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Der Teufel auf Reisen 27

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Sechstes Kapitel – Teil 2
Die Familie Purps

Während dieses Gesprächs waren beide in das Wohnzimmer getreten. Therese schien wirklich mehr als schüchtern zu sein, denn sie bebte nicht allein förmlich zusammen, als sie den Fremden erblickte, sondern wurde auch feuerrot und beugte sich tief auf die Arbeit, mit der sie beschäftigt war, herab.

»Therese, dieser Herr – der Herr Bürochef aus dem Ministerium, unser neuer Mieter, wünscht dir sein Kompliment zu machen.«

Das junge Mädchen wollte sich erheben, aber Herr Heidenreich bat sehr zuvorkommend, sich nicht stören zu lassen und machte eine tiefe achtungsvolle Verbeugung.

»Ich bin entzückt Ihre Bekanntschaft zu machen, mein Fräulein. Eine so liebliche Blume glaubte ich unter diesen …«

Der Sprecher hielt inne, aber er verzog ein Gesicht, als ob er hätte sagen wollen, »glaubte ich unter diesen Disteln nicht zu finden.«

Mutter Distel nahm nun das Wort. »Nun, so antworte doch, Therese, der Herr Bürochef muss ja glauben, dass du das Sprechen verlernt hast.«

Diese errötete von Neuem. »Ich … ich … seien Sie willkommen, mein Herr …«

Mutter Purps zeigte eine Grimasse, als hätte sie der hübschen blauäugigen Therese einen handgreiflichen Wink wegen ihres linkischen Benehmens geben wollen. Sie besann sich aber noch zur rechten Zeit eines Besseren und sagte: »Die reine unverdorbene Natur, die schlägt ganz nach mir!«

»Nun, ich will nicht weiter stören«, bemerkte der Fremde, kurz abbrechend, »morgen ziehe ich ein und dann hoffe ich, das Fräulein wird sich nach und nach an meine Gesellschaft gewöhnen.« Er verbeugte sich artig, und Madame Purps knickste nun zweimal sehr tief. Als er weg war, schleuderte sie aber ihrer Tochter einen ihrer garstigsten Blick zu und sagte: »Du hast dich wie eine dumme Gans benommen, und ich hätte dir einen derben Puff in den Rücken geben können! Weißt du auch, wer der Herr ist? Er ist Bürochef im Ministerium und steinreich. Ich sah es ihm an, er hatte gleich vom ersten Augenblick ein Auge auf dich geworfen, aber du saßt ja da wie ein Stück Holz. Deine Schwester, die Julie, würde sich ganz anders benommen haben.«

»Aber ich konnte ihm doch nicht gleich um den Hals fallen«, stotterte Therese und beugte sich wieder über ihre Arbeit.

»Um den Hals fallen! … So ein junger Herr will angeregt sein, man muss seinen Vorteil wahrnehmen. Auf diese Weife ist schon manche Heirat zustande gekommen.«

Während Frau Purps ihrer Tochter diese Lehren gab, hatte der neue Mieter unter den neugierigen Blicken sämtlicher Frauen und Kinder den geräumigen Hof durchschritten und trat eben unter den Torweg, als ihm Papa Purps, der gerade vom Kontor zurückkehrte, begegnete. Es war auffallend, wie schlau das kleine Männchen lächelte und wie pfiffig er mit den Augen blinkerte, als er den Gruß des jungen Mannes erwiderte. Man konnte sogar einen Moment glauben, beide würden stehen bleiben und sich wie zwei alte Bekannte die Hände schütteln. Aber aus Furcht vor den Späherblicken begnügten sie sich schließlich doch damit, nach Art der Freimaurer einige geheime Zeichen miteinander auszutauschen. Dann schlüpfte der kleine Purps, welcher im Hintergrund bereits die Gestalt seiner Gattin erblickte, behände vorüber, aber mit einem Ausdruck, als ob ihm das böse Gewissen auf dem Gesicht geschrieben stände.

»Purps«, sagte sein ehelicher Hausdrache, als er in die Stube trat, »das eine Zimmer ist vermietet.«

»So?«, antwortete dieser, indem er den Verwunderten spielte, »na, das freut mich!«

»Das freut dich? Ja, ich glaube selbst, dass dich das freut! … Aber glaube ja nicht, dass du dich nun dem Müßiggang ergeben kannst, weil nun ein vornehmer Herr bei uns wohnt.«

»Ein vornehmer Herr?«

»Ja, ein Bürochef aus dem Ministerium.«

Zum Glück kehrte sich Frau Purps eben um und konnte somit den bedeutungsvollen Blick nicht bemerken, welchen das kleine Männchen mit seiner Tochter Therese austauschte.

»Purps«, fuhr seine Frau fort, »du wirst bei dem Herrn alle Dienste verrichten, die dieser fordert.«

»Ja, ja, an mir soll es nicht liegen.«

»Im Fall er sich nicht seinen eigenen Diener mitbringt«, setzte sie hinzu.

