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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Erklärung und Aufklärung

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 16

Im hintersten Verschlag der Kajüte der Graf Mörner, in der sogenannten Kapitänskammer, saß das Fräulein von Gabel mit der ihr eigenen Majestät auf der Matratze, und ihre großen Augen blickten mit ruhigem Stolz auf den jungen Mann, der bis jetzt unter dem angenommenen Namen Joseph Flaxmann aufgetreten ist. Er teilte in seinem äußeren Wesen ihre Ruhe nicht, und sein belebtes Auge flog von ihrer Gestalt oft auf die Gegenstände in der Kammer oder durch die Luken auf den sonnenglänzenden Meeresspiegel hinaus.

»Geben Sie mir endlich Rechenschaft, Herr Major«, redete die Dame in einem fast befehlenden Ton, »wie und durch welche Veranlassung sind Sie auf den närrischen Einfall gekommen, meine Wenigkeit von der dänischen Küste stehlen zu lassen. Fürwahr, an Sie, mein Herr, habe ich bei meiner Entführung auch nicht mit einem Gedanken gedacht. Reden Sie! Reden Sie!«

»Nur so mögen Sie es den wissen, Friederike«, versetzte der Fremde unmutig, »dass es Rache war, Rache für mein beleidigtes Ehrgefühl, welches mich mit dem Kapitän Norcroß einen Kontrakt abschließen ließ, schmeichelhaft sein musste. Allein ich bin dergleichen Erklärungen schon so gewohnt, dass ich aus der Ihren nicht mehr gemacht habe, wie aus jeder anderen. Hilf, guter Gott! Wenn alle die, die mir eine unerwiderte Neigung erklärt haben, mich gleich hätten rauben lassen wollen, die dänische Küste würde blockiert gewesen sein, und unser König geglaubt haben, der Schwedenkönig liege mit einer Flotte vor unserem Hafen.«

»Sie werden mir mit diesen Winkelzügen nicht entgehen, Sie werden mit Ihrem Spott mir nicht die Überzeugung wegräsonnieren, dass Sie mein Ehrgefühl mit Plan und Absicht haben kränken wollen. Denn es müsste Ihnen ja bei Gott am gesunden Menschenverstand fehlen, wenn Sie die Glut meiner Liebe von dem erkünstelten Strohfeuer eines erbärmlichen Surrogats von Leidenschaft, von welchem Ihnen Ihre übrigen Anbeter süße Dinge vorzusagen sich bemühten, nicht hätten unterscheiden wollen.«

»Und wer bürgt Ihnen dafür, dass ich diesen Unterschied in seinem ganzen Umfang nicht wirklich gemacht habe? Gilt Ihnen aber eine gute Distinktionsgabe für gleichbedeutend mit Liebe? Beim Himmel, mir nicht! Ich liebte Sie nicht, Major. Ich feuerte Ihre Leidenschaft nicht an, ich suchte sie im Gegenteil abzukühlen! Aber je förmlicher, abgemessener, kälter ich gegen Sie war, desto entbrannter wurden Sie in mir. War das etwa meine Schuld? Und als Sie nun trotz meiner Vorsichtsmaßregeln dennoch mit Ihrer Liebeserklärung hervortraten, nahm ich Ihnen sogleich alle und jede Hoffnung in bestimmten, klaren Ausdrücken, keineswegs in kränkenden. Als solche sah sie nur Ihre erhitzte Einbildungskraft an. Wie? Sollte ein so kluger Mann im Ernst Liebe von einem Mädchen erzwingen wollen? Nimmermehr! Und fürwahr, ich hatte Sie schätzen gelernt, und deshalb waren Sie mir zu der Rolle eines Ehegemahls zu gut. Dazu taugte allein eine Kreatur, wie der Kammerjunker Raben, welcher bald nach Ihrem Verschwinden von Kopenhagen zu meinem Bräutigam deklariert und ausgestellt wurde. Sie werden das vielleicht unbegreiflich finden, aber ich habe bis jetzt keinen Mann geliebt, bis jetzt, o Himmel! Denn wie Sie mich hier sehen, liebe ich nun einen Mann so stark, so gewaltig, wie Sie mir Ihre Leidenschaft zu mir schildern. Sie haben also jene Friederike von Gabel nicht mehr vor sich, welche Sie vor einigen Wochen verließen, ach! Leider bin ich verwandelt! Aber Sie sollen nicht verächtlich von mir sprechen. Hören Sie also: Die unverhohlen mir geschenkte Neigung des jugendlichen Kronprinzen schmeichelte meiner Eitelkeit. Ich hatte keine klaren Entwürfe. Ich liebte den Kronprinzen so wenig wie einen anderen Knaben, doch aber mein Stolz fühlte sich glücklich in der Huldigung dieses königlichen Kindes. Jetzt, nachdem die Macht der Liebe die Pforten meines Herzens gesprengt hat, jetzt vermag ich jenes Verhältnis, in dessen trübem Dämmerlicht ich die Erbärmlichkeit meiner Rolle nicht sehen und verstehen konnte, klar zu überschauen. Ich stand im Begriff, mit all der Kühlheit meiner Überlegung mich selbst meiner Eitelkeit, die nicht einmal weiblich war, zum Opfer zu bringen. Noch zuletzt aber sei Ihnen gesagt, dass der Kronprinz, sobald er Ihre mir dargebrachte Huldigung bemerkte, Sie mir in einem unvorteilhaften Licht zu zeigen suchte.«

