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Die Totenhand – Teil 23

Die-TotenhandDumas-Le Prince
Die Totenhand

Fortsetzung von Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas
Zweiter Band
Kapitel 3 – Die Komödie verwickelt sich

Mit Tagesanbruch verließ einer der Bediensteten des Barons, nachdem er von diesem einen besonderen Befehl erhalten hatte, das Haus und wollte durch den Garten gehen, als die Stimme Luigi Vampas ihn zurückhielt.

»Hollah!«, rief er, »könnten Sie mir wohl einen kleinen Dienst erweisen?«

»Ich stehe zu Ihren Befehlen, Exzellenz!«

»Wie ich sehe, wollten Sie an der Stalltür vorbeigehen. Klopfen Sie stark an, um den Faulpelz von Kutscher zu wecken, der noch schläft, und geben Sie ihm dieses Geld, damit er sich in irgendeinem benachbarten Wirtshaus den Magen fülle.«

»Ich werde es nicht unterlassen, Exzellenz.«

Der Bedienstete empfing ein Geldstück und ging weiter.

Vampa stieg die Treppe hinauf und trat in das Zimmer mit den Tapisserien, wo er den Baron traf, der ihn aufsuchte.

»Ich kann morgens nicht im Bett bleiben«, sagte Vampa. »Die Morgenluft tut mir wohl.«

»Mir ebenfalls, Herr Vampa. Kaum bricht der Tag an, so muss ich aufstehen.«

»Das ist eine Gewohnheit, welche ganz gewaltig von den Sitten und Gebräuchen eines Millionärs abweicht.«

»O, ich besitze keine Millionen mehr, Herr Vampa«, sagte der Baron mit einem tiefen Seufzer.

Währenddessen schlug der Bedienstete erbarmungslos mit verdoppelten Schlägen an die Stalltüre, und fünf Minuten darauf öffnete der Kutscher, aus dem Schlaf emporfahrend, dieselbe.

»Was gibt es?«

»Euer Herr schickt Euch hier dieses Geld, mein Lieber. Ich glaube, Ihr sollt Euch damit gegen die Morgenfrische schützen.«

Der Kutscher nahm das Geld und lächelte mürrisch, indem er auf den Diener einen argwöhnischen Blick richtete und denselben vom Kopf bis zu den Füßen maß.

»Hört einmal, Freund«, sagte er, indem er seinen Rock zuknöpfte und seinen Hut aufsetzte. »Da Ihr der Überbringer dieses Almosens seid, so will ich Euch die Hälfte meines Frühstücks anbieten.«

»Sehr verpflichtet – aber ich habe Eile.«

»Das sind Geschichten! Das ewige Wort der Herren– schnell! schnell! Die Menschen müssen ihre Zeit immer so berechnen, dass ihnen noch genug übrig bleibt, um einen Schluck zu trinken. Nun, kommt mit.«

»Ich danke. Ich habe Euch schon gesagt, dass es unmöglich ist.«

»Wohin geht Ihr denn? Ich wette, Ihr habt irgendeinen Brief abzugeben.«

»Richtig. Ich gehe in die Stadt – es ist ein hübsches Stück Weg.«

»Ihr geht zu Fuß?«

»Ja. Ich habe vier Stunden zu machen, vielleicht auch etwas weniger. Es ist wohl möglich, dass ich, um meinen Zweck zu erreichen, nicht ganz bis Rom zu gehen brauche.«

»Und wie das?«

»Wenn ich das Glück hätte, auf dem Weg der Person zu begegnen, der ich diesen Brief bringen soll.«

»Ihr habt wohl daran getan, Euch auszusprechen, Freund, denn ich kann Euch nützlicher sein als Ihr denkt.«

»Wieso?«

»Ich fahre mit dem Wagen zur Stadt zurück, und da meine Pferde mehr Schnelligkeit in ihren Beinen haben als Ihr in den Euren, so könnten wir die gewonnene Zeit dazu verwenden, einen Schluck zu trinken. Ihr steigt dann hinten auf den Wagen auf und legt Euren Weg zurück, ohne Euch zu ermüden.«

»Das scheint mir wunderbar ausgedacht zu sein, und ich danke Euch dafür.«

»Nun, lustiges Leben also!«, rief der Kutscher, indem er den Diener am Arm nahm und mit ihm in der Richtung zu einem kleinen Gasthaus vorwärts schritt, welches in geringer Entfernung an der Straße lag.

Indes verflossen die Stunden. Um sieben Uhr war Baron Danglars mit gutem Appetit und in der Gesellschaft Luigi Vampas damit beschäftigt, ein Frühstück zu verzehren, als beide durch das Fenster, welches dem Tisch gegenüber lag, in den Garten einen Wagen fahren sahen, der gleich dem Vampas am Abend zuvor an der kleinen Treppe halten blieb, welche zum Zimmer mit den Tapisserien führte.

