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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der wilde Jäger

Die-Geister-Erstes-BuchChristoph Wilhelm Meißner
Die Geister
Erster Band
Berlin 1805, bei Oehmigke jun., überarbeitet 2015

Der wilde Jäger

Es war gerade an einem Fastnachtsabend, als der arme Philip, ein wandernder Schneidergeselle, in der Herberge eines kleinen Ortes ankam. Er machte sich alsbald zum freundschaftlichen Ofen, ließ sich ein Abendbrot auftischen, so gut es hier zu haben war, stützte sich dann auf den Arm, und überdachte mit stiller Wehmut die Zukunft.

Der Wirt, ein gesprächiger Mann, bemerkte kaum die Niedergeschlagenheit seines Gastes, als er sich sogleich zu ihm gesellte, ihn mit manchem munteren Schwank unterhielt und endlich auch auf das so beliebte Kapitel von Geistererscheinungen und Schatzgräberei kam.

»Ich selbst«, fuhr er fort, »weiß einen Ort, wo eine ungeheure Menge Gold und Silber vergraben sein soll, und würde es gewiss auch schon gehoben haben, wenn ich meiner seligen Frau, die nur durch Tränen und Bitten mich bei ihrem Leben davon abgehalten hat, nicht noch auf ihrem Sterbebett, in Gegenwart des Predigers, feierlich hätte versprechen müssen, nie wieder mir so etwas beikommen zu lassen. Hat er indes Luft, mein Freund, einen Versuch zu machen, und wenn dieser gelingen sollte, die Ausbeute mit mir zu teilen, so will ich ihm gern mit Rat und Tat an die Hand gehen und ihn bereitwillig unterrichten, wo er den Schatz zu suchen, und wie er sich bei dem ganzen Handel zu benehmen hat.

Philipp sann lange hin und her. Die Erzählung des Wirts machte ihn lüstern. Aber die Gefahr, die mit dem ganzen Unternehmen verbunden zu sein schien, schreckte ihn wieder ab. Der Wunsch, ein reicher Mann zu werden, behielt endlich, nach mancherlei Kämpfen mit sich selbst, die Oberhand. Er willigte ein und gelobte mit einem Handschlag treu und redlich zu teilen, wenn das Unternehmen nach Wunsch gelingen sollte.

Nun rückte der Wirt mit seinem Geheimnis heraus.

»Eine Stunde von diesem Dorf«, so hub er an, »liegt ein altes, verfallenes Schloss, jetzt der Wohnplatz von Unken, Eulen und Uhus, ehemals die Residenz eines berüchtigten Raubgrafen. Dieser führte ein so schändliches, ruchloses und dabei so verschwenderisches Leben, dass er nach und nach ganz in Verfall kam. Zuletzt geriet er in so armselige Umstände, dass er alle seine Besitzungen verkaufen musste. Jeder Versuch, sich aus seiner Dürftigkeit wieder emporzuschwingen, schlug fehl, und er fasste endlich den Entschluss, sich selbst zu entleiben.

Schon hatte er das Schwert entblößt, um es in sein lasterhaftes Herz zu stoßen, als plötzlich die Tür des verschlossenen Gemachs aufrauschte, und ein Mann in einer goldenen Rüstung hereintrat.

Der Raubgraf erriet den ungebetenen Gast sogleich, warf das Schwert auf den Boden und reichte ihm die Hand.

»Willkommen auf meiner Burg, du Retter in aller Not! Ich bedarf deines Beistandes. Befreie mich von meiner Schuldenlast, und nach zwanzig Jahren bin ich dafür mit Leib und Seele dein!«

»Unterschreib mit deinem Blut in dieses Buch«, brüllte der Satan – denn niemand anderes als dieser selbst war der Unbekannte – mit hohler Stimme, »und der Handel sei geschlossen!«

Der Raubgraf nahm zwar einige Minuten Anstand, sich in das Register der Verdammten einzutragen. Allein der Gedanke, zwanzig lange Jahre von Neuem im Wohlleben zu vergeuden, siegte über den leichtsinnigen Mann, und – er unterzeichnete.

»Wohlan, der Kontrakt ist nun geschlossen. Du erhältst jetzt von mir so viel Geld, wie du brauchst, und bist dafür nach zwanzig Jahren mit Leib und Seele mein Eigentum. Bis dahin lebe wohl!«

So sprach der Böse und verschwand!

Jetzt begann dem Verführten die Tat zu reuen. Allein es war zu spät! Unmöglich war es ihm in diesem Zimmer zu verweilen. Er nahm ein Licht und ging in ein Nebengemach. Zwei große Beutel, mit den schönsten Goldstücken angefüllt, blinkten ihm hier entgegen. Der Glanz des schimmernden Metalls überwand bald seine innere Seelenunruhe. Er bezahlte seine Schulden, lebte wieder herrlich und in Freuden, und fand die ausgeleerten Beutel immer von Neuem gefüllt.

