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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 11

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Elftes Kapitel

Ich jagte während jenes Winters für einen Handelsmann, den die Indianer Aneeb, (Anib, die Ulme) nannten. Da die Jahreszeit weiter vorrückte und die Kälte sehr streng wurde, so war es sehr schwierig, auch jetzt noch so viel Wild als früher zu erlegen. Ich konnte nicht so viel schaffen, wie der Handelsmann begehrte. Eines Morgens früh schoss ich ein Elentier an, verfolgte es bis zum Dunkelwerden und war im Begriff, seiner habhaft zu werden, als mir die Kräfte ausgingen. Denn der furchtbaren Kälte ungeachtet, waren alle meine Kleider vom Schweiß durchnässt. Als ich zur Hütte zurückgehen wollte, froren sie mir am Leibe fest, und alle meine Glieder waren erstarrt, als ich an der Stelle ankam, wo noch am Morgen unsere Hütte stand. Sie war nicht mehr da. Ich wusste wohl, dass die Alte einen anderen, mir bekannten Platz gewählt hatte, aber wenn sie aufbrechen wollte, das hatte sie mir nicht gesagt.

Nun ging ich den Spuren nach. Bald fühlte ich keine Kälte mehr, wohl aber jenen Drang zum Schlafen, der unter solchen Umständen gewöhnlich dem Tod vorherzugehen pflegt. Das wusste ich und strengte daher alle meine Kräfte an, aber meine ganze Willenskraft musste ich aufbieten, um nur so weit meiner Herr zu bleiben, dass ich mich nicht auf die Erde legte. Doch verlor ich endlich, wie lange, kann ich nicht sagen, alles Bewusstsein. Als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich, dass ich mich lange in einem Umkreis von zwanzig bis höchstens fünfundzwanzig Klaftern herumgedreht hatte.

Nun suchte ich wieder die Spuren auf und sah bald in der Ferne ein Licht. Auf das ging ich zu, verlor aber bald abermals meine Besinnung. Wäre ich gefallen, würde ich nie wieder aufgestanden sein. Zum Glück drehte ich mich aber auch dieses Mal wieder rund um. Endlich, in der Hütte angelangt, sank ich zu Boden, blieb aber meiner Sinne mächtig. Noch heute sehe ich den Schein des Herdes, der von den eisbedeckten Wänden widerstrahlte, höre noch, wie meine Mutter mir sagte, sie hätte mich erwartet und deshalb ein großes Feuer unterhalten. Sie wäre in dem Glauben gewesen, dass ich nicht so lange auf der Jagd bleiben würde, und doch gewiss gewusst hätte, dass sie umziehen wolle. Einen Monat lang konnte ich nicht ins Freie gehen, denn Gesicht, Hände und Füße hatten sehr unter dem Frost gelitten.

Ich ging erst wieder hinaus, als das Wetter milder wurde und der Schnee zu schmelzen anfing. Als ich eines Tages am Ufer des Assiniboine mit Waw-be-be-nais-sa auf- und abging, bekamen wir wohl an die zweihundert Elentiere zu Gesicht, die sich auf einer kleinen, beinahe ganz vom Fluss umgebenen Prärie umhertrieben. Wir stellten uns beide auf die Landzunge, durch welche die Halbinsel mit dem übrigen Land zusammenhing, und die etwa zweihundert Klafter breit sein mochte. Die verängstigten Elentiere wollten sich nicht auf das glatte Eis wage, und fingen an, im Kreis auf der Prärie zu laufen. Einige kamen uns in den Schuss, und wir erlegten zwei, auf die wir sogleich zuliefen. Nun aber teilte sich das Rudel in zwei Gruppen. Die eine wollte über das Eis entfliehen, und diese verfolgte ich, während Waw-be-be-nais-sa der anderen nachsetzte, welche auf das höher liegende Land zueilte.

