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Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande 27

Friedrich Gerstäcker
Fritz Wildaus Abenteuer zu Wasser und zu Lande
Kapitel 27

Fritz findet eine Menge alter Bekannter und neue Abenteuer

Der Leser muss nun mit mir einen Zeitraum von fünf Jahren überspringen, in denen Fritz als Aufseher einer großen Zuckerplantage am Atchafalaya River – einer Art vorzeitiger Ausmündung des Mississippi in den Golf von Mexiko – eine förmliche Lehrzeit des südlichen Pflanzerlebens bestand und sich außerordentlich gut darauf vorbereitete, später ein ähnliches Besitztum auch selber verwalten zu können. Geld allein macht nämlich nicht durch sich selbst schon befähigt, einen Posten auszufüllen. Man muss sich auch die Kenntnisse dazu erwerben, in einem Stand wie in dem anderen. Will besonders ein Gutsbesitzer sich nicht ganz allein auf seine Leute, Verwalter und Inspektoren verlassen, in deren Hände er dann gegeben ist, ob sie es redlich mit ihm meinen oder seine Besitzungen nach und nach zu Grunde gehen lassen, so muss er selber die Sache gründlich verstehen, zu diesem Zweck von der Pike auf gedient und alles, selbst das Unbedeutendste, auch selber gelernt haben. Nachher kann er sagen, dass er unabhängig in der Welt dastehe und den Platz auszufüllen imstande ist, auf den ihn Umstände oder sein freier Wille gestellt haben. Der Handwerker muss erst Lehrling, der Schiffskapitän erst Junge und Matrose gewesen sein, und wer diese ersten Stufen als unnötig überspringt, muss nicht selten wieder zurück und auf seine alten Tage von vorn anfangen – oder dafür büßen.

Fritz war dabei klug genug gewesen, keinem Menschen zu sagen, dass er wirklich ein Kapital zu seiner Verfügung habe und eine Plantage selber kaufen wolle. Es wäre ihm sonst bald diese, bald jene angepriesen worden und er würde nie gewiss gewusst haben, ob es die Leute ehrlich mit ihm meinten, oder ob sie nur ihr Land für gutes Geld loszuwerden wünschten. So kam es, dass er nach fünf Jahren, zwischen dem Atchafalaya River und der Mündung des False River in den Mississippi einen Zeitpunkt benutzen konnte, wo einer der Pflanzer seine ganze Plantage, die er als gut und wertvoll kannte, mit einer kleinen Anzahl Schwarzer billig verkaufen musste- Fritz Wildau fand sich am nächsten Tag auf seinem eigenen Grund und Boden als wirklicher Besitzer einer nicht unbedeutenden, aber sehr vernachlässigten Zuckerplantage, die er selber bewirtschaftete, und die ihm schon nach dem ersten Jahr versprach, bald wieder den Nutzen zu gewähren, den der vorige Besitzer bei einem wüsten Leben und gänzlicher Nichtbeachtung seiner Pflichten rein aus dem Fenster geworfen hatte.

Es war im Juni des zweiten Jahres, in welchem Fritz die Bewirtschaftung seiner eigenen Plantage angetreten hatte, als er eines Tages von Geschäften zurückkehrte, die ihn nach Bayou Sarah, einem Pointe Coupée gegenüberliegenden Städtchen gerufen und im Ferry-Hotel von Pointe Coupée, wo auch die nach Bayou Sahrah hinüberfahrende Dampffähre landete, zu übernachten beschloss, um einen Geschäftsfreund zu erwarten, der mit dem Postboot von New Orleans an diesem Abend hier eintreffen sollte.

Im Hotel war reges Leben. Aus dem Innern des Landes, von irgendeiner Bayou her, die sich in den Red River ergießt, waren, von einem Schwarzen und einer Mulattin begleitet, zwei Damen angekommen, mit dem morgendlichen Mail- oder Postboot nach New Orleans hinunter zu gehen. Die Leute im Hotel schienen sie zu kennen und sprachen viel über den Reichtum der alten Witwe, die Louisiana wieder verlassen und nach den nördlichen Staaten zurückkehren wollte.

