Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Der Kiosk

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 21

Der Kiosk

Ein Teil der Hochebene, aus der Willkommenberg erbaut war, dehnte sich hinter dem Wohnhaus aus und war zu einem mit seltenen und schönen Pflanzen besetzten Garten benutzt worden. Fast in der Mitte dieses Gartens und ungefähr nur ein Dutzend Schritte vom Hause entfernt, stand ein kleines abgesondertes Häuschen. Es war ganz aus verschiedenen, auf der Insel einheimischen und wegen ihrer Schönheit berühmten Zierhölzern erbaut. Die dieses Häuschen oder den Kiosk, wie es gewöhnlich genannt wurde, bildenden Hölzer waren alle sehr sorgfältig geschnitten und geschnitzt, und das Gebäude stellte einen Miniaturtempel mit einer Kuppel und einer daraus befestigten vergoldeten und glitzernden Wetterfahne vor.

Im Innern waren weder Treppen noch Abteilungen, sondern der ganze Raum bildete nur ein einziges Gemach. Auch waren keine Glasfenster da, alle rund herum an der Wand waren offen oder mit venezianischen Jalousien geschlossen, deren Leisten aus dem schönsten Mahagoni waren. Eine chinesische Matte bedeckte den Fußboden, und ein ländlicher Tisch von Bambusrohr sowie ein halbes Dutzend Stühle derselben Holzart bildeten den Hauptbestandteil des einfachen Ameublements. Auf dem Tisch stand ein silbernes, sorgfältig getriebenes Tintenfass mit den dazu gehörenden Federn.

Einige Blatt Schreibpapier lag daneben und in einem kleinen silbernen Teller lagen Oblaten, roter Siegellack und Petschaft. Alles Übrige zum Schreiben Notwendige war ebenfalls vorhanden und zwei oder drei Dutzend Bände, die dort lagen, zusammen mit einigen anderen auf den Stühlen umherliegenden, bildeten die Bibliothek von Willkommenberg.

Einige wenige Flugschriften und Journale lagen ebenfalls umher, während ein offenes, mit den besten Havannazigarren gefülltes Kästchen deutlich zeigte, dass der Kiosk auch zuweilen als Rauchzimmer benutzt wurde.

Obgleich dies Gemach oft die Bibliothek genannt wurde, so diente es doch zu sehr verschiedenen Zwecken. Herr Vaughan bediente sich desselben mitunter auch, um solche Besucher zu empfangen, die irgendeine Geschäftsbotschaft brachten oder vielmehr, die nicht für anständig genug gehalten wurden, um in die große Halle geführt zu werden.

Gerade zur selben Zeit, als Käthchen Vaughan die Mittagstafel verließ, wurde ein junger Mann von Herrn Trusty, dem Oberaufseher und Verwalter, in dies abgelegene Gemach hineingeführt.

Es ist wohl kaum nötig zu bemerken, dass dieser junge Mann Herbert Vaughan war.

Wie es kam, dass Herbert hier hineingeführt wurde, ist leicht erklärt. Als er von Quashie erfuhr, wo er hingebracht werden sollte, war er, gekränkt und erzürnt durch eine solche Behandlung, in größter Hast zu dem großen Haus hinaufgeeilt, hatte dem Herrn Trusty, der sich unten an der großen Treppe befand, seine Verwandtschaft mit Herrn Vaughan angekündigt und ihn zu sprechen verlangt, indem er sein Begehren in so nachdrücklicher Weise vorbrachte, dass er selbst die gewöhnliche langsame Ruhe des Aufsehers besiegte und ihn zwang, ihn sofort ohne allen Aufschub bei Herrn Loftus Vaughan anzumelden.

In der Tat war Herbert so empört, dass er die Treppen hinaufgestiegen und in das Haus ohne Weiteres hineingegangen sein würde, hätte Herr Trusty nicht die mildesten Worte gebraucht, um solch eine merkwürdige Katastrophe zu verhüten.

»Geduld, verehrter Herr!«, sagte der Aufseher mit der größten Freundlichkeit, indem er sich zwischen den Neuankömmling und die Treppe stellte. »Herr Vaughan wird Sie sogleich sehen, – aber nicht gerade in diesem Augenblick, es ist Gesellschaft da und die Familie ist beim Mittagessen.«

Weit entfernt, den gereizten und entrüsteten jungen Mann zu beruhigen, war diese Nachricht nur eine neue Kränkung. Beim Mittagessen und in Gesellschaft, – der Kajütenpassagier natürlich, – der Mündel, – nicht einmal ein Verwandter, – während er, sein Neffe – aber kein Mittagsessen für ihn! Unbezweifelt, Herbert sah dies als eine neue Beschimpfung, eine abermalige grobe Beleidigung an!

Mit einiger Selbstüberwindung gab er indes den Gedanken auf, sofort die Treppe hinaufzusteigen. Obgleich arm, war er doch ein feiner, gebildeter Mann, und gute Lebensart bewog ihn, von einem gewaltsamen Eindringen abzusehen, obwohl er tiefer denn je davon überzeugt war, dass ihm eine arge Beleidigung und noch dazu eine lange vorher überlegte widerfahren sei.

Er prüfte ernstlich auf der Waage seines Geistes, ob er nicht sofort umkehren und seines Onkels Haus verlassen sollte, ohne es noch betreten zu haben. Ein Strohhalm fiel auf die verneinende Seite und bestimmte ihn zu bleiben.