»Wie?«, rief Flaxmann entrüstet, »der Kronprinz von Dänemark hat es gewagt, die Ehre eines … meine Ehre anzugreifen, um sich die Gunst einer Dame zu sichern? Ich konnte unglücklich, arm, heimatlos werden, aber ehrlos – barmherziger Gott! Ich vermag das schmähliche Wort nicht auszusprechen. Nein, das ist nicht zu ertragen! Jeden Flecken von meiner Ehre muss ich mit Blut abwaschen und sollte es mit dem Blut eines Königssohnes und Thronerben sein. Auch in meinen Adern …« Er schwieg bestürzt abbrechend und lief händeringend umher. Dann wandte er sich wieder zur Dame. »Ich beschwöre Sie, Fräulein, teilen Sie mir die Beschuldigungen mit, die der Prinz gegen mich erhoben hat, damit ich darnach die Größe seiner Schuld gegen mich erwäge!«

»Er sagte, Sie hätten den Prätendenten in seiner höchsten Not verlassen und seien der Sache zurzeit abtrünnig geworden, wo Ihre Teilnahme noch von Wichtigkeit gewesen wäre.«

»Ha! Über diesen königlichen Buben!«, schäumte Flaxmann. »Ich werde mir Genugtuung von ihm zu verschaffen wissen. Und vielleicht gibt mir der Himmel bald Gelegenheit, Ihnen und der Welt zu zeigen, wie ich meinem rechtmäßigen König ergeben bin. Denn wenn ich auch Ihre Liebe nicht erwerben kann, so will ich doch Ihre Achtung nicht verlieren.«

»Und noch ein anderes Geheimnis habe ich Ihnen zu verraten, Herr Major«, fuhr das Fräulein mit einem milderen Ton fort und heftete ihren Blick mit einer lauernden Aufmerksamkeit auf sein Gesicht.

»Das wäre?«, rief er gespannt.

»Sie liebten mich in Kopenhagen und ließen mich dort rauben, weil ich diese Liebe nicht erwiderte. Ich habe Ihnen bereits einige Gründe meines Betragens aufgezeigt. Ich bin Ihnen den Letzten und Vorzüglichsten schuldig. Ich wusste nämlich, dass Sie von einer Dame mit einer stillen, aber gewaltigen, an Schwärmerei grenzenden Leidenschaft geliebt wurden, einem edlen vortrefflichen Mädchen, die mir sehr teuer war und die ich durch Einwilligung in Ihr Begehr über die Maßen betrübt haben würde.«

Des Fremden Gesicht hatte während dieser Worte eine merkwürdige Veränderung erlitten. Vom früheren Schmerz und Unwillen waren einige Züge geblieben und nun hatten sich die des Erstaunens und der Neugierde dazu gesellt.

»Wie wäre das möglich?«, rief er endlich. »Ich hatte nur Augen für Sie. Wer könnte die Dame sein?«

»Sollte Ihr Scharfsinn sie nicht schon erraten haben? Sollten Sie selbst in Kopenhagen nicht dann und wann die stille Aufmerksamkeit bemerkt haben, womit jene Dame selbst dann Ihnen huldigte, wenn Sie mit erhitzter Fantasie mir nacheilten? Sollten Sie nicht die Zähre in dem sanften blauen Auge bemerkt haben, wenn Sie rücksichtslos nur mir zu Diensten lebten, die ich kalt, oft mürrisch zurückwies?«

»Wie ein Schleier fällt es mir von den Augen. Sie meinen Ihre Verwandte, Ihre Freundin und Gespielin, das Fräulein Christine von Ove.«

