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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sagen- und Märchengestalten – Die Werwölfe

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Werwölfe

Mit bleichem Glanz bestrahlt der Mond die schweigende Erde, ein leiser Windhauch bebt über Zweig und Blatt. Seht, wie es huscht und flimmert, wie es im blassen Licht auf und nieder webt! Geister sind es, die der blasse Mondstrahl aus ihrer Grabesruhe aufstört. Die Gräber öffnen sich weit und schwarz. Ihnen entsteigen fleischlose Gestalten, ihnen entsteigt auch der Vampir, angelockt von dem duftenden Blut der ahnungslos schlummernden Menschen. Durch die Schatten schlüpft er dahin, feurige Spur bezeichnet seinen Weg. Höher und höher steigt der Mond und hüllt die Erde in geisterhaft flimmerndes Licht. Da, wo mitten im finsteren grünen Wald die Lichtung liegt, steht verlassen im Kreis laubiger Espen ein einsamer Stamm, dem das scharfe Beil den Schmuck der Blätter geraubt, dessen Stumpf ein grauer Schatten umkreist, schaurige Flüche murmelnd: »Auf dem Meer, auf der Insel, der leeren Trift bescheint der Mond den Espenstamm, den grünen Wald, das dunkle Tal. An den Stamm geht ein zottiger Wolf, aber er schleicht nicht in den Wald hinein, nicht in das Tal hinab. Mond, Mond, goldenes Horn, mache flüssig die Kugeln, stumpfe die Messer, zertrümmere die knotigen Stätte, entlasse die Furcht auf das Getier und den Menschen, dass sie nicht fangen den grauen Wolf, seinen warmen Pelz nicht schinden! Mein Wort ist fest, fester als der Schlaf, als das Wort des Helden.«

Dreimal schwingt der Schatten sich über den Stamm, im Mondlicht erkennbar als ein Mensch, dann wandelt sich die Gestalt in ein zottiges Ungeheuer mit krallenden Pfoten und buschig gestumpftem Schwanz, das heulend in den Wald flieht.

Schon in den Mythen der Griechen begegnet uns die Verwandlung des edlen Menschenleibes in einen Wolf. Die Lykanthropen, Wolfsmenschen, dachte man sich hauptsächlich unter rohen, ungesitteten Hirtenvölkern, deren Übergang in wilde Tiergestalt keine große körperliche Veränderung nötig machte. Neun Tage im Jahr durchstrich der wetterbraune Hirt in Gestalt eines Wolfes heulend Feld und Flur. Erbarmungslos warf er sich auf jedes lebende Geschöpf, das seinen Weg kreuzte, zerfleischte mit blutdürstiger Gier die eigene Herde und fiel die unverwandelten Brüder an.

Später breitete sich die Werwolfsage weiter aus und gab sich gar mannigfaltige Gestaltungen. Verwandelt werden konnte, wer von der Mondsucht befallen war, wem tückischer Zauber ein Wolfshemd übergeworfen wurde, oder wer, ohne es zu wissen, sich den Wolfsgürtel umgebunden hatte.

Die deutsche Sage lässt vorzugsweise diejenigen Männer in Wolfsgestalt erscheinen, die schon als Menschen eine unersättliche Gier nach Speise bekundeten: »Schlingen wie ein Werwolf«, sagt der schlesische Bauer und meint im Heulen des Sturmes, der zur Weihnachtszeit die Wälder fegt, des Unholds Gastes raue Stimme zu vernehmen. Menschen, die aus eigenem Trieb zur Wolfsart neigen, haben breite, finstere, zusammengewachsene Augenbrauen und zeigen ein unstetes Wesen. Im tiefsten Forst, an den knarrigen Ästen alter Eichen hängen ihre Wolfshemden, welche sie anlegen, wenn sie sich in Wölfe verwandeln wollen. Abends schauen die Unholde durch die niederen Fenster in die Hütten der Dorfbewohner, die beim Anblick ihrer glühenden Augen Mädchen und Buben schnell ins große Himmelbett bringen, wo sie unter der Obhut der Eltern sicher ruhen vor den Nachstellungen der bösen Werwölfe, welche nach ihnen ganz besonders lüstern sind. Wer einen verdächtigen Menschen mit dem Stock bearbeitet, oder mit einem Schlüssel blutrünstig schlägt und Werwolf schilt, kann ihn heilen. Große, starke und kühne Wölfe erachtete der Aberglaube als zu klug für ein Tier und sah in ihnen böse, listige Menschen. Wenn im Herbst oder Winter dumpfer Nebel die Fluren deckt und der Mondstrahl seltsame Lichter durch die wogende Masse blitzen lässt, ziehen die Werwölfe in großen Scharen durch Polen und Russland zu ihrer Versammlungsstätte in Estland.

