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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Teufel auf Reisen 14

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Vierte Kapitel – Teil 2
Eine Antwort auf eine Verleumdung

Es mochte Viertel vor neun sein, als ein Herr, in einen leichten Mantel gehüllt, aus dem Schatten der Bäume trat, still und geräuschlos durch das nur angelehnte Gitter schritt, und nicht ohne Vorsicht den Windungen eines mit feinen weißen Sand belegten Weges folgte, indem er sich sorgfältig im Schatten der Jasminhecke hielt, welche denselben einfasste. Zuletzt gelangte er an einen schönen, breitästigen Lindenbaum, an dessen Fuß sich ein frischer, mit duftenden Kräutern übersäter Rasenteppich ausbreitete. Hier blieb er stehen, lehnte sich an den kräftigen, gerade emporschießenden Stamm und nahm, indem er seine Blicke gespannt auf das Landhaus heftete, eine solche Stellung ein, dass man berechtigt war, daraus den Schluss zu ziehen, er sehe dem Erscheinen einer zweiten Person entgegen. Da diese indessen nach einigen Minuten des Wartens noch immer nicht kommen wollte, so benutzte der Unbekannte inzwischen die Muße, die ihm blieb, dazu, um sich durch einige halblaute Betrachtungen die Zeit etwas zu verkürzen.

»Ich möchte wohl wissen«, begann er, »was mein Heißsporn, der kampflustige Herr Warrens, setzt auf seinen Beobachtungsposten für ein Gesicht macht … Oh, meine Herren Paladine, die sie mit gezückten Schwertern diese Frau Walden umgeben, um ihre Ehre und ihren Ruf mit Ihrem Blut zu verteidigen, jetzt werden sie doch wohl endlich einsehen, dass sie von Ihrer Armida düpiert worden sind! … Frauen verteidigen! … Wer tut das heutzutage wohl – die verteidigen sich selbst – man erobert sie nur noch! …«

Hier drehte Herr von Bellfort – denn er war der Sprecher – im stolzen Selbstbewusstsein an den Spitzen seines Bartes und ließ seinen Blick wohlgefällig an seinem Körper herabgleiten.

»Spreche mir keiner von den zarten Mysterien der Liebe«, fuhr er fort, »sehen wir denn nicht täglich, dass die Launen der Frauen dieselben in der rücksichtslosesten Weise preisgeben, wenn sie ihr Vorteil oder die Leidenschaft dazu antreibt! … Weshalb also ein größeres Zartgefühl dabei beobachten, wie der äußere Schein gerade bedingt. Warum sich die Pflicht des Schweigens auferlegen, wo Sprechen als eine Rechtfertigung, als ein Triumph über andere erscheint?«

So weit war der Baron in seinem Selbstgespräch gelangt, als aus einem der Seitengänge eine schlanke Frauengestalt trat, welche die Fantasie eines schwärmerischen Dichters, vermöge ihres leichten schwebenden Ganges, wohl imstande gewesen wäre, in eine Elfe zu verwandeln, die aber das wohlgeübte Auge des Barons sofort als die Kammerzofe der Frau Walden erkannte.

»Sind Sie es, meine kleine holde Dores?«, lispelte Herr von Bellfort, indem er mit seiner Rechten das runde Kinn des niedlichen Mädchens streichelte, während er gleichzeitig ein Goldstück in die Hand desselben gleiten ließ. »So kommen Sie, kleiner Cherubim, und öffnen Sie mir die Pforten des Paradieses, an welchem ich bereits seit einer halben Stunde als Schmachtender stehe.«

»Dann folgen Sie mir, Herr Baron«, sagte kichernd Dores , »damit ich Sie von dieser Qual erlöse.«

Und die Kleine trippelte voran, indem sie sich von Zeit zu Zeit umsah und zum Zeichen der Vorsicht und des Schweigens schelmisch den Finger auf den Mund legte.

Endlich blieb sie unter dem Vordach der Villa stehen, machte einen graziösen Knicks und sagte: »Hier muss ich mich verabschieden und es Ihnen überlassen, den Weg weiter zu finden. Allein es wird Ihnen dies nicht schwerfallen, denn Sie haben nichts weiter zu tun, als dort die Treppe hinaufzusteigen und in das erste Zimmer rechter Hand zu treten.«

Fort war das gewandte Mädchen und Herr von Bellfort stand einen Augenblick lauschend da. Nichts regte sich, ringsum herrschte die tiefste Stille, aber keine unheimliche, denn auch die innere Säulenhalle schmückten Blumengruppen. Eine von der Decke herabhängende Ampel verbreitete ein angenehmes Dämmerlicht und oben in ihrem Boudoir harrte ja die schöne Frau, mit ihren bis auf den Busen herabfallenden kastanienbraunen Locken, mit ihren geistreichen lichtblauen Augen, mit ihrem schwellenden Mund, mit so weichen und elastischen Körperformen, als solche jemals das Auge eines Sybariten entzückten.

