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Das Steppenross – Kapitel 3 Teil 2

Das-SteppenrossEduard Wagner
Das Steppenross
Eine Erzählung aus dem Jahr 1865 zu den Zeiten des amerikanisch-mexikanischen Krieges, nach dem Englischen des Kapitän Mayne Reid

Kapitel 3
Die Jagd auf das Steppenross
Teil 2

Aus Furcht, ihn aus den Augen zu verlieren, ritt ich entschlossen nach, durchbrach bald das Dickicht, bald folgte ich den verschlungenen Windungen. Ich kümmerte mich ebenso wenig wie mein Pferd um die dornigen Schlinggewächse, aber die großen Bäume von der Gattung der Robinia standen dicht im Wege und hinderten mich mit ihren waagerechten Ästen. Ich musste mich oft flach auf den Sattel legen, um hindurchzukommen. Dadurch wurde die Verfolgung gehindert.

Endlich erschien die ersehnte offene Prärie, wenngleich nicht ganz baumlos. Der Schimmel flog zwischen den Gehölzinseln hindurch, und da er in dem Dickicht einen Vorsprung gewonnen hatte, so befand er sich in großer Entfernung von mir. Er eilte auf die offene Ebene zu, und dies zeigte, dass er sich auf seine sicheren Hufe verließ. Vielleicht wäre es für ihn vorteilhafter gewesen, im Gehölz zu bleiben.

Nach zehn Minuten waren wir an den Waldinseln vorüber und die großartige, unbegrenzte Prärie streckte sich vor uns aus. Weiter ging die Jagd über den Rasen, bis keine Bäume mehr hinter uns waren und das Auge nur die grüne Savanne und den blauen Himmel darüber sah, weiter über die Mitte des Kreises, der nur vom Horizont begrenzt wurde.

Die in dem Holz verirrten Jäger waren schon längst zurückgeblieben, die Pferde zurückgekehrt. Auf der ganzen Ebene zeigten sich nur zwei Gegenstände – der schneeweiße, fliegende Schimmel und die Gestalt des ihm folgenden Reiters.

Es war ein langer, wilder, grausamer Ritt für meinen unvergleichlichen Moro. Schon mehr als zehn Meilen hatten wir auf der Stelle zurückgelegt und noch bedurfte das wackere Ross weder des Antriebes der Peitsche noch der Sporen. Es hatte gleichfalls seinen Anteil an der Jagd, den Ehrgeiz, unübertrefflich zu sein. Mein Beweggrund war ein anderer. Vorwärts, Moro! Vorwärts!

Du musst ihn einholen oder sterben!

Es gab kein Hindernis mehr, hier konnte er sich nicht vor uns verbergen. Die mit kurzem Gras bedeckte Ebene war flach wie das schimmernde Meer und kein einziger Gegenstand zu sehen. Er konnte sich nirgends verbergen. Noch eine Stunde würde die Sonne leuchten. Ehe sich die Dunkelheit herabsenkte, würde er unser Gefangener sein. Vorwärts, Moro! Vorwärts!

Wir flogen schweigend vorwärts. Der Schimmel ließ sein herausforderndes Wiehern nicht mehr hören. Er lief furchtsam, ohne Vertrauen auf seine Schnelligkeit. Niemals war er so hart bedrängt worden. Es ließ sich kein Laut hören, als das Schallen der galoppierenden Hufe. Ein ausdrucksvolles Schweigen begleitete die ernste Verfolgung.

Kaum zweihundert Schritte lagen noch zwischen uns, und ich hatte die Überzeugung, zu siegen. Ich brauchte nur Moro mit den Sporen zu berühren, um ihn in die richtige Entfernung zu bringen. Es wurde Zeit, diesen verzweiflungsvollen Ritt zu beenden. Noch einen Satz, wackerer Moro, und du sollst Ruhe haben.

Ich sah nach meinem Lasso. Es hing an meinem Sattelknopf. Der Haken, an welchem das eine Ende befestigt war, war sicher in das Holz eingelassen. Die Schlinge war klar und frei. Die Windungen befanden sich in der richtigen Lage. Alles in vollkommener Ordnung. Ich erhob das Lasso und legte es leicht über den linken Arm, machte die Schlinge los und hielt sie mit der rechten Hand. Ich war bereit, aber – wo war das Ross? Ich stieß einen wilden Ausruf aus. Während ich mein Lasso ordnete, hatte ich die Augen nur auf einen Augenblick von den Verfolgten abgewendet. Als ich wieder aufblickte, war der Schimmel verschwunden.

