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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Norcroß als Parteigänger

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 14

Nach einer Pause fuhr der Kapitän fort: »In England wurde ich von meinen zahlreichen Freunden mit offenen Armen empfangen. Meine Schicksale fingen an, einiges Aufsehen zu erregen. Man drängte sich zu mir und bat mich in die vornehmsten Gesellschaften. Bald gehörte es zum guten Ton, mich zu kennen und von mir gekannt zu werden. Gerade zu jener Zeit tobte der Kampf der Jakobiten und Hannoveraner oder der Königlichen, am wildesten in England. Nicht allein in den großen Städten, auch in den kleinsten Dörfern nahm man Partei für den Prätendenten oder gegen ihn, um so mehr, da wohl bekannt war, wie gern die Königin Anna die Regierung ihrem Neffen hinterlassen hätte. Mein Vater war den Anhängern des Prätendenten noch in gutem Andenken. Man wusste, dass er einer der treuesten Freunde des Königs Jakob gewesen war, und man setzte voraus, dass ich in die Fußtapfen meines Erzeugers treten werde. Von meiner Kühnheit, meiner Gewandtheit, meinem Unternehmungsgeist ließ sich schon etwas erwarten, und die Freunde der Stuarts betrachteten mich als gute Prise. Inzwischen spielte ich ziemlich versteckt und ließ mir nie recht anmerken, mit wem ich es ferner zu halten gedenke. Daher kam es, dass beide Parteien um mich warben. Doch nahmen sich die jakobitischen Parlamentsmitglieder meiner besonders an. Große und angesehene Leute waren meine Freunde, und alle sahen mich für einen Menschen an, welcher große Dinge auszuführen geschickt sei.

Jede Partei wollte mir auf eine vorteilhafte Art zu Amt und Würden verhelfen. Die einen meinten, ich sei durch meine Erfahrungen im Seewesen geschickt, eins der besten Orlogschiffe der englischen Flotte zu führen. Die anderen sagten, in der Nähe des Hofes sei ich besser gestellt. Sie versuchten mich zu überreden, dass ich mich um eine Kammerherrenstelle oder um eine Charge als Brigadier der Garde zu Pferd bewerben sollte. Keine von beiden Stellen sollte mir entgehen. Wieder andere wollten mir einen Platz im Unterhaus verschaffen. Und endlich hielt man mich für fähig, dem Lord Rofs auf seiner Gesandtschaftsreise nach Frankreich zu folgen. Diese Anträge waren mir natürlich sehr schmeichelhaft. Ich schwamm in einem Meer von Plänen und Entwürfen. Obgleich mich Neigung zur See zog, lockte mich doch auch die Bahn des Ruhms so süß, dass ich schwankte. Im Herzen war ich stets den rechtmäßigen Königen von England, den Haus Stuart zugetan. Deshalb bekannte ich mich auch nach einiger Zeit öffentlich und ohne Rückhalt zu den Jakobiten. Diese vermochten mich denn auch, mich auf die hohe Schule nach Oxford zu verfügen, um in den Wissenschaften das Versäumte nachzuholen, weil man mich später durchaus zum Staatsdienst zu gebrauchen gedachte. Kaum hatte ich mich ein halbes Jahr mit den Studien beschäftigt, als mich die Nachricht vom Tod der Königin Anna unangenehm überraschte. Die Gemüter gerieten in die äußerste Spannung, aber der strenge Befehl, welcher zugleich mit der Todesnachricht einlief, kein einziger Mensch soll binnen acht Tagen Großbritannien verfassen und zur See gehen, zeigte deutlich, dass die Hannoveraner siegen würden; denn dieser Befehl war augenscheinlich aus keinem anderen Grund gegeben worden, als dass die verwitwete Königin Maria und der Prätendent nicht bald den Tod der Königin Anna erfahren möchten.

Die gefährliche Lage, in welche unsere Partei kam, nötigte mich, Oxford wieder zu verlassen und nach London zurückzukehren; denn ein enges Aneinanderschließen tat vor allem not, um sich in Masse zu beraten und dann zu handeln. Aber hilf Himmel! Niemand hatte Mut, etwas zu unternehmen, man sprach viel, aber tat nichts. Man konnte nicht einig werden, und der, welcher unsere mutlose Partei hätte unter einen Hut bringen und beleben können, der Prätendent stellte sich nicht ein. Die Zeit verstrich, der Kurfürst von Hannover kam nach England und wurde zum König gewählt, ohne dass sich jemand widersetzt hätte. Lieber dies Versäumen des rechten Zeitpunktes, über diese bequeme Vornehmheit, die nur befehlen, nichts aber selbst tun will, über die dünkelvolle Dummheit des alten Adels sprach ich mich mit Bitterkeit und ohne Rücksicht aus. Das Feuer jugendlicher Leidenschaft riss mich hin, auf Hannoveraner und Jakobiten gleich verächtlich und tadelnd zu sprechen. Dadurch musste ich der bestehenden Regierung bald verdächtig werden, welcher ohnedies alle knechtisch huldigten. Man fing an, ein polizeiliches Auge auf mich zu werfen.

