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Die Trapper in Arkansas – Band 2.1

Die-Trapper-in-Arkansas-Band-2Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 2
Erster Teil – Treuherz

Kapitel 10 – Das verschanzte Lager

Wir wollen die Jäger bei der Verfolgung der Rothäute verlassen und zu dem General zurückkehren.

Einige Minuten, nachdem die beiden Männer das mexikanische Lager verlassen hatten, trat der General aus seinem Zelt, warf einen forschenden Blick auf seine Umgebung und ging in frischer Luft mit gedankenvoller Miene auf und ab.

Die Ereignisse der verflossenen Nacht hatten einen tiefen Eindruck auf den alten Soldaten gemacht.

Er sah seine Expedition vielleicht zum ersten Mal, seit er sie unternommen hatte, in ihrem wahrem Licht. Er fragte sich, ob er auch wirklich das Recht habe, ein junges Mädchen von dem Alter seiner Nichte, deren Dasein bis dahin nur eine ununterbrochene Folge sanfter und friedlicher Eindrücke gewesen war, und die sich wahrscheinlich niemals an die unaufhörlichen Gefahren und die Unruhe des Lebens in der Prärie gewöhnen würde, denen auch die Seelen in kurzer Zeit erliegen, an dieser Existenz voll Gefahren teilnehmen zu lassen.

Seine Verlegenheit war groß. Er liebte seine Nichte zärtlich. Sie war der Gegenstand seiner einzigen Neigung, sein einziger Trost. Er hätte alles, was er besaß, ohne Bedauern und ohne Zaudern tausend Mal für sie hingegeben. Doch waren andererseits die Gründe, die ihn zu der gefahrvollen Reise veranlasst hatten, von so großer Wichtigkeit, dass er innerlich erbebte, sie erleben zu müssen.

»Nun, was soll ich tun?«, sagte er sich, »was soll ich tun?«

Donna Luz, welche ebenfalls ihr Zelt verließ, begrüßte ihren Oheim, dessen oft unterbrochener Spaziergang noch immer andauerte. Sie eilte auf ihn zu, legte ihre Arme zärtlich um seinen Hals, küsste ihn und sagte: »Einen guten Morgen, Onkel.«

»Ebenfalls einen guten Morgen, meine Tochter«, antwortete dieser, denn er hatte die Angewohnheit, sie so zu nennen. Wie es auch sei! Mein Kind, du bist ja heute Morgen schon sehr früh auf.«

Gerührt erwiderte er auf die Liebkosungen, mit denen sie ihn überschüttete, mit Wärme.

Nun, warum sollte ich nicht heiter sein, lieber Onkel? Wir sind, Gott sei Dank, einer großen Gefahr entronnen, die ganze scheint sich zu freuen, die Vögel singen auf allen Zweigen, die Sonne überströmt uns mit ihrem warmen Licht. Es wäre ja undankbar gegenüber dem Schöpfer, wenn wir bei den Äußerungen seiner Allmacht ungerührt bleiben wollten.«

»Die Gefahren der vergangenen Nacht haben also keinen unangenehmen Eindruck bei dir hinterlassen, liebes Kind?«

»Keinen, lieber Onkel. Als eine unbegrenzte Dankbarkeit für die Wohltaten, mit denen uns Gott überschüttet.«

»Gut, meine Tochter«, antwortete der General erfreut, »ich höre dich gern so sprechen.«

»Es ist mir lieb, wenn ich dir eine Freude machen kann, lieber Onkel.«

»Also«, fuhr der General, seinen ersten Gedanken festhaltend, fort, »ermüdet dich das Leben, das wir jetzt führen, nicht?«

»Keineswegs, ich finde es im Gegenteil sehr angenehm«, sagte sie mit einem Lächeln, »und besonders reich an Abwechselung.«

»Ja«, sagte der General, die Heiterkeit seiner Nichte teilend. »Aber«, fuhr er wieder ernsthaft fort, »mir scheint, dass wir unserer Befreier gar zu wenig gedenken.«

»Sie sind fort«, antwortete Donna Luz.