Ich hielt mein Pferd so plötzlich an, dass es fast auf die Schenkel niederfiel. Das Tier selber schien durch ein leichtes Wiehern Schrecken auszudrücken. Was hatte das zu bedeuten? Wo war das wilde Pferd?

Ich wandte mich nach allen Seiten und durchforschte die Prärie, obgleich ein einziger Blick genug gewesen wäre. Wie erwähnt war die Ebene so flach wie ein Tisch. Der Horizont gestattete eine freie Aussicht. Es waren weder Felsen, noch Bäume, noch Gebüsch, noch Pflanzen, nicht einmal hohes Gras vorhanden. Der Rasen war von der bekannten Art, welche man Büffelgras nennt. Auch wenn es vollständig ausgewachsen ist, ist es nur kurz. Damals erhob es sich kaum zwei Zoll über den Boden, sodass sich kaum eine Schlange darin hätte verbergen können. Wo war aber das Pferd?

Ich wurde von unwillkürlichem Entsetzen erfasst. Ich fühlte, wie mein Ross zwischen meinen Schenkeln zitterte. Infolge des gewaltigen Rittes war es ebenso wie ich mit Schaum und Schweiß bedeckt, jetzt brach der kalte Angstschweiß bei mir aus. Es war ein furchtbares, unerklärliches Geheimnis. Ich habe nicht wenig Gefahren bestanden, aber es waren die gewöhnlichen Gefahren des Meeres und der Schlacht. Ich brach einmal ein Bein und das andere wurde gleichzeitig von einer Kugel durchbohrt. Ich schwamm von einem versinkenden Schiff weg und wurde auf dem Schlachtfeld gefangen genommen. Ich blickte in die Mündungen von hundert Flinten, die aus einer Entfernung von kaum dreißig Schritten gegen mich gerichtet waren. Ich fühlte die Gewissheit des Todes, aber die Salve wurde abgefeuert und ich lebte noch. Man wird zugeben, dass dies Gefahren sind. Aber ich bestand sie. Ich bestand sie mit mehr oder weniger Mut, einige mit Furcht. Wenn aber die Furcht, welche alle einflößten, sich zu einem einzigen Gefühl vereinigte, so würde es sich doch nicht mit dem Entsetzen vergleichen lassen, das ich in dem Augenblick empfand, als ich mein Pferd auf der Steppe anhielt.

Ich bin nicht zu Aberglauben geneigt, aber in diesem Augenblick hätte ich an etwas Übernatürliches glauben können. Ich konnte mir keine natürliche Ursache denken, wodurch sich das geheimnisvolle Verschwinden des Pferdes erklären ließe. Ich hatte so oft über den abergläubischen Seemann und sein Gespensterschiff gelacht. Sollte ich selber eine so seltsame Erscheinung, ein Gespensterpferd, erblicken?

Es schwebte in diesem Augenblick meinem Geist die Erzählung der Jäger und Trapper vor, welche dem Schimmel einen gespensterhaften Charakter beilegten. Stets hatte ich über die Leichtgläubigkeit der Erzähler gelächelt. Nun aber mochte ich daran glauben. Sie schien eine Wahrheit.

Oder träumte ich? War es nur ein Traum? Das Aufsuchen des Schimmels, die Einschließung, die Verfolgung, der unendlich lange Galopp?

Einige Sekunden lang glaubte ich es wirklich, bald aber klärte sich mein Bewusstsein wieder. Ich saß im Sattel auf meinem keuchendem dampfenden Ross. Dies war eine Tatsache. Ich erinnerte mich aller Umstände der Verfolgung, die gleichfalls wirklich und wahr waren. Ich hatte das weiße Ross vor Augen gehabt, und es war verschwunden. In diesen Gedanken saß ich schweigend im Sattel vorgebeugt und richtete die Augen auf die Erde oder schaute in das Leere hinaus.

Das Lasso entfiel meinen Händen und die Zügel sanken auf den Hals meines Pferdes.

Mein Glaube an das Übernatürliche war nur von kurzer Dauer, ich befand mich während der Zeit in einem Zustand der Verwirrung. Endlich kehrte mein Bewusstsein zurück, denn meine Blicke waren auf frische Fußspuren im Gras gefallen. Ich erkannte die Spuren eines Pferdes und dies weckte mich zum Nachdenken. Wäre das Pferd bloß eine Erscheinung gewesen, so würde es keine Spur zurückgelassen haben. Ich hatte niemals von der Fährte eines Geistes gehört.

Ich fasste endlich den Entschluss, der Fährte so weit zu folgen, wie sie führen würde, natürlicherweise bis zu dem Punkt, wo der Schimmel verschwunden war.