Fritz saß am Tisch, sein versäumtes Mittagessen nachzuholen, den Rücken der Tür zugekehrt und achtete wenig auf das für ihn kein Interesse habende Gespräch, konnte aber auch nicht vermeiden, jedes Wort zu hören, was die eben eingetretenen Männer miteinander sprachen, die sich an eines der vorderen Fenster postiert hatten, die junge Dame vorbeipassieren zu sehen.

»Nicht so reich, Sir?«, sagte der Barkeeper, ein junger Kreole, auf eine hingeworfene Bemerkung eines der Fremden, »nicht so reich? Ich versicherte Sie, der alte Herr hatte schon ein tüchtiges Kapital, als er vor acht Jahren etwa hier herunter nach Louisiana kam. Dann kaufte er Du Plessis Grundstück am False River, das er nach zwei Jahren wieder verkaufte und Gott weiß wie viel tausend Taler dabei verdiente. Dabei hat er unter der Hand und ohne dass seine Frau, die es nicht leiden wollte, etwas davon erfuhr, einen Sklavenhandel getrieben, der ihm fast jede Woche ein Kapital einbrachte und mit den drei Plantagen, die er später an der Bayou Opelousa kaufte und die jetzt seine Witwe an eine französische Compagnie für bare gute Louisiana-Banknoten wieder verkauft hat, muss sie beinahe eine halbe Million in dem kleinen Kästchen halten, was der Sklave fortwährend hinter ihr herschleppt. Nicht reicht?«, setzte der junge Bursche dann noch, wie mit sich selber redend und ordentlich verächtlich hinzu. »Ich wünsche nur, ich könnte den alten Wolfram beerben, ich wollte Euch erzählen ob ich reich wäre oder nicht.«

»Wolfram?« Fritz legte Messer und Gabel nieder und schaute sich nach dem gesprächigen Kreolen um, den er anrief. Dieser hörte und sah aber nicht und war so in Eifer über den bestrittenen Reichtum des halben Millionärs geraten, dass Wildau das Glas mit seinem Messer berühren musste.

Wie der Müller aufwacht, wenn das Rad seiner Mühle stockt, wie der Jäger der westlichen Wälder durch einen Donnerschlag nicht erweckt wird, aber den schleichenden Tritt des Wolfes im dürren Laub hört, so zuckt einem Kellner der Ton von Metall- und Glas wie ein elektrischer Schlag durch den Körper. Und wenn er in irgendeiner Aufregung nichts weiter hört noch sieht, der ruft ihn mit Blitzesschnelle zu seiner Pflicht zurück.

»Kellner«, sagte Wildau zu dem rasch herbeispringenden dienstbaren Geist. »Was ist das für ein Wolfram?«

»Von New York, Sir.«

»Staat oder Stadt?«

»Sir?«

»Ob er aus dem Staat New York oder der Stadt selber ist?«

»Ich kenne nur eine Stadt, Sir.«

»Ah so – können Sie mir die Vornamen der beiden Damen verschaffen?«

»Jawohl, Sir, sogleich – nichts leichter als das, stehen beide auf den Koffern – die junge Dame heißt Helene, aber die Alte …«

Fritz Wildau fühlte, wie ihm das Blut in die Schläfe schoss und er sprang auf, dass der Kreole sein Erröten nicht bemerken sollte.

Also der alte Wolfram tot! Sein erstes Gefühl war hinaufzuspringen, wo sich die Damen aufhielten und sie als alte Bekannte und Freunde zu begrüßen. Aber schon auf dem Weg kam ihm die Furcht, dass sie jetzt reich, sehr reich geworden seien und ihn vielleicht höflich, aber nicht herzlich empfangen würden. Es war das die letzte Hoffnung, die er noch aus der Kinderzeit mit sich herübergetragen hatte. Sollte er sich die mutwillig zerstören?