So waren nach und nach neunzehn Jahre verstrichen, ohne dass der Graf nur mit einem Gedanken an den immer näher heranrückenden Zahlungstermin dachte. Allein da das zwanzigste beinahe vollendet war, erinnerte er sich mit Schrecken seiner getanen Zusage. Zwar versuchte er, durch rauschende Vergnügungen sein nagendes Gewissen einzuschläfern, aber das Bild des Bösen verfolgte ihn überall, schreckte ihn sogar in den Umarmungen seiner Buhldirnen auf.

Der fürchterliche Tag, es war eben der Fastnachtsdienstag, brach endlich an Der Graf zitterte vor der Mitternachtsstunde und machte mehr als einen Versuch, sich selbst zu entleiben. Allein keiner gelang ihm. Wollte er sich erhängen, so riss der Strick. Wollte er sich erstechen, so hielt ihm eine unsichtbare Hand das Schwert in der Scheide. Und machte er einen Versuch, sein Leben durch einen beherzten Sprung von den Zinnen der Burg herab zu enden, so fühlte er sich stets von hinten so festgehalten, dass es ihm unmöglich war, sein Vorhaben auszuführen. Dies brachte ihn zur Verzweiflung! Um nicht allein zu sein, lud er eine zahlreiche Gesellschaft zu sich, wo er in der Angst seines Herzens so unmäßig viel trank, dass er bald ohne Sinn und Verstand zu Boden sank und in sein Gemach gebracht werden musste.

»Unterdessen vertrieben sich die Gäste die Zeit mit essen, trinken und mancherlei Kurzweil bis zur Mitternachtsstunde, als sie mit einem Mal auf eine schreckliche Art in ihrer Freude gestört wurden.

Es erhob sich ein gewaltiger Sturmwind. Die Grundfesten der Burg erzitterten, die Scheiben sprangen, und die Lichter erloschen. Alle, bis auf einen einzigen Wagehals, schlichen still davon. Dieser stellte sich mit blankem Schwert vor dem Eingang des Vorsaals, um abzuwarten, wie alles das sich enden würde. Plötzlich vernahm er von dem Schlafzimmer des Burgbesitzers her ein Getöse und Gerassel, das dem Geräusch am Boden geschleifter Ketten glich, und so lange anhielt, bis die Glocke zwölf schlug. Der Sturm erhob sich von Neuem, und es schien, als ob das ganze Gebäude zusammenstürzen würde.

Gegen Morgen wagte er es endlich, begleitet von einigen Hausleuten des Grafen, dessen Schlafzimmer zu öffnen. Welch ein Anblick! Entseelt lag er auf dem Boden, sein ganzer Körper war zerfleischt, und die Zunge hing ihm weit zum Hals heraus.

Jetzt war es allen klar, woher der Unglückliche sein Vermögen erhalten hatte, und niemand zweifelte, dass sein Schatzmeister sein Unterpfand in Empfang genommen habe.

Sein Leichnam wurde zwar in der Stille zur Erde bestattet. Allein die Seele schwärmt noch bis auf den heutigen Tag unstet umher.

Der Fastnachtsabend ist die gewöhnliche Zeit, wo sie sich in einem zahlreichen Gefolge von geharnischten Rittern und Hunden sehen und hören lässt.

Der folgende Besitzer der Burg ernährte sich, wie sein Vorgänger, von Rauben und Plündern, bis Kaiser Maximilian endlich diesem Unfug ein Ende machte, das Schloss mit Heeresmacht belagerte, es endlich eroberte, und gänzlich zerstörte. Allein vorher vergrub der Belagerte alles geraubte Gold und Silber, damit es dem Feind nicht in die Hände fallen sollte, und bis jetzt hat man noch nichts davon wieder finden können.

Seit mehreren Jahren erst bemerkt man am Fastnachtsabend, wo der wilde Jäger seinen Umzug hält, um die Mitternachtsstunde in jener Gegend ein brennendes Licht, woraus deutlich erhellt, dass der Schatz nunmehr reif sei, um gehoben werden zu können. Schon mancher Wagehals hat es versucht, sich desselben zu bemächtigen. Noch ist es aber bis jetzt keinem gelungen, weil keiner imstande war, die dabei erforderliche Bedingung zu erfüllen.«

»Und diese ist?«, fiel Philipp hitzig ein.

