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Der Totenwirt und seine Galgengäste 6

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Teuflische Rache

Als Hedwig am nächsten Morgen im Stall erschien, um dem Zelter ein Stückchen Kuchen zu reichen, lag Bastian nach seiner Gewohnheit zu den Hinterfüßen des Zelters, erhob sich rasch und verbeugte sich schweigend und demütig.

»Ich komme heute früher als gewöhnlich«, sagte sie gütig, in den Stand tretend, um ihrem lieben Aga, wie sie den Zelter nannte, den Kuchen zu geben.

»Ist er schon gefüttert?«

»Ja, gnädigstes Fräulein.«

»Sattle ihn und die Rosse des Junkers und meines Pagen. In einer halben Stunde wollen wir einen Spazierritt machen.«

Sie ging.

»Reite nur zu, Hochmutsteufel, es ist dein letzter Ritt!«, dachte er sich und rieb sich schadenfroh die Hände.

Dieser Spazierritt war nur von kurzer Dauer. Hedwig beklagte sich plötzlich über stechende Schmerzen in ihren beiden Füßen. Der Junker rief angstvoll zur schleunigen Umkehr, die auch im raschen Galopp geschah. Im Burghof angekommen, vermochte Hedwig nicht mehr, sich aus dem Sattel zu schwingen. In den Armen des Junkers glitt sie auf den Boden herab, schrie aber vor Schmerzen laut auf, da sie nicht mehr auf den Füßen stehen konnte. Der Junker und der Page trugen sie in ihr Gemach hinauf. Unbeschreiblich war der Schrecken des Vaters und der Mutter. Der Burgkaplan wurde sogleich herbeigerufen.

Zur damaligen Zeit, wie auch noch viele Jahrhunderte später galten die Klöster als Muster des landwirtschaftlichen Betriebes in allen seinen Zweigen und zugleich als vollkommen erfahren in der auf die Kräuterkunde gegründeten Arzneiwissenschaft, welche auch jene Jünglinge erlernen mussten, die in ihren Unterrichtsanstalten ihre Ausbildung zu künftigen Weltpriestern fanden, daher auch alle Burgkaplane zugleich die Burgärzte waren.

Der herbeigerufene Kaplan äußerte die Besorgnis, das Fräulein könne von einer Viper in den Fuß gebissen und so das Gift dem ganzen Körper mitgeteilt worden sein. Die sorgfältigste Untersuchung der Füße durch die Eltern zeigte aber nicht die geringste Spur eines solchen Bisses. Vergebens wurden alle erdenklichen Heilversuche gemacht, Umschläge und Bäder von Kräuterabsud angewendet, Nachfragen auf befreundeten Burgen und in benachbarten Klöstern angestellt. Die Tag und Nacht anhaltenden, jeden Schlaf verhindernden Schmerzen Hedwigs wurden immer heftiger.

Acht Tage lang weidete sich der schlechte rachgierige Bastian an den täglichen Klagen der Dienerschaft über die Höllenqualen der herzensguten jungen Gräfin, dann aber, und gerade deshalb, damit sie vermute, dass er ihr diese Leiden bereitet habe, verschwand er plötzlich aus der Burg und mit ihm das mit zierlicher Silberarbeit ausgelegte Zaumwerk des Zelters Aga.

Nun hatte auch Hedwig keinen Grund mehr, Bastian zu schonen, und erzählte den Vorfall im Stall, den sie früher aus unüberlegtem Mitleiden verschwiegen hatte. Nun hinterbrachten die beiden Stallknechte, welche Augenzeugen des nächtlichen Teufelsspukes im Stall gewesen waren, dem Junker Hildebert, was sie gesehen und gehört und nur aus Furcht vor dem Teufel damals nicht angezeigt hatten.

Die Heilmittel gegen natürliche Krankheiten waren somit zu Ende, und die gegen übernatürliche oder vielmehr durch höllische Künste beigebrachte, ohne Erfolg geblieben. Nach Verlauf eines halben Jahres blieb noch immer alles im alten Zustand in jener traurigen Lage Hedwigs, die im Eingang dieser furchtbaren Geschichte geschildert wurde, wohin wir jetzt unsere geneigten Leser mit dem kurzen Bemerken zurückführen müssen, dass am grauenden Morgen nach dem nächtlichen Verschwinden Bastians aus der gräflichen Burg denselben ein Müllerbursche von Bardenfels unbemerkt den steilen Berg zu dem Räubernest Kralleneck hatte hinaufsteigen sehen.