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Im Goldlande Kalifornien 3

Sophie Wörishöffer
Im Goldlande Kalifornien
Fahrten und Schicksale Gold suchender Auswanderer
Zeitgemäß gekürzt von A. Flügel um 1930
Kapitel 1 – Teil 3

»Da steht ja noch ein Haus!«, sagte einer der Soldaten. »Wollen wir es einmal ein wenig durchforschen?«

Er machte einige Schritte vorwärts und blieb dann voll Überraschung stehen. »Meiner Treu!«, rief er, »das Haus ist ja bewohnt!«

Die Übrigen lachten. »Du bist nicht gescheit, Gogol!«

Der Soldat stürmte vorwärts, gefolgt von den übrigen. Die Entdeckung war jetzt unvermeidlich geworden.

Kinski und seine Gefährten sahen und hörten alles – sie glaubten nie vorher so todesbange Augenblicke durchlebt zu haben.

Die Kosaken zogen den alten Iwan, der ihnen zuerst entgegentrat, an den Armen in das hellere Licht einer mitgebrachten Fackel.

»Hallo, Bursche, wer bist du?«, klang es von ihren Lippen. »Heraus damit, wo stecken deine Kameraden?«

Der Alte ließ sich geduldig hin- und herzerren. »Alle drinnen im Haus, meine guten Herren«, versetzte er. »Wir sind arme Flüchtlinge. Da suchen wir denn ein Unterkommen bei entfernt wohnenden Verwandten.«

Einige andere hatten unterdessen die Frauen und Kinder aus dem Haus hervorgeholt. Auch Davidoff kam heraus, und nun begann ein neues Verhör.

»Wo stecken eure jungen Männer?«

Iwan zuckte die Achseln. »Sucht, ihr Herren, Sucht! Außer denen, die ihr seht, ist niemand bei uns.«

»Und Geld oder Silberzeug habt ihr auch nicht?«

»Gar nichts. Nur vielleicht die Brustketten der Frauen und …«

»Das lasst unterwegs, Alter. Mit Frauen führt ein ehrlicher Reitersmann keinen Krieg. Zieht ab, wohin ihr wollt!«

»Wir können also unsere Tiere anschirren und davonfahren?«

»Ja!«

Und dann nahmen die bärtigen Männer die Kinder auf ihre Arme und küssten sie zärtlich. »Der Kosak hat daheim am Don in seinem Dorf auch so kleine Buben und Mädchen, darum ist er allen Kindern gut. Zieht fort in Frieden, ihr Leute! Und ihr, Mütterchen, weint nicht so sehr, das wird alles noch wieder anders und besser.«

Sie halfen den beiden Männern, die Ochsen anzuspannen und hoben die Kleinen auf ihre Sitze. Drei von den Frauen mussten notgedrungen die Zügel ergreifen, und nach wenigen Minuten bewegten sich die fünf Wagen langsam weiter.

Als sich der letzte Kosak nach Durchsuchung des ganzen Gebäudes entfernt hatte, stiegen unsere Freunde leise von den Bäumen und huschten ungesehen durch die Finsternis davon.

Es war bereits gegen zwei Uhr nachts und die Luft bitterkalt. Schweigend schritten die Männer vorwärts. Kinski beobachtete fortwährend die Umgebung.

»Es muss hier ein Dorf liegen«, sagte er.

»Man sieht nichts«, antworteten mehrere Stimmen zugleich. »Vielleicht, wenn wir die vorspringende Waldecke passiert haben.«

»Ein Tier!«, sagte plötzlich Jegor. »Ein großer Hund, glaube ich.«

»Noch eins! – Und da drei!«

»Wölfe auf der Fährte eines Wildes!«, rief mit unterdrückter Stimme Alexej. »Dann gibt es sicherlich hier herum ein Schlachtfeld.«

»Schon wieder? Das wäre schrecklich!«

»Da ist das Dorf!«, sagte Kinski.

»Eins, zwei … sechs … acht niedrige Häuser.«

Arsa deutete auf das vorderste Haus. »Die Tür steht offen«, flüsterte er.

»Es ist die Schenke … ich werde nachsehen!« Damit eilte er voraus.

Kinski sah in die Stube hinein.

»Alles leer! Ihr könnt hereinkommen«, rief er zurück.

Die jungen Leute eilten sogleich herbei, und nun wurde die Umgebung genauer durchforscht. Es fehlten alle Vorräte, alle besseren Einrichtungsstücke und Möbel, selbst das Bett war ausgeräumt. Die Bewohner mussten das Haus verlassen haben, um den anrückenden Soldaten zu entgehen.

