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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im fernen Westen – Feurige Kohlen 2

Feurige Kohlen
Kapitel 2

Es ist eine schöne Eigenschaft der Deutschen in Amerika, dass sie so treu zusammenhalten und in ihren Turn- und Gesangsvereinen und Freimaurerlogen deutsche Gesinnung und Gesittung und deutsches Wesen emsig pflegen und sich der neu ankommenden Landsleute freundlich und hilfreich annehmen. Auch Max und Otto erfuhren dies, als sie endlich das Lokal des deutschen Turnvereins erfragt und daselbst eine Anzahl junger Landsleute aus allen Gauen Deutschlands gefunden hatten. Man bestürmte sie mit Fragen über die Zustände in der lieben alten deutschen Heimat und über ihre eigenen Absichten und Aussichten in Amerika und war freigebig mit Ratschlägen und Anerbietungen von Hilfe und Fürsprache, als die beiden Ankömmlinge gestanden, dass sie vor allem ein Unterkommen suchten. Allein, ein solches zu finden, hatte bei beiden seine großen Schwierigkeiten. Max hatte gar keinen Beruf, denn er hatte bisher nur die polytechnische Schule in K. besucht und sich noch für kein besonderes Fach entschieden, Otto aber hatte kaum seine Lehrzeit in einem Handelshaus verlassen. Da war denn guter Rat teuer, ein Unterkommen für sie zu finden, denn die Geschäfte gingen augenblicklich flau, und man bedurfte keiner kaufmännischen Kommis, und für berufslose junge Leute waren die Aussichten noch schlechter.

Ja, wenn die beiden jungen Deutschen irgendein Handwerk erlernt gehabt hätten, wäre bald Rat für sie zu schaffen gewesen, denn geschickte Handwerker waren im Westen immer gesucht. Aber für Max und Otto waren die Aussichten sehr trübe.

Allein Max ließ sich dadurch nicht entmutigen.

»Liebe Freunde und Landsleute«, sagte er zu den Turnern, welche ihn so freundlich aufgenommen hatten, »Ihr müsst nicht wähnen, dass ich Amerika für ein Schlaraffenland gehalten habe, wo einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Ich weiß, dass man hier arbeiten und tüchtig arbeiten muss, um sein Fortkommen zu finden, und ich werde mich keiner Arbeit schämen. Ich habe etwas Tüchtiges gelernt und kann noch jeden Beruf ergreifen. Ich will zunächst erst Land und Leute kennen, und wenn ich auch nur das nackte Leben durchschlage. Ich werde jede Beschäftigung annehmen, ich werde mich zum Hausknecht, zum Schulmeister, zum Kellner, zum Schiffszieher hergeben, wenn es sein muss. Ich will Buchdrucker, Gärtner, Feldmesser, Mechaniker werden, was es immer sein mag, und jeder Empfehlung Ehre machen, denn nur durch redliche Arbeit kann und will ich mir meinen Unterhalt sichern, und meinem Freund Hallmayer geht es ganz ebenso. Ich bitte euch alle, besinnt euch, ob ihr mir irgendein Unterkommen verschaffen könnt, und ich werde euer Vertrauen zu rechtfertigen suchen. Wir werden einige Tage hier bleiben und einstweilen bemüht euch einigermaßen um unsertwillen. Sei es, was es wolle, wenn es nur eine ehrliche Hantierung ist, so soll sie uns willkommen sein.«

»Nun denn, ich sehe, ihr seid wackere Jungen, und wir wollen unser Möglichstes für euch tun,« entgegnete ihnen der Sprecher der Turmgemeinde und lud sie ein, am folgenden Abend wieder im Lokal zu erscheinen.

Es war nahezu Mitternacht, als Max und Otto, der besten Hoffnung voll, endlich ein Unterkommen zu finden, sich auf den Heimweg machten und einer der Turner ihnen den Weg zum Kontinental-Hotel zeigte. Sie waren jedoch erst einige Straßen weit gekommen, als ein wilder Lärm entstand und Feuerspritzen und Wagen mit Feuerwehrleuten an ihnen vorübereilten und der unheimliche Ruf. »Feuer! Feuer!« durch die Nacht erscholl.

»Wo brennt es denn?«, fragte der Turner einen der Polizeileute an der Straße.

»Im Kontinental-Hotel«, war die Antwort.

Und nun liefen die drei jungen Leute aus Leibeskräften zum Hotel, vor welchem sich bereits eine zahlreiche Menschenmenge zusammenscharte und die Feuerspritzen sich aufstellten.