Der Baron machte auf seinem Stuhl einen Satz.

Allein Vampa bewahrte ein teilnahmsloses Gesicht, indem er sich damit begnügte, zu sagen: »Sie erwarteten also einen Besuch, Baron?«

»Ich! … O! … Ich gebe Ihnen die Versicherung, dass … aber wer wird es denn sein? … Ich kann mir gar nicht denken …«

»Ich höre die Schritte des Dieners. Er wird Ihnen sagen, wer es ist.«

»In der Tat! … Aber es ist unglaublich! … Ich erwarte niemand …«

»Fräulein Eugenie Danglars und Fräulein Luise d’Armilly«, sagte der Bedienstete, indem er die Tür öffnete.

»Wie!«, murmelte der Baron wie vom Blitz getroffen.

»Ich glaube, Fräulein Danglars ist Ihre Tochter?«

»Ja, ja … daran ist nicht zu zweifeln … Oh! … die Sache verwickelt sich … die Lage wird schwierig«, fügte der Baron bei sich selbst hinzu. »Sie, mein Herr«, sagte der Baron laut zu Vampa, »Sie werden vielleicht nicht gesehen sein wollen … in diesem Falle erlauben Sie, dass …«

»Ganz im Gegenteil, Herr Baron. Ich würde sehr erfreut sein, dem Fräulein Danglars meine Huldigungen darzubringen.«

»Aber … Ihr Name!«, sagte der Baron mit leiser Stimme und indem er heftig zitterte, »Ihr Name ist so bekannt! … Mir fällt etwas ein! Nehmen Sie auf kurze Zeit einen fremden Namen an.«

Vampa lächelte und erwiderte: »Angenommen, Herr Baron! Lassen Sie hören, welchen Sie für passend finden würden.«

»Den einer berühmten Familie – zum Beispiel Spada!«

»Es sei«, erwiderte Vampa, dessen Gesicht plötzlich von einer Wolke überzogen wurde.

»So geht alles gut«, fuhr der Baron fort, indem er Anstalten traf, das Zimmer zu verlassen und Vampa, welcher sitzen blieb, ein Zeichen gab.

Fräulein Danglars und ihre Freundin Luise befanden sich in dem Zimmer mit den Tapisserien und besichtigten mit neugierigen Blicken die altertümlichen Möbel, welche an den finsteren Wänden standen.

»Meine teure Freundin«, sagte Eugenie, »ich prophezeie dir, dass wir einen recht angenehmen Tag hinbringen werden, und du sagst, dass ich keine schlechte Prophetin bin. Ich kenne meinen Vater. Er ist ein Lebemann und wird uns durch seine neuen Ideen Stoff zum Lachen geben. Ich fühle, dass dieser kurze Aufenthalt auf dem Land mir wohltun wird. Deshalb habe ich die Zeit dazu beschleunigt.«

Kaum hatte sie diese Worte beendet, als der Baron in dem Zimmer erschien. Die Physiognomie des Herrn von Danglars hatte, obgleich er sich bemühte, eine große Freude zu äußern, einen gewissen Stempel der Sorge und der Überraschung, welche den Augen des Fräulein Luise d’Armilly nicht entgingen.

Eugenie eilte, die Hand ihres Vaters zu küssen, und Luise begrüßte ihn auf das Anmutigste.

»Sehen Sie, mein Vater«, sagte Eugenie, »sehen Sie, mit welchem Eifer ich Ihren Besuch erwidere.«

Der Baron wollte etwas erwidern, aber er machte die Bewegung eines Menschen, der seine Gedanken plötzlich ändert und sagte: »Du hast, wie ich glaube, einen Brief von mir empfangen?«

»Einen Brief? Nein, mein Vater.«

»Ich hatte dir indes einen geschrieben und überschickt!«, bemerkte der Baron. »Unglücklicherweise wird der Überbringer deinem Wagen nicht begegnet sein.«

»Was war denn der Gegenstand dieses Briefes?«

»Es lohnt nicht der Mühe, davon zu sprechen. Es war ein einfacher Rat, den ich dir gab.«

»Einen Rat! O, Ihre Ratschläge werden stets wohl aufgenommen werden, und ich bin auch hier bereit, Ihnen zu folgen.«

»Meine teure Tochter!«, rief der Baron Danglars, indem er sie in seine Arme schloss. »Ach Fräulein d’Armilly! Wie finden Sie meine kleine Besitzung? Ich habe das alles in sehr schlechtem Zustand gekauft, wie Sie sehen«, fuhr er dann fort, »aber dieses Altertümliche flößt eine so tiefe Achtung ein, dass ich beschlossen habe, nichts von modernem Geist hinzuzufügen.«

