Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Freibeuter – Der raubende Graf Teil 2

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 11.2

Schweigend sahen die Müßigen, wie die Arbeitenden, in die Nacht und das Meer. Das gewaltige Sausen des Sturmes machte alles Reden überflüssig, und nur die nächste Umgebung des Steuermanns horchte dann und wann seinen bedeutungsschweren Worten, die wie die Orakelsprüche der Pythia einzeln, abgerissen und von den grellen Farben einer sinnverwirrenden Seherkraft angeschauert, und mehr für sich als für andere gesagt, aus seinem greisen Munde hervorquollen.

»Wenn wir so forttreiben«, sagte er, »so schmettert uns der Sturm in einer Stunde an die schonischen Felsen. Aber ich denke, die Wellen werden uns früher verschlingen.«

Und als ob seine Prophezeiung schnell in Erfüllung gehen sollte, stürzte einen Augenblick darauf ein Wasserberg auf das Verdeck des Bootes, die Welle flutete darüber hin, und eine Minute lang ragte nichts weiter als die dünne Segelstange der Schaluppe über die schäumenden Gewässer. Als sie wieder emportauchte, oder vielmehr von der folgenden Welle emporgeschleudert wurde, waren einige von den auf der Ruderbank arbeitenden Matrosen mit hinabgerissen in den zischenden Kessel der gewaltigen Wogen. Ach! Auch Juel Swale war unter ihnen. Seine physische Kraft hatte der wilden Gewalt der Welle nicht zu widerstehen vermocht. Der entschlossene Kapitän hatte beim plötzlichen Andrang des Wassers die heldenmütige Jungfrau erfasst. Beide hielten sich umspannt und das Bord umklammert. Der alte Reetz hatte sich am Steuer festgehalten, die anderen an den Stangen und Bänken, vor welche sie geschleudert worden waren. Das Fräulein war nichts weniger als erschrocken, sondern raffte sich auf, triefend und unsicheren Schrittes, um sich an einen festen Gegenstand festzuhalten, damit sie nicht durch die Stöße des Sturmwindes ebenfalls über Bord geschleudert werde. Der Kapitän aber stürzte wie ein Wahnsinniger zu den Tauen, die Matrosen standen ihm bei, und in einem Augenblick hingen mehr als sechs Tauenden und Strickleitern in das Meer hinab. Das jammernde Geschrei des Kapitäns »Juel! Juel!« durchschnitt selbst das Geheul des Windes. Und wirklich sah man gleich darauf am Kiel des Schiffes ein paar Köpfe aus dem Schaum emportauchen. Man warf ihnen die Taue zu, und der leichte Juel schwang sich in die Schlinge, welche Norcroß geknüpft hatte. Der Kapitän zog den geliebten Jungen rasch herauf, während die Matrosen einen ihrer Kameraden wieder am Bord hoben. Zwei andere aber raffte ihr Geschick dahin. Man wurde zwar des einen ansichtig und gab sich alle Mühe, ihm ein Tau zuzuwerfen, aber der Sturm riss das Schifflein mit Blitzesschnelle weiter, die Wogen trieben über sie dahin und das unerbittliche Meer hielt seinen Raub fest. Da der Sturm immer wütender raste, so machte man sich nicht allein auf mehrere solcher Fälle, sondern auch auf den gänzlichen Untergang des Bootes gefasst. Reetz hatte vergebens versucht, der Schaluppe durch das Steuer eine etwas andre Richtung zu geben. Plötzlich sprang aber der Wind um, von West-Nord-West auf Nord-West.

»Wir gehen einen Strich mehr Steuerbord«, sagte Reetz. »Wenn der Wind auf dieser Linie bleibt, treiben wir vielleicht auf die Falsterboer Bank, und da ist auch nichts gebessert, denn ersaufen müssen wir auch dort.«

Obgleich Norcroß den gewissen Tod vor Augen sah, so war er doch erfreut, seinen geliebten Jungen demselben für den Augenblick entrissen zu haben, und beschäftigte sich allein mit ihm. Friederike konnte sich nicht sattsehen an der Majestät des zürnenden Meeres, in so vieler Beziehung ihr ähnlich und verwandt.