»Sehen Sie, dass Ihr Herz nicht alles Gedächtnis verloren hat! Ihrer selbst unbewusst hat es die leisen, aber süßen Eindrücke empfangen, und bringt sie Ihnen nun, da Ihr Rausch vorüber ist, vor die aufgeklärte Seele. Christine liebte Sie von Ihrem ersten Erscheinen am dänischen Hof und liebte Sie heftig und heftiger, je mehr Sie sich zu mir wandten. Aber ihre still aufgeblähte Neigung war eine Nachtviole, die sich dem Licht des Tages verschloss, um so scheuer, da dieses Licht sich einer wilden Rose zuwandte, die in Dornen und Laub am steilen Bergabhang über dem steilen Strom wucherte. Und so habe ich ihre Liebe erst erraten, dann sie mit einer Neckerei überrascht und ihr so endlich das Geständnis derselben abgelockt. Damals konnte ich darüber lachen, denn ich verachtete alle Männer. Liebe war mir ein Spott. Nun ist mir ihre Neigung heilig.«

»Sprechen Sie Wahrheit, Fräulein?«, fragte Flaxmann mit einem durchbohrenden Blick.

»Major!«, versetzte sie ernst, »wann habe ich je gelogen und was würde mir die Lüge helfen? Ich bin in Ihrer Gewalt. Tun Sie mit mir, was Ihnen gut dünkt, aber Sie werden bei näherer Untersuchung stets bewährt finden, dass ich jetzt und immer Wahrheit sprach.«

Der junge Mann wandte sich mit nicht zu verbergender Bewegung ab, ohne weiter ein Wort zu sprechen. Aber die natürliche Heftigkeit seines Gemüts duldete ihn nicht länger in der Kammer. Er stürzte hinaus und ließ das Fräulein in Unklarheit über seinen Zustand zurück. Auch sie war unruhig. Ihre Gedanken trieben wie vom Sturm gepeitschte Segler auf dem wogenden empörten Meer ihrer Gefühle und lauteten in Worte übersetzt ungefähr wie: »Friederike, du hast an der Natur gefrevelt und dafür rächt sich die Natur an dir. Du hast die Männer verachtet und nun liebst du einen, der dich verachtet, der eine andere liebt und niemals der deine werden kann. Aber wie? Bin ich denn so schwach geworden wie ein Kind? Ist denn so plötzlich alle mir sonst eigentümliche Stärke von mir gewichen? Ich lebe auf diesem Schiff wie in einem Zauberschloss.

Wenn ich nur erst das Festland wieder betrete, so wird auch meine alte Kraft wiederkehren. Ich muss, ich muss mich besiegen. Welche Schande für meinen Stolz, diese Krone eines seines Wertes bewussten Gemüts, wenn ich ihm meine Schwäche merken ließe! Ach, und habe ich nicht, seit ich auf diesen Meeren schwimme, über mich wachen müssen, damit ich mich ihm nicht verriete? Bin ich denn nicht jetzt schon gedemütigt genug, dass ich wähnte, er habe mich für sich geraubt? Wie glücklich machte mich dieser Wahn! Wie schrecklich war die Enttäuschung! Und habe ich mich ihm nicht schon verraten? O, Friederike, was ist aus dir geworden? Ein schwaches, erbärmliches Geschöpf! Doch ermanne dich! Erwache aus diesem düsteren Traum, aus diesem betäubenden Schlaf! Auf! Auf! Wappne dich! Verschließe dein Herz diesen Empfindungen der Schwachheit, die dich schänden!« In dieser Aufregung schritt sie hin und her, als Flaxmann plötzlich wieder vor ihr stand.

»Ich habe töricht gehandelt«, sagte er ernst und würdig. »Als ich, ein armer Flüchtling, zuerst in das Haus Ihres Vaters trat, schenkten Sie mir auch nicht die geringste Aufmerksamkeit weiter, als die Höflichkeit vorschreibt, aber Christines Mitleid kam mir mit rührender Natürlichkeit teilnehmend entgegen. Ihr sanftes Mitgefühl ergriff mich. Ich fühlte in meinem Herzen etwas für sie sich regen, das, wenn es noch nicht Liebe war, es doch sicherlich geworden wäre. Da raunte mir mein englischer Stolz zu, es sei meiner unwürdig, mich bemitleiden zu lassen, oder einer Seele, die mich zu bemitleiden wage, gut zu sein. Er sagte mir, das stille Veilchen am Weg sei nicht die Blume für ein so stolzes Herz wie das meine, und ich verschloss es ihm, um es der Sonnenblume zuzuwenden, die doch von mir nichts wissen wollte. Sehen Sie, so habe ich die aufkeimende Neigung zu Christine in meiner Seele erstickt, so habe ich durch erkünstelte Treibhauswärme eine glühende Leidenschaft für Sie in mir erzeugt, die um so rasender wurde, je größeren Widerstand sie fand. Ihre besonnene Antwort auf meine tolle Liebeserklärung trieb mich von Kopenhagen fort, meine Leidenschaftlichkeit jagte mich in die Hände der Werber, sie würde mich noch weiter geführt haben, wenn Kapitän Norcroß’ Tapferkeit mich nicht für die schwedischen Fahnen gewonnen hätte!«