Die erschreckten Tiere drängten sich auf dem glatten Eis so dicht aneinander, dass es einbrach. Da sie nichtsdestoweniger sich anstrengten, das jenseitige Ufer zu erreichen, brachen sie sich einen Weg frei. Ich lief neben ihnen her, und hoffte aller derer habhaft zu werden, die ich töten würde. Denn das Wasser war nicht so tief, dass sie hätten ertrinken können. Alle meine Kugeln verschoss ich und stach außerdem zwei mit dem Messer nieder. Nach wenigen Minuten versanken die, welche ich erlegt hatte, unter das Eis. Nur eins, welches am Ufer hinauf klomm, bekam ich. So hatten wir von zweihundert nur vier. Waw-be-be-nais-sa verließ mich auf der Stelle, eilte zu den Handelsleuten und verkaufte ihnen alle vier Elentiere als sein Eigentum, obwohl er nur zwei geschossen hatte.

Wa-me-gon-a-biew konnte damals nicht auf die Jagd gehen, denn er hatte sich im Rausch dermaßen verbrannt, dass er nicht auf den Füßen zu stehen vermochte. Einige Tage darauf ging ich mit Waw-be-be-nais-sa wieder auf die Jagd. Wir sahen auch bald mehrere Elentiere und kamen durch das unebene Gelände begünstigt ihnen ziemlich nahe. Ich hatte ein großes, fettes Männchen aufs Korn genommen.

Aber Waw-be-be-nais-sa sagte mir: »Schieß nicht, Bruder, du könntest es verfehlen. Es ist das beste Tier im ganzen Rudel. Ich will es erlegen, ziele auf ein anderes.«

Ich legte also auf eins an, das sich niedergelegt hatte.

Wir drückten zusammen ab. Ich traf, während er fehlschoss. Das Rudel stob auseinander, und ohne ihn nur anzusehen, machte ich mich auf, um meine Beute zu verfolgen.

Am gleichen Tag schoss ich noch zwei Elentiere, denn sie waren so ermattet, dass man ihnen leicht näher kommen konnte.

Mit dem Dunkelwerden ging ich zur Hütte zurück, wohin Waw-be-be-nais-sa etwas Fleisch mitgebracht hatte. Als ich eintrat, erzählte er eben den Übrigen, wie er ein Elentier erlegt hätte.

»Es freut mich sehr, dass du eins geschossen hast. Ich habe drei erlegt, und morgen werden wir vollauf haben«, sprach ich zu ihm, ahnte aber, dass sich die Sache nicht so verhielt, wie er sagte, und zog ihn beiseite. Da gestand er mir dann, er hätte gar nichts geschossen, und das mitgebrachte Fleisch von einem meiner zurückgelassenen Elentiere genommen. Noch einmal ging er zu den Handelsleuten und verkaufte alle drei als sein Eigentum. Die Alte aber, als sie alles erfuhr, machte ihm so bittere Vorwürfe über sein schlechtes Betragen, dass er sich von uns entfernen musste. Wa-me-gon-a-biew, der zur Zeit des Blätterfalles (im Herbst) die Tochter eines Chippewa zum Weib genommen hatte, verließ uns auch, um bei seinem Schwiegervater zu leben. So bestand denn unsere Familie nur noch aus Net-no-kwa, mir, Bahwetig, ihrer Enkelin, einem Sohn Taw-ga-we-ninnes, Ke-zhik-o-we-ninne, der eben aus den Kinderjahren trat, und zwei kleinen Kindern. So war ich denn zum ersten Mal ganz allein mit diesen und hatte den ganzen Winter hindurch für ihren Unterhalt zu sorgen, ohne dass mich jemand dabei unterstützte. Waw-be-be-nais-sa hielt sich etwa eine Tagesreise von uns entfernt auf. Ich hatte in der guten Jahreszeit viele Biber und andere Tiere erlegt. Auch waren wir gut mit Decken und Kleidungsstücken versehen und hatten einen ziemlichen Vorrat an Lebensmitteln.

