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Curumilla – Zweites Buch, Kapitel 14

Gustave Aimard
Curumilla
Zweites Buch
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 14 – Das traurige Ende

Gleich nach beendetem Kampf entspann sich zwischen Don Antonio Pavo und dem General Guerrero eine höchst erbauliche Komödie.

Der General wollte nichts davon hören, den Franzosen einen schriftlichen Vertrag auszustellen, sondern begnügte sich, sein Ehrenwort als Offizier und General zu verpfänden, dass allen Rebellen das Leben geschenkt werden solle, wenn man ihn die Waffen sofort ausliefere.

Don Antonio war gezwungen nachzugeben, man lieferte daher die Waffen aus, die Franzosen wurden zu Kriegsgefangenen gemacht und als solche registriert. Nach eingetretener Dunkelheit erschien Oberst Suarez in Begleitung von vier anderen Offizieren bei Don Antonio Pavo und verlangte im Namen des Generals Guerrero, dass ihm der Graf von Prèsbois-Crancé sofort ausgeliefert werde.

Don Antonio gehorchte schleunigst, indem er dem Grafen bedeutete, dass er sein Haus zu verlassen habe.

Dieser warf ihm, ohne zu antworten, einen Blick grenzenloser Verachtung zu und stellte sich dem Obersten.

Eine Viertelstunde später befand er sich in Einzelhaft in einer geheimen Zelle.

Von allen Kämpfern waren nur zwei entkommen, nämlich Valentin und Curumilla, und zwar auf den ausdrücklichen Befehl des Grafen.

Wir wiederholen abermals, dass zwar einige Namen und Begebenheiten unserer Erzählung aus gebotenen Rücksichten mit Willen umgeändert und entstellt worden sind, dennoch ist es kein Roman, sondern die Lebensgeschichte eines Mannes, dessen Name seinen Landsleuten stets teuer bleiben muss, welche wir erzählen. Wir können und dürfen daher gewisse Dinge nicht verschweigen, obwohl wir im Verlauf der langen Erzählung manche Einzelheiten gemildert haben, welche in ihrer abscheulichen Wirklichkeit wiederzugeben, uns widerstand.

Trotz des feierlichen Versprechens, welches Don Antonio Pavo den Freiwilligen gegeben hatte, begann wenige Tage nach der unrechtmäßigen Verhaftung des Grafen eine gerichtliche Untersuchung gegen ihn.

Die Europäer waren über eine solche Wortbrüchigkeit empört. Mehrere von ihnen gingen zu Don Antonio Pavo, um ihn an sein Versprechen zu erinnern und ihn aufzufordern, es zu halten.

Don Antonio gab ihnen zur Antwort, dass er niemals etwas versprochen habe und ihm die ganze Sache nichts angehe. Die Untersuchung gegen den Grafen wurde unterdessen eifrig betrieben, und sämtliche Offiziere, ja selbst der Kommandant des Regiments wurden vernommen. Alle, außer einem Einzigen, suchten, wie wir zu bekennen gezwungen sind, den ganzen Tadel auf den Grafen zu schieben.

Man vernahm keine Entlastungszeugen. Wozu hätte es auch nützen sollen? War doch der Angeklagte im Voraus verurteilt.

Als man den Grafen verhaftete, trug er noch die Pistolen im Gürtel, mit welchen er in den Kampf gezogen war. Der General Guerrero befahl, sie ihm zu lassen. Wahrscheinlich hoffte er, dass sich Don Louis in einer Anwandlung von Verzweiflung erschießen würde, wodurch ihm die Schmach erspart worden wäre, sein Todesurteil zu unterzeichnen. Er kannte aber den Charakter seines Feindes nicht. Jener erhabene Probierstein, welchen man das Unglück nennt, hatte die Seele des Grafen zu sehr geläutert, um den Gedanken in ihm aufkommen zu lassen, seine Laufbahn durch einen Selbstmord zu enden und zu entehren.