»Hier können wir Rast machen«, schlug Ossip vor.

»Das denke ich auch, und zwar drüben in dem alleinstehenden Haus jenseits der Straße. Sollte irgendeine feindliche Macht des Weges kommen, so bemerken wir sie jedenfalls von dort aus zuerst.«

Nachdem man sich an den mitgeführten Vorräten erquickt hatte, stieg Kinski auf einen hohen Baum, um Ausschau zu halten. Nirgends war ein Feuerschein zu sehen, nirgends ein Geräusch zu vernehmen. Beruhigt kehrte er zu den Gefährten zurück. »Ich werde die erste Wache übernehmen«, sagte er, »schlaft euch aus, Kinder, es ist alles sicher.«

Er schloss beide Türen des Gebäudes und legte die hölzernen Querbalken vor. Dann nahm er selbst Platz am Fenster und sah sinnend in das Dunkel hinaus.

Da schlug an sein Ohr ein leiser Ton, beinahe wie ein Pfeifen oder Winseln. Kinski hob rasch den Kopf. Was war das?

Ein Schatten huschte draußen am Fenster vorüber und verschwand. Er sah es deutlich, aber so schnell, dass es ihm unmöglich war, eine Gestalt zu erkennen. Dann wurde alles still.

Unhörbar kletterte Kinski auf den Dachboden. Er öffnete eine Luke und sah nach allen Seiten. In geringer Entfernung glitten wieder im ungewissen Dämmerlicht des heraufziehenden Tages die Schatten herüber und hinüber – ohne Zweifel Tiere.

Und nun zeigte sich auch mitten auf dem Weg ein dunkler, feststehender Punkt, eine Masse, die sich nicht bewegte. Um diese herum gruppierten sich die Schattengestalten von vorhin.

Wie der Blitz durchzuckte ein Gedanke die Seele des Lauschers. »Wölfe! Ein starkes Rudel Rotwölfe!«

Wahrscheinlich hatten sie, da die Bauern mit allem Vieh geflüchtet waren, seit einigen Tagen keinen Bissen mehr gefressen und wurden nun von dem wütendsten Hunger gepeinigt.

Als die Nacht einigermaßen hell wurde, sah Kinski auch den dunklen, mitten auf der Straße liegenden Gegenstand – das Gerippe eines Pferdes, dessen Fleisch die Wölfe auseinandergerissen hatten. Etwa fünfzig kämpften noch miteinander um die letzten Überreste, während einige besonders verwegene große Wölfe das Haus umschlichen und halb fluchtbereit, halb zum dreistesten Vorgehen entschlossen, einen Eingang suchten. Immer mehr und mehr kamen heran. Trotz des heraufziehenden Tageslichtes behielten die hungrigen Tiere ihre Stellung. Sie lechzten und winselten, ja, einige heulten laut, sodass die jungen Leute erwachten.

»Was gibt es?«, rief Arsa, indem er aufsprang.

»Uns belagern Wölfe.«

Auch die übrigen eilten an die Fenster, und nun wurde Rat gehalten. Sollte man es wagen, sich dem Angriff dieser ganzen Meute auszusetzen?

»Wir gehen mitten hindurch«, meinte Boris. »Die Bestien sind feige.«

»Das wohl. Aber ihrer fünfzig bilden doch eine ansehnliche Macht.«

Arsa war auf den Boden gestiegen. »Hier liegt Holz«, rief er, »lange, starke Stücke. Damit müssen wir uns bewaffnen.«

Er warf die Scheite in das Erdgeschoss hinab, und jeder der jungen Leute suchte sich aus, was ihm zusagte.

»Jetzt lasst uns nur zunächst frühstücken«, meinte Boris. »An Schlaf ist doch nicht mehr zu denken.«

Die Speisevorräte wurden auf den Tisch gelegt und, während draußen die Wölfe heulten, eine tüchtige Mahlzeit gehalten.

»Wir kommen schon hindurch«, meinte Boris. »Ich habe mit den Rotröcken schon manchen Kampf bestanden.«

Dann erhob er sich und sah aus dem Fenster. »Irgendetwas kommt«, rief er. »Die Bestien horchen.«

»Und jetzt ergreifen sie die Flucht.«

»Ich höre etwas.« Boris lauschte. »Ein einzelner Reiter«, flüsterte er.

Sofort traten alle vom Fenster zurück und hinter den großen, die Mitte des Zimmers einnehmenden Ofen. Nach wenigen Sekunden galoppierte ein Kosak auf seinem kleinen Pferd vorüber, und alles wurde wieder still. Die Wölfe kamen nicht zurück.