Es war im Frühjahr des vorigen Jahres, als ich mich in einer Gesellschaft im Haus des Ritters Walpole befand. Zu dieser Gesellschaft gehörte auch der Ritter William Days, der Erzbischof von York und viele andere Bischöfe, Herzöge, Pairs und Parlamentsmitglieder, die alle mehr oder minder der bestehenden Regierung huldigten. Hier wurde ich in der Unterhaltung von meinem Eifer ergriffen und ohne an mich zu denken, sprach ich meine Meinung über die beiden Parteien und vorzüglich über die Handlungsweise des Kurfürsten von Hannover aus. Die genannten Herren ersahen nur zu deutlich, dass ich ein glühender Anhänger des Königs Jakob war, und mein Verderben war nur zu gewiss.

Einige Monate darauf verreiste ich, um einige meiner Freunde zu besuchen und sie anzufeuern, dass sie doch endlich etwas für den rechtmäßigen König Großbritanniens unternehmen möchten. Eigentlich war ich zu dieser Reise von Ehrenmännern beauftragt worden, die bis diese Stunde dem König Jakob ergeben sind, obgleich sie für nötig finden, ihre wahren Gesinnungen zu verbergen. Unterwegs kam ich von ungefähr mit einigen Bekannten zusammen. Einer derselben war Einnehmer der Landschatzung und hieß Lukas. Wir stießen auf einen Trupp Reiter, welche das Land durchstreiften und alle als jakobitisch verdächtigen Personen aufgriffen und ins Gefängnis schleppten. An diese Reiter verriet mich genannter Lukas, wahrscheinlich in höherem Auftrag, als einen der eifrigsten Anhänger des Prätendenten. Ich wurde ergriffen und gefesselt nach Barnet geführt. Die Füße waren mir unter dem Bauch meines Pferdes zusammengebunden, und so diente ich dem neugierigen Volk zum erbärmlichen Schauspiel. Als wir in der Stadt an die Ecke der Goldspornstraße kamen, waren wir gezwungen, anzuhalten, denn ein ungeheurer Menschenhaufen drängte uns entgegen. Man führte nämlich die drei Kapitäne Carr, Doral und Gordon zur Richtstätte, wo sie aufgehenkt und gevierteilt werden sollten, der treuen Anhänglichkeit an König Jakob überführt. Denkt Euch, wie mir zumute wurde! Kaum hatte das Volk erfahren, dass ich des Jakobitismus ebenfalls verdächtig sei, als es mich zu Tausenden umstand und mir zuschrie, mich auf eine ähnliche Reise vorzubereiten. Ich wurde in das Arresthaus, eines der festesten und wohlverwahrtesten Gefängnisse Englands, gebracht, wo ich eine Menge Staatsgefangener, größtenteils Jakobiten fand. Wir waren alle zusammen in einem geräumigen Lokal. Man brachte uns auf unser Begehr die neuesten Zeitungen. Darin fanden wir die Nachricht meiner Gefangennahme nebst der offen ausgesprochenen Vermutung, dass ich denselben Weg gehen würde, welchen die drei Kapitäne gerade zu der Zeit zum Galgen gingen, als man mich gebracht hatte. Meine Befürchtung wurde noch dadurch erhöht, dass ich nach einigen Tagen aus der mir angenehm gewordenen Gesellschaft gerissen und in ein elendes unterirdisches Gefängnis, das verseuchte Loch genannt, geworfen wurde. Hier fand ich den unglücklichen Kapitän Dikal, welcher einige Tage darauf sein Haupt auf den Richtblock legen musste. Dies Alles bestätigte meine Ahnung, dass ich ebenfalls den Tod durch Henkershand werde leiden müssen.

Einst saß ich in Gedanken versunken, als die Tür meines scheußlichen Kerkers aufging und ein Weib hereintrat, welches nicht mehr in den Jahren war, um von ihr auf einen leidenschaftlichen Schritt hinsichtlich meiner zu schließen. Sie war mir gänzlich fremd und in die Tracht des mittleren Bürgerstandes gekleidet. Diese Umstände setzten mich in Verwunderung über den seltsamen Besuch. Bald versuchte sie, mich aufzuklären und beteuerte mir, dass sie nichts als Mitleid hierher geführt habe, indem sie ein sicheres Mittel zu meiner Befreiung wisse. Trotz meiner Fesseln stürzte ich zu ihren Füßen und schwur ihr den heißesten Dank. Ach! Ich wusste ja nicht, welch einen Lohn man von mir verlangen würde. Ohne mir zu erklären, wie es ihr möglich geworden war, in mein Gefängnis zu dringen, teilte sie mir nur mit, sie sei die Vertraute einer vornehmen Adligen, deren mächtiger Einfluss mir die Pforten meines Gefängnisses öffnen könne. Diese hohe Dame wollte sie bereden, dass sie mir selbst einen Besuch im Kerker mache, um sie dadurch noch mehr zum Mitleid zu bewegen.