Sie fühlte die scharfe salzige Nässe nicht, sie fühlte die Kälte der Herbstnacht und des schneidenden Windes nicht.

In diesem Zustand mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als das Schiff plötzlich einen Stoß erhielt, der fast alle zu Boden warf. Dabei wurde ein schrillender Laut gehört, und einen Augenblick darauf bemerkte man, dass das Boot stillstand.

Als Friederike von der gewaltigen Erschütterung wieder zur Besinnung kam, sagte Reetz zum Kapitän: »Ich müsste nicht ein geborener Däne und mein Leben lang diese Wasserstraße gefahren sein, wenn ich nicht wissen sollte, dass dies die Falsterboer Bank ist. Der Sturm hat uns aber so hoch hinaufgeworfen, dass wir hier nicht einen halben Faden haben können. Daraus ist zu schließen, dass wir nicht weit vom Land sind, und so Gott will, morgen nicht lange unbemerkt bleiben.«

»Ich habe nicht die Lust, den Tag hier abzuwarten«, versetzte Norcroß. »Die Dänen möchten uns eher bemerken, als die Bewohner der Landzunge. Glaubt Ihr nicht, dass einer unserer Jungen von hier aus Land erreichen könnte?«

»Es ist ein Wagstück und kann gelingen, aber der Bursche kann auch morgen Fischfraß sein. Nun was tut’s? Eine Mandel oder ein Schock Jahre früher oder später. Für die Fische sind wir einmal bestimmt, und Schande dem Seemann, der sich von ekelhaften Würmern fressen lässt!«

Der Kapitän forderte einen Freiwilligen, der den gefährlichen Gang in der Nacht durch das Meer unternehmen wollte. Aber sie meldeten sich alle und keiner wollte zurückstehen. Selbst der kleine Juel war verwegen genug, sich auch unter die Bewerber zu stellen. Der Kapitän suchte den Stärksten und Größten aus, einen Mann von den besten Jahren, und dieser rüstete sich sofort zu dem gefährlichen Marsch.

Der greise Steuermann erhob sich von seinem Sitz, wo er nun ohnedies unbrauchbar geworden war, um den Matrosen über die mutmaßliche Richtung des zu nehmenden Weges zu unterrichten.

»Nimm deinen Riemen, Gunde«, sprach er ernst, »und schwing dich vom Bord hinab in das feuchte Wasser. Geh mit Gott und gutem Mut vorwärts. Mit der Stange fühle vorsichtig, ob du fußen kannst und wie tief es ist, ferner wohin sich die Bank zieht. Wie ich mich erinnere, geht’s von hier aus Backbord. Halte dich also dahin. Hast du Glück, so musst du an einem Rotschieferfelsen, auf welchem ein Häuflein Eichen beisammenstehen, ans Land kommen. Die Bäume musst du in der Nacht sehen. Falle dann vom Wind ab und suche Steuerbord Land zu gewinnen. Bist du oben, so drehe dich sogleich nordwestlich, und in der Zeit von einer Viertelstunde musst du in Falsterbo sein. Was du dort zu tun hast, wird dir der Kapitän befehlen. Solltest du kein Glück haben und auf Tiefen stoßen, die du dir nicht zu durchwaten getraust, so verlasse dich aufs Schwimmen. Ich weiß, du schwimmst wie eine Wasserratte. Halte dich aber immer hübsch Backbord und fühle zuweilen mit dem Riemen, ob du wieder fußen kannst, damit du nicht von der Bank abkommst. Solltest du das merken, so musst du dich freilich Steuerbord halten. Behüte dich Gott!«

Der Kapitän befahl dem Matrosen unverzüglich mit einem Lotsenschiff aus Falsterbo auszulaufen und sich durch Schüsse zu erkennen geben. Er wolle ebenso antworten. Hierauf schürzte sich der braun gebrannte Mann und schwang sich an seiner Ruderstange ins Meer. Es reichte ihm nicht bis an die Brust. Langsam und vorsichtig watete er vorwärts, das Ruder so gebrauchend, wie es ihm Reetz geheißen hatte, und bald war er in der Dunkelheit der Nacht dem spähenden Blicken seiner Kameraden, die ihn sämtlich um diesen abenteuerlichen Weg beneideten, entschwunden. Juel weinte Tränen vor Verdruss, dass ihn der Kapitän nicht über die Sandbank geschickt hatte, und gab sich selbst dann noch nicht zufrieden, als ihm Norcroß begreiflich machte, dass das Wasser, welches Gunde bis an die Brust reichte, ihm notwendigerweise über den Kopf gehen müsse.