»Sie sind fort?«, sagte der General, zusammenfahrend.

»Schon seit einer Stunde.«

»Woher weißt du das, liebe Nichte?«

»Ganz einfach daher, weil sie, ehe sie fortgingen, Abschied von mit genommen haben.«

»Das ist nicht gut«, murmelte der General traurig mit leiser Stimme, »ein erwiesener Dienst verpflichtet  den, der ihn leistet, ebenso wohl wie den, der ihn empfängt. Sie hätten uns nicht so verlassen sollen, ohne uns zu sagen, ob wir sie jemals wiedersehen werden oder uns nur ihre Namen zu nennen.«

»Ich weiß sie.«

»Du weißt sie, meine Tochter?«, sagte der General überrascht.

»Ja, Onkel, sie haben mir sie, ehe sie fortgingen, gesagt.«

»Und … wie heißen sie?«, fragte der General lebhaft.

»Der Jüngere heißt Belhumeur.«

»Und der Ältere?«

»Treuherz.«

»Ich muss die beiden Männer wiederfinden«, sagte der General mit einer Rührung, die er sich selbst nicht erklären tonnte.

»Wer weiß?«, antwortete das lange Mädchen nachdenklich, »vielleicht werden wir sie bei der ersten Gefahr, die uns wieder droht, wie zwei rettende Engel erscheinen sehen.«

»Gott gebe, dass wir ihre Rückkehr zu uns keiner solchen Veranlassung zu verdanken haben.«

Der Captain kam mit einem Morgengruß zu ihnen.

»Nun, Captain!«, sagte der General lächelnd, »haben sich Ihre Leute von ihrer Aufregung wieder erholt?«

»Vollkommen, General«, antwortete der junge Mann, »sie sind bereit, aufzubrechen, sobald Sie den Befehl dazu geben werden.«

»Nach dem Frühstück wollen wir das Lager abbrechen. Wollen Sie gefälligst den Lanceros die nötigen Befehle erteilen und Schwätzer zu mir schicken?«

Der Captain zog sich zurück.

»Du, liebe Nichte«, fuhr der General zu Donna Luz gewandt fort, »wirst so gut sein, die Vorbereitungen zum Frühstück zu übernehmen, während ich mit dem Führer spreche.«

Das junge Mädchen hüpfte davon.

Schwätzer erschien bald.

Er sah noch finsterer und verschlossener aus, als wie gewöhnlich.

Der General schien es nicht zu bemerken.

»Ihr wisst«, sagte er zu ihm, »dass ich gestern den Wunsch geäußert habe, einen sicheren Patz zu finden, wo meine Truppe während einiger Tage lagern könne?«

»Ja, General.«

»Ihr habt mir versichert, dass Euch ein Ort bekannt sei, der meinem Zweck vollkommen entsprechen würde.«

»Ja, General.«

»Seid Ihr bereit, mich dahin zu führen?«

»Wann Sie wollen.«

»Wie viel Zeit brauchen wir, um hinzukommen?«

»Zwei Tage.«

»Gut. Wir werden gleich nach dem Frühstück aufbrechen.«

Schwätzer verneigte sich, ohne zu antworten.

»Apropos«, sagte der General mit scheinbarer Gleichgültigkeit, »mir scheint, dass einer von Euren Leuten fehlt?«

»Ja.«

»Was ist aus ihm geworden.«

»Ich weiß nicht.«

»Wie, Ihr wisst es nicht?«, rief der General und warf einen forschenden Blick auf ihn.

»Nein. Sobald er die Feuersbrunst gesehen hat, ist er vor Schrecken davon gelaufen.«

»Nun?«

»Wahrscheinlich ist er ein Opfer seiner Feigheit geworden.«

»Wieso?«

»Das Feuer wird ihn verzehrt haben.«

»Der arme Teufel!«

Ein ironisches Lächeln flog über die Lippen des Führers. »Weiter haben Sie mir nichts zu sagen, General?«

»Nein … doch wartet!«

»Ich warte.«

»Sind Euch nicht die beiden Jäger bekannt, die uns in vergangener Nacht einen so großen Dienst geleistet haben?«

»Jedermann kennt sich untereinander in der Prärie.«

»Wer sind die Männer?«

»Jäger und Trapper.«

»Das ist es nicht, wonach ich frage.«

»Was denn sonst?«

»Ich meine ihre Moralität.«

»O!«, sagte der Führer und machte eine Bewegung.