»Jetzt lasst uns aufbrechen«, sagte Kinski. »Der Soldat war ohne Zweifel ein Kurier, der vielleicht dem Regiment nur um eine halbe Stunde vorauseilt. Den günstigen Augenblick müssen wir wahrnehmen.«

Alle übrig gebliebenen Lebensmittel wurden zusammengepackt, die Holzscheite in die Hand genommen und der nächtlichen Ruhestätte Ade gesagt.

»Bis zum Abend müssen wir menschliche Wohnstätten erreicht haben«, sagte Boris.

Kinski schwieg, aber er wusste, dass sie heute kein Dorf auf dem Weg mehr finden würden. Eine größere Stadt lag zehn Meilen entfernt, auch seitwärts hier und da kleinere Orte, aber auf dem Weg nach Riga nichts. Wie Gott will, dachte er.

»Die Bestien folgen uns«, fuhr Boris fort. »Seht ihr es nicht?«

»Woran denn?«

Der Bauer deutete auf die Eichhörnchen an den Baumstämmen. »Es ist alles in wilder Flucht begriffen«, sagte er. »Nicht vor uns, sondern vor den Wölfen. Da! Hört ihr das Winseln?«

Das rotröckige Heer zog mit. In der Ferne ertönten Signale. Die Wanderer sprachen wenig und rasteten nur an Wegstellen, wo der Rücken durch eine feste Wand gedeckt war und die Möglichkeit vorlag, nach beiden Seiten Wachposten aufzustellen.

Das heisere Heulen tönte manchmal ganz in der Nähe, glühende Augen sahen aus dem Gebüsch. Aber die Wölfe wagten doch keinen Angriff.

»Im Notfall haben wir ja unsere Schusswaffen«, sagte Boris.

Arsa nickte. »Seltsam, dass uns kein Mensch begegnet«, äußerte er nach einer Weile. »Das Land ist wie ausgestorben.«

Die Unterhaltung verstummte wieder. Weiter und weiter ging es, bis die Sonne sank.

»Hier bleiben wir«, entschied Kinski, indem er auf einen kahlen, steinigen Hügel deutete. »Die eine Seite fällt so steil ab, dass kein Wolf sie erklettern kann. Auf der anderen müssen wir Posten beziehen.«

Es stand ein Kampf bevor, ein widerwärtiger Kampf mit hungrigen Bestien, das wussten alle.

Wo einer die dürren Zweige vom Boden auflas, da hielt ein anderer mit der Pistole in der Hand neben ihm Wache, und beide sahen dann wohl dicht neben sich ein Tier durch die Büsche schlüpfen, hörten sogar das Lechzen und Winseln. In jedem Augenblick konnte die Gefahr hereinbrechen.

Arsa stieg auf einen Baum. Er wollte Ausschau halten.

»Siehst du nichts?«, fragte Kinski.

»Vor mir nicht, Vater, aber zur Rechten sehe ich ein Feuer.«

»Bist du deiner Sache auch sicher, mein Junge? Ist das, was du siehst, keine Feuersbrunst?«

»Unmöglich, es brennt ja am Boden und es ist so nah, dass ich mich durchaus nicht täuschen kann.«

Tiefe Stille folgte diesen Worten. Der Schreck wirkte nach in jedem Herzen, bis endlich Kinski die Sprache wiederfand.

»So dürfen wir unserseits kein Feuer entzünden«, sagte er.

»Wollen wir hier bleiben?«

»Ich denke es. Die Wölfe können uns an diesem Punkt wenigstens nicht in den Rücken fallen.«

»Schießt nicht, bis der Wolf unmittelbar vor euch steht, Kinder! Und dann noch eins, sollten Soldaten mit Fackeln hierher kommen, so rette sich jeder von euch einzeln, am besten auf die Bäume und ohne zu sprechen, ohne den anderen durch einen Ausruf zu verraten. Es ist in dieser Weise doch möglich, dass einige unter uns glücklich der Gefahr entrinnen.«

»Für so ernst hältst du unsere Lage, Vater?«

»Ja, mein Junge.«

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als auch schon mehrere Wölfe aus dem Gebüsch hervorbrachen. Der Vorderste stürzte sich mit weitem Sprung gegen den jungen Bauern, der ihn indessen festen Fußes erwartete. Boris hatte schon zu viele Wölfe erlegt, um sich jetzt außer Fassung bringen zu lassen. Er stand mit einem kecken Satz dem Angreifer gegenüber, ehe sich dieser der plötzlichen Veränderung bewusst wurde. Das schwere Holzscheit wirbelte mit voller Kraft auf den Kopf des Raubtieres herab.