Mit diesem Entschluss ergriff ich die Zügel wieder und ritt auf der Fährte weiter, die Augen immer auf die Hufspur gerichtet. Die Richtung zog sich gerade aus, aber ich war beinahe zweihundert Schritte geritten, als mein Pferd plötzlich hielt. Ich blickte vorwärts, um die Ursache dieses Anhaltens zu suchen, und dabei verschwand auch mein Aberglaube.

In einer Entfernung von etwa dreißig Schritten zeigte sich auf der Steppe eine dunkle Linie, welche die Spur durchschnitt.

Es war das, was man im spanischen Amerika Barrancas nennt.

Die Erde erscheint wie von einem Erdbeben gespalten. Aber wahrscheinlich hat das Wasser diese Formation zustande gebracht. Der Spalt hatte oben und unten eine gleiche Breite und das Bett war mit Felsentrümmern bedeckt. Die Seite war vollkommen senkrecht und die Erdlagen waren ebenso wie die Oberfläche mit Rasen bedeckt, sodass sich in einiger Entfernung die äußeren Ränder gar nicht erkennen ließen. Der Spalt schien auf der rechten Seite flacher zu werden und endete wahrscheinlich bald in dieser Richtung. Nach der linken Seite wurde er jedoch tiefer und breiter, und an der Stelle, wo ich mich befand, stand der Boden etwa dreißig Fuß unter der Oberstäche der Steppe.

Das Verschwinden des Schimmels ließ sich nun auf natürliche Weise erklären. Er hatte einen fast zwanzig Fuß weiten Sprung getan. Dort fand ich den Rand des Abgrundes zerwühlt und an der Stelle, wo er hinabgesprungen war, waren die losen Steine verschwunden. An den Hufspuren, die auf dem Felsen sichtbar waren, sah ich, dass er sich links die Barranca hinab gewendet hatte.

Ich blickte die Schlucht entlang, aber er war verschwunden. In einiger Entfernung machte der Spalt eine Biegung. Er war bereits um die Ecke gelangt und nicht mehr zu sehen. Ohne Zweifel war er entkommen, und es konnte nichts nutzen, ihn weiter zu verfolgen. Ich gab die Jagd auf.

Nachdem ich mich eine Zeitlang meinem Ärger überlassen hatte, überdachte ich die Lage, in welche ich geraten war. Von dem Gefühl der Furcht, welches mich vorher erdrückt hatte, war ich befreit, befand mich aber dennoch in einer unangenehmen Lage. Ich war wenigstens dreißig Meilen von dem Flecken und wusste nicht, in welcher Richtung er lag. Die Sonne ging unter. Obgleich ich die Himmelsgegenden kannte, wusste ich doch nicht, ob wir von der Niederlassung aus nach Osten oder Westen geritten waren. Vielleicht konnte ich auf meiner eigenen Spur zurückreiten, aber dies war nicht gewiss. Ich hatte auf der Jagd weder durch das Gehölz noch auf der freien Steppe eine gerade Richtung beibehalten. Beim schnellen Vorüberfliegen hatte ich außerdem bemerkt, dass das Gras an vielen Orten von zahlreichen Hufspuren zerwühlt war. Herden von wilden Pferden waren vorübergekommen, und es wäre nicht leicht gewesen, meinen langen Galopp in allen Windungen rückwärts zu verfolgen.

Jedenfalls war es zwecklos, meine Versuche vor dem Morgen anzustellen. Die Sonne konnte keine halbe Stunde mehr scheinen, und es war unmöglich, der Fährte bei Nacht zu folgen. Es blieb mir nichts übrig, als bis zu Tagesanbruch an dem Ort zu bleiben, wo ich war.

Aber wie? Ich war hungrig und, was noch schlimmer, durstig. In der Nähe gab es keinen Tropfen Wasser, und ich hatte dreißig Meilen weit keins gesehen. Durch den heißen Ritt war ich ungemein durstig geworden und mein armes Pferd ebenfalls. Das körperliche Bedürfnis wurde noch unerträglicher durch die Gewissheit, dass sich kein Wasser in der Nähe befinde.

Ich schaute auf den Grund der Spalte, soweit ich sehen konnte, aber sie war eben so wasserlos wie die Ebene. Der Felsen ruhte auf Kies und Sand, und in dem Bett zeigte sich kein Tropfen Wasser, obgleich es sichtlich war, dass in diesem Kanal einmal ein Strom geflossen sein musste.

Nach einigem Nachdenken kam mir der Gedanke, ich würde vielleicht Wasser finden, wenn ich der Barranca abwärts folgte. Wenigstens musste ich in dieser Richtung zunächst suchen. Ich ritt daher am Rand des Spaltes entlang. Die Schlucht wurde immer tiefer, bis sie eine Meile von dem Ort, wo ich zuerst darauf getroffen war, fünfzig Fuß auseinanderklaffte. Die Seiten waren noch eben so steil.