Max und Otto verabschiedeten sich rasch von ihrem Begleiter und drangen mit den Feuerwehrleuten ins Hotel. Der Brand war in einem Seitenflügel ausgebrochen und drohte ernst zu werden. Eine Anzahl der Gäste, welche im Hotel wohnte, kam in kopfloser Bestürzung, und viele nur halb bekleidet, die Treppen herab. Einige hatten ganz den Kopf verloren, andere nur das nächste Beste aufgerafft, so hatte einer nur zwei Haarbürsten in der Hand, welche er mitgenommen hatte. Max und Otto stürmten die Treppe hinauf, um ihre Schlafzimmer zu erreichen, und sahen schon den dicken Rauch durch die Gänge und Korridore drängen, aber glücklich erreichten sie noch ihre Zimmer, rafften eiligst ihre Habseligkeiten zusammen und trugen sie hinunter. Als sie die breite Treppe hinabeilten, sahen sie noch immer Gäste und Hausgenossen, welche durch den jähen Lärm aus dem ersten Schlaf geweckt worden waren, erschrocken und eilig flüchteten und sahen, wie ein riesengroßer Yankee, nur halb bekleidet und seinen Handkoffer und ein Pack Kleider auf der Schulter, in kopfloser Eile, drei oder vier Treppenstufen auf einmal nehmend, die Treppe hinuntersprang und bei einer Biegung derselben gegen einen älteren Herrn anrannte, der eiligst die Treppe heraufkam. Der Zusammenstoß der beiden war so hart, dass der ältere Herr niedergerannt und die Treppe hinabgeschleudert wurde und mit der Schläfe so hart gegen das durchbrochene, bronzene Treppengeländer stieß, dass er aus einer tiefen Wunde blutete und regungslos, mit dem Kopf nach unten, auf den Marmorstufen liegen blieb.

Von Schreck und Mitleid getrieben, blieb Otto stehen und beugte sich zu dem Verwundeten hinab.

»Barmherziger Gott, es ist Herr Howard!«, stammelte er, »Max, Max, um Himmels willen, hilf! Wir können den armen Mann hier nicht liegen lassen!«, rief er dem Freund zu.

Dieser kehrte um, und mit vereinten Kräften schleppten beide den Verwundeten hinunter in die große Halle, wo bereits die Offiziere der Feuerleute mit den Ärzten und der Rettungsmannschaft sich eingefunden hatten, ihre Befehle gaben und dem panischen Schrecken Einhalt zu tun suchten, weil das Löschen bereits im vollen Gang und für die Besonnenen keine Gefahr mehr vorhanden sei, da das Feuer auf seinen Herd beschränkt werde.

Beim Anblick des Verwundeten hatten sich sogleich zwei Ärzte der Feuerleute daran gemacht, Herrn Howards Wunde zu untersuchen und zu verbinden und ihn mit starken Riechmitteln wieder zum Bewusstsein zu bringen.

»Clarissa! Clarissa! Wo ist mein Enkelkind? Wo ist das arme Kind?« waren die ersten Worte, welche Herr Howard ausstieß, als er wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen war und sich verstört und erstaunt im Kreis umsah.

»Das Kind! Ja, das Kind!«, rief Otto erschreckend, denn er begriff instinktmäßig die Sachlage, und alles liegen und stehen lassend, stürmte er die Treppe wieder hinauf, erreichte glücklich das dritte Stockwerk, riss einem der kopflos umherlaufenden schwarzen Kellner die brennende Kerze aus der Hand und suchte das Zimmer, in welches er am Abend Herrn Howard hatte treten sehen. Die Tür war verschlossen, aber Otto sprang mit beiden Füßen dagegen, sprengte sie, trat hinein und sah sich in einem sehr eleganten Sitting room (Wohnzimmer), an welches rechts und links je ein kleines Schlafzimmer stieß. Aus einem derselben erscholl das krampfhafte Weinen des Kindes. Unter dem Ruf »Clarissa! Clarissa!« drang Otto hinein, ergriff das Kind, hüllte es in Bettdecken und brachte es glücklich herunter, wo er es dem Großvater in die Arme legte. Herr Howard drückte die erschrockene Kleine mit einem Freudenschrei an sich, und das Kind schmiegte sich zärtlich und Hilfe heischend an ihn, denn es war über dem hastigen Rettungsversuch erschrocken und hatte sich vor dem fremden Retter gefürchtet.

»Dank, tausend Dank!« war alles, was Herr Howard stammeln konnte, indem er Otto die Hand reichte. Dann aber stand er auf und sah sich gleichsam nach jemandem um, dem er das Kind übergeben könne, denn eine wilde Unruhe schien ihn umzutreiben.

»Was wollen Sie, Herr? Vermissen Sie noch eins Ihrer Angehörigen?«, fragte ihn der Arzt, welcher ihn verbunden hatte.

»Mitnichten!«, stammelte Herr Howard und griff sich an den schmerzenden, schwindelnden Kopf, »nein, ich habe ja meine Enkelin wieder … aber ich muss hinauf, in mein Zimmer, mein Reiseschreibpult zu holen, welches wichtige Papiere enthält, Papiere, welche für mich von unersetzlichem Wert sind … Mein Pult, mein Pult! Ich muss es haben, muss es retten! Es darf nicht verbrennen!«, schrie er in wahrer Seelenangst.