Eines Morgens, da es sehr kalt war und ich auf die Jagd gehen wollte, nahm ich meinen Silberschmuck ab und hing ihn in der Hütte auf. Als mich die Alte fragte, warum das geschähe, entgegnete ich, er wäre mir bei so kaltem Wetter lästig, auch könnte ich ihn beim Verfolgen des Wildes leicht verlieren. Sie machte mir zwar einige Gegenvorstellungen, aber ich blieb bei meinem Vorsatz und ging endlich fort. Zur selben Zeit machte sich Net-no-kwa auf, um Waw-be-be-nais-sa zu besuchen. Sie wollte zwei Tage abwesend bleiben. Unsere Hütte wurde also nur von Skwahschisch (so nannten wir die Bahwetig) und Ke-zhik-o-we-ninne bewacht.

Als ich spät in der Nacht nach einer langen und unglücklichen Jagd heimkam, fand ich die Kinder vor Kälte halb erstarrt und laut schreiend neben der Asche unserer Hütte, die durch ihre Unvorsichtigkeit Feuer gefangen hatte. Alles war verbrannt, mein Silberschmuck, eines meiner Gewehre, mehrere Decken und viele Kleidungsstücke. Nichts blieb uns übrig, als ein Medizinbeutel und ein kleines Fass Rum, welches ich weit wegschleuderte, wütend darüber, dass der einzige Gegenstand, der verschont blieb, uns unnütz, ja schädlich war. Dem Mädchen nahm ich auf der Stelle seine Decke weg, und es musste die Nacht im Schnee liegen bleiben. Ich sagte, weil seine Unachtsamkeit schuld wäre, dass wir kein Obdach hätten, so wäre es billig und recht, dass gerade sie mehr von der Kälte zu leiden hätte, als die Übrigen. Der Knabe schlief bei mir auf der warmen Asche.

Am anderen Morgen ging ich in aller Frühe abermals auf die Jagd und nahm mir vor, erst spät am Abend wiederzukommen, denn ich wusste wohl, dass die Alte sehr zornig werden würde, wenn sie zurückkam. Als ich mich der Hütte näherte, hörte ich schon von Weitem, dass sie das Mädchen prügelte und ausschalt. Und da sie mich erblickte, fragte sie, warum ich es nicht auf der Stelle getötet hätte.

»Weil du es nicht getan hast, so will ich es«, rief sie.

»O, Mutter, bring’ mich nicht um! Ich will dir alles bezahlen, was du verloren hast.«

»Was hast du zu geben? Womit willst du mich bezahlen?«

»Ich will dir den Manitu geben. Der große Manitu wird herabsteigen, um dich dafür zu belohnen, dass du mir mein Leben nicht nimmst.«

Wir hatten gar nichts zu leben und waren fast nackt. Daher gingen wir zu Aneebs Kontor zu Ke-new-kau-nesche-way-boant und erhielten Kredit für soviel, wie ein Ballen Biberfelle wert war. Da wir nun wieder Decken und Kleider hatten, so gingen wir zu Wa-me-gon-a-biew, der nebst seiner Frau uns bis zu der Stelle begleitete, wo vor Kurzem noch unsere Hütte stand.

Wir bauten uns, um Schutz vor dem Wetter zu haben, eine kleine Hütte aus Rasen, und bereiteten den Puk-kwi zu einem neuen Wigwam. Die Frauen arbeiteten sehr fleißig, besonders Skwahschisch. Als es dunkel geworden war, und ich von der Jagd zurück kam, halfen Wa-me-gon-a-biew und ich, sodass nach einigen Klagen die Hütte fertig da stand, und mein Bruder, nachdem er drei Elentiere erlegt, wieder fort ging.

Bald hatten wir wieder Überfluss, und mit diesem kehrte auch die gute Laune zurück. Eines Abends rief die Alte das Mädchen zu sich und fragte, ob es sich noch seines Versprechens erinnere. Skwahschisch antwortete nicht, und Net-no-kwa benutzte diese Gelegenheit, um ihr begreiflich zu machen, wie unrecht es sei, sich des Namens der Gottheit auf eine leichtfertige unehrerbietige Weise zu bedienen.