Als er zum Kiosk gebracht und sich selbst überlassen war, vermochte er nicht, sich zu setzen, sondern durchschritt das kleine Gemach in höchster Aufregung vorwärts und rückwärts.

Er betrachtete alles, was da war, nur höchst oberflächlich, denn er befand sich in einer Stimmung, die ihm jede genaue Besichtigung unmöglich machte. Dennoch musste er bald die ihn umgebende prunkhafte Eleganz bemerken, das großartige Aussehen des Wohnhauses selbst, und den mit Pflanzen und Blumen von vorzüglichster Schönheit und von dem feinsten Dufte angefüllten Garten. Dieser schöne Anblick ließ ihn jedoch, anstatt seine Aufregung und Entrüstung zu besänftigen, seine eigene Armut nur noch tiefer und bitterer empfinden, sowie den unermesslichen Abstand, der ihn von seinem stolzen und reichen Onkel trennte.

Durch die offenen Fenster des Kiosks überblickte er flüchtig die nähere Umgebung, und dann blieben seine Augen auf dem großen Haus haften, vor allem auf der großen Tür, von der eine große Treppe in den Garten führte. Dort, so vermutete er nämlich, würde sein Onkel herauskommen, dessen Erscheinen er nun in heftigster Ungeduld erwartete.

Hätte er die sanften Augen gesehen, die gerade in diesem Augenblick hinter den Gittern des gegenüberliegenden Fensters auf ihn gerichtet waren, vielleicht hätte ein solcher Anblick selbst seine stürmische Seele etwas beruhigt. Aber er sah sie nicht. Die Jalousien waren dicht geschlossen, und obwohl von dem schattigen Innern der Kammer aus der Kiosk und sein zeitweiliger Inhaber vollkommen gesehen werden konnten, so hatte der junge Engländer doch nicht die geringste Ahnung, dass er jetzt der Gegenstand der Betrachtung, vielleicht sogar der Bewunderung des schönsten Augenpaares auf ganz Jamaika war.

Nachdem er vielleicht zwanzig Mal in der heftigsten Ungeduld in dem Gemach auf- und abgegangen war, ergriff er grollend und verdrießlich eines der umherliegenden Bücher und öffnete es in der Hoffnung, damit vielleicht die Zeit vertreiben zu können.

Das Buch, das zufällig in seine Hände geriet, war indes wenig geeignet, seine aufgeregten Geister zu beruhigen, denn es war eine Sammlung aller auf Sklaverei sich beziehenden und auf Jamaika geltenden Gesetze – es war das berühmte oder vielmehr berüchtigte schwarze Gesetzbuch der Insel.

Da las er nun, dass ein Mensch sein eigenes Ebenbild in der Person seines Nebenmenschen verstümmeln dürfe, dass er ihn quälen, selbst zu Tode quälen und dann doch nur mit einer geringen Geldstrafe belegt werden könne! Dass ein Mann mit einer schwarzen Haut oder selbst mit einer weißen, wenn er nur etwas von afrikanischem Blut in seinen Adern habe, kein wirkliches Eigentum erwerben, kein Amt irgendwelcher Art bekleiden dürfe, dass er durchaus kein Zeuge vor Gericht sein könne, selbst dann nicht, wenn er offenbar bei einem Mord zugegen war! Dass solch ein Mann ein Pferd weder halten, noch reiten dürfe; dass er kein Schießgewehr oder eine andere Waffe tragen dürfe; dass er sich nicht verteidigen solle, wenn er angegriffen werde, und dass er nicht einmal seine Schwester oder seine Tochter beschützen dürfe, selbst wenn räuberische Hände sie ihm zu den abscheulichsten Absichten entreißen wollten! Kurzum, dass ein farbiger Mann nichts tun müsse, um sich von einem gelehrigen und unterwürfigen Vieh in irgendetwas zu unterscheiden!

Dem jungen Engländer, der fremd aus einem Land kam, das gerade zu jener Zeit von den beredten Erklärungen eines Wilberforce und den philanthropischen Anrufungen eines Clarkson widerhallte, flößte das Lesen in diesem abscheulichen Gesetzbuch, anstatt ihm Ruhe zu bringen, nur neue Bitterkeit ein, und heftig mit dem Fuß auf den Boden stampfend, schleuderte er das verabscheuungswürdige Buch auf seinen Platz zurück.

Gerade jetzt, als sein rücksichtsloser und trotziger Unwillen aufs Höchste gestiegen war, wurde ein Geräusch vom großen Haus herschallend gehört, und die große Tür oben an der Treppe drehte sich in den Angeln.

Er erwartete einen mürrischen alten Onkel zu erblicken und war entschlossen, eben so mürrisch zu sein wie er.

Aber im Gegenteil und zur höchsten, zugleich jedoch auch angenehmsten Überraschung, sah er ein schönes, junges Mädchen, das seine glänzenden Augen mit liebevollen Blicken auf ihn richtete, als wolle es Anerkennung erbitten.

Eine plötzliche Veränderung aller Gefühle fand unmittelbar in seinem Gemüt statt, sein Gesichtsausdruck verwandelte sich vom Zorn in sanfte Bewunderung, und unfähig, ein Wort hervorzubringen, verblieb er schweigend, diese liebliche Erscheinung anstarrend.