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Der bayerische Hiesel – Teil 19

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Hiesel in Todesgefahr

In einer ihm völlig fremden Waldung hatte Hiesel bis tief in die Nacht viel edles Wild erlegt und sich, mit Ungestüm einen angeschossenen Hirsch verfolgend, gänzlich verirrt.

Sein treuer Tiras, in solchen Fällen sein sicherer Wegweiser, war dieses Mal nicht bei ihm. Lange Zeit versuchte er es, sich mit dem Hirschfänger durch das dichte Gebüsch einen Weg zu bahnen. Allein anstatt einen gangbaren Pfad zu finden, geriet er immer tiefer hinein.

Es wurde immer finsterer. In weiter Ferne grollte der Donner und Blitze zuckten in Abständen über die Laubkronen der Bäume hin. Es fing zu regnen an.

Müde der vergeblichen Versuche beschloss Hiesel, unter einer dichtbelaubten Eiche zu übernachten und das Hochgewitter vorüberstürmen zu lassen, dann aber mit dem ersten Morgenlicht seine Kameraden aufzusuchen.

Er umwand das Schloss seines Stutzens ganz leicht mit seinem Taschenbuch, um es vor Nässe zu bewahren und im Notfall gleich wieder gebrauchen zu können.

Entschlossen, zu wachen, setzte er sich unter eine Eiche und lehnte den Kopf an den Baumstamm. Das Gewehr hielt er im Arm.

Bald kam das Gewitter näher, und der Regen rauschte durch die Äste, Zweige und Blätter auf den Boden herab. Allein durch das grüne, schimmernde Dach der Eiche fielen nur einzelne Tropfen auf Hiesel. Der Regen nach dem schwülen Tag erfrischte die Natur und labte sie mit erquickender Kühle, welche so wohltätig auf Hiesel wirkte, dass er bald mitten unter Donner und Blitz so sanft einschlummerte wie im weichsten Bett.

Von den Anstrengungen während der Jagd aufgeregt, wallte noch immer Hiesels Blut in den Adern und böse Träume durchkreuzten den Schlaf. Bald meinte er, von einem hohen Felsen herabzustürzen, bald in einen reißenden Strom zu fallen, bald von Soldaten fortgeschleppt zu werden, bald den Trüffelhund zu erblicken, der ihm mit ängstlichen Gebärden Warnzeichen gab. Bald sah er seine noch immer geliebte Marie hilferufend mit flatternden Haaren durch den Forst rennen, von einem Ungeheuer verfolgt. Er wollte ihr zu Hilfe eilen, und die Füße versagten ihm, wie gelähmt, den Dienst. Auch seinen verstorbenen Vater sah er, die Mutter und die Schwester, die jammernd und händeringend an ihm wie Geisterschatten vorüberschlichen. Zwischen ihnen schien immer der Trüffelhund in allerlei possierlichen Sprüngen sich herumzutreiben, und bald riesengroß emporzuschnellen, bald zum Däumling zu schrumpfen, und alle Augenblicke dem Hiesel in die Ohren zu schreien: »Hiesel, flieh! Hiesel, flieh!«

Um diese quälenden Traumbilder loszuwerden, versuchte Hiesel, mit Gewalt wach zu werden und aufzuspringen. Aber er konnte seine Füße nicht bewegen, denn sie waren – gebunden, und mit den Händen sich den Schlaf nicht aus den Augen reiben, denn sie waren – mit Stricken gefesselt.

Mehr als zwanzig Kerle standen vor dem erstaunten Hiesel, der schwarze Martin an ihrer Spitze. Einige von ihnen trugen Laternen, die sie dem Erwachenden blendend vor die Augen hielten.

»Hab ich dich endlich in meiner Gewalt, elender Kerl«, donnerte ihm der schwarze Martin zu. »Das Blut meiner zwei ermordeten Kameraden schreit um Rache. Sie soll ihnen werden. Mach dich nur auf den schrecklichsten Tod gefasst. Wenn die Sonne noch einmal untergeht, soll sie deinen Leichnam sehen. Ich möchte dich gern den Gerichten ausliefern und könnte auf diese Art für mich und meine Kameraden Pardon bekommen. Allein ich vergönne dir nicht einmal die Ehre, wie ein anderer ehrlicher Spitzbube am Galgen zu sterben. Ich will dich morgen vor meinen Augen langsam totprügeln lassen, damit sich mein Herz an deinen Todesqualen weiden kann.«