Da fiel ihm ein, dass er sich ja in den letzten neun Jahren so gewaltig verändert habe, um kaum fürchten zu dürfen, von Leuten erkannt zu werden, denen er doch eigentlich immer nur ein Fremder gewesen war. Er beschloss, sie erst morgen früh, oder vielleicht heute Abend bei Tisch vor allen Dingen einmal zu begrüßen, ohne sich zu erkennen zu geben und dann das Gespräch auf ihren früheren Aufenthalt am Hudson zu bringen. Vielleicht, dass sie seiner da freundlich gedachten, dann war es immer noch Zeit vorzutreten und zu sagen, das bin ich selber! – Der blondhaarige, blauäugige, zarte Knabe, der den Norden als arme Waise verließ, ist jetzt zum dunkelhaarigen, bärtigen und kräftigen Mann herangewachsen, aber sein Herz ist immer dasselbe geblieben und hat Euch noch nicht einen Augenblick vergessen in all der langen, langen, traurigen Zeit – Und gedachten sie seiner nicht – dann nahm er am nächsten Morgen freundlich Abschied von ihnen, wie man ihn eben von Fremden nimmt, die man unterwegs getroffen hatte. Wie ihm selber auch dabei zu Sinne sein mochte – die Fremden sollten das im Leben nicht erfahren.

Mit diesem Entschluss trat er in den Garten, teils sich zu zerstreuen, teils die Ankunft des Postbootes, das um diese Zeit etwa eintreffen musste, zu erwarten.

Vor dem Ferry Hotel stand ein hoher gewaltiger Chinabaum, in den ein früherer Besitzer einen Sitz gebaut und eine schmale Treppe hinauf geführt hatte.

Dicht darunter hin lief das Gartenstaket, und die dichtbelaubten und mit duftigen Blütentrauben schwerbehangenen Zweige bildeten besonders zur Straße, die am Mississippi hinlief, eine so engverwachsene Wand, dass man von dort aus niemanden in dem Baum erkennen und wenn man die im Gebüsch versteckte Treppe nicht kannte, auch darin vermuten konnte.

In diesen Baum kletterte der junge Mann, denn er gewährte ihm gerade nach Süden hinunter die Aussicht auf eine freie Stelle im Strom, die das Dampfschiff passieren musste. Aber das Postboot kam heute entsetzlich spät und die Dämmerung brach ein, ja die Leuchtkäfer fingen schon an zwischen den tausend Blüten des Baumes zu funkeln und herüber und hinüber zu schießen. Noch saß Wildau dort oben auf seinem reizenden Sitz, in einem Halbtraum dem Rauschen des gewaltigen dicht an ihm vorbeirollenden Stromes und dem Flüstern des Blütenbaumes zu lauschen.

Leise flüsternde Stimmen dicht unter ihm brachten ihn erst wieder vollständig zu sich selber. Er erhob sich langsam, die Treppe niederzusteigen und in das Haus zurückzugehen, in welchem schon die erste Glocke für das Souper geläutet wurde, als die eine Stimme des unten Sprechenden ihn stutzig machte und er, dieser horchend, auch die Worte verstehen musste.

»Eine halbe Million? – Unsinn!«, brummte der eine der Untenstehenden.

Fritz griff an seine Stirn, die Laute jener Stimme aus alter, halbvergessener Zeit wieder heraufzubeschwören. Wo hatte er die schon gehört und weshalb griff ihm der Ton so wunderbar beängstigend ans Herz?

»Und ich sage dir, dass es wahr ist«, erwiderte der andere Sprechende, in dem er den Mann aus dem Gastzimmer zu erkennen glaubte, mit dem sich der kleine Kreole unterhalten hatte. »In dem Kästchen, das der Diener hinter seiner Herrin drein schleppt, sind die Banknoten, und morgen früh mit dem Postboot wird uns die ganze Bescherung wieder entführt, dass wir das reine Nachsehen haben. Solche Gelegenheit kommt im Leben nicht wieder und wir wären alle gemachte Leute!«

»Alle Wetter!«, sagte da der Erste wieder mit leiser, halbunterdrückter Stimme.