Der Kapitän schickte sich an, seine Gewehre in Ordnung zu bringen, stellte Wachen aus und befahl den übrigen, sich einige Stunden zur Ruhe zu legen. Auch das Fräulein ersuchte er höflich, ein Gleiches zu tun. Da sie aber schweigend das Haupt schüttelte, so erklärte er, dass er des Schlafs bedürftig sei, und verfügte sich – eigentlich nur, um nicht in ihrer Gesellschaft bleiben zu müssen – zu seiner Hängematte. Mit mancherlei Plänen beschäftigt, verfiel er endlich in Schlummer. Ein Schuss schreckte ihn auf. Es war ein Signal für die Lotsen, welche sich gemeldet hatten. Norcroß fuhr auf und begab sich wieder aufs Verdeck. Friederike stand dort noch in derselben Stellung, umbraust von dem Geräusch der ungeheuren Wellen, die, eine die andere drängend, sich an die Sandbank heranwälzten, am Boot brandeten, auch wohl zuweilen über dasselbe hinfluteten, aber das Schifflein nicht wieder flott machen konnten. Das Lotsenschiff nahte mit Gefahr nur langsam, der Schein der Fackeln auf demselben beleuchtete weithin seltsam das empörte Meer in verwirrten Lichtern. Die Matrosen schossen noch einige Male mit ihren Büchsen, doch war ihnen die Blitzflamme des Pulvers förderlicher, als der Knall der Gewehre, welcher schon in der Entfernung einiger Schritte vom Lärm des Windes und der Wellen übertönt wurde. Nach einer Stunde waren die Lotsen da. Der Matrose hatte seinen gefahrvollen Weg glücklich gemacht und stattete dem Kapitän umständlichen Bericht über seine sonderbare Fahrt ab, die teilweise anders ausgefallen war, wie Reetz angedeutet hatte.

Da es gefährlich und schier unmöglich war, die Schaluppe flott zu machen, so begab sich die ganze Mannschaft allmählich in den von den Lotsen ausgesetzten flachen Kahn, welcher bis an die Schaluppe heran konnte, auf das Lotsenschiff. Die Rückfahrt wurde mit aller Geschicklichkeit erfahrener und mit Sturm und Gewässer wohlvertrauter Seeleute angetreten, und so war Falsterbo bald erreicht. Norcroß zahlte die Lotsen aus und befahl zwei Matrosen, hier zurückzubleiben, um am folgenden Tage, sobald sich der Sturm gelegt hatte, ihm die Schaluppe nach Ystad nachzuführen. Für sich und das Fräulein mietete er ein paar Pferde, die Matrosen gingen zu Fuß, und so trat die Schiffsmannschaft die Landreise an der Küste hin nach Ystad an. Die donnernde Brandung des Meeres an dem weißfelsigen Ufer, das Sausen des Sturmwindes über die Uferheide verleidete den Nachtwandlern die Unterhaltung. Das Fräulein war schweigsam und in sich gekehrt.

Der Morgen war bereits trüb und weinerlich durch Wolkenflore über das Meer gestiegen, als sie in Ystad ankamen und sich sofort in den Hafen begaben. Norcroß hob seine schöne Gefangene vom Pferd und wollte sie gerade in das Schiffshaus führen, als mehrere Leute von der Fregatte und dem erbeuteten Schoner freudig herauseilten, um ihren Kapitän zu begrüßen. Unter ihnen befand sich auch jener angebliche Joseph Flaxmann. Aber kaum hatte das Fräulein von Gabel diesen jungen Mann erblickt, als sie, die Mutige, alle Fassung verlor, und plötzlich von der Schwäche ihres Geschlechts, gleichsam sie selbst zu rächen an ihrer Verwegenheit und Überheblichkeit, besiegt, erbleichte, zitterte und aller Kräfte beraubt, mit einem Schrei in des verwunderten Norcroß Arme sank.