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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Zauberei

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 8

Zauberei

Die Fregatte Graf Mörner und der von ihr erbeutete Schoner hatten sich vor Anker gelegt, und ihre Bewohner überließen sie dem sanften Schaukeln auf der Meeresflut, welches sich allmählich in den schönsten Schlaf wiegte, den ein Seemann auf dem Wasser zu schlafen vermag. Ein von der Fregatte ausgesetztes Boot brachte beide Schiffe miteinander in Verbindung.

Der Chirurgus ging unruhig auf der Fregatte umher und besah sich, seiner Pflicht gemäß, seine Kranken. Er war noch einsilbiger als sonst und sprach der Rumflasche noch häufiger zu. Dabei brummte er und schüttelte den Kopf, als gehe er über etwas mit sich zurate und könne sich doch für nichts entscheiden und bei genauer Abwägung des Für und Wider zu keinem Resultat gelangen. Die Kranken fertigte er kurz ab und ließ, als er zufällig in die Nähe des Lieutenants Gad gekommen war, seine Augen lange starr und prüfend auf dem Gesicht desselben hängen.

»Nun, Meister!«, sagte dieser mit dem Ton jener hochmütigen Anmaßung, die, den Augenblick der ihr übertragenen Gewalt benutzend, sich geltend und wichtig zu machen sucht. »Wollt Ihr nicht auch unsere Verwundeten auf dem Schoner vor dem Schlafengehen besuchen?«

»Ich war eben daran, das Boot zu besteigen«, versetzte der Wundarzt und schien den übermütigen Ton in des Lieutenants Stimme zu überhören, den sein widerspenstiger Charakter nicht ertragen haben würde, wären in seinem Kopf nicht ganz andere Dinge vorgegangen. »Mit Verlaub, Lieutenant, es wäre wohl unser Schade nicht, wenn wir dem Herrn da drüben – denn etwas Vornehmes ist es gewiss -die Ehre erweisen, eins mit ihm zu trinken. Ich will nicht behaupten, dass es Euch und mir gerade zukäme, ihm das Kompliment zu machen, aber Ihr habt doch gesehen, wie der Kapitän mit ihm umging. Doch es soll ganz Eurem Ermessen anheimgestellt sein. Ich muss ja ohnedies hinüber und wäre freilich gern in Eurer Gesellschaft gefahren.«

Des Lieutenants geistige Gaben waren nicht von der Art, um begreifen zu können, dass hinter des Chirurgus Antrag eine andere Absicht verborgen sei, als dem fremden Mann eine Ehre zu erweisen.

Er erwiderte deshalb kurz: »Solange ich nicht weiß, wer die Leute sind, trink ich mit keinem, um nicht in Gefahr zu kommen, mich weggeworfen zu haben. Hat Kapitän Norcroß seine Gründe gehabt, mir nicht zu sagen, wer dieser sonderbare Mann ist, so habe ich die meinen, die Gesellschaft desselben nicht zu suchen.«

»Es wäre, mit Verlaub zu sagen, sowohl Eurem als auch meinem Interesse mehr angemessen, die Gesellschaft dieses Mannes zu suchen. Wir sind doch beide von der Natur nicht verwahrlost. Man könnte vielleicht an dem und jenem abnehmen, was es mit diesem Herrn Flaxmann und der wunderlichen Nachtfahrt des Kapitäns, die sicherlich zusammenhängen, für eine Bewandtnis habe. Mit Verlaub, Lieutenant, würdet Ihr denn böse sein, wenn Ihr auf eine listige Weise hinter das Geheimnis kämt? Und dass es was Wichtiges ist, geht aus allen Indizien hervor.«

»Nun, wie wolltet Ihr denn mit Eurer List, deren Last eine Mücke auf dem Schwanz über den Sund von Seeland nach Schonen trägt, das Geheimnis erforschen?«

»Ihr müsst anderer Gaben nicht immer nach den Euren beurteilen«, versetzte der Chirurgus giftig. »Und wenn meine List auch nur ein einziges granum salis ist, so habe ich dasselbe auf das rechte Fleckchen gerichtet, wo es Wunder wirken soll, und mehr als Eure Zentnerweisheit.«

»Und dieses Fleckchen wäre?«

»Der Fremde ist viel zu vornehm, um Schiffschirurgus werden zu wollen, was ihm bei seinen erstaunenswerten medizinischen Kenntnissen ein Leichtes wäre, aber es wird ihm eben so leicht sein, sich in die vakante Stelle des Kapitänlieutenants zu schieben, und dass es ihm auch dazu nicht au den gehörigen Kenntnissen gebricht, hat man ja deutlich genug aus des Kapitäns eigenem Mund vernommen, als er ihm das Kommando auf den Schoner übertrug.«

»Was meint Ihr für ein Fleckchen, Meister Habermann?«, rief der Lieutenant ungeduldig.

