Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Freibeuter – Die Flucht

Der-Freibeuter-Zweiter-TeilDer Freibeuter
Zweiter Teil
Kapitel 12

Zum Erstaunen der beiden Damen stieg er, frei von Schwäche, aus der Sänfte und ging in das Haus. Er schien die beiden Freundinnen nicht zu bemerken, aber seine dunklen Augen glänzte von unheimlicher Glut. Christine wollte ihm Trostworte sagen, aber er unterbrach sie mit Heftigkeit: »Kein Wort von dieser Sache, wenn ich Sie bitten darf, teure Christine! Es wird, es muss sich ausgleichen. Sei es, wie Gott will. Es wird sich finden.«

Christine erschrak vor diesen Worten.

Friederike aber rief: »Palmerston, Sie sind in dieser Stunde zum Manne gereift. Jetzt handeln Sie und vertrauen Sie Ihrem Genius.«

»So sei es!«, sprach er und reichte ihr die Hand. Es war nicht zu verkennen: Er hatte seinen Entschluss gefasst.

Darauf bat er die Damen, ihn allein zu lassen, und setzte sich nieder, um zu schreiben. Dies alles erfüllte Christines Seele mit Angst. Der Gedanke an Selbstmord überschattete wie eine schwarze Wolke ihre Seele. Obgleich sie mit Friederike gegangen war, so konnte sie diese doch nicht weiter als ins Vorzimmer bringen. Von dort aus lauschte sie durch die Türspalte von Minute zu Minute nach dem Geliebten. Aber er schrieb emsig, bis er der Macht der über ihn stürzenden Gefühle erlag und mit dem Kopf auf den Tisch lehnte. Christine eilte ihm zu Hilfe. Er verlangte ein Stärkungsmittel, und als er dasselbe zu sich genommen hatte, erholte er sich, dass er weiterschreiben konnte. Im Vorzimmer wurde eine Stimme vernommen. Es war ein Kammerdiener des Vizestatthalters. Dieser ließ seiner Tochter den Befehl zukommen, unverzüglich in die Stadt zurückzukehren und nicht ferner Gemeinschaft mit einem Mann zu pflegen, welcher im Angesicht des ganzen Hofes so beispiellos prostituiert worden sei. Friederike ließ ihrem Vater sagen, sie werde nicht in die Stadt kommen, sondern einem Unglücklichen, den Hass und Bosheit verfolgten, ihren Beistand angedeihen lassen.

Palmerston hörte diese Unterredung mit an, deren Resultat wieder einen Lichtstrahl in seine Seele warf.

Gegen Abend erschien ein Bote der Königin im Gartenhaus, mit dem Befehl an Christine, unverzüglich vor der hohen Herrin zu erscheinen. Sie schauderte. Daran hatte sie noch nicht Zeit gehabt zu denken, dass sie die Sklavin einer gekrönten Frau sei. Sie zauderte, sie schwankte. Dem Befehl nicht Folge leisten, hieß sich augenblicklich lossagen von allen gesellschaftlichen Verbindungen in Kopenhagen, selbst das Haus ihres Pflegevaters verschloss sie sich. Und dennoch wollte sie den Geliebten nicht verlassen und lieber alles opfern. Friederike riet ihr zu gehen.

»Ich weiß, was meiner harrt«, sagte das Fräulein von Ove, »die Königin wird mich mit unbegründeten Vorwürfen überhäufen, auf die ich nichts erwidern darf. Sie wird mir zur Strafe eines mir angedichteten Vergehens einige Tage Zimmerarrest anbefehlen lassen. Sie wird mich, weil ich einen so öffentlichen

Skandal veranlasst habe, degradieren. Sie wird mein Herz von dem seinen reißen und mich zwingen wollen, ihn nie wieder zu sehen, und wer weiß, ob nicht ein langes Gefängnis meiner harrt, wenn ich nur Miene mache, mich nicht willig und gehorsam in diese Machtgebote zu fügen.«

»Sie werden dir vielleicht noch Schlimmeres antun«, versetzte Friederike ernst, »denn was erlauben sich diese Erdengötter nicht? Aber du kannst ihrer doch hohnlachen, denn sieh doch die ohnmächtige Götterschaft! Ihn können sie nicht aus deinem Herzen reißen, den Frühling deiner Seele nicht verderben. Geh getrost. Ich sorge für dich! Lass mich in dieser Nacht überlegen, was in unserer Lage zu tun ist. Wenn alle Ankertaue reißen, eins hält: wir fliehen mit ihm nach Schweden; König Karl ist Ankergrund, unser Fels, auf ihn dürfen wir vertrauen. Bist du morgen früh nicht zurück, so nehme ich an, dass du Arrest bekommen hast, dann werde ich dem Kronprinzen ein Wörtchen ins Ohr flüstern, das dich schnell von der gnädigen Strafe der guten Königin befreien soll. Der Knabe soll selbst zu seiner Mutter laufen und um deine Befreiung winseln.«

»Um Gotteswillen! Du wirst doch nicht sein Geheimnis verraten?«, rief Christine in neuer Angst. »Sorge nicht, Mädchen, das kommt über meine Lippen nicht! Geh und vertraue mir! Du bist unfähig zu denken und zu handeln, lass es mich für dich tun!«

»Er soll entscheiden!«, sagte Christine entschlossen.