»Derjenige, welcher eines guten Erfolges gewiss sein soll«, entgegnete der Wirt, »darf, nach der Aussage aller, die das wichtige Werk zu unternehmen gedachten , während der ganzen Handlung, es mag ihm auch begegnen, was da will, nicht den geringsten Laut von sich geben. Ein Ritter in einem glühenden Harnisch, welcher den Zug anführt, ladet alle diejenigen, welche er in seiner Wohnung findet, zur Hebung des Schatzes ein, und zeigt ihnen sodann den Ort, wo sie nachgraben sollen. Dabei leistet er selbst hilfreiche Hand und hebt den eisernen Kasten, der all die Herrlichkeiten einschließt, eigenhändig aus der Grube. Für seine Mühe verlangt er bloß einen Handschlag. Wird ihm dieser verweigert oder verrät der Beschenkte nur durch einen Laut, dass ihm der Händedruck zu warm sei, so verschwindet alles augenblicklich, und der Getäuschte erhält nie wieder eine zweite Einladung. Dieser Handschlag nun ist die Klippe, an der alle scheiterten. Doch, weiß er was, ich besitze eine Salbe, welche die wunderbare Eigenschaft hat, dass denjenigen, welcher sich damit wäscht, die heftigste Feuerflamme unversehrt lässt. Diese will ich ihm geben, da er so uneigennützig ist und mir versprochen hat, gewissenhaft mit mir zu teilen. Aber noch muss er wissen, dass die Salbe nicht länger als eine Stunde wirkt. Er darf sich also durchaus nicht früher damit waschen, als kurz vor Mitternacht!«

Der Wirt trat nun vor ein kleines Schränkchen, öffnete es und brachte ein versiegeltes Büchslein hervor.

»Hier«, fuhr er fort, »nehm er diesen Wunderbalsam und vergess er sein Versprechen nicht! Sein Reisebündel verbürge mir einstweilen seine Rückkehr!«

Mit Spaten und Hacke auf dem Rücken und einer brennenden Laterne in der Hand, trat Philipp mutig seine Wanderschaft zu dem alten Schloss an. Der Wirt begleitete ihn eine Strecke, empfahl ihn aber bald dem Schutz des Himmels und eilte zu seiner Wohnung zurück, vergnügt, dass ihm sein Schelmenstück so wohl gelungen sei. Denn seine ganze Erzählung war eine bloße Fabel, und die so hoch gepriesene Salbe nichts anderes als reiner Talg.

Dieser Mann nämlich, nicht zufrieden mit dem, was ihm sein Gewerbe eintrug, suchte seine Habe auch noch mit unrechtem Gut zu vergrößern. Das alte Schloss gab ihm hierzu die schönste Gelegenheit. Es war weit und breit als der Tummelplatz nächtlicher Unholde bekannt und daher so verrufen, dass es niemand wagte, selbst bei hellem Tage vorbeizugehen, besonders aber hätte sich kein Einwohner der ganzen Gegend für alle Schätze der Erde am Fastnachtstag dort finden lassen, wo, der allgemeinen Sage nach, das ganze Heer der höllischen Geister beisammen sein, dort ihren Unfug treiben, und schon manchen getötet haben soll , den das Ungefähr oder der Vorwitz dorthin geführt hatte.

Diese Mähr benutzte der Betrüger. So oft daher ein Reisender an diesem Tage bei ihm übernachtete, erzählte er ihm die nämliche Geschichte von dem Ritter im glühenden Harnisch und suchte ihn durch Hilfe seiner Salbe zu bereden, einen Gang zum Schloss zu wagen. Die sich durch diese List hintergehen ließen, fanden ihren Tod.

Niemand wusste, wo sie hingekommen waren, und der Wirt, der am folgenden Tag seine Hacke und Spaten wiederholte, erbte jederzeit das Reisebündel. Dies war auch seine Absicht bei Philipp.

Dieser kam glücklich vor dem Schloss an, und ein tiefer Seufzer drängte sich beim Anblick desselben unwillkürlich aus seiner Brust hervor. Er blieb einige Minuten vor dem Eingang stehen und überlegte nochmals, ob er hineingehen oder umkehren solle. Die Begierde, ein reicher und angesehener Mann zu werden, behielt endlich die Oberhand über die Furcht.

Eine Menge Fledermäuse, die der Schein des Lichts aus ihren Winkeln hervorgelockt hatte, bewillkommte ihn bei seinem Eintritt.

Philipp ließ sich durch ihr Geschwirr und Gezisch nicht irre machen und ging unverzagt vorwärts.

Eine steinerne Wendeltreppe führte ihn hinauf ins erste Stockwerk, und eine halb verfaulte Tür in einen geräumigen Saal, dessen Schönheit durch das Alter ziemlich verunstaltet war, der aber hier und da noch sichtbare Spuren vom Wohlstand seines ehemaligen Besitzers an sich trug.