Herr von Bellfort war, wie wir gesehen haben, keineswegs eine poetische Natur, was seine Grundsätze anbelangt. So hatte er sich, den Frauen gegenüber, sogar als Zyniker zu erkennen gegeben. Aber dennoch löste sich in diesem Augenblick bei der Erinnerung an das Glück, dem er entgegeneilte, die garstige Kruste, welche sein Herz einfasste. Als er in der höchsten Spannung geräuschlos die breiten, mit weichen Teppichen belegten Stufen hinaufstieg, konnte er sich einer sentimentalen Anwandlung nicht erwehren. Die Frage drängte sich ihm auf, ob es denn doch nicht gar zu schlecht sei, so viele Güte mit so vielem Undank, so großes Vertrauen mit so gemeinem Verrat zu vergelten.

Er war im oberen Stock angelangt. Er legte die Hand auf den Drücker der ihm bezeichneten Tür, lauschte einen Augenblick mit zurückgehaltenem Atem. Hatte sie sein Kommen gehört, diese wunderbare Frau, von welcher er erst verachtet und mit Widerwillen zurückgestoßen, dann plötzlich aus Gründen, die er nun zu erfahren hoffen durfte, zu der Höhe einer solchen Gunst emporgehoben worden war?

Wie würde sie ihm entgegentreten? Welche letztendliche Lösung würde der so geheimnisvoll geschlungene Knoten finden? Es drängte ihn, dies zu wissen. Das Schloss der Tür gab dem raschen Druck seiner Hand nach und staunend, bestürzt, verwirrt stand der Baron im nächsten Augenblick in dem kleinen eleganten Salon, unschlüssig, ob er sich eilig zurückziehen oder bleiben und der neuen Situation Trotz bieten sollte.

Herr von Bellfort nannte sich im Stillen einen Tölpel und überhäufte seine werte Person noch mit verschiedenen ähnlichen Schmeichelnamen, denn es blieb ihm nun kein Zweifel mehr, dass er in dieses Zimmer durch eine List gelockt worden war, die er, der sonst so Schlaue und Vorsichtige, nicht durchschaut hatte, obgleich warnende Anzeichen genug vorhanden gewesen waren, um zur Behutsamkeit zu mahnen. In der Mitte des Gemachs, in dem er sich befand und aus welchem ihm ein Rückzug nicht mehr möglich war, stand ein großer ovaler Tisch, den ein feiner Teppich bedeckte und auf welchem zwei silberne Armleuchter mit brennenden Wachskerzen standen. An dem einen Ende der Tafel saßen im Halbkreis sechs Herren, die, wie Bellfort wusste, zu den engeren Vertrauten der Frau Walden gehörten. Den obersten Platz hatte Warrens, der hier gewissermaßen das Amt eines Präsidenten zu versehen schien, eingenommen. Ganz am untersten Ende des Tisches, völlig abgesondert von den übrigen Sitzen, stand ein leerer Stuhl, welcher lebhaft an eine Anklagebank erinnerte. Und endlich erblickte man ungefähr in der Mitte des Zimmers einen schönen, mit weißem Samt ausgeschlagenen Fauteuil, der ebenfalls unbesetzt war.

Als der Baron eintrat, empfing ihn eine Totenstille. Keine Hand streckte sich ihm entgegen, um ihn zu begrüßen, kein Blick hieß ihn willkommen, nur einem finsteren Stirnrunzeln oder einem hämischen verächtlichen Lächeln begegnete sein Auge, als sein Blick mit scheuer Hast über die stumme Versammlung glitt.

Aber Herr von Bellfort war nicht der Mann, sich sofort gefangen zu geben.

»Ich bin in eine Falle geraten«, sprach er zu sich selbst, »das steht unzweifelhaft fest. Indessen bin ich schon bei anderen Gelegenheiten in ähnlichen schwierigen Lagen gewesen, und Dreistigkeit und eine derbe Portion Unverschämtheit haben es mir zuletzt doch immer noch möglich gemacht, mit ziemlich heiler Haut davon zukommen. Sondieren wir daher zunächst etwas das Terrain und sehen wir dann, wie wir darnach unser Benehmen einrichten.«

Diese Gedanken durchzuckten wie der Blitz das Gehirn des Barons. Um seinen Gegnern den möglichst kleinsten Vorteil über sich einzuräumen, zögerte er keinen Augenblick, mit seinen Operationen zu beginnen.