Auf einer weiten, dürren Fläche, aus deren Einförmigkeit sich altes Mauerwerk erhebt, halten sie dort eine lärmende Versammlung. In ihrer Mitte sitzt ein großes, zottiges, graues Tier. Mit wildem Geheul gibt es den Gefährten ein Zeichen. Diese antworten in lang gezogenen Tönen und die ganze Meute setzt in wilden Sprüngen dreimal über die zerfallene Mauer, um sich in allen Richtungen zu zerstreuen. Zuweilen musste der Verwandelte drei, sieben, wenn nicht gar neun Jahre in dem Tierkörper ausharren. Fand in so langem Zeitraum jemand die abgelegten Kleider des Umherstreifenden und entwendete sie, so wurde dem Werwolf die Rückkehr in seine ursprüngliche Gestalt unmöglich.

Darum suchte er seine menschliche Hülle in allerlei Schlupfwinkeln sicher zu verbergen, am liebsten und häufigsten in der Hütte eines alten Mütterleins.

Die Werwolfsage verknüpfte sich überdies eng mit dem Hexenwesen. Oft wurden am Hochzeitstag Braut, Bräutigam, Brautführer und Gäste durch den Gürtel einer Zauberin verwandelt und erst nach Ablauf manchen Jahres erlöst. Männer und Frauen, die sich dem Teufel ergeben hatten, beraubten oft in Wolfsgestalt die Herden und führten die Beute heim, sich ein Mahl zu bereiten. In den engsten Lebensbeziehungen begegnet uns mitunter dieses Zauberwesen in überraschender Weise. Ein armer Mann zum Beispiel fand es bedenklich, dass täglich die dampfende Fleischschüssel auf seinem Hungertisch erschien, da er sich durch redlichen Erwerb höchstens ein paar Erdäpfel und Salz anzuschaffen vermochte. Endlich gestand ihm das Weib, dass sie auf wunderbare Weise den Herd versorge, versprach auch, vor seinen eigenen Augen zu offenbaren, wie das geschehe, nur dürfe er kein Wort dabei sprechen.

Sie führte ihn auf eine Trift am nahen Wald, wo eine Herde Schafe weidete. Plötzlich warf sie einen Ring über sich und wandelte sich im selben Augenblick zu einem reißenden Wolf, stürzte sich auf die sorglosen Tiere und schleppte davon eins hinweg.

Aus sicherem Versteck schaute der Mann verwundert ihrem Treiben zu. Als er aber sah, wie Hirt und Hunde in raschem Lauf den Dieb verfolgten, der dem Wald zusprang, rief er, der Warnung vergessend: »Ach, Margarete, sie fangen dich!« Dadurch brach er den Zauber, die zottige Hülle fiel und das Weib stand nackt mitten auf dem Feld.

Als die Zeit der Hexenprozesse vorüber war, erlosch auch der Glaube an Wolfsmenschen. Nur hier und da, besonders bei den slavischen Völkerstämmen, den Bewohnern Ungarns, Polens, Russlands, durch deren Sitz begünstigt, erhielten sich Reste der alten Sage. Als dieselbe im kühlen Norden abzunehmen begann, wuchs sie im Süden, zog weiter und weiter, durch Griechenland, über das Meer und gewann neuen Boden unter den Palmen Afrikas.

So fand sie sich wieder unter demselben Himmel, wo ihre Wiege gestanden hatte, denn schon Äsop, der weise griechische Fabeldichter, erzählt den Schwank, wie ein schelmischer Gast seinem Wirt das Geheimnis anvertraut, dass er zu gewissen Zeiten sich mit Wolfshaar bedecke und als ein reißender, blutgieriger Unhold die Ortschaften heimsuche. Wenn ihn diese Sucht ankomme, müsse er dreimal laut gähnen und dann falle er jeden mit Zahn und Klaue wütend an, den das Unglück in seine Nähe führe. Da wurde jenem seltsam zumute. Scheu wich er vor dem Gast zurück. Als er ihn aber den Mund weit aufreißen und mächtig gähnen sah, entfloh er unter lautem Angstgeschrei. Die Nachbarn eilten herbei, doch der Entsetzte zog alles mit sich fort, immer wähnend, der Wolf heule schon an seiner Ferse. Aber wie erstaunte er bei der endlichen Rückkehr, von wohlbewaffneten Freunden begleitet, keine Spur des Unholdes in seinem Haus zu finden! Mit dem Gast war die beste Habe des leichtgläubigen Wirtes verschwunden.