Und so geschah es. Am Abend des anderen Tages traten zwei Frauen zu mir herein, von denen eine verschleiert war, in deren anderen ich aber sogleich Frau Elisabeth Brondlov, so hatte sich mein erster Besuch mir genannt, wiedererkannte. ›Ihr seid frei‹, sagte die Verschleierte mit einer lieblichen Stimme zu mir, ›doch rechne ich auf Erkenntlichkeit. Bedenkt wohl, dass Ihr in einigen Tagen das Blutgerüst hättet besteigen müssen.‹ Wie wäre ich jetzt imstande, meine damaligen Empfindungen zu malen! Außer mir stürzte ich vor ihr nieder, umklammerte ihre Knie, küsste ihre Hände und nannte sie meinen rettenden Engel. Sie drückte meine Hand dagegen mit einer Leidenschaft, die mir selbst im höchsten Enthusiasmus auffiel. Sie sprach zwar wenig, aber nachdem sie sich entfernt hatte, war mir’s, als dämmerte mir ein Traum in der Seele auf. Diese Stimme wollte mir bekannt dünken, diese Gestalt, diese Augen, welche mich durch den Schleier anblitzten, waren mir nicht fremd. Aber wie ich auch mit meiner Erinnerung rang, ich konnte mir nicht klar machen, wer die Dame sei. Ich hatte meinen Kopf mit vergeblichen Vermutungen erhitzt, als der Kerkermeister hereinschlich, meine Fesseln löste und mich einem Mann übergab, welcher draußen harrend stand. Durch die Stille der Mitternacht gingen wir leise dahin, und mein Herz schlug vor Erwartung, was nun aus mir werden würde. Zugleich wurde es von dem mächtigen Gefühl der Freiheit erfüllt. O, wer die Wonne nie empfunden hat, sich vom Beil des Henkers erlöst zu sehen, kann meinen damaligen Zustand nicht würdigen! Den Flug meiner Gedanken und Empfindungen unterbrach die lästige Geschwätzigkeit meines Begleiters, der mir mit Umständlichkeit erzählte, dass er ein Barbier und Perrückenmacher, namens Samuel Brondlov und der Ehegemahl der Frau Elisabeth Brondlov sei, welche ich bereits zu kennen die Ehre habe. Er verfehlte nicht, mir förmlichen Bericht vom Verlauf seiner Geschäfte und sonstigen Spekulationen in Barnet abzustatten, und war eben im Begriff, auf die Details der Familienverhältnisse seiner verehrten Kunden einzugehen, als wir an einem kleinen Haus standen, welches er mir als seine Wohnung bezeichnete, und in welches einzutreten er mich mit Höflichkeit bat. Kaum waren wir in das untere Zimmer gekommen, als die Frau mit einem Jubelschrei auf mich losstürzte und sich meiner bemächtigte. Die gewagte Protestation ihres Mannes, welcher Lust haben mochte, mich über seine und seiner Kunden und Freunde Privatverhältnisse des Breitern zu unterrichten, wurde mit einem einzigen Blick der Frau niedergeworfen. Es bedurfte nur einer mimischen Andeutung der Augen, ihre Herrschaft geltend zu machen. Ohne weiter ihn eines Blickes zu würdigen, fasste sie mich unter den Arm und führte mich aus der Stube die Stiege hinauf in ein oberes Zimmer, wo ich, wie ich vermutet hatte, die verschleierte Dame fand.

Bis hierher, meine Freunde, habe ich alles getreu erzählt. Jetzt muss ich Euch aber um Erlaubnis bitten, nicht zu sagen, wer diese Dame war und was sie von mir verlangte. Genug, es war eine Schändlichkeit. Sie war von London und allerdings aus meiner Bekanntschaft. Es sei Euch der Wink genug, dass ich in London mit einem der edelsten weiblichen Wesen in einem uns beide beglückenden Verhältnis, auf gegenseitige Liebe und Achtung begründet, gestanden hatte. Wir hatten uns geschworen, einander ganz anzugehören. Ich hätte damals lieber sterben wollen, als meinen Schwur brechen. Jene Bande hat das Schicksal, welches mich mein Vaterland zu verlassen zwang, zwar gelöst. Ich bin ein unglücklicher schwedischer Freibeuter, statt, wenn meine Pläne geglückt wären, ich jetzt eine der ersten Staatschargen in England begleitete. Es ist vorüber. Aber die Achtung, welche ich jener reizenden Dame zollte, ist mir geblieben und es ist kein Verstoß gegen dieselbe, wenn ich Euch sage, dass meine Geliebte die einzige Tochter des Herzogs von Ordmund war.«

»Die reizende Henrica?«, unterbrach hier Flaxmann überrascht den Erzähler.

»Eure Frage beweist mir, dass ihr das liebenswerte Wesen gekannt habt und nach ihrem Werte zu würdigen versteht. Ja, die reizende Henrica, der Stolz Englands, war meine Geliebte. Ja, dies Herz schlug noch im vorigen Jahr beglückt von der Liebe einer solchen Huldin, um deren kleinste Gunst ein Heer der vornehmsten Anbeter vergebens bettelte. Ich, ich war der Glückliche, und was bin ich nun?«