Drauf ging sie in des Lords Zimmer, überbrachte ihm den Befehl der Königin und bat ihn, ihr zu sagen, was sie tun solle.

»Geh, ich bitte dich!«, versetzte er mild, »es ist bester für uns alle. Wäre ich in diesem Augenblick nicht aller Mittel beraubt, so würde ich sagen, geh nicht. Doch ein unseliger Fluch hängt über meinem Haupt. Geh, ich bitte dich!« Wehmut erstickte seine Stimme. Er umarmte und küsste sie. Er musste sich abwenden, um Herr seiner Rührung zu werden.

»Friederike!«, rief die Scheidende, »dir gebe ich die Seele meines Lebens in die Hand. Wahre sie wohl! Ich beschwöre dich!«

»Geh ruhig, ich werde für dein Bestes sorgen.«

»Ach, ich kann nicht ruhig gehen! Böse Ahnungen martern mich, als sollte ich ihn nie wiedersehen.«

»Der Himmel wird alles lenken. In außerordentlichen Fällen bedarf es außerordentlicher Kräfte, um richtig zu handeln. Die Kräfte gibt Gott, beides zum Handeln und zum Dulden. Wenn dir die Ersteren versagt bleiben, so bitte demütig um die Letzteren Bete und du wirst ruhig werden!«

»Ich will’s!«, sagte Christine. Noch einmal umarmte sie den teuren Mann. Dann riss sie sich los und stürzte lautweinend aus dem Zimmer. Friederike begleitete sie zum Wagen. Als sie wieder ins Haus trat, entfernte sie die Diener aus der Nähe der Zimmer des Lords. Dann trat sie hinein.

»Was gedenken Sie zu tun, Major?«, fragte sie mit Nachdruck.

»Was raten Sie mir, Fräulein?«

»Mich müsste alles täuschen, wenn unsere Gedanken sich nicht begegneten. Sie wollen in dieser Nacht fliehen, und ich lobe Sie darum, und wenn Sie nicht wollen, so rate ich es Ihnen.«

»Sie haben es erraten. Die Sonne des beginnenden Tages darf mir nicht mehr an der dänischen Küste scheinen.«

»Ihre Flucht allein löst die Verwirrungen, die der heutige Tag am Hof als auch in unserem Haus geschlungen hat. Doch wohin gedenken Sie?«

»Wohin anders als nach Schweden? Mein unseliges Schicksal hat mich, mir die Aussicht auf die Ruhe des häuslichen Glücks missgönnend, mit gewaltiger Hand gefasst und wieder in den Strudel geschleudert. Hier ist nicht von Widerstand die Rede. Ich bin gebrandmarkt, ich, von einem Königssohn!«

»Gehen Sie mit Gott! Meine Wünsche begleiten Sie. Wäre es nicht Schande, zur Verräterin am Vaterlande zu werden, auch ich würde dem König von Schweden meine Dienste anbieten. Doch Friederike von Gabel will nicht eine Ahnung von Schande auf sich laden. Deshalb frage ich Sie nicht, was Sie tun werden? Noch eine Bitte habe ich an Sie. Nehmen Sie diese Gabe der Freundschaft. Ihre Benutzung wird Ihnen schneller von dannen helfen.«

Mit diesen Worten drückte sie ihm ein Kästchen in die Hand. Es war voll Gold und Diamanten, Friederikes Schmuck. Er nahm es ohne Weigerung.

»Ich erkenne Sie immer mehr, Friederike!«, sagte er schmerzlich bewegt. »O hätte Ihr Herz für mich schlagen können!«

»Lassen Sie das!«, versetzte sie mit zitternder Stimme. »Mein Herz bewahrt seine Liebe heilig. Viellesicht wenn es ihn nicht kennengelernt hätte! O wenn Sie ihn sehen – er ist jetzt der Gatte eines Weibes, das ihn nicht zu würdigen versteht – so drücken Sie ihm die Hand stumm und innig, aber sagen Sie ihm nichts von mir.«

Palmerston würdigte ihren Schmerz.

»Für Kleider zur Flucht werde ich sorgen. Bereiten Sie sich vor, in einer Stunde abzugehen.«

»Ach, Christine!«

»Ich werde sie trösten und ihr das Unvermeidliche dieses Schrittes beweisen. Sie kann Sie unmöglich den Misshandlungen meines Vaters bloßstellen!«

»Ich habe ihr alles geschrieben. Geben Sie ihr den Brief.«

Das Fräulein ging und der Lord packte. Ehe die Nacht dunkelte, hielten zwei Pferde vor dem Haus. Palmerston, in bürgerlicher Kleidung, küsste Friederike die Wange und schwang sich auf das eine. Ein Reitknecht bestieg das andere. Kaum war er aus dem Haus, als eine Abteilung Soldaten dasselbe umzingelte, um ihn auf Befehl des Königs ins Gefängnis zu führen. Hohnlachend trat ihnen Friederike entgegen. Das Haus wurde durchsucht.

Der Flüchtling verschaffte sich ein Boot. Ehe der Morgen dämmerte, stand er an der schwedischen Küste.