»Wo soll denn der schlafen, etwa unter seines Herrn Bett?«, wagte Purps in einem Anfall von Humor hinzuzusetzen.

»Sprich nicht so einfältig, nötigenfalls könntest du ihm Platz machen.«

»Na, Gott stehe mir bei«, sagte darauf der kleine Mann lachend. »Du vergisst, dass ich das Bett mit dir teile.«

»Purps«, erwiderte seine Gattin sehr indigniert, »ich untersage dir ein für alle Mal, solche frivolen Witze zu machen. Als die Tochter eines Kanzleirates verbietet es mir der Anstand, solche anzuhören. Merke dir das für die Zukunft und erinnere dich stets daran, welche Ehre ich dir erwies, als ich dir meine Hand reichte.«

Der kleine Mann, längst an unbedingte Unterwürfigkeit gewöhnt, rieb sich wie gewöhnlich mit einem sehr versöhnlichen Lächeln die Hände und schien vollkommen befriedigt, als seine Frau schließlich den Tisch deckte und ihm sein frugales Mahl vorsetzte.

So weit war unser Bekannter, der Baron von Schwefelkorn in seinen Mitteilungen über die Familie Purps gekommen, als er hiervon abbrechend, zu dem aufmerksam zuhörenden Schwalbe sagte: »Wir müssen uns nun darauf vorbereiten, selbst eine tätige Rolle bei dem weiteren Verlauf der Ereignisse zu übernehmen.«

»Wie, wir sollen persönlich dabei mitwirken?«

»Allerdings. Die Sache wird ergötzlich genug werden. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich lange so schlimm nicht bin, wie mein Ruf ist. Die Menschen hassen mich, weil ich ihre Untugenden strafe und ihre Bosheiten nicht selten zuschanden mache. Es ist dann freilich leicht, die Sachen dem Teufel in die Schuhe zu schieben und sich selbst reinzuwaschen. Diesem alten Hausdrachen, welcher auf dem armen kleinen Purps fortwährend unbarmherzig herumtrommelt, der ebenso habgierig wie selbstsüchtig, ebenso hartherzig wie prahlsüchtig ist, habe ich es schon lange zugedacht, und jetzt soll er etwas Tüchtiges auf seinen Eulenschnabel bekommen.«

»Nun, was für einen Plan haben Sie denn ausgedacht?«

»Sie wissen doch, dass Frau Purps noch ein zweites möbliertes Zimmer zu vergeben hat, welches nur durch eine Tür von dem des Bürochefs getrennt ist?«

»Allerdings erwähnten Sie dessen in Ihren Mitteilungen.«

»Nun, dieses Zimmer wollen wir mieten.«

»Und dann?«

»Das Übrige findet sich. Ich plaudere nicht vorher, sonst geht das Interesse verloren.«

»Gut. Handeln Sie, wie es Ihnen angemessen dünkt, ich richte mich ganz nach Ihnen.«

Etwa acht Tage später befanden sich Schwefelkorn und der Doktor im Besitz der hier erwähnten Stube. Da der Erstere, ebenfalls ohne zu handeln, einen sehr anständigen Mietpreis bezahlt hatte, so befand sich die Dame aus dem Ministerium in der besten Laune, die sich noch steigerte, als ihr der verkappte Herr von Schwefelkorn verschiedene nicht unerhebliche Nebenverdienste zufließen ließ.

Nur eins setzte Frau Purps in Missstimmung, dass nämlich der reiche Herr Heidenreich sich auf das genaueste Maß der Ausgaben beschränkte und plötzlich ebenso den Sparsamen herauskehrte, wie er früher, beim Mieten, den Freigebigen spielte. Vergebens hatte sie alle Ecken und Winkel durchsucht, um vielleicht einen gebratenen Kapaun, ein Stück geräucherten Lachs oder eine bereits angebrochene Flasche Wein zu entdecken. Frau Purps war nämlich schon seit längerer Zeit einem Hausdieb auf der Spur. Da sich bei ihrem Mieter aber nichts Essbares vorfand, so musste der Hausdieb vorläufig außer Verfolgung gesetzt werden. Und Frau Purps war genötigt, sich gleichzeitig mit sehr verdrießlicher Miene den Mund zu wischen, welcher ihr bereits nach allerhand Leckerbissen gewässert hatte. Das, was sie noch einigermaßen tröstete und mit dem Bürochef wieder aussöhnte, war der Umstand, dass er der hübschen Therese alles Ernstes den Hof machte und bereits nicht undeutliche Winke hatte fallen lassen, dass es ihm wirklich um eine dauernde Verbindung mit derselben zu tun sei. Sobald es nur irgend seine Zeit gestattete, saß er an der Seite des schönen Mädchens und sagte ihr tausend Schmeicheleien und blickte ihr verlangend in die dunklen Augen, die dann schelmisch aufblitzten, während sich der kleine frische Mund zu einem aufmunternden Lächeln verzog. Einmal kam sogar die würdige Mutter dazu, wie der Herr Bürochef Thereses Hand sehr zärtlich drückte. Ohne in Verlegenheit zu geraten, erklärte, er habe dem Fräulein eben aus der Hand wahrgesagt. Es sei unzweifelhaft, dass dieselbe eines Tages noch eine große Dame werden würde und diese niedliche Hand müsse sich ganz prächtig ausnehmen, wenn Therese, als die Repräsentantin des Hauses, ihren Gästen im engen Freundeskreise den Tee serviere.«

