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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 10

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Zehntes Kapitel

Nachdem wir uns einige Tage bei den Weißen aufgehalten hatten, reisten wir alle ab, um uns mit den Indianern zu vereinigen. Der Häuptling der Gruppe, welche in drei Hütten wohnte, war Wah-ge-kaut (Krummbein). Die drei besten Jäger hießen Ka-kaik (der kleine Sperber), Meh-ke-nauk (die Schildkröte) und Pah-ke-kun-ne-ga-bo (der sich im Rauch hält). Besonders war zu jener Zeit dieser Letztere ein ganz ausgezeichneter Jäger. Vor Kurzem war ihm zufällig durch einen Flintenschuss der Oberarm zerschmettert worden, und da diese Wunde von Tag zu Tag schlimmer wurde, so bat er viele Indianer und alle Weißen, die er antraf, sie möchten ihm den Arm abnehmen oder wenigstens ihm bei der Amputation hilfreich zur Hand sein. Es wollte sich aber niemand dazu verstehen.

Als er eines Tages ganz allein in seiner Hütte war, nahm er zwei Messer, von denen er das eine wie eine Schere geschärft hatte, schnitt sich mit der rechten Hand den linken Arm ab und schleuderte ihn weit von sich weg. Dann schlief er ein, und in diesem Zustand fanden ihn seine Freunde. Er hatte viel Blut verloren, erholte sich indes bald wieder und blieb nach wie vor ein trefflicher Jäger. Seit der Zeit nannte man ihn gewöhnlich Kosch-kin-ne-kait oder den Einarmigen.

Wir lebten bei diesen Indianern einige Zeit in Fülle und Überfluss, obschon Waw-be-be-nais-sa nichts schoss. Als es ein wenig wärmer wurde, verließen wir sie. Wir hatten aber im vergangenen Winter so viel durch Hungersnot gelitten, dass wir nicht ohne Schrecken daran denken konnten, abermals einen solchen in irgendeiner entlegenen Gegend zu verleben, wo wir notwendig, um leben zu können, reichliches Wild finden mussten. Den ganzen Frühling hindurch wohnten wir etwa eine Tagereise vom Kontor entfernt und jagten Biber.

Dort hatten wir einen Mann bei uns, der Pah-bah-me-win (der Träger) hieß. Ich erlegte zwanzig Ottern, viele Biber und noch viel anderes Wild. Als ich eines Tages meine Fallen nachsehen wollte, sah ich einige Enten auf dem Teich liegen, lud mein Gewehr mit Blei und kroch auf der Erde hin, um ihnen nahe zu kommen. Während ich solchergestalt vorsichtig durch das Gesträuch kroch, sprang plötzlich dicht neben mir ein Bär auf und kletterte schnell auf eine Weißtanne. Ohne mich lange zu besinnen, lud ich eine Kugel in mein Gewehr, aber der Lauf sprang in der Mitte durch, das untere Stück flog weit weg, und der Bär, den ich wahrscheinlich nicht getroffen hatte, kletterte höher. Nun aber lud ich mein halbes Gewehr noch einmal, zielte genau und der Bär stürzte herab vor meine Füße.

Während unseres Aufenthalts in jener Gegend brachten wir eine Menge Ballen von Pelzwerk zusammen. Wir schafften von Zeit zu Zeit einige davon zu den Kaufleuten, da unsere Hütte zu klein war, als dass wir sie alle hätten aufbewahren können. Zu der Zeit, als wir uns zum großen Tragplatz begeben wollten, nahmen sie die Ballen ohne unsere Zustimmung mit fort. Allein die Alte folgte ihrer Spur bis zum Regen-See, nahm alles wieder ab, was uns gehörte, ließ sich aber beschwatzen und erklärte, sie sei geneigt, ihnen diese zu verkaufen. Vom Regen-See zogen wir nach dem Wälder-See, wo Pah-bah-me-win uns verließ, Waw-be-be-nais-sa aber zu uns stieß, um in unserer Gesellschaft zum Regen-See zurückzukehren. Allein Net-no-kwa hatte von einer Mordtat reden hören, welche von Verwandten dieses Mannes dort verübt sein sollte, und dann hätte man sicherlich Rache an ihm genommen, und der wollte sie ihn nicht aussetzen. Net-no-kwa und ich gingen zurück, da wir von einem Ottawahäuptling mit dem Namen Sah-muk dazu eingeladen waren, während Wa-me-gon-a-biew mit den Frauen und Kindern zum Red River zog. Sah-muk behandelte uns sehr gütig, baute ein großes Kanu, das zum Gebrauch der Pelzhändler bestimmt war, und schenkte es uns. Wir verkauften es für hundert Dollar, denn soviel kosteten damals die Kanus in jener Gegend. Auch ein Kleines zu unserem eignen Gebrauch gab er uns.

Der Fluss, welcher sich in den Regen-See mündet, heißt Koche-che-se-bee oder der Fluss der Quelle. Er hat unweit vom See einen hohen Fall, wo ich mit der Angel eine große Menge derjenigen Fische fing, welche die Franzosen Doris nennen. Eines Tages, während ich eben fischte, wurde ein großer Stör durch die Gewalt des Wassers herabgeschleudert und auf eine Untiefe geworfen, sodass er nicht fort konnte. Ich schlug ihn daher mit einem Stein tot. Es war der Erste, den ich an diesem Ort fing, und daher veranstaltete Sah-muk ein Fest.