Die Sonne war bereits untergegangen und die Dämmerung versprach nur eine kurze Dauer. Ich konnte in der Dunkelheit nicht durch die Ebene reiten, wenn ich nicht über den steilen Rand der Schlucht stürzen wollte. Außerdem sah ich noch andere kleine Spalten, welche durch Nebenflüsse zur Regenzeit gebildet waren. Diese waren mehr oder weniger tief und gingen schräg oder rechtwinkelig von der größeren Spalte aus.

Die Nacht senkte sich schnell auf die Steppe. Ich wagte nicht unter diesen Abgründen umherzureiten. Ich musste, ohne Wasser zu finden, haltmachen und die langen Stunden qualvoll verbringen. Es war ein furchtbarer Gedanke.

Noch immer führte ich mein Pferd langsam vorwärts, als plötzlich meine Augen einen glänzenden Gegenstand erblickten. Mit einem freudigen Schrei fuhr ich im Sattel auf. Es war der Schein von Wasser, das ich in westlicher Richtung erblickte.

Es war ein kleiner See oder vielmehr ein Teich, der sich nicht auf dem Grunde der Schlucht, wie ich vermutet hatte, sondern hoch oben auf der Steppe befand. Es waren weder Bäume noch Schilf in der Nähe, an den Ufern zeigte sich kein Pflanzenwuchs und die Fläche schien in gleicher Höhe mit der Ebene.

Mit freudigem Erwarten, aber nicht ohne Besorgnis, ritt ich weiter. Es konnte ein Trugbild sein, denn ich war oft durch solche Erscheinung getäuscht worden. Doch nein, es erschien nicht so nebelhaft wie die Fata Morgana. Die Umrisse setzten sich scharf gegen das Gras der Steppe ab und die Oberstäche schimmerte in den letzten Strahlen der Sonne. Es war Wasser.

In dieser festen Überzeugung ritt ich in schnellerem Schritt vorwärts.

Etwa zweihundert Schritte vor dem Ort angekommen, hielt ich die Augen immer noch auf das blinkende Wasser gerichtet, als mein Pferd plötzlich scheu zurückwich. Ich blickte vor mich hin, um die Ursache zu erkennen. Die Dämmerung war vorüber, aber trotz der Dunkelheit konnte ich noch immer deutlich die Oberfläche der Steppe sehen. Die Schlucht gähnte wieder vor mir und zog sich quer über meinen Weg. Zn meinem Verdruss bemerkte ich, dass die Spalte eine Wendung gemacht hatte und dass sich der Teich auf der anderen Seite befand.

So hatte ich keine Hoffnung, in der Finsternis hinüberzukommen. Die Barranca war hier tiefer als oben, sodass sich die Felsentrümmer auf dem Boden nur undeutlich sehen ließen. Bei Tageslicht ließ sich vielleicht ein Ort zum Überschreiten finden. Aber dies war nur ein schwacher Trost.

Es war ganz finster geworden und mir blieb keine Wahl, als eine Nacht, eine Nacht voller Qualen an dem Ort zuzubringen, wo ich mich befand.

Ich stieg ab, führte mein Pferd eine Strecke in die Prärie hinaus, um es vom Abgrund fernzuhalten, nahm ihm Sattel und Zügel ab und ließ es weiden, wie es ihm die Länge des Lassos gestattete. Ich selber hatte nur wenige Einrichtungen zu treffen. Es war kein Abendessen zu bereiten, aber das Essen hatte für mich bei dieser Gelegenheit wenig zu bedeuten. Mir wäre ein Glas Wasser lieber als ein gebratener Truthahn gewesen. In meiner Lage waren nur wenige Dinge unterzubringen. Meine Büchse, mein Jagdhemd, das Pulverhorn, die Jagdtasche und die Kürbisflasche, welche leider schon in einer frühen Stunde des Tages geleert worden war. Zum Glück hatte ich meine mexikanische Decke an den Sattel angeschnallt. Diese löste ich, hüllte mich in dieselbe ein, legte den Kopf auf die Vertiefung meines Sattels und streckte mich mit der Hoffnung einzuschlafen, am Boden aus.