»Ja.«

»Das weiß ich nicht.«

»Wie heißen sie?«

»Belhumeur und Treuherz.«

»Und Ihr wisst nichts von ihrem Leben?«

»Nichts …«

»Es ist gut. Ihr könnt gehen.«

Der Führer verneigte sich und kehrte langsam zu seinen Gefährten zurück, die ihre Vorbereitungen zur Abreise trafen.

»Hm!«, murmelte der General, ihn mit den Augen folgend, »den Schlingel werde ich überwachen, sein Benehmen ist verdächtig.«

Nachdem er diese Worte für sich gesprochen hatte, ging der General in das Zelt zurück, wo ihn der Captain, der Doktor und Donna Luz zum Frühstück erwarteten.

Die Mahlzeit war kurz.

Kaum eine halbe Stunde später war das Zelt zusammengeschlagen, die Kisten auf die Maultiere geladen und die Karawane setzte unter der Führung Schwätzers, der als Späher zwanzig Schritt vorausging, ihre Reise fort.

Seit dem vergangenen Abend hatte sich das Aussehen der Prärie sehr verändert.

Die schwarze, verbrannte Erde, war stellenweise mit Haufen qualmender Asche bedeckt. Hier und da erhoben verkohlte Bäume ihre Trauer erregenden Skelette. In der Entfernung wütete die Feuersbrunst noch immer, und Wolken eines kupferfarbigen Rauches bedeckten den Horizont.

Die Pferde schritten auf dem unebenen Boden nur vorsichtig vorwärts, auf welchem sie über die Knochen der Tiere, die die verheerende Flamme erreicht und verzehrt hatte, stolperten.

Eine düstere Trauer, welche durch den Anblick der lieblichen Landschaft, welche sich vor ihnen ausbreitete, noch erhöht wurde, hatte sich der Reisenden bemächtigt. Sie schritten in ihre Gedanken vertieft, ohne zu sprechen, nebeneinander her.

Der Weg, den die Karawane eingeschlagen hatte, zog sich in einer engen Schlucht hin, die wahrscheinlich das ausgetrocknete Bett irgendeines Baches war und tief zwischen zwei Hügeln lag.

Der Boden, den die Pferde betraten, bestand aus runden Kieselsteinen, die unter ihren Hufen fortrollten und die Schwierigkeiten des Weges noch erhöhten, den die glühenden Strahlen der Sonne, die senkrecht auf die Reisenden herabfielen, ohne dass sie sich dagegen hätten schützen können, beschwerlich genug machten, denn die Landstrecke, durch welche sie zogen, hatte vollkommen das Aussehen einer jener ungeheuren Wüsten angenommen, die man im Innern Afrikas trifft.

Der Tag verstrich, ohne dass, außer der Müdigkeit, die sie empfanden, irgendein Ereignis die Einförmigkeit der Reise unterbrochen hätte.

Am Abend lagerten sie in einer völlig kahlen Ebene, aber am Horizont zeigte sich etwas Grau, was ein großer Trost für sie war, denn sie konnten doch nun hoffen, dass sie in eine Gegend kommen würden, die vom Feuer verschont geblieben wäre.

Am andern Morgen gab Schwätzer zwei Stunden vor Sonnenaufgang das Zeichen zum Aufbruch.

Der Tag war noch ermüdender als der vorhergehende, und die Reisenden waren gänzlich erschöpft, als man das Lager aufschlug.

Schwätzer hatte den General nicht getäuscht, der Punkt war vortrefflich gewählt, um einen Angriff der Indianer zurückzuschlagen. Wir werden ihn nicht näher beschreiben, da ihn der Leser schon kennt. Es war der Ort, an welchem sich die Jäger befanden, als wir sie zuerst einführten.