Fritz hätte zu den Tönen schwören wollen, dass sie einem alten Bekannten gehörten. »Wenn dem so ist, wär ich der Letzte, der Nein sagte zu einem guten Unternehmen. Wer schläft die Nacht im Haus?«

»Niemand, dem wir nicht mit unserer Bootsmannschaft gewachsen wären«, lautete die befriedigende trotzige Antwort. »Die Sklaven liegen alle im Hintergebäude und brauchen bis Morgen früh nichts von der ganzen Geschichte zu erfahren. Wir können uns aber noch selber überzeugen. Komm mit mir hinein zum Essen, nachher magst du …«

Im Haus ging in diesem Augenblick eine Tür, und die Straße herauf kamen Leute. Die beiden Männer traten deshalb rasch in die Gartenpforte und die leise geflüsterten Worte, die sie noch zusammen wechselten, konnte Wildau nicht mehr verstehen. Mit dem Bewusstsein aber, dass den Frauen eine Gefahr drohe, die er noch vielleicht imstande sei, von ihnen abzuwenden. Aber selber noch nicht mit sich einig wie, da er die Größe derselben auch nicht einmal zu übersehen vermochte, verließ er, als er sich überzeugt hatte, dass niemand weiter in der Nähe des Baumes war, sein Versteck und ging vor allen Dingen an das Ufer des Stromes, um zu sehen, ob ein Boot oder sonstiges Fahrzeug dort in der Nähe läge und welcher Art es wäre. Er konnte aber nichts erkennen als ein gewöhnliches großes und unbehilfliches Flatboot, in denen die Farmer der nördlichen Flussstrecken ihre Produkte nach dem Süden hinunterführen und das gewöhnlich drei oder vier der Leute selber, mit einem dazu gemieteten Lotsen, einfach der Strömung folgend hinunternehmen, ihre Waren in den unteren Städten, das Boot selber verkaufen und dann mit Dampfbooten in ihre Heimat zurückkehren. Sollten die Männer, die er unten gehört hatte, zu dem gehören?

Von Bayou Sarah herüber kam die Fähre. In der Aufregung dieser neuen Entdeckung hatte er ganz die Ankunft des Postbootes überhört, das in dem gegenüberliegenden Städtchen gelandet war. Er ging an das Ufer, den erwarteten Freund zu empfangen und zu begrüßen.

Es war dies ein junger reicher Irländer, namens Mac Neal, der ebenfalls beabsichtigte, in dieser Gegend Land zu kaufen und nun heraufkam, um einige Wochen auf Wildaus Plantage zu ziehen, die verschiedenen Pflanzungen sowie die ganzen Verhältnisse vorher kennenzulernen. Die Fähre hatte aber kaum das dort zum Landen bestimmte, mit Planken überdeckte Boot berührt, als es drin im Hotel zum zweiten Mal zum Essen läutete. Die beiden Freunde schritten rasch hinauf, nicht zu spät zu Tisch zu kommen. Wildau hatte im Hotel Pferde stehen, nach dem Essen noch, wie es früher verabredet worden, nach Hause zu reiten. Wenn er auch jetzt allerdings beabsichtigte, im Ferry-Hotel oder wenigstens in dessen Nähe zu bleiben, bis er die beiden Damen in Sicherheit wusste, hütete er sich doch wohl, die Pferde abzubestellen, damit jene Männer, die irgendeinen bösen Plan gegen das Eigentum der Fremden im Schilde führten, nicht etwa veranlasst wurden, größere Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Er war jetzt nur noch neugierig, das Gesicht des einen zu sehen, den er unten am Garten vorher hatte reden hören. Sein Blick überflog, als er den Speisesaal betrat, rasch den Raum, irgendwo bekannten Zügen zu begegnen.