In dem kleinen Ort Doblen in Kurland, eine der vier historischen Landschaften Lettlands, hatten sich lustige Zechbrüder versammelt. Hier saßen wohlhabende Bauern an dem langen Schenktisch des Kruges, dort eine Schar deutscher Landsleute, die einen Neuling in ihrem Kreis, einen blonden, rosigen, blauäugigen Sohn Germaniens, mit reicher Bier- und Branntweinspende feierten. Als es lebhafter zu werden anfing, die Kannen schneller kreisten, trat aus der Reihe der Bauern ein Mann hervor, schwenkte seinen Krug gegen den des jungen Deutschen und rief: »Es gilt dir wie mir, mein Herr!« Eben öffnete der Jüngling die Lippen, ihm zu danken, schon erhob seine Hand das Glas, als die anderen ihn zurückdrängten, seinen Mund mit Gewalt verschließend, und einige sich auf den erschrockenen Bauer warfen und ihn schlugen, bis Blut floss.

»Er ist ein Werwolf«, riefen sie dem verblüfften Landsmann zu. »Hätte er gesagt: Es gilt dir, mein Herr! So war alles in Ordnung. Mit dem veränderten Trinkspruch aber wollte er dir sein Übel anwünschen.«

Oft genug ruhte auf den Russen der Verdacht, mit scheinbar harmloser Rede die Werwolfkrankheit auf andere zu übertragen. Nach einem Krieg gegen Schweden ging die Sage, die Sieger hätten alle schwedischen Kriegsgefangenen in Wölfe verwandelt und diese in ihre Heimat getrieben.

In mondheller Nacht schleicht der Werwolf an die Lagerstätte schlummernder Jungfrauen, nach deren Blut ihm wie den Vampir, mit dem slavische Sagen ihn in enge Verbindung sehen, unaufhaltsam gelüstet. Durch die breiten Schatten der Bäume schwebt die Gefährtin des Unholds, die Wahrsagerin oder Hexe, als irrer Geist mit Feuerflügeln, Vestica genannt. Sie durchstreift in Gemeinschaft mit dem Werwolf das weite Land, sorglosen Müttern die schlecht bewahrten Kleinen zu rauben. Bei den Slaven ist der Nachtstreifer ein Individuum, das der Teufel holen wollte, und welches der Höllenfürst, nachdem sich alle seine Künste machtlos erwiesen, in Wolfsgestalt verwandelt, durch die heimischen Fluren jagt. Wenn bald nach dem Verschwinden eines Menschen ein Wolf in der Nähe sich zeigte, setzten die Verwandten ihm Speise vor, damit der Hunger ihn nicht zu bösen Tücken treibe, denn sie nahmen ohne Weiteres an, dass der Gast kein anderer als ihr Vetter sei.

Wie dem Schrecklichen in Sage und Märchen eine humoristische Beigabe nicht zu mangeln pflegt, spielt der Werwolf in lustiger Vermummung auch bei Fastnachtsscherz und Weihnachtsfreude seine Rolle. Übermütige Burschen glauben unter der Wolfsmaske so manches Bubenstück verüben zu dürfen, das sonst schwer geahndet werden möchte.

An dem Saum eines großen Waldes stand ein Hüttchen, darin ein armer Mann mit neun Töchtern lebte. Derselbe war ein Werwolf, doch niemand wusste es, die jüngste Tochter ausgenommen, ein kluges Mädchen, klüger und schöner als die Schwestern alle. Einst ruhte der Vater schlaflos auf seinem Lager und dachte: »Was hilft es mir, dass meine Töchter jung und schön sind? Niemand wird kommen, sie mir abzunehmen, und ich muss sie mit meiner Hände Tagewerk ernähren, solange ich lebe. Besser ist es, sie alle auf einmal los zu werden, und das soll morgen geschehen.« Anderen Tages stand er früh auf, nahm sein großes Beil zur Hand und ging in den Wald. Seinen Töchtern befahl er, ihm das Essen zu bringen, denn er habe dort ununterbrochen schwere Arbeit zu verrichten. Als es nun Mittag wurde, nahm die Älteste den Topf mit der Speise und ging dem Schall der Holzaxt nach, bis sie zu einer Lichtung kam, wo der Vater Eichen fällte. Als das Mahl beendet war, sprach der Mann: »Ich werde dir einen kürzeren Weg nach Hause zeigen, meine Tochter, stehe auf und geh mit mir.«