»Lieber Herr, Sie können und dürfen nicht danach gehen!«, erwiderte der Arzt, seinen Arm ergreifend, und hielt ihn zurück. »Wie wichtig auch die Papiere sein mögen, so können sie doch nicht in Betracht kommen gegenüber von Ihrem Leben, das Sie nutzlos aufs Spiel setzen wollen! Sie wanken ja und sind noch halb ohnmächtig von Ihrer Verwundung. Sie können nicht gegen den Rauch und Qualm und die Dunkelheit ankämpfen! Sie müssen hierbleiben!«

»Bah, ich muss mein Pult holen!«, rief Howard hartnäckig. »Das Leben und die Wohlfahrt von Hunderten von Menschen hängen daran! Ich muss, ich muss!«

»Bleiben Sie, Herr Howard, ich will das Schreibpult holen, ich habe es ja in Ihren Armen gesehen«, sagte Otto, »Sie sollen sich keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Denken Sie an das arme Kind hier, welches Ihrer nicht entbehren kann …«

»Wie, Herr, Sie wollen?«

»Ja, Herr Howard, ich werde Ihnen das Pult bringen!«, sagte Otto, aber Max hielt ihn zurück.

»Bleib’ Otto, diesmal ist die Reihe an mir, denn ich will mich nicht durch dich beschämen lassen!«, sagte Max entschlossen und reichte Otto seinen Reisesack zum Aufbewahren. »Ich habe das Pültchen ja ebenfalls in den Händen des Herrn gesehen und werde es finden …«

»In dem Schlafzimmer links auf dem Waschtisch!«, sagte Otto, und Max eilte die Treppe hinauf, ohne auf weitere Instruktionen zu warten.

In den obersten Stockwerken hatte ein voreiliger Kellner das Gas abgedreht, obwohl noch nicht alle Bewohner die dortigen Räume verlassen hatten und man das Geschrei der dort noch Herumrennenden und nach der Treppe Suchenden hörte. Max Becker aber stieg keck und entschlossen die Treppe hinauf, fand das Zimmer, welches Herr Howard innegehabt hatte. Mittels der brennenden Kerze, welche Otto auf dem Tisch hatte stehen lassen, dem kleinen lederüberzogenen Schreibpult und den Handkoffer Howards kehrte er ins Erdgeschoss zurück, wo die geflüchteten Gäste des Hotels sich in der Halle und in den anstoßenden wimmern ratlos und erschrocken durcheinander drängten wie eine Schafherde beim Gewitter.

Herr Howard nahm mit der größten Freude und Dankbarkeit sein Eigentum in Empfang und drückte Max innig die Hand. Dann aber folgte er dem Arzt, welcher die in eine Bettdecke eingeschlagene Clarissa in eins der Zimmer des Erdgeschosses trug und auf einem kleinen Sofa niederlegte.

»Bleiben Sie einstweilen mit dem Kind hier, mein Herr«, sagte der Arzt mit einer Bestimmtheit, welche Gehorsam heischte.

»Hier sind Sie fern des Gedränges und Lärmes und werden in jeder Hinsicht sicher sein, denn die Feuerwehrleute versichern mir, dass der Brand nahezu gelöscht und keine Gefahr mehr vorhanden ist. Das Feuer ist in dem hydraulischen Aufzug des Seitenflügels ausgebrochen, aber auf seinen Herd beschränkt worden und nahezu gedämpft. Binnen kurzer Zeit werden wohl die meisten Gäste ihre Zimmer wieder beziehen können.«

Und so war es auch. Der Schein der Gefahr und der Schrecken waren drohender gewesen als die wirkliche Gefahr, und dem schneidigen und energischen Eingreifen der Feuerwehr hatte man es zu danken, dass nach zwei Stunden der Brand vollständig gelöscht und der Rauch verzogen war und die Gäste des Kontinental-Hotels in den vom Feuer unversehrt gebliebenen Teilen ihre Zimmer wieder beziehen und die gestörte Nachtruhe nachholen konnten. Freilich waren manche Zimmer schon von der Rettungsmannschaft der Feuerwehrleute ausgerüstet und das Gepäck der Bewohner entfernt worden sei. Allein man versicherte diesen, dass alles sichergestellte Eigentum zum Stadthaus gebracht worden sei und dort bewacht werde, und dass sie am anderen Morgen dort wieder abholen könnten. Und während nun die Gäste den versäumten Schlaf mehr oder weniger ruhig wieder einzuholen suchten, brachten die Leute mit echt amerikanischer Entschlossenheit und Tatkraft das ganze Hotel wieder so gut als möglich in die Reihe, damit der Betrieb am anderen Morgen so wenig als möglich gestört erscheinen möge.