Dieser Genuss blieb mir lange versagt, denn der quälende Durst verscheuchte den Schlaf. Ich wälzte mich hin und her, den Mond betrachtend, der zwischen den schwarzen, dahinfliegenden Wolken am Himmel nur von Zeit zu Zeit sichtbar wurde. Wenn er schien, so glänzte der kleine See in seinem Licht wie eine Silberplatte. Es kam mir vor, als ob mich das köstliche Wasser verspottete. Ich begriff in diesem Moment die Qualen des Tantalus und überzeugte mich, dass die Göttin für den lydischen König keine schlimmere Qual hätte erdenken können. Nach einiger Zeit machte sich der Durst weniger geltend. Vielleicht erleichterte ihn die feuchtkalte Nachtluft oder, was wahrscheinlicher ist, die Ermüdung und die Abspannung der Sinne schwächten ihn. Ich litt weniger und fühlte mich allmählich dem Schlaf unterliegen. Ringsumher herrschte vollkommene Stille und kein Laut störte mich. Selbst das gewöhnliche Bellen des Präriewolfes ließ sich nicht vernehmen. Der Ort mochte für diesen weitverbreiteten Nachtschwärmer zu einsam sein. Nur das Schallen der Hufe meines Pferdes auf dem harten Rasen und das Geräusch, wenn es das kurze Büffelgras abweidete, waren die einzigen Zeichen, welche mir verkündeten, dass ich nicht allein war. Dieses Geräusch sagte mir, dass sich mein treuer Gefährte nach dem schweren Galopp wohl befinde, und ich beruhigte mich.

Mein Schlaf war aber nicht friedlich, sondern von unruhigen Träumen erfüllt. Ich glaube, dass solche Traumszenen den Körper ebenso erschöpfen wie die der Wirklichkeit. Oft bin ich von solchen Träumen völlig ermüdet und erschöpft aufgewacht. Ein kurzes, liebliches Bild wurde bald zerstört durch Geschrei und wildes Gebrüll. Ich befand mich in einem Haus, das von Indianern umringt war. Sie waren bereits innerhalb der Mauern, und bald drang eine Anzahl von ihnen in das Haus. Es folgte ein heftiger Kampf und Verwirrung.

Dies war mein Traum, aber die angenehmste Wirklichkeit weckte mich. Ich wurde von einem gewaltigen Regenschauer übergossen. Mit einem Freudenschrei begrüßte ich diesen Umstand, der zu anderen Zeiten gar nicht willkommen gewesen wäre. Der Donner rollte, die Blitze flammten in kurzen Zwischenräumen und in der Schlucht brauste der Strom.

Zuerst war ich darauf bedacht, meinen Durst zu löschen. Ich öffnete beide Hände und hielt den geöffneten Mund aufwärts, sodass ich den wahren Himmelsquell trank. Aber obgleich die Tropfen dicht fielen, so war dies Verfahren doch zu langsam. Ich wusste, dass meine Decke wasserdicht war. Mir kam der gute Gedanke, diese Decke auszubreiten und die Mitte in eine Vertiefung der Prärie einzudrücken. Nach fünf Minuten wusste ich nicht mehr, was Durst war, und konnte nicht begreifen, wie ich so viele Qualen hatte ausstehen können.

Moro trank aus dem Trog und machte sich dann wieder auf die Weide. Die untere Seite der Decke war noch trocken geblieben, ebenso das Stück Erde, welches sie bedeckt hatte. Hier streckte ich mich aus, zog den Hut über mich und schlief unter dem Schlummerlied des Donners ein. Erst spät wachte ich auf, als die Sonne schon glänzend am blauen, klaren Himmel emporstieg.

Zuerst machte sich der Hunger geltend. Außer meiner Schokolade und einem Stückchen Kuchen hatte ich seit dem Morgen des vorigen Tages nichts gegessen. Ein Mensch, der nicht an langes Fasten gewöhnt ist, wird die Qual des Hungers schon nach einem einzigen Tag empfinden. Diese Qual nimmt zu, wenn der zweite Tag ohne Nahrung vergeht, sie erreicht ihren Gipfel am dritten Tag. Am vierten und fünften Tag wird der Körper schwach und das Gehirn zerstört. Aber obgleich das Leiden schmerzlich ist, sind die Nerven doch schon weniger empfindlich als am zweiten und dritten Tag. Dies gilt natürlich nur von denjenigen Menschen, welche nicht an langes Fasten gewöhnt sind. Ich habe Gendarmen und Steppenjäger gekannt, welche sechs Tage lang hungerten und weniger Schmerz fühlten als andere, die nur vierundzwanzig Stunden gefastet hatten. Da jene Männer häufig in Not geraten, so ist es ein Glück für sie, mit solcher Kraft begabt zu sein.