In diesem Augenblick sah er die fremden Damen durch die gegenüberliegende Tür eintreten. Alles andere um sich her vergessend, wäre er fast auf sie zugeflogen, ihnen die Hand entgegen zu strecken und zu rufen – ach nein, das ging ja nicht vor all den fremden Menschen – und wer weiß, wie sie ihn aufgenommen hätten.

Aber wie schön und groß war Helenchen geworden. Er hätte sie fast gar nicht wiedererkannt, wären es nicht noch ganz die alten treuen Augen geblieben, mit denen sie als Kind in die seinen geschaut und die das letzte Mal, als er sie sah, voll Tränen hingen, weil sie einander nicht wiedersehen sollten.

Er wollte doch sehen, ob sie ihn kennen würden und nahm mit Mac Neal ihnen gerade gegenüber seinen Platz ein. Er grüßte hinüber, aber sie dankten ihm wohl höflich, doch durchaus fremd. Helenes Auge haftete einen Moment auf ihm, doch sie erkannte den Jugendgespielen nicht wieder, den der krause braune Bart und das dunkle lockige Haar, wie die sonngebräunten Züge verändert hatten. Wie sollten sie auch überdies in dem Louisiana-Pflanzer den armen Farmerknaben vermuten, der vor langen Jahren nur in Dienst irgendwo gegangen war und nichts wieder hatte von sich hören lassen.

»Bitte um das Brot da drüben, Mister«, sagte da eine Stimme an seiner Seite.

Als er rasch den Kopf dorthin wandte, hätte er fast einen lauten Schrei der Überraschung ausgestoßen, denn neben ihm saß – nie im Leben hätte er das sonnverbrannte Gesicht mit dem fast wolligen schwarzen Haar, die tief liegenden, lauernden Augen und dem breiten Mund mit den perlreinen Zähnen dahinter vergessen, wäre auch nicht die furchtbare Narbe, die der Bösewicht bei jenem Kampf über die Stirn erhalten hatte, ein noch sicherer Zeuge gegen ihn gewesen – der alte Steuermann der Turteltaube – Blighton. Und das war auch die Stimme, die er vorher im Garten gehört und bei deren Klang ihn die Erinnerung jener furchtbaren Szenen seiner Jugend fast mit der alten Stärke, dem alten Entsetzen durchbebte.

»Möchte um das Brot da drüben bitten, Mister«, wiederholte aber jetzt der Fremde, den der Blick des jungen Mannes genieren mochte, etwas ungeduldig.

Fritz bezwang sich gewaltsam und reichte seinem Nachbar mit einer Entschuldigung das Verlangte. Sein Herz schlug ihm dabei fast hörbar in der Brust, er fühlte wie das Blut seine Wangen verlassen hatte. Wenn aber die Jugendgespielin ihn nicht einmal erkannte, hatte er das kaum von dem Mann zu fürchten, der ihn eben nur kurze Zeit als bartlosen Knaben gesehen und vielleicht kaum noch seiner gedachte. Jetzt aber begriff er aber auch erst vollständig die Gefahr, in der die Frauen schweben mussten, wenn ein solcher Teufel in menschlicher Gestalt seinen Sinn darauf gerichtet hatte, sie zu verderben. Ein Mensch, dem nichts mehr heilig war auf der Welt, der in Blut und Mord seine Lebenszeit verbracht, blieb auch hier zu allein, selbst dem Schrecklichsten fähig. Mit Blitzesschnelle durchzuckte ihn dabei die Erinnerung an das belauschte Gespräch, an die dem Zweck genügende Bootsmannschaft, sodass er nicht mehr zweifeln durfte, diese Verbrecher hätten noch Helfershelfer, sie selbst in einem Überfall des Hauses, wenn es sein musste, zu unterstützen. Mit einem leichten Boot konnten sie dann vor Tag an den pfadlosen Ufern des Mississippi irgendwo im Wald ihre Beute so gut untergebracht haben, dass die ganze, überdies mittelmäßige Polizei des Parish nicht imstande gewesen wäre, sie wieder aufzufinden.