Valentin war unterdessen auch nicht untätig geblieben, denn er hatte nur in der Hoffnung, seinen Milchbruder retten zu können, darein gewilligt, seine Freiheit anzunehmen.

Zwei bis drei Tage, nachdem der Graf aus der geheimen Haft in das gewöhnliche Gefängnis überführt worden war, öffnete sich gegen Abend seine Zelle.

Er drehte sich unwillkürlich um, um den Eintretenden anzusehen, worauf er einen Freudenschrei ausstieß und ihm entgegeneilte. Es war Valentin.

»Du! Bist du es!«, rief er aus. »Dank, tausend Dank, dass du gekommen bist!«

»Hast du mich nicht erwartet, Bruder?«, fragte der Jäger.

»Ich hoffte auf deinen Besuch, ohne zu wagen, darauf zu rechnen. Du bist gewiss tausend Nachstellungen ausgesetzt und gezwungen, dich versteckt zu halten?«

»Ich? Keineswegs.«

»Desto besser. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, dich wiederzusehen. Wer begleitet dich denn aber?«

Valentin war nicht allein gekommen. Es war noch jemand mit ihm eingetreten, der unbeweglich an der Tür des Gefängnisses stehen blieb, welche der Gefangenenwärter hinter den Besuchern wieder verschlossen hatte.

»Kümmere dich jetzt nicht um meinen Begleiter«, erwiderte Valentin, »lass uns von Geschäften reden.«

»Es sei, rede.«

»Du weißt, dass man dich zum Tode verurteilen wird, nicht wahr?«, sagte der Jäger unumwunden.

»Ich vermute es.«

»Gut! Höre mich also jetzt an, und vor allem unterbrich mich nicht. Die Zeit ist kostbar, wir müssen sie benutzen. Du wirst leicht begreifen, dass ich nur deshalb eingewilligt habe, dir zu gehorchen, als du mir befahlst, mich zu retten, weil ich bereits ahnte, welche Wendung die Dinge nehmen würden. Jetzt ist der Augenblick des Handelns gekommen. Es ist alles zu deiner Flucht vorbereitet, die Gefangenenwärter sind bestochen und werden dein Entweichen aus dem Gefängnis nicht sehen. Ich habe ein Schiff ausgerüstet, nimm also deinen Hut und komm. In zehn Minuten werden wir an Bord sein. In einer halben Stunde lichten wir die Anker und lassen der mexikanischen Gerechtigkeit die Sorge, sich allein aus der Verlegenheit zu ziehen. Was sagst du, Bruder, habe ich meine Zeit nicht gut benutzt? Wie du siehst, habe ich keinen Augenblick verloren und mein Vorschlag ist sehr einfach.«

»Sehr einfach, das ist wahr«, antwortete der Graf gelassen. »Ich danke dir für deine Bemühung.«

»Es ist wirklich nicht der Rede wert, Bruder.«

Der Graf legte seine Hand auf den Arm des Jägers und sagte, ihn unterbrechend:

»Ich kann nur deinen Vorschlag nicht annehmen.«

»Wie?«, entgegnete Valentin überrascht aufspringend, »was redest du da, Bruder? Vermutlich scherzt du.«

»Keineswegs, Bruder, ich sage die Wahrheit. Es ist mein unabänderlicher Entschluss, den Mexikanern den Makel meines unverdienten Todes zu hinterlassen. Ich werde nicht fliehen, weil ich es nicht kann und darf, ohne ehrlos zu erscheinen. Ein Soldat verlässt seinen Posten nicht, und ein Edelmann schändet nicht sein Wappen. Ein Franzose hat nicht das Recht, seinen Namen zu entehren. Ich sterbe für eine große und gerechte Sache, die Befreiung und Veredlung eines Volkes. Dieselbe bedurfte einer blutigen Weihe, um zu gedeihen und später Früchte zu tragen. Ich widme ihr mein Blut ohne Klage, ohne Hinterhalt freudig, ja, ich möchte sagen mit Wonne. Im Gefängnis reifen die Gedanken schnell, Bruder. Wahrscheinlich, weil man dem Grab näher ist und das Leben in seiner wahren Gestalt erblickt, nämlich als einen Traum. Ich habe viel nachgedacht, viel gegrübelt, habe das Für und Wider beider Fragen mit Bedacht erwogen und ziehe den Tod vor. Ich wusste, dass du für mich tätig sein würdest. War doch dein ganzes Leben ein Bild der Treue, doch musst du heute das größte Opfer der Freundschaft bringen und mich sterben lassen! Versuche nicht, mich zu retten. Ein Mensch wie ich darf nicht um sein Leben feilschen. Ich habe von vornherein meinen Kopf als Einsatz des Spieles, welches ich wagte, eingelegt. Ich habe verloren und muss zahlen.«