Ich dachte zunächst daran, mir etwas Essen zu verschaffen. Ich erhob mich und durchforschte die Steppe nach allen Richtungen, aber mein Blick begegnete keinem jagdbaren Gegenstand, weder einem vierfüßigen Tier noch einem Vogel. Ich erblickte nur mein Pferd, welches ruhig am Lasso weidete. Nicht ohne Neid betrachtete ich seinen wohlgenährten Leib.

Ich trat an den Rand der Schlucht und blickte hinab. Es war ein finsterer Abgrund, mehr als hundert Fuß tief und eben so breit. Da die Felsen von oben herabgesetzt und eine Art abschüssiges Ufer gebildet hatten, so konnte ein Fußgänger hinabsteigen und auf der gegenüberliegenden Seite herausklettern. Für ein Pferd war dies unmöglich, denn die Felsen waren hervorspringend und zackig. In den Spalten wuchsen Kakteen, Brombeeren und niedrige Zedern.

Während der Nacht hatte ich den Strom brausen hören. Ich blickte hinab und sah noch an dem Felsen die Spuren des Wassers. Es musste viel Regen geflossen sein, aber aus dem Bett der Schlucht hätte man nicht einen Becher mehr schöpfen können, denn das Wasser war teils in den Sand eingezogen oder in der heißen Atmosphäre schnell verdunstet.

In der Hoffnung, ein lebendes Geschöpf zu erblicken, hatte ich meine Büchse mitgenommen, musste jedoch bald meine Nachforschungen aufgeben. Es war auch keine Spur von einem Vogel oder einem vierfüßigen Tier zu entdecken, und ich kehrte nach meiner Schlafstätte zurück.

Ich zog den Pflock, woran mein Pferd befestigt war, aus der Erde, sattelte es und überlegte dann, wohin ich reiten wollte. Der erste Gedanke war der, wieder zu dem Flecken zurückzukehren. Aber wie sollte ich den Weg finden? Meine eigene Fährte, welche ich noch am vorigen Abend hätte auffinden können, war nun vom Regen völlig verwischt. Ich war bei meinem Ritt über große Strecken sandigen Bodens gekommen, wo die Hufe kaum eine Spur zurückließen, und jede Fährte musste von den großen, schweren Regentropfen verwischt sein. Meine Absicht war also nicht mehr ausführbar. Als ich diese Schwierigkeit überlegte, fühlte ich mit einigem Entsetzen, dass ich mich verirrt hatte.

Wer dergleichen Abenteuer noch nicht bestanden hat, hält meine Verlegenheit für unbedeutend. Man glaubt, dass derjenige, der ein gutes Pferd besitzt, nur kühn in gerader Richtung fortzureiten brauche, um endlich an irgendeinem Ort anzukommen. Dies ist jedoch nicht so bestimmt, wie man glaubt, sondern von zufälligen Umständen abhängig. Man könnte vielleicht gerade an demselben Ort ankommen, von dem man ausgeritten ist, denn, wenn man keinen Gegenstand zum Führer hat, so ist es unmöglich, zehn Meilen in gerader Richtung über eine Steppe zu reiten. Unter ganz ähnlichen Umständen sind schon viele auf den besten Pferden umgekommen. Hat die Steppe nur einen Umfang von zehn Meilen, so gehören schon Tage dazu, hinauszukommen, und während dieser Tage erleidet man den Tod. Hunger und Durst nehmen zu und die Pein vermehrt sich durch den Gedanken, dass nichts zur Befriedigung dieser dringenden Bedürfnisse anzutreffen ist. Auch verleiht die Einsamkeit ein peinliches Gefühl, von welchem nur die ältesten Präriemänner befreit sind. Die Sinne verlieren ihre Stärke, der Geist seine Entschlussfähigkeit und alle Vorsätze werden schwankend und unbestimmt. Bei jedem Schritt fühlt man Zweifel, ob man nicht einen anderen Weg einzuschlagen habe. Auf der Prärie einsam und verirrt zu sein, ist furchtbar.

Dies fühlte ich lebhaft. Ich hatte mich schon oft auf großen Ebenen befunden, aber jetzt hatte ich mich zum ersten Mal verirrt und war dazu noch ungewöhnlich hungrig. Auch die Umstände, durch welche ich in meine Lage geraten war, hatten etwas Eigentümliches, dass der Schimmel mich soweit gelockt hatte und dann auf diese freilich natürliche Weise entkommen war, hatte doch einen besonderen Eindruck in meinem Geist zurückgelassen. Ich geriet wieder an den Rand des Aberglaubens, gab mich quälenden Fantasiebildern hin und wollte durchaus in jenen Erlebnissen unnatürliche Ursachen suchen.