»Ja, es könnte, mit Verlaub zu sagen, sogar der Fall sein, dass dieser Fremde von hoher Bedeutung sogar das Kommando der Graf Mörner überkäme, wenn, wie man schon gesprochen hat, Kapitän Norcroß ein größeres Schiff als unsere Fregatte zur Führung erhält.«

»Wie heißt das Fleckchen?«, donnerte der Lieutenant in Verzweiflung und packte den Schiffschirurgus bei beiden Achseln, den kleinen dicken Mann hin- und herschüttelnd, der in dieser kurzen Unterredung einem klügeren Kopf, als der des Lieutenant Gad war, hinlängliche Beweise seiner List gegeben haben würde.

»Es heißt: die Brieftasche, die der Fremde auf der bloßen Brust trägt«, versetzte Meister Habermann lächelnd.

»Die Brieftasche? Ihr habt recht! Ja, wer die Brieftasche hätte!«, rief Gad gedankenvoll.

»Ich beschaffe sie Euch, wenn Ihr gemeinschaftliche Sache mit mir machen und mit hinüber auf den Schoner fahren wollt.«

»Ihr?«, sagte der Lieutenant verächtlich mit einem spöttischen Blick auf den Chirurgus.

»Gebt mir Euer Ehrenwort, mich nicht verraten zu wollen und fahrt mit hinüber, dann verschaff’ ich Euch die Brieftasche.«

»Der Kuriosität halber tu ich’s schon, um eine Probe Eurer Schlauheit zu sehen, von welcher mir noch wenig bekannt worden ist. Wie aber wollt Ihr’s anfangen, Meister?«

»Das werd’ ich Euch nicht erst verraten! Drum lasst mich, mit Verlaub, darüber schweigen. Sorgt nur für die Ingredienzien eines guten Punsches!«

»Aber der Fremde ist ja verwundet und darf nicht trinken. Er hat das Wundfieber jedenfalls schon jetzt.«

»Dafür lasst mich sorgen, Lieutenant. Ein Medikus darf schon wagen, was dem Volk verboten ist.«

Gad vergab seinem Stolz etwas und sagte dem Mundarzt seine Begleitung zu. Dieser kramte nun noch eine kurze Weile in seiner Schiffsapotheke, nahm einige Schachteln und Phiolen mit und stieg dann mit dem Lieutenant die Treppe hinab in das Boot. Als sie das Verdeck des Schoners erstiegen hatten, empfing sie Flaxmann mit all der gebräuchlichen Umständlichkeit, mit Anstand und Höflichkeit gepaart, und da der Schiffschirurgus nicht verfehlte, dem Fremden alle einem Schiffskommandeur gebührlichen Ehrenbegrüßungen zu erweisen, so wurde der Lieutenant Gad selbst gegen seinen Willen fortgerissen, ein Gleiches zu tun. Flaxmann schien vergessen zu haben, dass ihm dergleichen doch eigentlich nicht zukäme, und unterhielt sich mit den Angekommenen in einem vornehm freundlichen, herablassenden Ton, der den Lieutenant am Ende doch zu ärgern begann.

»Lieutenant Gad«, sagte der Chirurgus mit seiner behaglichen Pfiffigkeit, »hat nicht unterlassen können, mich auf den Schoner zu begleiten, der ich nach meinen Kranken zu sehen gekommen bin, damit er sich selbst nach Ew. Gestrengen Befinden erkundige.«

»Ich bin Euch sehr für Eure Aufmerksamkeit verbunden, Herr Lieutenant«, sagte Flaxmann mit einer artigen Verneigung. »Obgleich mich meine Wunde etwas schmerzt, so ist sie doch von der Art, mir gerade keine großen Molesten zu machen. Die Geschicklichkeit unseres wackeren Meister Habermann hat das Ihre getan, um jeder bösen Folge vorzubeugen.«