»Bruder, Bruder! Rede nicht so«, rief Valentin außer sich aus. »Du brichst mir das Herz.«

»Überlege selbst, mein guter Valentin, in welcher Lage ich mich befinde. Ich bin wider alles Menschenrecht verurteilt worden. Meine Lage ist daher schön, denn die ganze Schmach meiner Verurteilung fällt auf meine Richter zurück. Sobald ich fliehe, stemple ich mich selbst zu einem gemeinen Abenteurer, einem Räuber, wie sie sagen, der das Blut seiner Gefährten vergeudete, um sein eigenes zu schonen. Muss ich nicht meine Verpflichtung gegenüber denjenigen erfüllen, die im Kampf für meine Sache gefallen sind? Du siehst, dass es fruchtlos ist, mir widerlegen zu wollen, Bruder, denn mein Entschluss ist unabänderlich gefasst, ich wiederhole es.«

»Ja«, rief Valentin mit aufwallendem Zorn aus, welchem er nicht zu gebieten vermochte. »Du willst durchaus sterben. Hast du auch bedacht, dass dein Tod noch einen Menschen ins Grab ziehen wird? Meinst Du, dass sie wird leben wollen, wenn …«

»Schweig!«, fiel ihm der Graf mit Heftigkeit ins Wort, »rede mir nicht von ihr. Die arme Angela! Ach, warum musste sie mich lieben!«

»Warum?«, rief plötzlich die an der Tür stehende Gestalt aus, die bisher unbeweglich da gestanden hatte. »Weil du groß bist, Don Louis, weil dein Herz unergründlich ist.«

»Ach!«, rief er in schmerzlichem Ton, »Angela! Bruder, was hast du getan.«

Der Jäger antwortete nicht, er weinte. Der eiserne Mann war gebrochen und weinte wie ein Kind.

»Wirf ihm nicht vor, mich hergebracht zu haben, Don Louis, ich habe es gewollt, habe darauf bestanden, zu dir gebracht zu werden.«

»Ach«, rief der Graf mit unaussprechlicher Trauer aus, »armes, liebes Kind, du brichst mir das Herz! Vor dir bricht mein Mut zusammen, verlässt mich meine Festigkeit. Warum habt ihr durch eure Gegenwart Schmerzen aufgeweckt, die ich nicht werde wieder einschläfern kann?«

»Du irrst, Don Louis«, antwortete sie mit fieberhafter Hast, »wenn du mich für ein schwaches mutloses Weib hältst. Meine Liebe zu dir ist zu innig und lauter, als dass ich dir je zu etwas raten sollte, was deiner Ehre oder deinem Ruhm Eintrag tun könnte. Eben jetzt habe ich, in jenem dunklen Winkel begierig auf deine Worte gelauscht und fühlte mich glücklich, dich so reden zu hören, wie du es tatest. Ich liebe dich, Don Louis, wie auf Erden noch kein Mensch geliebt wurde, ich liebe dich aber nicht um meinetwillen. Dein Ruhm ist mir so teuer wie dir selbst, und dein Gedächtnis soll so makellos bleiben, wie es dein Leben stets gewesen ist. Höre mich, Don Louis, für welchen ich mein Leben hingeben würde, wenn es sein müsste, wenn ich dir sage, dass ich gekommen bin, um dir zuzurufen: Stirb, Graf, stirb heldenmütig und mit stolzer Haltung! Falle wie ein Held, Du hinterlässt den Ruf eines Märtyrers.«

»Ich danke, danke dir innig, Angela, für deine Worte«, rief der Graf aus, indem er sie leidenschaftlich und entzückt an sein Herz drückte. »Du gibst mir den Mut wieder!«

»Jetzt lebe wohl, Graf, auf baldiges Wiedersehen!«

Der Graf trat zu Valentin.