Da gingen sie, bis sie an einen Abgrund mitten in den Felsen kamen, eine weite, tiefe Höhle. Hier stand der Vater plötzlich still und rief: »Geh nicht weiter, mein Kind, denn hier wirst du dein Leben lassen. Entkleide dich, auf dass ich dein Gewand bewahre. Es ist nicht nötig, dass ein armer Mensch anders sterbe, als er geboren worden.«

Umsonst flehte sie um ihr Leben. Er riss ihr das Oberkleid von den Schultern und stürzte sie hinab in die Tiefe. Dann zerschmetterte er ihr den Kopf mit einem schweren Stein und ging zurück an seine Arbeit.

Noch vor Abend kam die Zweite, ihm das Vesperbrot zu bringen.

Als er gegessen hatte, forderte er sie auf, mit ihm zu gehen, und auch sie stieß er hinab, wie sehr sie auch jammerte und um ihr Leben bat. So tat der Bösewicht allen, denn weil er nachts im Wald blieb, glaubten die Mädchen, er arbeite gar so emsig dort und halte die Schwestern zurück, ihm das Holz zusammenzuraffen und in Haufen zu stellen.

Endlich sah sich die Jüngste ganz allein. Das war ihr ärgerlich. Sie wollte wissen, als der anderen keine wiederkehrte, was der Vater denn zu schaffen habe. Sie kochte ihm sein Leibgericht und trug es ihm in den Wald. Während er aß, schaute das Mädchen neugierig umher. Da erblickte sie einen Topf am Feuer brodeln, worin zwei Köpfe lagen. Nun wusste sie, wo ihre Schwestern waren, sie ließ sich aber nichts merken, sondern sprach demütig: »Herr, wo sind denn Eure anderen Kinder?«

»Sie helfen mir dort im Tal die geschlagenen Bäume aufeinanderlegen«, sprach der Vater.

Als er gegessen hatte, rief er seine Tochter: »Komm, mein Mädchen, lass uns zu deinen Schwestern gehen.« Er führte auch sie zu der Grube und sprach: »Lege deine Kleider ab, hier wirst du sterben.«

Die Jüngste erschrak nicht, sie blickte hinab und sagte nur: »Wenn es denn sein muss, so will ich gerne sterben. Doch während ich mich entkleide, kehrt das Gesicht weg, o Herr, denn ich schäme mich.«

Da wandte der Werwolf sich ab, die Listige erfasste seitwärts seine Schultern und stürzte ihn hinunter in die Grube. Dann eilte sie von dannen, so rasch ihre Füße sie zu tragen vermochten. Dem Vater aber hatte der Fall nicht den Tod gebracht. Er kletterte an den Felsen empor aus der Tiefe, setzte der Flüchtigen in weiten Sprüngen nach, und als er sie fast erreicht hatte, brüllte er laut auf in mordgieriger Freude.

Das Mädchen riss in ihrer Herzensangst ihr Halstuch ab und warf es auf den Weg: »Solange du dieses Tuch nicht in alle seine Fäden zerfasert hast, gesponnen, gewebt und wieder genäht, sollst du mich nicht fangen!«

Der Werwolf riss das Tuch in Stücke, zerschliss es in feine Fäden, die er spann, webte und wieder zusammennähte. Dann sprang er fort, dem Mädchen nach, das bald wieder sein grimmiges Schnauben vernahm. Da warf sie ihm ihr Oberkleid zu, und er musste auch dieses erst zerreißen, spinnen, weben und zusammennähen, ehe er der Fliehenden folgen durfte, die schon weit voraus war über Berg und Tal durch Busch und Baum. Als er ihr wiederum nahe kam und sie das Wehen seines glühenden Odems auf ihren nackten Schultern fühlte, ließ sie schnell ihren Rock herabgleiten, dann das Leibchen und zuletzt das Hemd. Da sie nun nichts mehr zu geben hatte, schaute sie angstvoll nach Hilfe umher. Jetzt nahm der Wald ein Ende, und eine große Wiese lag vor ihr, auf welcher trockenes Heu geschichtet war. Da schmiegte sie sich, weil sie so gar nichts mehr am Leibe trug, in den niedrigsten und kleinsten Haufen. Es dauerte nicht lange, so stürzte der Werwolf tobend aus dem Wald hervor, und als er das Mädchen vermisste, warf er in grimmiger Wut die Haufen durcheinander, dass die Halme in die Lüfte wirbelten und er vor Zorn den Ort nicht sah, wo sich die Verfolgte in Todesangst zusammenduckte. Endlich trabte der Werwolf fluchend in den Wald zurück.