»Charmant!«, rief er, mit einem unbefangenen Lächeln um sich blickend, »allerliebst! Eine köstlichere Überraschung hätte uns unsere liebenswürdige Wirtin nicht bereiten können, denn bekennen Sie nur, meine Herren, Sie haben gewiss mein Erscheinen ebenso wenig erwartet, wie ich Sie hier zu treffen vermutete.«

Allgemeines Schweigen, dessen tiefe Stille durch Nichts unterbrochen wurde.

»Teufel«, murmelte er, »nicht einmal eine Antwort!« Aber er fasste sich sogleich und fügte laut hinzu: »Ein origineller Scherz, wie er in der Tat nicht schöner ausgedacht werden konnte! Es scheint also, als wenn es sich darum handelte, in den Orden der Schweigsamen aufgenommen zu werden?«

Abermals Grabesstille.

»Oder ist es vielleicht eine Gerichtssitzung?«, fragte Herr von Bellfort, indem sich sein breiter Mund zu einem gezwungenen Lachen verzog, während sich sein Blick lauernd auf die Anwesenden heftete.

Diesmal bekam er eine Antwort.

»Jener Sessel ist für Sie bestimmt«, sagte Warrens, indem er auf den am untersten Ende des Tisches stehenden Stuhl zeigte, »nehmen Sie gefälligst Platz, mein Herr.«

»Ah, charmant«, entgegnete der Baron, indem er sich an der ihm bezeichneten Stelle niederließ, »nun sehe ich doch, dass ich in Ihrem Kreis aufgenommen bin und dass man mich erwartet hat.«

Die sechs Herren sahen sich bei diesen Worten mit Blicken an, welche dem Herrn von Bellfort eine Gänsehaut über den Rücken jagten.

In diesem Augenblick öffnete sich eine Seitentür, und Katharina Waiden trat mit einem Lächeln, das nie reizender auf ihren Lippen geschwebt hatte, in den Salon.

Die Herren erhoben und verbeugten sich ehrfurchtsvoll vor der schönen Frau, welche mit einer anmutigen Bewegung des Kopfes für die ihr dargebrachte Huldigung dankte.

Dann wendete sie sich mit einer unbefangenen Verbeugung zu dem Baron und sagte: »Sie haben sich pünktlich eingestellt, mein Herr. Es ist jetzt gerade fünf Minuten nach neun.«

»Gnädige Frau, ich weiß die Ehre einer solchen Einladung vollkommen zu würdigen.«

Frau Walden sah den Sprecher mit einem Blick unendlicher Verachtung an. »Eine Einladung, mein Herr? … Nein, wenn man ein Rendezvous bewilligt, so schreibt man keine Einladung.«

»Aber, gnädige Frau, ich muss eine solche Behauptung, selbst wenn sie im Scherz geschieht, in Ihrem eigenen Interesse auf das Entschiedenste in Abrede stellen. Meine Diskretion gegenüber Damen …«

»Ist zur Genüge bekannt, mein Herr«, fiel Frau Katharina hier scharf betont ein, wobei ein zweiter Blick unaussprechlicher Verachtung den Baron traf.

»Seien Sie übrigens unbesorgt, Sie kompromittieren mich nicht, denn das Billett, welches Sie diesen Morgen erhielten, wurde in Gegenwart der hier anwesenden Herren geschrieben.«

Die Anwesenden verbeugten sich zum Zeichen der Zustimmung. Auf der Stirn des Barons wurden einige Schweißtropfen sichtbar.

»Meine Freunde behaupten«, fuhr die schöne Witwe fort, indem sie anmutig auf den mit Samt ausgeschlagenen Sessel zu schritt und darin Platz nahm, »dass ich einige Erzählungsgabe besitze. Dies hat mir eine einfache, aber rührende Geschichte ins Gedächtnis zurückgeführt und die Idee bei mir hervorgerufen, heute Abend durch Mitteilung derselben die Probe zu machen, ob ich das mir gespendete Lob auch verdiene. Ist es Ihnen recht, meine Herren, wenn ich damit beginne?«

»Sie werden an uns die aufmerksamsten Zuhörer finden«, entgegnete Warrens im Namen der anderen, »wir behalten uns vor, schließlich darüber unser Urteil abzugeben.«

»So hören Sie. Für die Wahrheit der Erzählung stehe ich übrigens ihrem ganzen Inhalt nach ein, da sie Tatsachen enthält, die ich selbst erlebte und weil ich jede einzelne darin verkommende Person genau gekannt habe!«

Hierauf begann sie.