Gad antwortete nicht und warf dem Chirurgus nur zornige Blicke zu. Dieser aber kehrte sich nicht daran, sondern fuhr, um keine Verlegenheit bringende Windstille eintreten zu lassen, fort: »Die Abende sind lang, und der Schiffer liebt die Geselligkeit. Das Wasser schneidet ja einen ohnedies von der übrigen Menschheit ab. Der dänische Lieutenant, unser wackerer Bootsmann, Meister Pehrsohn und was sonst unter den Rekruten sich zu unserer Gesellschaft passt, werden gerade nicht böse sein, wenn ich vorschlage, den Abend in Lust und Heiterkeit beieinander zuzubringen. Wein und Rum haben wir mitgebracht, um einen trefflichen Grog daraus zu brauen, und so dächt’ ich, mit Verlaub, wir hingen den Kessel über das Feuer und bäten die Gesellschaft zusammen, während ich zu den zerhauenen und zerschossenen Schlingeln gehe.«

»Euer Vorschlag ließe sich wohl hören«, versetzte Flaxmann, »und würde unbedingt von uns angenommen werden, wenn nicht drei von uns verwundet wären, denen der Genuss geistiger Getränke beschwerlich werden dürfte.«

»Dieser Besorgnis bin ich, mit Verlaub zu melden, bereits zuvorgekommen«, tröstete Habermann. »Ihr, als ein wohlerudierter Medikus, werdet diejenigen Mittel kennen, welche einer Erhitzung des Blutes vorbeugen. Seht hier in dieser Phiole das berühmte Oleum des großen Arnoldus de Villa wider das Fieber, ferner ein Pulver von Bibergeil und Judenpech, welches wir in das erste Glas Grog mischen. Auch habe ich einige Abrakadabra mitgebracht, deren Ihr Euch gegen jede böse Folge mit großem Nutzen bedienen könnt.«

Der Bootsmann Pehrsohn ließ nicht gern eine Gelegenheit ungenutzt vorübergehen, wobei etwas für seinen Magen zu erlangen war. Da er ohnedies einige Tage abwesend gewesen war und lange keiner geselligen Zecherei beigewohnt hatte, erhob seine etwas schwerfällige Stimme und sprach: »Ein Mann, der in allerlei Zauberwerk wohl erfahren ist, sollte sich nicht weigern, mit ehrlichen Leuten zu trinken, aus Furcht vor dem Fieber. Lasst unseren Dänen dort den Firlefanz verschlucken, den Meister Habermann da anschleppt. Der gute Lieutenant wird sich freuen, wenn er sieht, dass wir die Freundschaftsflagge aufziehen und seinen Gram, die Rekruten nicht nach Kopenhagen gebracht zu haben, im kräftigen Dampf unseres Tranks verfliegen lassen. Und wem habt Ihr denn sonst die Ehre noch zugedacht, Herr, der heute die See hat rot färben helfen?«

»Es ist dies einer von den Rekruten, ein tüchtiger Seemann und geborener Franzose, der sich um mich verdient gemacht hat. Er heißt Pierre Courtin und hat einen Streifschuss am linken Backen erhalten.«

»O, mit Verlaub«, rief der Chirurgus, »der Backen ist nicht so zerschossen, dass er nicht ein Glas Grog so lange darin halten könnte, um es zu schlucken, und wäre er es auch, so kann sich Monsieur Courtin des rechten Backens zum Trinken bedienen, und gegen das Fieber wollen wir schon ein gutes Präservativ geben.«

Der Bootsmann hätte unterdessen den Franzosen herbeigeholt.

»Vaintre – dot!«, rief dieser, als er von einem Gelage hörte, »ein Seemann muss genug kaltes Wasser sehen, soll er nicht was Warmes trinken, das zwar auch aussieht wie Wasser, aber schmeckt wie Rum und französischer Wein mit einem Zusatz von Zucker? Mir ist’s eben auch recht, dass ich unter die braven Schweden geraten bin. Sie werden einen Kerl, der kein Kopfhänger ist und in der Marineschule in Paris sein Seestudium nicht ohne Erfolg gemacht hat, auch brauchen können, und wenn ich nicht unter Tordenschild dienen kann, so wird es mir vergönnt sein, gegen ihn zu dienen.«

»Ihr könnt beide Dienste auf der Fregatte erhalten«, bemerkte Gad.

»Meint Ihr mit dem anderen?«, fragte der Franzose und deutete auf Flaxmann.

Der Lieutenant nickte stolz mit dem Kopf.