»Gib mir die Hand, Bruder«, sagte er, »und verzeihe mir, dass ich nicht leben will.«

Der Jäger stürzte sich in die Arme seines Milchbruders, und beide hielten sich lange umfasst.

Endlich riss sich der Graf mit gewaltiger Anstrengung aus der innigen Umarmung los. Valentin entfernte sich, ohne eines Wortes mächtig zu sein und stützte Doña Angela, welche trotz des Mutes, den sie bewiesen hatte, halb ohnmächtig war.

Die Tür schloss sich hinter ihnen, und der Graf blieb allein. Er sank auf seinen Equipal, stützte beides Ellbogen auf den Tisch, verbarg seinen Kopf in den Händen und blieb die ganze Nacht in dieser Stellung sitzen.

Am anderen Tage wurde Don Louis zeitig abgeholt, um vor das Gericht geführt zu werden. Die Untersuchung war geschlossen und die Verteidigung sollte beginnen.

Der Graf hatte einen jungen Capitán, Namens Borunda, zu seinem Verteidiger gewählt, welchem die Franzosen bei der Einnahme von Hermosillo, als sie die Brücke angriffen, gefangen genommen hatten.

Borunda hatte nicht vergessen, wie großmütig ihm der Graf damals begegnet war. Er hielt eine Verteidigungsrede, wie man sie von dem jungen, edelgesinnten Offizier erwarten durfte, nämlich einfach, aber ergreifend und von dem Drang des Herzens eingegeben, der wieder zu den Herzen spricht. Wäre nicht der Tod des Grafen im Voraus beschlossen gewesen, so hätte man ihn sicherlich freigesprochen.

Don Louis, der der ganzen Verhandlung ruhig und gelassen beiwohnte, die falschen Aussagen und Verleumdungen der Zeugen mit Fassung anhörte und den Undankbaren, die ihn schändlich opferten, keinen Vorwurf machte, fühlte sich von den warmen Worten seines Verteidigers ergriffen.

Er stand auf, reichte ihm mit unaussprechlich anmutiger Gebärde die Hand und sagte: »Nehmen Sie meinen Dank, mein Herr. Ich schätze mich glücklich, unter so zahlreichen Feinden einen Mann wie Sie getroffen zu haben. Ihre Rede war ohne Tadel. Solche Worte lassen sich durch kein Gold erkaufen.«

Hierauf zog er einen Ring mit seinem Wappen vom Finger, welchen er seit seiner Abreise von Frankreich stets getragen hatte, steckte ihn dem Capitán an und fügte hinzu: »Nehmen Sie diesen Ring und tragen Sie ihn zu meinem Andenken.«

Der Capitán drückte ihm die Hand, ohne ein Wort erwidern zu können.

Die Richter entfernten sich, um sich zu beraten. Nach Verlauf von fünf Minuten kamen sie wieder.

Der Graf von Prèbois-Crancé wurde einstimmig für schuldig erkannt, und nach Kriegsrecht zum Tod durch Erschießen verurteilt.

Der vereidigte Dolmetscher des Gerichtes wurde hierauf aufgefordert, dem Verurteilten den Richterspruch zu verlesen, doch da ereignete sich etwas Seltsames.

Der Beamte stand auf, wandte sich zu dem Gerichtshof und sagte in entschiedenem Ton: »Nein meine Herren, ich werde nicht ein so ungerechtes Urteil vorlesen, welches gefällt zu haben Sie bald selbst bereuen werden.«

Diese entschlossene Erklärung machte die Richter einen Augenblick betroffen.