Jetzt war der Kampf eröffnet. Von allen Seiten drangen die Wölfe vor. Ihre roten, lechzenden Zungen berührten fast die Körper der Männer, ihre Krallen rissen sie zu Boden. Es gab im Augenblick höchster Not keine Bedenken mehr. Man musste schießen, um nur das nackte Lehen zu retten – mochte es hören, wer da wollte.

Boris wütete wie ein Wilder. Er schlug mit dem Kolben und mit dem Holzstück, er trat und stach und schoss, aber ohne die Wölfe in die Flucht treiben zu können. Erst als vier blutend am Boden lagen, als von allen Seiten die Kugeln in ihre Reihen einschlugen, da wichen die Angreifer minutenlang zurück. Eine neue Salve wurde ihnen nachgesandt, es fielen wieder einige. Aber sie schienen ein außergewöhnlich zähes Leben zu besitzen. Ganz tot war keiner.

Eng zusammen standen die Männer, entschlossen, das Leben so teuer wie nur möglich zu verkaufen. Wenigstens vierzig Wölfe hielten sich in geringer Entfernung, erschreckt von den Schüssen, aber nicht besiegt, vielleicht sogar gefährlicher als vorher. Denn sie würden, um den Platz zu behaupten, sobald sich die Belagerten rührten, ihnen in den Rücken fallen.

Hier und da kam eines der Tiere näher heran und wurde dann von mehreren Kugeln begrüßt, worauf die ganze Schar etwas zurückwich, um bald darauf wieder von Neuem zum Angriff vorzugehen. Der Augenblick eines rücksichtslosen Ansturmes und damit der völligen Vernichtung unserer Freunde schienen bedenklich nahe.

Keiner unter ihnen hatte Gelegenheit, mehrere im Dunkel heranschleichende Gestalten zu bemerken oder das leise Geräusch ihrer Schritte zu hören. Etwa sechs Männer kamen durch eine Schlucht von der anderen Seite des Bergzuges. Sie berieten einen Augenblick miteinander, und dann wurde eine mitgebrachte Fackel in Brand gesetzt. Von gewandter Hand geschleudert, flog diese mitten unter die Schar der heulend nach allen Seiten flüchtenden Wölfe.

Zugleich schlug ein Hagel von Büchsenkugeln in ihre Reihen. Es entstand eine Verwirrung, bei der einige Tiere zu entkommen suchten, während sich andere den neuen Angreifern entgegenwarfen und von diesen nun mit Kolbenschlägen empfangen wurden.

Ein allgemeiner Kampf trieb dann nach kurzer Dauer das Raubgesindel zu Paaren auseinander. Elf Wölfe lagen tot auf der Walstatt, doppelt so viele schleppten sich blutend davon.

Eine zweite Fackel wurde angezündet, und nun standen unsere Freunde und ihre unerwarteten Retter sich Auge in Auge gegenüber.

»Zigeuner!«

»Guter Gott!«, rief Arsa. »Seid ihr nicht dieselben Leute, denen ich damals die jungen Bären zeigte?«

»Gewiss sind wir das, Herr. Die Tiere wachsen hübsch heran.«

»Und ihr habt euer Lager hier in der Nähe? Ihr zieht wohl gar nach Riga?«

Der Zigeuner lachte. »Beides«, sagte er. »Kommt nur mit, Leute! Ich glaube, es sind Bekannte von euch in unseren Zelten.«

»Was sagst du da!«

Kinski hielt den nächsten Zigeuner am Arm fest. »Habt ihr fremde Frauen und Kinder bei euch, Leute?«, fragte er atemlos vor Erregung.

»Ja! Ja! – Da sind sie ja schon.«

Die letzte Entfernung war bald durchmessen. Allen voran stürmte Arsa. Sie hörten sein lautes »Hurra! Mutter, Mutter, wie freue ich mich!«

Kinski bedeckte die Augen mit der Hand. Ihm schwindelte. So viel Glück hatte er nicht für möglich gehalten. Alle wieder vereinigt, alle unbeschädigt, unversehrt!

Fragen und Antworten flogen herüber und hinüber. Die Zigeuner hatten zwei Ochsen als Bezahlung für den Schutz der Frauen und Kinder verlangt und waren dann, als der alte Iwan auf den Handel einging, ehrlich bemüht gewesen, ihre neuen Reifegefährten auf dem schnellsten Weg vorwärts zu bringen.