Kurze Zeit danach fuhren wir mit zahlreichen Chippewa über den See. Als wir sie verlassen wollten, und sie sich anschickten, in verschiedenen Richtungen hin aus-einander zu gehen, hielten alle noch einmal an, um zu trinken. Während dieses Saufgelages nahmen sie uns alle unsere Vorräte, und ich habe mich damals zuerst mit den Indianern betrunken. Als ich wieder zu Verstand kam, tadelte die Alte, welche jedoch viel mehr als ich getrunken hatte, mein Betragen sehr stark.

Ich erkannte, dass wir uns in einem sehr elenden Zustand befanden, ließ daher die Alte ins Kanu steigen und ruderte zu einer Stelle, wo gewöhnlich Fische im Überfluss vorhanden waren. Die Chippewa hatten uns auch nicht einen einzigen Bissen gelassen, doch fing ich bald drei Doris, und so brauchten wir doch nicht zu hungern. Am anderen Morgen machte ich an einem Tragplatz Halt, wo diese Fische sich in großer Menge aufhalten. Ich fing erst einen, und während die Alte diesen kochte, zog ich wohl an die hundert Stück aus dem Wasser.

Als wir wieder im Kanu saßen, fuhren einige Fahrzeuge vorüber, in denen Handelsleute saßen. Der Alten war wohl ihr Rausch noch nicht ganz verflogen, und sie tauschte daher ihre Fische gegen Rum. Ich hatte aber so viele davon beiseitegeschafft, dass ich sie gegen einen großen Sack Korn und etwas Fett eintauschte. Und Net-no-kwa freute sich darüber sehr, als sie wieder nüchtern war.

Mitten im Wälder-See erhebt sich ein ziemlich hohes, aber kleines Felseneiland, das beinahe ganz ohne Bäume und Gesträuch ist. Damals war es von jungen Möwen und Kormoranen förmlich bedeckt, und ich schlug deren eine große Menge mit einem Knüttel tot. 120, die recht fett waren, wurden geräuchert und als Vorrat für die Reise mitgenommen. Wir zogen von dort zum Red River, und während wir ihn hinabfuhren, schoss ich einen am Ufer sitzenden mächtig großen Bären an. Er schrie sehr auffallend, fiel ins Wasser und verschwand.

Da, wo später Pembina erbaut wurde und der Nebenin-nah-ne-sebee sich in den Red River ergießt, stand schon früher ein Kontor. Wir fanden dort aber weder Weiße noch Indianer und setzten, weil wir gerade keinen Überfluss an Lebensmitteln hatten, unsere Fahrt auch über Nacht fort, in der Hoffnung, bald etwas anzutreffen. Am anderen Morgen stiegen wir bei Sonnenaufgang ans Land, die Alte sammelte Holz und bemerkte, dass einige Bisons in der Nähe waren. Ich schoss und traf ein Männchen. Da es aber sehr mager war, so ging ich etwas weiter und erlegte ein fettes Weibchen, das in einiger Entfernung auf einer offenen Prärie niederstürzte. Ein hinter diesem herlaufendes Männchen bemerkte mich und rannte aus einer Weite von etwa fünfhundert Klaftern auf mich los, und zwar mit einer solchen Wut, dass ich es für geraten hielt, mich ins Gehölz zurückzuziehen. Wir blieben den ganzen Tag in der Nähe, und ich machte mehrmals den Versuch, mich meiner Beute zu nähern. Allein der Bison hielt so treffliche Wacht, dass ich darauf verzichten musste. Zur Paarungszeit machen es diese Tiere oft so.

Am anderen Morgen trafen wir Handelsleute, mit denen wir unser Fleisch teilten, und zogen darauf ohne weiteren Verzug zum Tragplatze der Prärie, am Fluss Assiniboine, wo wir Wa-me-gon-a-biew, Waw-be-be-nais-sa und andere Mitglieder unserer Familie, von denen wir so lange getrennt waren, wiederfanden.

Während unserer Abwesenheit hatte Waw-be-be-nais-sa seine erste Frau verstoßen und statt ihrer die Nichte der Net-no-kwa genommen, welche von der Alten seit früher Jugend erzogen und wie eine leibliche Tochter behandelt worden war. Als sie erfuhr, was inzwischen vorgefallen war, nahm sie alles, was dem Neuvermählten angehörte, warf es zur Hütte hinaus und sprach: »Du hast schon einmal mich Hungers sterben lassen wollen. Ich mag mit dir nichts zu schaffen haben. Geh und sorge für dich selbst, das wird einem so schlechten Jäger, wie du bist, schon sauer genug werden. Du sollst meine Tochter nicht haben.«

Nun ließ er einige Tage von sich weder etwas hören noch sehen. Als aber Net-no-kwa erfuhr, dass seine erste Frau schon einen anderen Mann genommen hatte, und dass es ihm an allem fehlte, wurde er wieder aufgenommen. Wahrscheinlich nahm er sich seitdem aus Furcht vor der Alten auf der Jagd besser zusammen.