Der Dolmetscher wurde auf der Stelle seines Amtes entsetzt. Es war ein Spanier.

»Meine Herren«, sagte nun der Graf mit der größten Kaltblütigkeit, »Ihre Sprache ist mir hinlänglich geläufig, um mir begreiflich zu machen, dass Sie mich zum Tode verurteilt haben. Möge Ihnen Gott verzeihen, wie ich es tue.«

Er grüßte hierauf den Gerichtshof lächelnd und entfernte sich eben so gelassen, wie er gekommen war.

Man brachte den Grafen sofort in Capilla.

In Spanien und im ganzen südlichen Amerika nämlich führt man die zum Tode Verurteilten in ein Zimmer, in dessen Hintergrund ein Altar errichtet ist. Neben dem Bett des Verurteilten stellte man den Sarg hin, in welcher sein Leichnam nach vollzogener Hinrichtung gelegt werden sollte. Die Wände wurden mit schwarzem Tuch verhangen, auf welchem silberne Tränen und Sprüche glänzten, die sich auf den Tod beziehen. Jener Gebrauch, der unserer Ansicht nach ziemlich grausam war und offenbar aus der barbarischen Periode des Mittelalters stammte, sollte wahrscheinlich dazu dienen, den Verurteilten zur Buße zu erinnern.

Dieses leichenhafte Gepränge machte keinen Eindruck auf den Grafen und er beschäftigte sich mit der größten Ruhe damit, seine Angelegenheiten zu ordnen.

Am selben Tag, wo man ihn in die Capilla gebracht hatte, trat Valentin in Begleitung des Paters Seraphin in seine Zelle.

Von allen Priestern, deren Beistand er in seinen letzten Stunden hätte wünschen können, würde er vor allen den würdigen Missionar gewählt haben, wenn er gewusst hätte, dass er zu erlangen sei.

Valentin dachte aber an alles. Auf sein Geheiß war Curumilla auf Kundschaft ausgezogen und bald hatte der wackere Indianer den Missionar aufgefunden, der ihm schleunigst folgte, sobald er erfuhr, um was es sich handele.

Die Verurteilung des Grafen hatte große Sensation gemacht. Während die Civicos und die übrigen Gauner der Stadt eine unziemliche Freude an den Tag legten und die Straßen mit Musik durchzogen, zeigte sowohl die bessere Gesellschaft als auch vernünftige Teil der Einwohner die größte Trauer. Man sprach von nichts Geringerem, als sich der Hinrichtung des Grafen zu widersetzen, und während einiger Stunden zitterte der General Guerrero vor Furcht, dass ihm sein Opfer entgehen könne.

Der Vizekonsul der Vereinigten Staaten ging in seiner Entrüstung über das ungerechte Urteil, da er nicht die Befugnis hatte, einzuschreiten, zu Don Antonio Pavo, um ihn zu bestimmen, energisch aufzutreten und den Grafen zu retten. Don Antonio lehnte den Vorschlag unter Beteuerungen seines Bedauerns ab. Er ließ sich durch nichts bewegen.

Indessen sah Don Antonio ein, dass er nicht umhin könne, dem Grafen einen Besuch zu machen.

Er traf Valentin und den Pater Seraphin bei ihm. Der Jäger hatte die Vergünstigung erhalten, bis zuletzt bei seinem Milchbruder bleiben zu dürfen.

Der Graf empfing Don Antonio mit eisiger Kälte, und als derselbe versuchte, sich und sein Benehmen zu entschuldigen, zuckte er statt der Antwort verächtlich mit den Achseln.

Er übergab ihm mehrere Papiere und fiel ihm in die Rede, als er in vielen verwickelten Worten darzulegen suchte, dass er an allem unschuldig sei, dessen man ihn anklage, indem er in trockenem Ton sagte: »Hören Sie, mein Herr, ich bin bereit, Ihnen, wenn es Ihnen nützen kann, einen Brief zu geben, in welchem ich anerkenne, dass Sie sich stets musterhaft gegen mich benommen haben. Doch unter einer Bedingung …«

»Welcher, Graf«, fragte er rasch.