»Zweimal sind uns russische Truppen begegnet«, fügte Davidoff hinzu. »Wäret ihr in unserer Gesellschaft gewesen, so trüget ihr jetzt sämtlich die verhasste Uniform und müsstet gegen eure Landsleute kämpfen.«

»Gott verhüte es!«, rief Kinski. »Hoffentlich kommen nun keine Soldaten mehr in unsere Nähe.«

»Ihr wollt auswandern, nicht wahr? Nach Kalifornien, in das Goldland?«

»Natürlich.«

»Habt ihr auch Pässe?«, fragte der Zigeuner.

Kinski erschrak. »Ist das notwendig?«, rief er.

»Um an Bord zu kommen, ja. Ich habe in Riga einen Freund, der euch diese Papiere sehr gern anfertigt. Gebt mir, wenn wir an Ort und Stelle sind, die Wagen und Ochsen, dann besorge ich euch für Geld die Pässe.«

Davidoff versuchte zu handeln, er feilschte und feilschte, bis er endlich nachgab und der Pakt geschlossen wurde. Es schien jetzt der Reise in das Gelobte Land kein Hindernis mehr im Wege zu stehen.

Vier Tage später kam die ganze Karawane in Riga an. Die Zigeuner kannten eine Herberge, in der Auswanderer verkehrten, und man trennte sich vorläufig, um einerseits hier Wohnung zu nehmen und anderseits draußen vor der Stadt die Zelte aufzuschlagen. »Kommt nur jetzt zu Bentheim und Sohn! Kinski, du hast doch den Brief deines Bruders bei dir?«

»Gewiss! Lasst uns gehen, Freunde.«

Und nun folgte eine Stunde, die förmlich berauschend wirkte. Der Kaufmann deutete auf seinen Kassierer und sagte einfach: »Lassen Sie sich geben, was Sie zu erhalten wünschen. Es ist ein unbeschränkter Kredit eröffnet worden.«

»Wann geht das nächste Schiff?«, fragte Kinski.

»In einigen Tagen. Da Sie mir so ganz besonders empfohlen sind, will ich Ihnen Plätze sichern, obwohl Hunderte von Passagieren zurückbleiben müssen. Sie haben doch Reifepässe?«

»Ja«, antwortete Kinski, obwohl ihn das Herzklopfen fast erstickte. »Es ist alles in Ordnung.«

»Gut, dann kaufen Sie nur das Nötige zusammen. In meinen Speichern wird man Ihnen sagen, was Sie brauchen.«

»Noch eins«, fügte er dann hinzu. »Ich habe Nachrichten aus Ihrer Heimat. Ladrin ist in Asche gelegt, und die beiden Grafen, Vater und Sohn, sind flüchtig. Die Bauern haben ein furchtbares Gericht gehalten.«

»Aber der Aufstand ist niedergeworfen, nicht wahr?«

»Gänzlich. Freuen Sie sich, dass Ihnen eine bessere Zukunft winkt.«

Ein Angestellter des Hauses besorgte für alle die nötige Ausrüstung, und einige Tage vor der Abreise ging Kinski mit dem jungen Zigeuner zu jenem gefälligen Manne, der Pässe anfertigte und damit einen schwungvollen Handel trieb.

Ein altes, zerlesenes Aussehen hatten die Pässe, halb verwischte Stempel und Siegel, von denen der Zahn der Zeit die Ränder abgenagt zu haben schien. Der Verkäufer blinzelte hinter den Brillengläsern hervor.

Kinski erstickte einen Seufzer. »Ob der Beamte, der diese Pässe prüft, von solchen Fälschungen keine Ahnung hat?«, forschte er.

Der Zigeuner und der Mann mit der Brille lachten laut. »Er weiß alles«, war die Antwort, »aber er hat weder Augen noch Ohren, wenn ihr ihm nur zugleich mit dem Papier ein hübsches Geldgeschenk in die Hand drückt. Nicht gar zu wenig, denn er muss die Beute mit seinem Vorgesetzten teilen.«

Am nächsten Tage fand die Abreise statt. Der stattliche Dreimaster Flora schaukelte an seinen Ankerketten, die Wellen gingen hoch und der Himmel hing voll grauer Wolken.

Wie die Frauen weinten, wie die Kinder sich ängstlich an ihre Mütter zu klammern suchten. Schwere Stunden waren es, lichtete ein Auswandererschiff die Anker. Und ob drüben der Himmel lachte, ob das Land ein Paradies sei – eines fehlte ihm doch. Es ist nicht die Heimat.

Auf der Brücke stand Arno, der Zigeuner, und reichte den Reisegefährten zum Abschied die Hand.

Dann ertönte eine Glocke. Die Ankertaue wurden gelöst, und hinaus zog das Schiff in die unbekannte Ferne.