Dieser erste Teil des Märchens enthält die unverfälschte Werwolfsage, wie sie sich in manchen Gegenden Niederschlesiens findet, vielleicht von jenen Wandervögeln, den handelnden Slowaken, eingebracht. Als eine fremdartige Kombination, offenbar aus späterer Zeit, aber viel bekannter erscheint der Schluss: Über die Wiese zieht des Königs Jägertross. Er selbst rastet dort und sein Hund trägt dem Mädchen Speise zu. Erstaunt folgt ihm der Fürst und findet die Jungfrau, deren Schönheit ihn so entzückt, dass er sie zum Weib erkor. Sie willigt ein, jedoch unter der Bedingung, dass nie ein Bettler über Nacht im Schloss bleibe.

Jahre vergehen, die Königin hatte ihrem Gatten zwei Söhne geboren. Da schleicht eines Abends spät der Werwolf in Bettlergestalt durch die offene Pforte. Als die Diener ihn bemerken, wollen sie ihn austreiben, doch er weiß mit schlauer Demut und flehender Bitte ihre Herzen zu rühren, sodass sie ihm endlich ein armseliges Lager in einem vergessenen Winkel einräumen. Mitten in der Nacht geht der Unhold durch die goldenen Gemächer, bis er an die Wiege der kleinen Prinzen kommt, denen er mit einem breiten Messer die Kehlen durchschneidet. Das blutige Werkzeug verbirgt er unter dem Lager der Königin, seiner Tochter, dann entweicht der Schlimme. Wie nun der Mord entdeckt und das Messer gefunden wird, gerät der König in heftigen Zorn über sein Weib, welchem er die verbrecherischen Taten Schuld gibt, und stößt sie mit den Leichnamen hinaus, die er ihr um den Hals zu binden befiehlt. Indem sie wieder durch den Wald irrt in Angst und Seelenpein, ungefährdet durch den Werwolf, den sein böses Gewissen weit hinweggeführt, gelangt sie hilfeflehend in eines Einsiedlers Klause. Dieser, in frommer Rührung über ihr Geschick, fragt die Eidechse um Rat, sie, die in verborgenen Höhlen ein- und ausschlüpft und die alle Kräuter kennt. Voller Erbarmen trägt sie der armen Mutter das Lebenskraut herbei, welches alle Wunden heilt und Tote lebendig macht. In einer Hütte, die der fromme Mann errichtete, lebt nun die Königin mit ihren Kindern manches Jahr. Da geschieht es, dass ihr Gemahl auf einer Jagd vom Wege irrt und endlich müde und matt in der Hütte rastet. Er erkennt die Büßerin nicht, doch sie fühlt ein inniges Verlangen, rein vor ihm zu erscheinen. Kaum ist der Fürst eingeschlummert, als eine Stimme durch die dünne Wand erschallt, deren Klang ihn an alte Zeiten mahnt. Ihren Söhnen erzählt die Mutter Sagen. »Seid ihr doch selbst Sagen in der Welt, ihr armen Königskinder«, spricht sie weinend und berichtet treu die Wundermär. Da konnte der Lauscher sich nicht halten, sprang vom Lager auf und führte Weib und Kinder jubelnd in sein Schloss. Aber dem Werwolf ließ es noch nicht Ruhe. Wissen wollte er, wie es der Verhassten gehe. Da ergriffen ihn die Diener, welche sich seiner nur zu wohl entsannen und schleppten ihn vor ihren Herrn.

»Sterben sollst du«, sprach der König, als er Gericht über ihn gehalten, »aber nicht durch Menschenhand.«

Er ließ den Bösewicht an einen Wagen binden und über steile Felsen am Strand hinabstürzen, da brach der Werwolf das Genick. Der Wagen aber rollte unaufhaltsam weiter und versank endlich mit dem Toten in die Meeresflut. Da unten stöhnt und ächzt er noch. In stiller Mitternacht kann man ihn hören. Er vermag aber nicht aus der Flut heraufzusteigen, denn ihn halten die Bande, die ihn an den Wagen fesseln.