Hier beschloss Philipp, die Erscheinung des Geistes zu erwarten. Da dieser nach seiner Rechnung keine halbe Stunde mehr ausbleiben konnte, so salbte er seine Hände mit dem erhaltenen Wunderbalsam.

Mit einem Mal erhob sich fern im Wald ein fürchterliches Getöse von Hundegebell, Jagdhörnern und Jägergeschrei, welches sich dem Schloss immer mehr zu nähern schien. Unserem Helden wurde dabei ganz sonderbar zu Mute. Ein eiskalter Schauer überlief seinen ganzen Körper, das Herz schlug hörbar und er vermochte aus der beklemmten Brust kaum zu atmen. Er suchte und fand einen Schlupfwinkel und verbarg sich dort.

Nach wenigen Minuten rauschte die Tür des Saales auf, und ein langer Zug von Rittern strömte herein. Jeder hatte einen großen Hund zur Seite, und die größere Hälfte von ihnen führte Jagdhörner, mit deren Tönen sich das Gebell der Hunde und der Gesang der übrigen Ritter, die keine Hörner trugen, vermischten. Nachdem diese Gesellschaft dreimal im Saal umhergezogen war und sodann in der Mitte desselben einen Kreis gebildet hatte, stampfte ihr Anführer dreimal mit dem rechten Fuß gegen den marmornen Boden, und im Nu stieg aus demselben eine wohlbesetzte Tafel nebst so vielen Stühlen, wie Personen gegenwärtig waren, hervor.

Dies war das Zeichen zu einer großen Stille. Die Hörner schwiegen, die Hunde hörten auf zu bellen, der Gesang der ritterlichen Jäger verstummte.

Philipp schwitzte, während jene es sich wohl sein ließen, große Tropfen Angstschweiß, als einer der Hunde ihn in seinem Hinterhalt auswitterte und ein solches Gebelle erhob, dass alle in Aufruhr gerieten und zu dem Ort hineilten.

Mehr tot als lebend bat der arme Philipp um Gnade und Barmherzigkeit.

»Wer bist du? Was suchst du hier?«, donnerte eine raue Bassstimme ihm entgegen.

Philipp erzählte alles, was meine Leser bereits wissen, und erwartete nun mit völliger Ergebung sein Schicksal.

Die Ritter hielten hierauf eine heimliche Unterredung miteinander.

»Wohlan!«, erwiderte endlich die obige Stimme. »Dein Leben sei dir geschenkt. Der Bube von Wirt hat dich betrogen und schickte dich bloß hierher, damit wir dich morden sollten, und er dein Bündel erben könnte. Aber dieses Mal soll ihm seine Hinterlist nicht gelingen, das Maß seiner Schandtaten ist voll. Noch heute soll sein Haus in Feuer aufgehen.

Du aber begib dich morgen nach Tagesanbruch hinter diese Burg. Dort wirst du, nahe an einem kleinen Graben, einen alten, halb verdorrten Baum finden, dessen Stamm an der Seite gegen Norden ein Astloch hat, in welches man bequem mit der Hand fahren kann. Dort wirst du für dein verlorenes Bündel Ersatz finden.

Aber keinem Menschen vertraue eine Silbe von diesem ganzen Vorfall, oder du bist keine Stunde deines Lebens mehr sicher.«

Hier verstummte der Redner.

Der Tisch mit allen Gerätschaften verschwand. Die Ritter nahmen ihre Köpfe unter die Arme und verließen den Saal in eben der Ordnung und mit eben dem Geräusch, wie sie gekommen waren.

Philipp befand sich nun wieder ganz allein, und um ihn her herrschte Grabesstille. Bald darauf erblickte er ein helles Feuer, welches mit wirbelnden Flammen zum Himmel emporloderte. Es war die Wohnung des schändlichen Gauners!

Mit Anbruch des Tages begab er sich an den bezeichneten Ort, entdeckte sogleich den Baum, griff hinein und zog einen ledernen Beutel voller Geldstücke heraus.

In der nächsten Stadt kaufte er sich ein neues Reisebündel, verbarg darin seinen Schatz, kehrte heiter und vergnügt in seine Heimat zurück und feierte mit dankbarem Herzen an jedem Fastnachtsabend das Andenken an jenes nächtliche Abenteuer im fröhlichen Kreis seiner munteren Familie.

Erst in seinen letzten Lebenstagen erzählte er seinen Kindern und Kindeskindern die Quelle seines jetzigen Wohlstandes und versicherte, dass er in der Folge bei kälterem Nachdenken eher lebende Menschen in dieser Verkleidung als wirkliche Geister gemutmaßt habe.