter, bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden.

Atma war bei Jane stehen geblieben. Vorsichtig hob er sie auf, trug und führte sie aus dem Wald auf das freie Feld zurück, brachte sie sicher in die Kabine von R.F.c.1 und sah dann nach Silvester.

Der lag ohnmächtig in sich zusammengesunken. Der Strahler war seinen Händen entfallen. Aus der Wunde strömte das Blut.

Atma kam nicht zu früh. Das Messer, welches vor Kurzem die Fesseln durchschnitt, zertrennte jetzt die Gewandung. Die getroffene Seite lag bloß. Eine Schlagader war verletzt. Im Rhythmus des Herzschlages spritzte der rote Lebenssaft.

Es dauerte geraume Zeit, bis Atma des Unheils Herr wurde. Endlich stand die Blutung.

Die Wundränder schlossen sich. Vorsichtig trug Atma seinen Jugendgespielen in das andere Schiff und bettete ihn mit unendlicher Sorgfalt.

Jetzt wusste Atma den Freund und das Mädchen geborgen. Seine Gestalt straffte sich, und mit dem Strahler in der Hand wandte er sich dem Wald zu. In der letzten Dämmerung des entschwindenden Tages stand dort die Ruine von R.F.c.2.

Der Strahler wirkte. Jetzt brauchte der Inder nicht mehr so sorgfältig zu zielen und zu konzentrieren. Mit Gewalt explodierten zehntausend Kilowatt in dem Wrack. Im Augenblick glühte der ganze Rumpf hellrot auf. Schnell wuchs die Hitze zu blendender Weißglut. Das Aluminium des Körpers begann zu brennen. Millionen von Funken und Sternchen warf die glühende Masse nach allen Seiten in die Luft. Dann floss sie zusammen. Eine einzige Lache geschmolzener Tonerde, wo noch vor Kurzem ein vollendetes Meisterwerk menschlichen Erfindungsgeistes gestanden hatte.

Atma stellte den Strahler ab. Aber die hellrot glühende Schlackenmasse da drüben gab noch nicht Ruhe. Die Flammen sprangen auf den Waldrand über. Das dürre Gras brannte, einige Grenzbäume fingen Feuer.

Atma sah das Schauspiel, ohne etwas dagegen zu tun.

Mit schnellen Griffen ließ er die Turbinen von R.F.c.1 angehen. Der Rapid Flyer stürmte in die Höhe. Weit hinter ihm lag der brennende Wald. Atma sah es und lächelte.

»Wenn der Wind gut steht, Glossin, dann lernst du diese Nacht doch noch …«

Der Rest erstarb im Brausen der Turbinen.

Atma trat an die Steuerung und setzte das Schiff auf reinen Nordkurs. Der Weg gerade über den Pol blieb der sicherste.

Auf der Wiese vor dem Herrenhaus in Linnais setzte R.F.c.1 leicht und beinahe erschütterungsfrei auf. Mit starken Armen trug Erik Truwor den verwundeten Freund in sein Heim, während Jane am Arm Atmas folgte.

Und dann kamen Tage banger Sorge. Die Verwundung Silvesters war nicht lebensgefährlich. Die Kugel Glossins war an einer Rippe abgeglitten und hatte nur eine Fleischwunde verursacht.

Bedenklicher war das hohe Fieber. Der alte Arzt aus Linnais schüttelte ratlos den Kopf. Keine Wundinfektion, glatt fortschreitende Heilung der Verletzung und trotzdem diese Fieberschauer, die den Kranken bis an den Abgrund der Vernichtung führten. Seine Kunst und sein Latein waren hier zu Ende.

Lange Tage und kurze, hell dämmernde Nächte folgten aufeinander, in denen Jane nicht vom Lager Silvesters wich, Atma sich mit ihr die Pflege teilte. Atma, der die Dinge anders ansah als der schwedische Arzt. Atma, der die wildesten Fieberträume Silvesters beruhigte, wenn er ihm die Hand auf die Stirn legte.

»In der fünften Nacht wird die Entscheidung fallen.«

Atma hatte es Erik Truwor zugeflüstert, als sie den Verwundeten aus dem Rapid Flyer trugen und auf sein Lager betteten. Jane hatte die Worte gehört, so leise sie auch gesprochen wurden.

Heute war die fünfte Nacht. In dem verdunkelten Zimmer saß Jane am Lager Silvesters und bewachte jede Regung des Kranken.

Es war nach Mitternacht, und das fahle Licht des jungen Tages dämmerte durch die Schatten des Zimmers. Mit Angst und Freude bemerkte Jane eine Veränderung in den Zügen Silvesters. Es zuckte leise darin. Die geschlossenen Augenlider schienen sich heben zu wollen. Der Körper machte schwache Bewegungen.