Frau Purps glaubte natürlich diesen Wink vollständig zu verstehen und sah sich bereits in Gedanken als künftige Schwiegermutter auf der höchsten Höhe der Macht im Ministerium. Sie schrieb sogar in Gedanken schon Steuern aus, um ihren Haushaltsetat zu verbessern, natürlich alles auf konstitutionellem Wege. Und wie das gemacht wurde, das musste ja der Herr Bürochef wissen. Auch hatte sie schon im Stillen beschlossen, dahin zu wirken, dass dem seligen Kanzleirat Piepenmeier aus den geheimen Fonds ein prächtiges Denkmal gesetzt würde, denn ein Geheimnis hatte Piepenmeier ja stets umgeben und seine Verdienste um die Vielschreiberei waren zu bekannt, als dass der Staat sie hätte ignorieren können.

Auch Schwefelkorn und Schwalbe wurden mit ihrem Nachbar nach und nach bekannt und sie fanden, dass es demselben keineswegs an Unternehmungsgeist fehlte. Da sie ihm bei der schönen Therese keine Konkurrenz machten, im Gegenteil sich gern behilflich zeigten, wenn es galt, Mutter Purps Sand in die Augen zu streuen, so wurden sie bald näher vertraut miteinander und statteten sich gegenseitig Besuche ab, indem sie ganz einfach die Zwischentür öffneten. Papa Purps lächelte nach wie vor geheimnisvoll, rieb sich die Hände und machte mitunter ein Gesicht, als sei er, wie jener Römer bereit, sich nötigenfalls in einen Abgrund zu stürzen, um durch solche Aufopferung zwei gewisse Personen davor zu bewahren, dass sie nicht ebenfalls von diesem Abgrund verschlungen würden, worunter nämlich Purps sehr boshafterweise seine Frau verstand. Nur von einer Person wurde Heidenreich im Stillen gehasst, und diese Person war Julie, welche es nicht ertragen konnte, dass ihre Schwester von ihm so bevorzugt und sie dagegen völlig unbeachtet gelassen wurde. Ihr neidisches Gemüt hatte sich vorgenommen, hierfür bei passender Gelegenheit Rache zu üben.

Wir werden im Verlauf der weiteren Begebenheiten sehen, auf welche Weise sie diesen Vorsatz ausübte.

Eines Tages war große Bewegung im Purps’schen Haus. Herr Heidenreich hatte drei Plätze im Theater genommen, und Mutter Purps, welche darin einen neuen Fortschritt für ihre geheimen Pläne erblickte, wenn der junge Bürochef sich mit Therese öffentlich zeigte, war so gnädig, zu erlauben, dass Herr Heidenreich ihre Töchter dorthin führte. Auch auf die Bemerkung, dass die Rückkehr sich vielleicht etwas verzögern dürfte, hatte sie mit einem zustimmenden Kopfnicken geantwortet. Therese sah wirklich reizend aus, als sie an der Seite des jungen Mannes in den Wagen stieg. In Julies Blicken spiegelte sich dagegen zwar etwas der Neid, aber das Verlangen, ein so ungewohntes Vergnügen zu genießen, erhielt sie doch bei guter Laune. Papa Purps endlich winkte bedeutungsvoll, als er den Kutschenverschlag zuschlug, kratzte sich aber doch sehr nachdenklich am Kopf, als er in den Hof zurückkehrte, und sah aus, als ob er nun wirklich den beabsichtigten Sprung in den Abgrund tun wollte.

»Passen Sie auf«, sagte Schwefelkorn zu Schwalbe, »diesen Abend gibt es etwas.«

»Wie so? Ich wüsste doch nicht, dass etwas Besonderes vorgefallen wäre.«

»Es wird aber etwas vorfallen.«

»Werden wir denn auch eine Rolle dabei spielen?«

»Na, so ein klein wenig. Wir können doch nicht den armen Jungen, den Heidenreich, für den ich mich nun einmal interessiere, in der Patsche sitzen lassen.«

»Also um Heidenreich handelt es sich?«

»Ich sage nichts. Die ganze Wirkung geht ja verloren, wenn Sie den Inhalt des sich vorbereitenden Melodramas schon im Voraus wissen.«