»Ich mag nicht kniend und mit verbundenen Augen erschossen werden. Verstehen Sie mich, ich will dem Tod ins Auge schauen! Besprechen Sie sich deshalb mit dem Gouverneur. Gehen Sie!«

»Man wird Ihnen diese Gunst gewähren, ich verbürge mich dafür, Graf«, antwortete er in seiner Freude, so leicht davonzukommen.

Er ging und hielt Wort.

Was kümmerte es den Feinden des Grafen, ob er kniend oder stehend starb? Die Hauptsache war, dass er starb. Der General Guerrero benutzte die Gelegenheit, sich auf eine bequeme Weise großmütig zu zeigen.

Am darauffolgenden Tag brachte Valentin Doña Angela mit. Das junge Mädchen hatte das Mönchsgewand angelegt, welches sie bereits früher bei einer sehr ernsten Gelegenheit getragen hatte.

»Ist es heute?«, fragte der Graf.

»Ja«, antwortete Valentin.

Louis nahm seinen Milchbruder beiseite.

»Schwöre mir, das Kind zu beschützen, wenn ich nicht mehr bin«, sagte er.

»Ich schwöre es«, antwortete Valentin mit gebrochener Stimme.

Doña Angela hörte die Worte. Sie lächelte trübe und trocknete eine Träne.

»Jetzt fordere ich noch einen anderen Schwur von dir, Bruder.«

»Rede, mein Bruder.«

»Schwöre mir zu tun, was ich dir sagen werde, was es auch sein mag.«

Valentin blickte seinen Milchbruder an und sah eine so heftige Angst auf seinen Zügen, dass er den Kopf sinken ließ.

»Ich schwöre es!«, murmelte er in dumpfem Tone.

Er erriet, was Don Louis von ihm verlangen würde.

»Ich will nicht, dass du mich rächest. Glaube mir, Bruder, Gott wird die Rache übernehmen, und meine Feinde früher oder später furchtbarer bestrafen, als du es tun könntest. Versprichst du, mir zu gehorchen?«

»Du hast mein Wort, Bruder«, sagte der Jäger.

»Danke. Nun lass mich von dem armen Kind Abschied nehmen.«

Er ging zu Doña Angela, welche ihm entgegenkam.

Wir werden ihr Gespräch nicht wiederholen. Sie vergaßen eine Stunde lang alles, um eine Ewigkeit der Wonne zu durchleben, indem sie sich abschlossen und ihr Herz gegeneinander ausschütteten.

Plötzlich ließ sich von außen ein starkes Geräusch vernehmen. Die Tür der Capilla öffnete sich und Oberst Suarez trat ein.

»Ich stehe zu Diensten, Oberst«, sagte der Graf, ehe jener reden konnte.

Er strich ein letztes Mal mit der Hand über seine Haare, glättete seinen Schnurrbart, griff nach seinem Panamahut, welchen er in der Hand behielt, und entfernte sich, nachdem er einen schwermütigen Blick um sich geworfen hatte.

Pater Seraphin schritt zu seiner Rechten, Doña Angela mit heruntergezogener Kapuze zu seiner Linken. Valentin folgte wankenden Trittes wie ein Betrunkener, während, trotz seiner Anstrengung sich zu bezwingen, seine starren Augen von Tränen überströmten.

Der Anblick des sonnengebrannten Mannes mit den kräftigen Zügen bot in seinem Schmerz, der um so ergreifender war, als er stumm blieb, einen erschütternden Anblick.

Es war sechs Uhr morgens, die Sonne stieg am Himmel auf, das Wetter war prächtig. Die Luft war von kräftigen und betäubenden Düften angefüllt, die Natur lag lachend und heiter da, während ein voller, kräftiger, geistreicher Mensch zum Tod ging, zum gewaltsamen Tod unter den Streichen seiner unwürdigen Feinde.