»Was mich betrifft«, warf Flaxmann lächelnd ein, »so dank ich Euch sehr für Eure Güte, mich zu platzieren. Aber ich muss in der Tat meine Beförderung einem Höheren überlassen.«

Der Schiffschirurgus warf dem Lieutenant einen schadenfrohen Blick zu, aber befürchtend, die gegenseitige schroffe Stellung der beiden möchte in offenbare Feindseligkeit ausbrechen und sein geheimer Zweck dadurch vereitelt werden, zog er seine Arzneimittel hervor und begann die Mischung zum Besten der Verwundeten. Der gefangene dänische Lieutenant wurde herbeigeholt und der Schiffskoch, von Meister Habermann beordert, richtete schon Kessel und Feuer zu, während er selbst seinen Umgang bei den Verwundeten hielt. Nach Beendigung dieses Geschäfts verfügte er sich wieder zur Gesellschaft und hing denen, welche er vor dem Fieber sichern wollte, zuerst die Amulette an.

Der Franzose riss den Zettel wieder vom Hals, betrachtete ihn mit einer possierlichen Neugierde und warf ihn unter Absingung eines auf den Schiffen gebräuchlichen Begräbnisliedes, wobei er nicht unterließ, einige komische Einfügungen zu improvisieren, mit karikierter Zeremonie über Backbord ins Meer, an welcher Seite des Schiffes bekanntlich bloß die Leichen unehrlicher Leute, nichtswürdiger Buben … ins feuchte Grab gesenkt werden.

Die anderen lachten und der Chirurgus ärgerte sich. Der Franzose schien aber seine Insolenz noch weiter treiben zu wollen, jedoch ganz für sich und ohne dass die anderen etwas davon merkten. Als nämlich Meister Habermann mit seinen Mixturen und Latwergen angerückt kam und jedem Verwundeten mit funkelnden Augen seine abgemessene Dosis zuteilte, ließ Monsieur Courtin, entweder, weil er pfiffig, schlau und gewandt im Benehmen des Wundarztes etwas Auffälliges bemerkt hatte, oder überhaupt von einem unüberwindlichen Abscheu gegen alle Medizin erfüllt war, den alten dänischen Lieutenant und Flaxmann willig ihr Teil zuerst nehmen. Der Chirurg beobachtete diese Prozedur mit einer fast ängstlichen Aufmerksamkeit und gab nun auch Courtin das seine hin. Dieser wendete sich aber, indem er sich anstellte, als verschluckte er seine Portion, goss sie aber rasch durch eine Luke der Kajüte hinaus in das Meer, in dessen weiten Raum er die Essenz besser aufgehoben glaubte als in seinem Bauch. Dabei wusste er so trefflich zu spielen, dass Meister Habermann sich völlig überzeugt hielt, der launige Franzose habe sein Teil so gut wie die beiden anderen. Der Heilkünstler mischte hierauf vergnügt den Grog und bediente als Wirt die in kurzweiligen Gesprächen sich ergötzenden Gäste. Man hatte keine Stunde beisammengesessen, als der alte Däne über eine nicht zu überwindende Schläfrigkeit klagte und sein Haupt auf den Tisch neigte und einschlief. Flaxmann entgegnete, dass er dasselbe Verlangen fühle. Habermann erörterte in breiten und langweiligen Demonstrationen, dass dies Folge des Blutverlustes sei, und obgleich die Arznei das Fieber verhindert habe, so dürfe sie doch den zur Genesung so höchst heilsamen Schlaf nicht auch aufheben, und er rate wohlmeinend, sich demselben zu überlassen. Er predigte aber bereits schlafenden Ohren, denn Flaxmann war von der Macht des Triebes bezwungen, auf der anderen Seite des Tisches eingeschlummert und der pfiffige Franzose, den noch kein Schlaf angewandelt hatte, erheuchelte wenigstens eine gleiche Müdigkeit. Meister Habermann hatte die Wirkung des Schlaftrunkes, den er in die Arznei gemischt hatte, mit Luchsaugen beobachtet. Da er nun des Erfolgs gewiss zu sein glaubte, winkte er dem Lieutenant verstohlen und sagte: »Ich dächte, Lieutenant Gad, mit Eurem Verlaub, wir brächten die Schläfer in ihre Hängematten.«

Der Bootsmann bot seine Hilfe an, erhielt aber vom Lieutenant einen Befehl, der seine Entfernung nach sich zog. Sobald sie sich allein sahen, fiel der Chirurg mit einer zur Mut gesteigerten Neugierde über Flaxmann her, indem er triumphierend rief: »Seht, Lieutenant, wie ein dummer Deutscher noch Witz genug hat, das Euch unmöglich Scheinende auszuführen! Die geheimnisvolle Brieftasche wird sogleich in unseren Händen sein.«