Mit großer Mühe gelang es mir, mich wieder einigermaßen zu sammeln und an meine Sicherheit zu denken. An diesem Ort zu bleiben, war nicht ratsam. Ein paar Stunden wenigstens konnte ich den geraden Weg verfolgen und zur Mittagsstunde Halt machen. Dies war notwendig, da in dieser südlichen Breite die Sonne des Mittags so genau im Zenit steht, dass selbst der Kundigste den Norden nicht vom Süden unterscheiden kann. Vielleicht war ich fähig, noch bis Mittag das Gehölz zu erreichen, wodurch andererseits meine Lage wieder verschlimmert wurde, denn die Öffnungen der Gehölze versetzen den Wanderer in noch größere Verlegenheit als die kahle Ebene. Man kann in den sogenannten Mosquitenwäldern oft tagelang reisen, ohne sich weit vom Ausgangspunkt zu entfernen, und findet nicht mehr Lebensmittel als in der Wüste selbst. Ich sattelte und zäumte jedoch mein Pferd und schaute über die Ebene, um eine Richtung für meinen Ritt zu wählen.

Da wurde ich durch einige Tiere angezogen, deren Art ich jedoch nicht unterscheiden konnte. Zu manchen Zeiten lässt sich in der Ebene durchaus kein sicheres Urteil über Gestalt oder Größe eines Gegenstandes fällen. Schon oft hat man einen Wolf für ein Pferd und einen auf einer Erhöhung stehenden Raben für einen Büffel gehalten. Nur der erfahrenste Trapper lässt sich durch solches Blendwerk nicht täuschen, welches seinen Grund in einem besonderen Zustand der Atmosphäre hat.

Die von mir bemerkten Gegenstände schienen wenigstens drei Meilen von mir entfernt zu sein. Sie befanden sich auf der anderen Seite der Schlucht und in gleicher Richtung mit dem See. Ich zählte fünf Gestalten, die sich gespensterhaft am Rande des Horizonts bewegten. Eine kurze Zeit wurde meine Aufmerksamkeit von ihnen abgezogen, und als ich wieder hinausblickte, waren sie verschwunden, dagegen erblickte ich kaum fünfhundert Schritte von mir fünf schöne Antilopen am Rand des Sees stehen. Sie befanden sich dem Wasser so nahe, dass sich ihre zierlichen Körper darin spiegelten. Sie mochten sich von ihrem schnellen Lauf erholen wollen. Da ihre Zahl den vorher erblickten Gegenständen entsprach, so war ich überzeugt, dass sie die nämlichen seien, um so mehr als diese Tiere mit der Schnelligkeit einer fliegenden Schwalbe laufen.

Der Hunger stachelte mich zu dem Gedanken an, wie ich mich ihnen nähern konnte. Sie mussten mich und mein Pferd aus der Ferme erspäht haben und waren neugierig herbeigelaufen. Näher mochten sie jedoch nicht kommen und schienen furchtsam und scheu zu sein.

Zwischen ihnen und mir lag die Schlucht. Konnte ich sie jedoch bis an den Rand derselben locken, so kamen sie mir zum Schuss. Ich band mein Pferd wieder an und versuchte alles Mögliche. Ich legte mich im Gras auf den Rücken und bewegte meine Beine in der Luft. Vergebens – das Wild entfernte sich nicht vom Rand des Sees.

Da fiel mir ein, dass meine Decke eine lebhafte Farbe hatte. Ich nahm sie und band sie mit einem Ende an den Ladestock meiner Büchse, nachdem ich denselben durch den obersten Ring des Gewehrs gesteckt hatte. Mit dem Daumen der linken Hand hielt ich den Ladestock fest, kniete nieder, lehnte die Flinte an die Schulter und bedeckte mich vollkommen mit der bunten Decke, die sich ihrer ganzen Länge nach ausbreitete. Ich wusste, dass, wenn ich das Wild verscheuchte, ich nicht nur mein Frühstück, sondern auch wahrscheinlich mein Leben verloren habe. Dabei hatte ich mich mit der größten Stille und Vorsicht bis an den Rand der Schlucht geschlichen, um den Antilopen so nahe wie möglich zu sein.

Nach kurzer Zeit sah ich zu meiner Freude, dass die Tiere in die Falle gingen. Die meisten Antilopen zeigen eine besondere Neugier. Gegen einen bekannten Feind außerordentlich scheu, verbannt doch dieses Tier seine Furchtsamkeit in der Nähe eines neuen Gegenstandes. Die Neugier überwindet die Furcht und es kommt jeder fremden Gestalt nahe, um sie genau zu betrachten. Diese Schwäche der Antilopen benutzt auch der Präriewolf, der sogar den Fuchs an Schlauheit übertrifft. Der Präriewolf, weniger schnell als die Antilope, würde sie vergeblich verfolgen, wenn er nicht den Mangel seiner Schnelligkeit durch schlaue List ersetzte. Er legt sich, wenn zufällig eine Herde Antilopen vorüberkommt, glatt auf das Gras, rollt sich zu einer Kugel zusammen und wälzt sich so lange hin und her, bis er seinem Opfer allmählich so nahe gekommen ist, um einen Sprung wagen zu können.