Er bedurfte einer geraumen Zeit sich wieder zu sammeln, und sogar Mac Neal fiel sein zerstreutes Wesen auf. Diesem aber leise ein paar Worte zuflüsternd, bat er ihn, ihm nach Tisch wie zufällig hinaus auf die Veranda zu folgen, weil er ihm etwas mitzuteilen habe, und wandte sich dann wieder zu seinem Nachbar rechts, mit diesem, jetzt völlig gefasst, ein Gespräch anzuknüpfen. Es war das nicht schwer, denn wenn ihn auch sein früherer Steuermann im Anfang etwas misstrauisch betrachtete, schien diesem selber daran gelegen zu sein, sich mit ihm zu unterhalten und, wie Wildau bald bemerkte, ihn auszuforschen, ob er hier übernachten oder noch mit der letzten Fähre nach Bayou Sarah hinübergehen werde. Natürlich bestätigte er ihm, was er auch schon früher wohl von dem Stallknecht erfragt haben mochte, dass er nach Tisch gleich oder wenigstens vor Schlafenszeit noch nach Hause reiten werde und zwar nur einige Meilen den Strom hinauf auf seine Plantage.

»Und der andere Gentleman?«

»Würde ihn begleiten, natürlich – Sie werden Platz genug hier haben«, setzte Wildau lächelnd hinzu.

»O nicht deshalb, Mister, nicht deshalb«, rief der Seemann rasch und legte seinem Nachbar eine seiner breiten riesigen Fäuste auf den Arm, »’s ist nur der Geselligkeit wegen, dass ich frage. Ich sitze nicht gern abends allein in einem Wirtshaus und mein Brandy schmeckt mir noch einmal so gut, wenn ich jemanden habe, mit dem ich trinken kann. Nein Mister – Mister … Wie war doch Ihr Name gleich?«

»Wilder«, erwiderte der junge Mann, und die englische Aussprache des Wortes erleichterte ihm sein Inkognito den Damen gegenüber, da er, so bekannt wie er hier war, keinen falschen Namen hätte nennen dürfen.

»Ah, Mr. Wilder«, setzte der Steuermann zutraulich hinzu, »kannte einen Wilder in Virginia.«

»Meine Familie stammt daher«, bestätigte das der junge Pflanzer, ihn womöglich noch mehr irre zu führen. »Sie kommen wohl den Fluss herunter?«

»Ja, aus dem Norden herunter und will sehen, wie die Geschäfte in New Orleans gehen.«

»Wie viel Tonnen ist solch ein Flatboot wohl imstande zu führen?«, fragte Wildau jetzt, um auf indirektem Wege herauszubekommen, ob Blighton zu dem Boot, was da draußen lag, gehöre und das dann also auch dasselbe wäre, dessen Mannschaft gemeint war.

»Woher wissen Sie, dass ich auf einem Flatboot bin?«, sagte aber dieser, rasch zu ihm aufschauend.

»Erwähnten Sie es nicht selber vorhin?«, fragte Wildau unbefangen, »dann habe ich mich geirrt – so bringen Sie Ihre Waren wohl auf einem Dampfboot herunter?«

»Ich? Nein«, sagte etwas verlegen der Seemann, »ich habe gar keine Waren – was ich ihnen von Geschäften sagte, bezog sich auf etwas anderes. Die Zeiten sind übrigens verdammt schlecht jetzt und man sollte wirklich froh sein, wenn man nichts zu verkaufen hat. Mais bringt das nicht einmal in New Orleans, was er in Ohio kostet. Die armen Teufel von Flatbootleuten möchten wirklich aus der Haut fahren. Aber – apropos«, fuhr er dann etwas leiser und sich zu Fritz hinüberbeugend fort, »was ist das für ein Herr da drüben, gehört der etwa mit zu den Damen?«

»Nein bewahre«, flüsterte der junge Mann zurück, »das ist ein neuer Doktor, der hierhergekommen ist. Der wohnt unterhalb Taylors Plantage.«

»Hier nach unten zu?«

»Ja, – ich glaube, die Damen haben gar keine männliche Begleitung bei sich«, setzte Wildau hinzu, dem daran lag den Buben sicher zu machen.

