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Felsenherz der Trapper – Teil 7.1

Felsenherz-der-Trapper-Band-7Felsenherz der Trapper
Selbsterlebtes aus den Indianergebieten erzählt von Kapitän William Käbler
Erstveröffentlichung im Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1922
Band 7
Die Mumie Matazumas
Erstes Kapitel
Blubb und Crax

Die Stadt El Paso am linken Ufer des Rio Grande del Norte war zu der Zeit, wo unsere Erzählung spielt, noch ein jämmerliches Grenzstädtchen, dessen Einwohner jeden Augenblick gewärtig sein mussten, von den Rothäuten angegriffen zu werden.

Auf der Holzveranda einer der zahlreichen Schenken El Pasos saßen an einem für diese Gegend kühl zu nennenden Spätherbsttage zwei Europäer und ein verkommener, zerlumpter Indianer, der wegen Feigheit aus dem Apachenstamm vor drei Jahren ausgestoßen worden war und nun nach manchen Irrfahrten in der Schenke, die sich stolz auch Hotel nannte, als Hausknecht ein erbärmliches Leben führte.

Die beiden Weißen, die mit ihm zusammensaßen, waren Engländer, wie man auf den ersten Blick erkannte. Der eine, lang und hager, blond, sommersprossig und mit am Kinn ausrasiertem Vollbart, trug eine Brille und einen dunkelgrünen Sportanzug, dazu einen Tropenhelm und hohe gelbe Stiefel.

Der andere, genau so gekleidet, hatte jedoch ein bartloses Vollmondgesicht, stark vorstehende Oberzähne und eine recht verdächtige blaurote Knollennase und reichte dem Langen etwa bis an die Hüften.

»Master Blubb, der Rote wird Euer Hochwohlgeboren nun die ganze Geschichte bis ins Kleinste erzählen«, sagte der Kleine jetzt und verbeugte sich. »Er behauptet nach wie vor, Euer Hochwohlgeboren, die tadellos erhaltene Mumie eines der Ureinwohner Mexikos, der Azteken, beschaffen zu können. Er verlangt dafür ein Pferd, eine Doppelbüchse, Pulver, Blei, ein Messer und …«

»Bewilligt!«, meinte Professor Thomas Blubb kurz. Und zu dem Indianer gewandt: »Vorwärts … erzähle! Wie heißt du eigentlich? Hier nennt man dich stets Jim, aber du wirst doch wohl einen Kriegsnamen von früher her haben …«

Der Indianer nickte. »Der Springende Hirsch war der beste Läufer aller Apachen«, erwiderte er, in trübes Sinnen verfallend. »Dann wurde er ein Ausgestoßener …«

»Er ist mal bei einem mörderischen Kampf mit den Comanchen ausgekniffen«, ergänzte der Kleine.

»Schweig, Crax!«, rief Thomas Blubb. »Ein Diener redet nur, wenn er gefragt wird!«

»Sehr wohl, Euer Hochwohlgeboren. Ich schweige stets. Wer bereits fünf Jahre bei Euer Hochwohlgeboren Diener ist, schweigt und spült das Unausgesprochene hinunter!«

Er griff nach seinem mit Whisky gefüllten Glas und trank es aus.

Der Prozessor wandte sich wieder an den Apachen.

»Hast du die Mumie selbst gesehen?«, fragte er.

»Ja, Señor! Vor zwei Jahren nördlich von hier in den Jicarilla-Bergen, wo die Ausgestoßenen hausen.« Er gab eine genaue Schilderung des Ortes und fügte hinzu: »Ich werde Euch dorthin begleiten, Señor. Ihr müsst mir aber ein Pferd und Waffen kaufen.«

Blubb überlegte und meinte dann: »Wer bürgt mir dafür, dass du mich nicht belügst? Du kannst dich leicht aus dem Staube machen, wenn wir erst unterwegs sind. Dann hast du ein Pferd und Waffen für nichts erhalten!«

John Crax, der Diener, räusperte sich und murmelte vor sich hin: »Hm … man müsste ihm eben noch eine Extrabelohnung versprechen, sobald die Mumie geborgen ist. Aber ein guter Diener schweigt!«

Der Apache sagte nun, indem er den Gelehrten fest anblickte: »Der Springende Hirsch schwört bei Manitu, dem Gott aller Rothäute, dass er es ehrlich meint!«

»Nun gut«, erklärte der Professor. »Wenn wir die Mumie glücklich bis hier nach El Paso gebracht haben, schenke ich dir noch ein Pferd und so viel Waren, dass du Händler werden kannst. Morgen früh brechen wir auf. Abgemacht. Crax, du bereitest alles vor.«

»Sehr wohl, Euer Hochwohlgeboren. Ich bereite alles vor, Euer Hochwohlgeboren werden zufrieden sein.«

In der Schankstube, die hinter der Veranda lag, saßen zur selben Zeit fünf Weiße, die erst am Vortag auf abgetriebenen Pferden in El Paso eingetroffen waren und jedermann erzählt hatten, dass sie in der großen texanischen Hochlandwüste, der Llano Estacado, von Comanchen völlig ausgeplündert worden seien.