»Du hast mich im Schlaf überfallen«, erwiderte Hiesel. »Tu mit mir, was du willst, es wird dir wenig Ehre machen. Wäre ich nicht gebunden, ich nehme es mit euch miserablen Tropfen ganz allein auf.«

Schon drangen die zornentbrannten Kerle auf Hiesel ein, um sich durch Misshandlungen wegen dieses Schimpfes zu rächen. Allein der schwarze Martin duldete es nicht, indem er sich den Genuss der vollen Rache nicht verkürzen lassen wollte. Sie schleppten ihn nun immer tiefer in den Wald hinein, bis sie an eine Felsenhöhle kamen, in deren innerstem Raum sich eine in Granit ausgehauene Zisterne sich befand, in welche sie ihn an einem Seil hinabließen und sich unter Flüchen und Drohungen entfernten.

Hiesel sah wohl ein, dass er verloren sei, wenn nicht ein außerordentlicher Zufall ihn retten würde. Er kannte die Mordlust des schwarzen Martin und seine durch Eifersucht wegen Afra gesteigerte Rache. Es schmerzte ihn nur, auf eine so elende Weise zugrunde gehen zu müssen, ohne männliche tapfere Gegenwehr. Wäre er frei gewesen und sein Tiras bei ihm, er hätte mit seinem Stutzen und Hirschfänger die ganze Bande angegriffen, mit solchem Kraftgefühle beseelte ihn die Wut.

Dass seine Kameraden seinen Tod mit der Vernichtung der ganzen Bande des schwarzen Martin rächen würden, wusste er ganz gewiss. Aber aus dem Tod ins Leben zurückrufen, konnten sie ihn doch nicht mehr. Hoffnungslos, jedoch gefasst sah er seinem Schicksal entgegen. Da gewahrte er den schwachen Schimmer eines Lichtes, das sich langsam dem Rand der Zisterne näherte. Ein dicht verschlossenes Laternchen schwebte an einem Strick hinab, und eine weibliche Stimme fragte leise: »Hiesel, bist du’s?«

»Ich bin’s!«

»Könnte ich nur hinunter, um die Stricke an Händen und Füßen abzuschneiden!«

»Wer bist du?«

»Kennst du die Stimme deiner Afra nicht mehr?«

»Gott sei gelobt, noch bin ich nicht verloren!«

»Ach, du bist dennoch verloren, wenn du die Stricke nicht abschneiden kannst! Ein Mittel wüsste ich noch. Es kann dich zwar nicht retten, aber die ganze Bande müsste dann mit dir sterben, auch deine Afra. Ich könnte die Pulverkammer anzünden.«

»Wenn du nur dein Leben retten kannst, so zünde sie an. Mit den anderen sterbe ich gerne.«

»Warum nicht gar!«, kreischte eine Stimme.

Dem Hiesel gegenüber saß zusammengekrümmt der Trüffelhund.

»Die Stricke werden bald weg sein!«

»Du hier, mein rettender Engel?«

Afra entsetzte sich bei dem Anblick des unheimlichen Wesens so sehr, dass sie beinahe davongelaufen wäre. Der Trüffelhund beruhigte sie mit den liebreizesten Worten.

Der Trüffelhund fuhr mit milder Hand über die Stricke, die in Asche zerfielen. Hiesel stand auf, und in den freien Gliedern regte sich neuer Lebensmut.

»Aber lieber Freund«, fragte Hiesel, »wie komme ich aus der Zisterne?«

»Nichts leichter als dies. Die Jungfrau da oben zieht mich hinauf, und bin ich oben, so schlingst du den Strick zwischen deinen Schultern in einen Knoten und ich ziehe dich aus deinem Steinloch heraus.«

»Du willst mich herausziehen?«

»Das sollst du gleich sehen!«

Leicht wie ein Federball schwebte der Trüffelhund empor und zog dann ebenso leicht den Hiesel heraus, dessen Stutzen und Hirschfänger ihm Afra übergab.

»Fang mir jetzt kein Spektakel an«, gebot der Trüffelhund, »und gehe ruhig deines Weges. Die Verantwortung bei dem schwarzen Martin übernehme ich. Deswegen bleibe ich statt deiner im Nest. Die sollen große Augen machen, wenn sie mich statt deiner finden.«