»Sie haben gegen die Natur gesündigt wie ich, und Ihre Buße ist gerecht wie die meine. Doch sagen Sie, was wollten Sie als dänischer Rekrut in Kopenhagen?«

»Ihnen wollte ich unter die Augen treten im Kommissrock des gemeinen Soldaten, höhnen, beschimpfen wollte ich Sie, Ihres Stolzes wollte ich spotten, ich wollte ein Rotürier sein, um die ausgesuchteste Rache an Ihnen zu nehmen. Das war mein dunkler Plan.«

»Sie gefallen mir immer mehr, Major, und wenn ich Sie gleich nach Ihrem ganzen Charakter kennengelernt hätte und Christine nicht dazwischen gekommen wäre, ich hätte Sie vielleicht lieben können. Doch dies ist vorüber. Christine ist Ihnen nicht gleichgültig und ich würde Sie nie lieben können.«

»Nicht wahr, Kapitän Norcroß war so glücklich, diesen Stolz zu brechen? Wissen Sie auch, dass er eine Braut in Stockholm hat?« Die Frage war nicht ohne Beimischung von Schadenfreude.

»Ich weiß es. Und wenn Sie jemals etwas für mich empfunden haben, so beschwöre ich Sie, erwähnen Sie bei ihm meiner nicht, so wenig wie bei mir seiner wieder.«

»Wie Sie wünschen«, spöttelte er. »Übrigens, mein Fräulein, sind Sie frei, und sobald wir den Fuß ans Land setzen, haben Sie freien Willen, zu tun, was Ihnen beliebt, nach Kopenhagen zurückzukehren, oder …«

»Nimmermehr! Glauben Sie denn, es wäre mir möglich, wieder in Verhältnisse zu treten, die ich jetzt verabscheue?«

»Und werden Sie mir verzechen, was ich in höchster Leidenschaftlichkeit tat? Was soll ich es leugnen, ich liebe Sie nicht mehr mit jener rasenden Heftigkeit, aber ich hasse Sie auch nicht, wie erst.«

»Ich habe Ihnen alles verziehen, Major. Auch will ich Ihnen nicht verhehlen, dass Sie mir nach der heutigen Unterredung nicht gleichgültig sind. Ich habe Sie erkannt. Und kann ich Sie auch nicht lieben, so werden Sie meine Freundschaft doch nicht verschmähen.«

»Friederike«, rief der junge Mann, plötzlich von neuer Leidenschaftlichkeit erfasst, »könnten Sie mir mehr sein!«

»Denken Sie an Christines stille Liebe und an die Schändlichkeit des Kronprinzen!«

»Ha, woran erinnern Sie mich! Stockholm liegt vor uns und bald muss die Stunde schlagen, die mir Mittel zur Rache gibt. Ja, und es ist wahr. Ich liebe Christine, ich fühle es. Ich werde von ihr geliebt und ich konnte ein Torr sein, mich von ihr zu wenden!«

»Es ist immer noch Zeit, zu ihr zurückzukehren.«

»So sei es!«, rief Flaxmann und verließ Friederike abermals.

»Nun habe ich freie Bahn,« sprach sie zu sich selbst. »Mir soll der Schwächling nicht mit einer Liebe entgegentreten, die ich nie erwidern kann. Und doch ist er besser, als ich ihn geglaubt habe. Christine wird er beglücken können, aber nicht mich. Für dich, stolzes Herz, gibt es kein Glück mehr auf der Welt. Den kühnen Räuber, oder keinen! Er ist mein Schöpfer, er hat die verkrüppelte Knospe zur wahren Blüte gebracht. Doch soll sie seine Hand nicht brechen, so mag sie verwelken. Eine Herzogstochter liebte ihn, wie er erzählte, und wahrlich, dieser Mann muss solcher Liebe würdig sein. Dieser prinzliche Flachkopf hat mich entwürdigt! Ha! Ich die Buhlerin eines Prinzen! Eines Knaben! Rache dir dafür, Kronprinz Christian! Schmähliche Rache für diesen Gedanken! Wilde, gewaltige Gedanken wirbeln durch meinen Kopf, aber Norcroß steht fest in meinem Herzen. O! Kühner Seeheld, kenntest du dies Herz, du wüsstest nichts mehr von einer Braut in Stockholm. Was wird sie fein? Ein gutes sanftes Geschöpf, eine zweite Christine. Norcroß, du verdientest ein anderes Weib. Doch still, Herz, und behaupte deinen Stolz in seiner Nähe.«