Die bunte Decke übte bald ihre Wirkung aus. Die fünf Antilopen trabten bis an den Rand des Sees, hielten an, betrachteten sie einen Augenblick und flüchteten dann wieder eine Strecke zurück. Dann machten sie kehrt und kamen mit größerem Zutrauen und vermehrter Neugier wieder zurück. Man konnte ihr Schnauben hören, als sie den zierlichen Kopf zurückwarfen. Da sie einen sehr feinen Geruch haben, so würden sie mich gespürt haben, wenn nicht zum Glück der Wind gerade auf mich zugeweht hätte.

Der Trupp bestand aus einem jungen Bock und vier Weibchen. Unter den Antilopen haben die Männchen gewöhnlich ein zahlreiches Gefolge, und dieses Häuflein war wahrscheinlich nur der Vortrab einer größeren Familie. Der Bock war durch seine ziemlich großen, gabelförmig gespaltenen Hörner von den Weibchen zu unterscheiden. Er leitete und bewachte die Übrigen, die in einer Reihe hinter ihm herfolgten.

Das zweite Mal kamen sie mir bis auf zweihundert Schritte nahe. Da meine Büchse so weit reichte, schickte ich mich an, zu feuern, und wählte den nächsten, den Bock, zu meinem Opfer. Ich zielte und feuerte. Nachdem der Rauch verflogen war, sah ich zu meinem Vergnügen den Bock auf der Steppe liegen und zum letzten Male zucken. Zu meinem Erstaunen war keines der übrigen Tiere durch den Knall verscheucht worden. Sie standen nur verwirrt und betrachteten ihren gefallenen Führer. Während ich im Begriff war, wieder zu laden, sprang ich unvorsichtigerweise auf und zeigte den Antilopen meine Gestalt. Daraufhin erschraken die Tiere mehr als durch den Knall der Büchse und den Fall ihres Gefährten. Blitzschnell drehten sie sich um und flogen davon, sodass sie in wenigen Minuten meinen Blicken entschwunden waren.

Ich überlegte, wie ich über die Schlucht kommen sollte. Das lockende Wildbret lag jenseits. Glücklicherweise entdeckte ich bald einen Weg, der, wenngleich mit großer Anstrengung, erklettert werden konnte.

Ich untersuchte noch einmal, ob mein Pferd mittels des Lassos angebunden war, legte dann die Büchse auf meine Schlafstätte und begann, nur mit einem Messer bewaffnet, die Schlucht zu erklettern. Das Gewehr hätte mich beim Klettern nur gehindert. Auf dem Grund der Schlucht angelangt, schickte ich mich an, die steilere Seite hinaufzusteigen, wobei mir die Zweige der zwischen den Felsen wachsenden Zwergzedern Beistand leisteten. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, dass die Erde auf den Vorsprüngen von Füßen zerwühlt und der Festen stellenweise zerkratzt war. Der Weg musste also schon früher von Menschen oder Tieren benutzt worden sein. Dieses Zeichen erweckte nur auf einen Augenblick mein Nachdenken, denn ich war zu hungrig, um meine Gedanken auf etwas anderes als das Essen zu lenken.

Ich erreichte endlich den jenseitigen Rand der Klippe, kletterte auf die Steppe hinaus und stand bald neben der Antilope. Ich zog das Messer und machte mich wie ein Fleischer an die Arbeit.

Man glaube nicht, dass ich mich nach etwas umsah, um ein Feuer anzuzünden und das Fleisch zu kochen. Ich verzehrte mein Frühstück roh, und selbst der Verwöhnteste, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre, würde dasselbe getan haben. Erst nachdem ich den ersten Hunger durch die Zunge des Gabelhorns und durch ein paar Rippenstückchen befriedigt hatte, bedachte ich, dass das Wildbret durch Rösten schmackhafter werden könnte. Als ich im Begriff stand, zur Schlucht zurückzukehren, um einige Reiser von den Zwergzedern zusammenzulesen, fielen meine Augen auf etwas, das plötzlich alle Gedanken an Kochen verscheuchte und mich mit Schrecken erfüllte. Es war ein großes Tier, in dem ich sogleich das furchtbarste aller Steppengeschöpfe erkannte – den grauen Bären.