Mit ihnen am Tisch saß ein mexikanischer Offizier, der in El Paso Soldaten für die Armee anzuwerben suchte. Die fünf Weißen, alles wild und verwegen blickende Kerle, wären ihm sehr willkommen gewesen. Doch seine Überredungskünste blieben erfolglos. Ärgerlich stand er auf und entfernte sich.

Die fünf steckten die Köpfe zusammen.

»Boys«, flüsterte der eine, der dem offenen Fenster am nächsten saß, »ich habe genau gehört, dass die beiden Engländer morgen früh mit dem verdammten roten Halunken von hier aufbrechen wollen. Alles habe ich nicht verstehen können. Sie wollen aus den Jicarilla-Bergen etwas holen. Boys, die beiden Engländer schleppen jeder zwei Flinten mit sich herum. Und der Apache soll auch eine Büchse bekommen! Boys – dann haben wir wieder Waffen! Ihr begreift! Dann können wir unser schönes Buschklepperleben von Neuem beginnen und auch versuchen, uns an den verdammten Schuften zu rächen, die unsere Bande bis auf fünf aufgerieben haben …«

Draußen auf der Veranda sagte Professor Blubb zu seinem Diener: »Crax, steh auf! Die Unterredung ist beendet. Es ziemt sich nicht, dass ein Diener mit seinem Herrn am selben Tisch sitzt!«

John Crax hatte heimisch die fünf Weißen in der Schankstube beobachtet und auch bemerkt, dass sie für den Professor ein recht auffälliges Interesse zeigten, indem sie wiederholt wie von ungefähr durch das Fenster hinausschauten.

Er erhob sich sofort.

»Sehr wohl, Euer Hochwohlgeboren. Es ziemt sich nicht«, sagte er leise mit tiefer Verbeugung. »Ich schweige. Aber ich sehe alles. Und ich denke, es wird gut sein, wir brechen heute in der Nacht heimlisch auf. Ich werde Euer Hochwohlgeboren das später begründen!«

»Crax, du bist halb betrunken! Geh!«, rief Thomas Blubb wütend.

»Ich bin immer halb betrunken, Euer Hochwohlgeboren! Betrunkene und Kinder reden die Wahrheit. Ich schweige schon, Euer Hochwohlgeboren!«

Blubb hatte mit der Faust auf den Tisch geschlagen.

Crax zog sich eiligst zurück. Der Apache war schon vorher verschwunden.

Der kleine Crax begab sich in einen nahen Kaufladen, wo man für Geld so ziemlich alles bekam, was man für einen wochenlangen Ritt in die nördlichen Prärien und Bergeinöden brauchte. Crax war einer von jenen praktisch veranlagten Leuten, die sich sehr schnell in besondere Verhältnisse hineingewöhnen. Er hatte mit seinem Herrn von der mexikanischen Hafenstadt Mazatlán die Reise quer durch Nordmexiko bis hierher zu Pferde zurückgelegt und in diesen vier Wochen sich ganz von selbst manches von jenen Kenntnissen angeeignet, ohne die man in einem unzivilisierten Land tausend Gefahren und Unannehmlichkeiten ausgesetzt ist. Als er nun für den Springenden Hirsch eine Büchse auswählte, wollte der Händler ihm ein neues, scheinbar recht gutes Gewehr aufschwatzen. John Crax aber holte aus einer Ecke eine andere Büche hervor, die ein bekanntes englisches Firmenzeichen trug.

»Bleibt mir mit Eurer Indianerflinte vom Leibe!«, brummte er. »Dieser Dreck wird ja extra in den Oststaaten für die Rothäute hergestellt und springt beim dritten Schuss auseinander!«

Der Händler merkte, dass er kein Greenhorn vor sich hatte, und zog nun andere Saiten auf, rückte auch mit seinem besten Pulver heraus und ebenso mit einem guten Sattel und Zaumzeug. Selbst beim Pferdekauf ließ Crax sich nicht anschmieren. Als er dann mit dem Pferd, das für den Apachen bestimmt war, und all den anderen Sachen zurr Schule zurückkehrte, standen die fünf Weißen vor der

Tür und taten so, als ob sie sich um Crax nicht im geringsten kümmerten.

Banditen!, dachte Crax. Euren Galgenvogelgesichtern sieht man ja Euer Handwerk schon an!

Professor Blubb schrieb ist seiner Stube gerade einen Brief, als Crax eintrat und die Sachen dann in eine Ecke legte.

»Ich schweige!«, knurrte Crax vor sich hin. »Aber um Mitternacht geht’s weiter! Die fünf Kerle gefallen mir nicht! Es sind Halsabschneider oder dergleichen.«

Blubb drehte sich um. »Crax – erzählen!«, befahl er.

Und der Kleine teilte ihm nun seine Verdachtsgründe gegen die fünf Weißen mit.

»Sicher ist sicher!«, sagte er zum Schluss. »Wenn wir um Mitternacht El Paso verlassen, werden die Kerle das Nachsehen haben.«

»Gut – um Mitternacht! Obwohl du ein Angsthase bist, Crax, was ein guter Diener nicht sein darf!«, erklärte Blubb. »Nachher besorge diesen Brief. Geh!«

Crax verschwand, bezahlte bei dem Schankwirt die Rechnung und kaufte noch drei Flaschen Whisky ein.