Eine unabsehbare Menschenmenge umwogte den Richtplatz, und die Soldaten standen in Schlachtordnung aufmarschiert.

An der Spitze der Truppen brüstete sich der General Guerreo in voller Uniform, strahlend von Edelsteinen im vollsten Glanz. Der Graf schritt langsam im Gespräch mit dem Missionar heran und redete von Zeit zu Zeit das heldenmütige Mädchen an, die ihn in der letzten feierlichen Stunde nicht hatte verlassen wollen. Er hielt den Hut vor das Gesicht, um sich vor den Strahlen der Sonne zu schützen und fächelte sich nachlässig Kühlung mit demselben zu.

Als er auf dem Richtplatz angekommen war, blieb er stehen, wandte sich zu dem Peloton, das Befehl hatte, die Hinrichtung zu vollziehen, warf seinen Hut auf die Erde und wartete.

Ein Offizier verlas das Urteil.

Nach beendeter Vorlesung umarmte der Graf den Missionar herzlich, drückte Valentin an sein Herz und flüsterte ihm zu: »Vergiss nicht!«

»Nein!«, antworte jener kaum verständlich.

Da kam die Reihe an Doña Angela. Sie hielten sich lange umfasst. Endlich trennten sie sich wie auf ein verabredetes Zeichen.

»Auf Erden geschieden, wird uns der Himmel bald vereinen. Mut, mein Geliebter!«, sagte sie begeistert.

Er antwortete mit einem Lächeln, das bereits dem Himmel angehörte.

Pater Seraphin und Valentin traten ungefähr fünfzehn Schritt zurück, knieten auf der Erde nieder und beteten inbrünstig.

Doña Angela ging, immer noch mit herabgezogener Kapuze, zu ihrem Vater, in dessen Nähe sie stehen blieb.

Der General folgte allen Vorbereitungen zur Hinrichtung mit zuversichtlicher Miene und lächelndem Mund.

»Auf, meine wackeren Soldaten!«, rief er mit heller, eindringlicher Stimme, »tut Eure Pflicht. Zielt gerade auf das Herz.«

Da geschah etwas Eigentümliches. Der Offizier gab stotternd den Befehl zu feuern, und die Soldaten schossen. Einer nach dem anderen, ohne den Verurteilten zu treffen.

»Macht ein Ende, Caraï!«, rief der General aus.

Die Soldaten luden wieder ihre Flinten. Der Befehl, Feuer zu geben, wurde wiederholt.

Eine Salve prasselte wie ein Donnerschlag, und der Graf stürzte mit dem Gesicht auf den Boden.

Er war tot. Der Fortschritt, die Bildung zählte einen Märtyrer mehr.

»Lebe wohl, mein Vater«, rief eine Stimme dem Generale ins Ohr, »ich halte mein Wort!«

Don Sebastian drehte sich erschrocken um. Er hatte die Stimme seiner Tochter erkannt.

Doña Angela rollte in dem Augenblick zu Boden.

Ihr Vater eilte zu ihr, doch zu spät. Er hielt eine Leiche in seinen Armen.

Seine Strafe fing bereits an. Kaum war der Graf gefallen, so eilte Valentin, gefolgt von dem Missionar, zu ihm.

»Niemand soll die Leiche anrühren!«, rief er in einem Ton, vor welchem die Beherztesten erbebten. Hierauf kniete er an der rechten und der Missionar an der linken Seite nieder und beide beteten.

Curumilla war verschwunden.

Wenn mir jemand einwenden sollte, dass der Graf von Prèsbois-Crancé doch nur ein Abenteurer war, so erwidere ich, ob Hernando Cortez nicht denselben Namen verdiente am Vorabend der Eroberung von Mexiko.

In der Politik wie in allen übrigen Dingen rechtfertigt der Erfolg die Mittel, und das Gelingen ist nur die Weihe des Genies.