Nachdem der General den unfehlbaren Blick des erfahrenen Kriegers um sich geworfen hatte, konnte er nicht umhin, seine Zufriedenheit auszusprechen.

»Bravo«, sagte er zu dem Führer, »haben wir auch beinahe unüberwindbare Hindernisse zu übersteigen gehabt, um hierher zu gelangen, so könnten wir doch zur Not dafür auch eine Belagerung hier aushalten.«

Der Führer antwortete nicht, sondern verbeugte sich mit einem zweideutigen Lächeln und zog sich zurück.

»Es ist sonderbar«, murmelte der General, »obwohl das Benehmen des Mannes scheinbar ein ehrliches ist, und ich ihm durchaus nichts vorzuwerfen weiß, so habe ich doch, ich weiß nicht warum, das Gefühl, als ob er uns hinterginge und irgendeinen teuflischen Plan gegen uns ausbrütet.«

Der General war ein alter, erfahrener Soldat, der sich in nichts auf den Zufall, diesen Deus ex Machina, der in einem Augenblick die weisesten Pläne vereitelt, verlassen mochte.

Trotz der Müdigkeit seiner Leute beschloss er doch, keine Minute Zeit zu verlieren. Mit der Hilfe des Captain ließ er eine Menge Bäume umhauen, um eine starke Barrikade von spanischen Reitern zu machen. Hinter diesen Palisaden hoben die Lanceros einen breiten Graben aus, häuften die Erde auf der Seite des Lagers an. Danach wurden hinter dieser zweiten Verschanzung die Ballen so übereinandergelegt, dass sie eine dritte und letzte Verschanzung bildeten.

Das Zelt wurde in der Mitte des Lagers aufgeschlagen. Man stellte die Posten auf, worauf sich jeder der Ruhe überließ, deren sie dringend bedurften.

Der General, der einige Zeit an dem Ort zu verweilen gedachte, wollte für die Sicherheit seiner Gefährten so viel wie möglich sorgen und glaubte, vermöge dieser umfassenden Vorsichtsmaßregeln, seinen Zweck erreicht zu haben.

Die Reisenden, die seit zwei Tagen unterwegs waren, und zwar auf abscheulichen Pfaden, wobei sie nur wenig schliefen und sich nur so lange aufhielten, als unumgänglich nötig war, um etwas Nahrung zu sich zu nehmen, waren, wie schon gesagt, vor Müdigkeit ganz erschöpft. Und es wurde den ausgestellten Posten daher, obgleich sie sich die größte Mühe gaben, unmöglich, sich wach zu erhalten, und sie sanken bald in einen tiefen Schlummer.

Gegen Mitternacht, als alle im Lager im tiefsten Schlaf lagen, stand ein Mann vorsichtig auf und kroch in der Dunkelheit mit der Behändigkeit einer Schlange und unglaublicher Behutsamkeit, durch die Barrikaden und Verschanzungen zum Lager hinaus.

Hierauf streckte er sich auf der Erde aus und bewegte sich ganz allmählich, sich mit den Händen und Füßen fortschiebend, durch das hohe Gras zu einem Wald hin, der den Vordergrund des Hügels bedeckte und sich weit in die Prärie zog.

Als er sich weit genug entfernt hatte, um sicher zu sein, nicht entdeckt zu werden, richtete er sich wieder auf.

Ein Mondstrahl, der durch die Wolken drang, beleuchtete sein Gesicht.

Der Mann war Schwätzer.

Er sah sich sorgfältig um, horchte und ahmte dann mit unglaublicher Natürlichkeit das Bellen eines Präriehundes nach.

Unmittelbar darauf ertönte ein ähnliches Gebell und es erschien ein Mann, kaum zehn Schritt von Schwätzer entfernt.

Dieser Mann war der Führer, der sich vor drei Tagen, beim ersten Schein der Feuersbrunst, aus dem Lager geschlichen hatte.

Fortsetzung folgt …