»Einen Diener ausgenommen«, meinte der Steuermann.

»Ja, einen Schwarzen«, bestätigte der junge Mann, »aber die Damen wollen aufstehen.« Zu gleicher Zeit und fast unwillkürlich erhob er sich ebenfalls, die leise und höfliche Verbeugung der sich entfernenden Frauen zu erwidern.

Sein Nachbar folgte seinem Beispiel und den Spießkameraden, der am Tisch auch nicht ein einziges Wort gesprochen hatte, unter den Arm nehmend, führte er ihn, leise mit ihm flüsternd, dem Schanktisch zu, hinter dem der kleine Kreole wieder Platz genommen hatte, und forderte zwei Brandys für sich und seinen Gefährten.

»Hallo, Mister«, rief er dann, sich seines Tischnachbarn erinnernd, »wollen Sie nicht mit uns trinken? Aber wo steckt er denn, schon hinaus?«

»Mr. Wildau meinen Sie«, fragte der Keeper.

»Wilder, ja, wo steckt er?«

»Ist wohl hinausgegangen, nach seinem Pferd zu sehen«, erwiderte der kleine Kreole. »Wünschen Sie Zigarren?«

»Nein, danke, sagte der Seemann, seinen Kautabak aus der Tasche holend und ein Stück abbeißend. »Apropos, junger Mann«, setzte er dann, zu dem Kreolen gewandt, hinzu, »könnten wir beide wohl hier diese Nacht ein paar Betten bekommen?«

»Ei gewiss, Gentlemen, warum nicht?«, lautete die befriedigende Antwort. »In einem Zimmer?«

»Ja gewiss und am liebsten ein bisschen hoch – wo möglich nicht hier unten«, sagte der Seemann, »die Moskitos sind da oben nicht so arg.«

»Bah, Moskitos«, erwiderte der Kreole lachend. »Sie schlafen ja unter einem Netz. Oben ist auch kein Platz mehr, denn der eine Teil ist noch nicht zu Schlafräumen hergerichtet und den anderen haben die fremden Damen in Beschlag genommen.«

»Und wer schläft noch hier unten?«

»Niemand, Gentlemen – wir drei werden den ganzen unteren Stock allein bewohnen.«

»Aber wo bleiben all die übrigen Leute, die mit uns gegessen haben?«, fragte Blighton noch ungläubig, denn es schien sich in der Tat alles fast zu günstig für seinen Plan zu gestalten, um so unbedingt daran zu glauben. Der Kreole zerstörte aber bald seine Zweifel, denn dessen Bericht nach waren die Gäste sämtlich in der Nähe ansässig und kehrten entweder mit dem letzten Fährboot nach Bayou Sarah zurück oder ritten auf ihre eigenen Plantagen.

»Sie kommen häufig zum Hotel herunter, teils die Neuigkeiten von New Orleans zu hören, teils eine Partie Whist oder Eucre zu spielen und übernachteten nur dann einmal im Hotel, wenn sie das Fährboot verpasst oder so viel getrunken hatten, dass sie sich nicht gut im Sattel halten können.«

Das etwa war der kurze und bündige Bericht, den der Fremde erhielt. Mit der Weisung an den Barkeeper oder Kellner, ihre Betten in Ordnung zu halten, wenn sie wieder zurückkämen, verließen die beiden Männer das Haus und den Garten, an dessen Pforte sie stehen blieben, sich erst kurze Zeit umschauten und dann, als sie niemanden in ihrer Nähe erblickten, über den Fahrweg hinüber dem Ufer des Flusses zuschritten.