Gad gönnte dem sich aufblasenden Wundarzt gern den wohlfeilen Triumph und hatte selbst für weiter nichts Sinn, als das Büchlein, in welchem sie beide die Lösung aller Rätsel dieses Tages vermuteten, an sich zu bringen. Habermann hatte dem schlafenden Fremden das grobe Wams aufgeknöpft, seine gierige Hand suchte nach der Öffnung des Hemdes, und einen Augenblick darauf zog er das Etui hervor. Aber ein neues Hindernis stellte sich ein. Es war mit einer Schnur künstlich am Leib befestigt und der Chirurgus suchte vergebens nach einem Knoten, den er zu lösen und nach abgemachter Sache wieder zu schlingen gedachte. Er äußerte mit lauten Worten seine Verlegenheit, und der Lieutenant riet, vor Neugierde brennend, kurzen Prozess zu machen und die Schnur zu durchschneiden. Der Chirurgus wollte Bedenklichkeiten über die Folgen äußern, aber der Lieutenant hörte nichts, sondern ergriff das Bindezeug des Wunddoktors, um ein Messer oder eine Schere zur Ausführung seines Vorsatzes daraus hervorzuziehen. Habermann starrte unterdessen mit vor Begierde tränenden Blicken, die äußere rote Hülle des Büchleins an, und entdeckte, dass die Decke von einer Kugel verletzt war. Dadurch wurde ihm die wunderbare Erhaltung des Fremden auf eine natürliche Weise klar und er fing an, einzusehen, wie es möglich sei, dass der Wundermann die Kugel von sich geben könne, ohne gerade ein Zauberer zu sein. Eine zweite weit ärgerlichere Bemerkung des Chirurgen an der Brieftasche war, dass dieselbe mit einem Schloss versehen und kein Schlüssel, solches zu öffnen, zu erspähen war. Er äußerte diesen zweiten unangenehmen Umstand mit einem derben Fluch.

Doch Lieutenant Gad sagte trocken: »Haben wir das Ding einmal in der Hand, soll uns auch das Schloss nicht kümmern. Geschnitten muss werden, und es ist nun einerlei, ob wir die Schnur allein oder auch die Decke des Büchleins mit zerschneiden. Also frisch darauf!«

Er setze sich in Bewegung. Aber in demselben Augenblicke wurde der eine rechts, der andere links mit einer solchen Gewalt zurückgeschleudert, dass sie sich überpurzelten und mit unwillkürlichem Zetergeschrei das Entsetzen, welches sie erfasste, ausdrückten. Als die Matrosen herbeieilten, fanden sie die Lampen gelöscht, die beiden zitternd am Boden und die drei Übrigen schlafend auf dem Tisch liegen. Der Franzose Courtin, der sich die Freude nicht hatte versagen können, den beiden Sündern diesen Schrecken einzujagen, hatte sich schnell wieder, nachdem er die Lichter ausgeblasen hatte, in seine vorige Position begeben. So fiel es keinem ein, ihm jene Schuld zu geben, was man vielmehr für Wirkung einer magischen Kraft hielt, die dem geheimnisvollen Fremden zu Gebote stände, und im Augenblick seiner Gefahr selbst ohne sein Zutun ihm beistehe. Sowohl Habermann als auch Gad waren von einem so furchtbaren Grauen befallen, dass es keiner wagte, sich dem sonderbaren Mann zu nähern. Sie gingen wie begossene Hunde davon, überließen die Schläfer ihrem Schicksal, ließen sich auf die Fregatte übersetzen und suchten, sich voreinander schämend, das Lager. Nichts aber gleicht dem Schrecken des Chirurgus, als er am andern Morgen mit sichtbarer Verlegenheit auf das Verdeck des Schoners stieg, um seine Kranken zu besuchen, und Flaxmann ihm frei entgegentrat und die dunkelgesponnene List nebst der verunglückten Ausführung Zug für Zug vorhielt. Der bestürzte Mann sank in die Knie und erhob seine Hände jammernd zu dem fremden unbeweglichen Mann.

»Vergebt, vergebt!«, rief er, »ich erkenne, mit Verlaub, Eure große Macht. Ich war ein Blinder und Irregeleiteter!«

»Euch soll vergeben sein«, versetzte Flaxmann. »Merkt an dieser Lektion, dass die mir zu Gebote stehenden Geister mich nie verlassen. Ich wusste ja, dass Ihr mir einen Schlaftrunk gabt, aber ich wollte doch sehen, was Ihr bezweckt und Euch meine Macht ahnen lehren.«

Von diesem Augenblick an galt der Fremde für eine Art überirdischen Wesens auf beiden Schiffen, und der im höchsten Grade abergläubische Lieutenant Gad wagte keinen Fuß an Bord des Schoners zu setzen.