War das der Tod? Oder war es Erwachen zu neuem Leben?

Die Sorge überwältigte Jane. Sie wollte Atma rufen, doch die Stimme versagte ihr. Rückhaltlos überließ sie sich den Gefühlen, die in ihr stürmten. Sie umschlang Silvesters Hals, sie flüsterte ihm zärtliche Worte zu und drückte ihre Lippen auf seine Stirn. Alle Instruktionen des Arztes, alle Weisungen Atmas waren in diesem Augenblick vergessen.

»Silvester, verlass mich nicht! Silvester, bleibe bei mir!«

War es der Klang ihrer Stimme so nahe an seinem Ohr? Einen Augenblick hob er die Augenlider, als versuche er mit Gewalt die Umgebung zu erkennen. Dann schlossen sie sich wieder. Der Kopf sank tiefer. Er lag ganz still und regungslos.

»Silvester!«

Ein Schrei aus tiefster Not war es. Leise sank sie neben dem Bett auf die Knie und vergrub das Antlitz in ihre Hände.

Atma war in das Zimmer getreten. Seine Augen ruhten forschend auf den Zügen Silvesters.

»Die Seele ist stärker als der Tod … Er ist gerettet.«

Er murmelte es leise und trat zurück.

Von Neuem öffnete der Kranke die Augen. Diesmal viel freier und leichter. Und sah mit freudvollem Staunen den blonden Kopf an Seiner Brust, dessen Antlitz ihm verborgen war.

»Wer … Was ist …«

Jane war aufgesprungen.

»Er lebt, er wird leben!«

Noch erkannte Silvester sie nicht.

»Wer ist … wer bist …«

»Jane, deine Jane bin ich … Jane ist bei dir! Gott hat uns wieder vereinigt.«

Der Schimmer des Verstehens, des Wiedererkennens flog über die Züge Silvesters.

»Jane?«

»Ja, deine Jane … für das ganze Leben!«

»Jane! … Jane!« … Er wiederholte den Namen, als gewähre ihm das Aussprechen höchste Seligkeit. Er hob die Arme und legte sie um Janes Hals. Er zog ihr Haupt zu sich und lehnte seine Wange an die ihre.

»Meine Jane«, sagte er so leise, dass sie wohl bemerken konnte, wie die körperliche Schwäche ihn zu übermannen drohte.

»Vor Gott schon lange und jetzt auch vor den Menschen.«

Seine Augen schlossen sich wieder, aber das selige Lächeln blieb auf seinen Lippen. Schnell und sanft schlummerte er ein.

Mit unhörbaren Schritten trat Atma neben Jane.

»Dein Geliebter schläft. Die Gefahr ist vorüber. Du armes Kind musst auch ruhen. Komm und lass mich allein mit Silvester. Zur rechten Zeit will ich dich rufen.«

»Er schläft, er ist gerettet!«, wiederholte Jane. Sie sprach es leise. Einen langen Blick warf sie auf den ruhig Schlummernden und folgte dem Inder.

Nachdem die Krisis überstanden, die Kraft des Fiebers gebrochen war, machte die Genesung Silvesters schnelle Fortschritte. Schon am dritten Tag ging er an Janes Arm über die Wege des parkartigen Gartens, der das Herrenhaus umschloss, und jede Stunde des Tages war eine Stunde des Glücks für die Liebenden. Nach einer Woche wagten sie es, den Pfad zum Ufer des Torneaelf zu wandern, berückt und entzückt von der romantischen Schönheit dieser wunderbaren Landschaft. Ein unendliches Glücksgefühl durchflutete ihre Herzen. In dem dichten Gras am Flussufer ließen sie sich nieder. Silvester lehnte seinen Kopf in Janes Schoß und schloss tief atmend die Augen.

»Wenn ich deine liebe Gestalt nicht fühlte, möchte ich glauben, es wäre nur ein schöner Traum, und würde den Himmel bitten, dass er mir ein Ende fände. Jane, du bist bei mir.« Er zog ihre Hände an seine Lippen und küsste sie. »Die guten Feenhände, ihnen verdanke ich mein Leben.«

»O Silvester, wie gern wäre ich für dich gestorben, hätte mein Tod dir Rettung bringen können. Du hast so vieles, wofür du leben musst. Ich habe nichts als dich. Was sollte aus mir werden, wenn ich dich nicht hätte.«

Ihre Arme umschlossen den Geliebten. Ihre Augen versenkten sich ineinander … ihre Lippen fanden sich in einem langen, langen Kuss.