»Und Sie werden wohl daran tun! Ich hege eine große Verehrung für diese Reliquien der verflossenen Jahrhunderte«, entgegnete Fräulein d’Armilly, »und Eugenie ist, wie ich glaube, meiner Meinung.«

»Ich bin entzückt«, sagte der Baron, der noch immer unruhig war und verstohlen den Gang entlang blickte, der zum Speisezimmer führte, wo er das finstere Gesicht Vampas erblickte, der an dem Tisch saß, auf den er die Arme stützte und das Gesicht in die Hand barg.

Danglars bezwang sich gewaltsam, ergriff die Hand Eugenies und sagte: »Meine Tochter, du machst mir keinen Besuch der Zeremonie – Du wirst dieselbe daher auch in dem Salon, wo ich mich ganz ungezwungen bewege, ebenfalls nicht finden. Das Frühstück steht auf dem Tisch, und ich werde das Vergnügen haben, dir dort ihn vorzustellen.«

»Ich verstehe Sie nicht, mein Vater!«, sagte Eugenie, indem sie die Verwirrung des Barons bemerkte und durchaus nicht wusste, was er mit dem ihn, den er ihr vorstellen wollte, meinte.

»Sie haben von einem Besuch gesprochen, der kein zeremoniöser ist?«, fügte Luise hinzu. »Wir sind entzückt, dass Sie dies sagen.«

»Du bist im Irrtum, Luise«, sagte Eugenie, »mein Vater scheint nicht auf unseren Besuch anzuspielen! Zeremonie gegen uns – diese Vermutung allein wäre schon eine Beleidigung. Was mich betrifft, so weiß ich, dass ich vor Ärger darüber rot werden müsste! Von wem sprechen Sie, mein Vater?«

»Wie! Sagte ich dir denn nicht, dass ich einen … einen Gast habe?«

»Nein! Und wer ist es?«

»Ah – es ist ein Abkömmling einer fürstlichen Familie«, erwiderte Herr von Danglars, indem er große Schweißtropfen vergoss. »Er ist nichts Geringeres … als ein Romanelli Spada.«

Die Kräfte des Barons waren erschöpft, indem er diesen Namen aussprach. Er blieb wie niedergeschmettert stehen.

»Ich kenne ihn nicht«, sagte Luise.

Der Baron senkte den Kopf, ergriff Eugenies Hand und schritt dem Speisezimmer zu. Luise ging auf die Einladung des Barons voraus.

Kaum erreichten sie das Ende des Ganges, als Vampa aufstand und mit stoischer Gleichgültigkeit den Augenblick zu erwarten schien, Fräulein Danglars vorgestellt zu werden.

»Meine Tochter und Sie, Fräulein d’Armilly, ich habe die Ehre, Ihnen hier den Signore Romanelli Spada vorzustellen.«

Eugenie richtete ihre Augen auf das Gesicht Vampas und zitterte sogleich heftig, indem sie sich plötzlich auf den Arm des Barons stützte, der voll Besorgnis die Aufregung seiner Tochter bemerkte.

»Ach!«, murmelte er leise, »das verwickelt sich immer mehr! Sollten sie sich kennen?«

Eugenie überschaute mit einem schnellen Blicke die schwierige Lage, in welcher sie sich befand, rief ihre ganze Geistesgegenwart zu Hilfe und begrüßte den angeblichen Spada mit einem freundlichen Lächeln.

Nie hatte die Tochter des Barons Danglars einen so angenehmen Morgen zugebracht. Sie war bei ihrem Vater, der seine ganze frühere Strenge, welche er auf dem unfruchtbaren Feld der Ziffern, auf dem er beständig arbeitete, angenommen hatte, abgelegt zu haben schien. Sie befand sich ebenfalls bei ihrer Freundin, der aufrichtigen und treu ergebenen Freundin, für welche sie eine leidenschaftliche Zärtlichkeit hegte, und sich gegenüber hatte sie den Mann, der ihr eine tiefe Liebe einflößte, wie die, welche wir nur einmal im Leben, aber dann für immer, empfinden.

Die Stunden – diese unzertrennlichen Schwestern, welche unablässig über die Erde hingleiten, so langsam, wenn sie von Schmerz und Leiden begleitet sind, und so schnell, wenn sie im Gefolge die Freude und die Heiterkeit haben – die Stunden vergingen flüchtig wie der Gedanke, und Eugenie sah mit Kummer den Morgen entrinnen, den Tag, welcher der schönste ihres Lebens war!

Ach!