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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im fernen Westen – Sioux-Kit 5

Sioux -Kit
Kapitel 5

Die Zeit verging und Kit blieb bei den Hoggs, war seinen Versprechungen treu und wetteiferte mit Luke und Tim in Gehorsam, Fleiß und Dienstfertigkeit. Was ihm aber noch besonders die Liebe seiner Pflegeeltern gewann, das war neben all diesen Eigenschaften noch die Zärtlichkeit, welche Kit für den kleinen Theodor von dessen Geburt an bezeugte. Er hegte und pflegte den Kleinen von der Zeit an, wo dieser die ersten Worte stammelte und die ersten Versuche im Gehen machte, mit der liebreichen Sorgfalt einer Kinderwärterin. Es schien für Kit ein eigener Reiz darin zu liegen, das geistige Erwachen und die Entwickelung eines weißen Kindes zu beobachten und im Stillen mit denen einer jungen Rothaut zu vergleichen. Dieser vertraute Verkehr gewann noch an Innigkeit, als Luke und Tim, etwa zwei Jahre nach Kits Aufnahme in die Familie, das Elternhaus verließen, um in ein Methodistencollege in den Oststaaten aufgenommen zu werden und dort ihre Ausbildung zu vollenden. Luke hatte Kit empfohlen, ihre Stelle bei den Eltern zu versehen und diesen mit Liebe und Eifer zu dienen, und Kit hatte dies auch gelobt. Der Abschied voneinander ging den drei Knaben sehr nahe, denn sie hatten sich nun ganz aneinander gewöhnt und liebten sich wie Brüder. Der Unterschied der Farbe bestand unter ihnen nicht oder galt wenigstens in den Augen von Luke und Tim nichts. Die Kinder der Rothäute sind ohnedem in der Regel frühreifer und selbstständiger als die der Weißen, und findiger und beobachtender. Ihr Ideenkreis mag ein beschränkterer sein, aber ihre Willenskraft, ihr Drang, etwas zu werden, ist größer. Und so hatten denn diese zwei Jahre des Zusammenlebens ausgereicht, um Kit in allen Dingen, vielleicht das Bücherwissen und die geistige Bildung ausgenommen, seinen weißen Pflegebrüdern gleichzustellen. Kit konnte nun ziemlich gut englisch lesen und schreiben und war jedenfalls unter Vater Hoggs indianischen Schülern der beste, sodass er zuweilen für diesen Schule halten konnte. In allem aber, was die häuslichen Beschäftigungen, den Landbau, die Jagd, den Fischfang, das Hüten der Pferde und des Rindviehs und die mechanischen Geschicklichkeiten anlangte, war Kit ebenso gewandt und erfahren, wie seine Pflegebrüder, wenn nicht denselben überlegen. Sein indianisches Blut konnte aber nicht verleugnet werden. Die Beschäftigungen im Freien und der Aufenthalt in der Natur waren ihm weit lieber als alle Geschäfte im Haus, und mit einem überlegenen Selbstgefühl schaute er auf die Yankton herab, die er als Wilde verachtete und gegen die er als Feinde, als Räuber, als die Mörder seiner Eltern einen finsteren Groll hegte, der nur allzuleicht zutage trat und welchen Vater Hogg vergebens zu mildern anstrebte, indem er ihm Versöhnlichkeit und Vergebung predigte und ihn auf das allgemeine und unabweisbare Gesetz der christlichen Nächstenliebe hinwies. Kit schaute bei solchen Anlässen stumm und beschämt zu Boden, allein die Rachgier, der wilde Trotz und der Hass lebten dennoch in seiner Brust in der Stille fort und wurden noch genährt durch das Gebaren seiner Altersgenossen gegen ihn. Die Jungen der Yankton in ihrem Wildendünkel schauten wohl mit ebenso vieler Geringschätzung auf ihn als eine Art Sklaven des weißen Mannes herab, wie Kit auf sie als unwissende Wilde, denn sie hatten für sein Verhältnis zu den Hoggs kein Verständnis. Überdies hält sich der Indianer sehr an Äußerlichkeiten, und da Kits gebrochenes Bein noch immer etwas steif blieb und er leicht hinkte, so hatten ihm die Kinder der Yankton, die nach indianischer Art sehr freigiebig mit Spitznamen sind, den geringschätzigen Beinamen Limpy (Hinkebein) gegeben, welcher für Kit um so empfindlicher war, weil er ihn daran erinnerte, dass er dieses Leiden einem der Yankton verdankte, gegen den er im Stillen einen unversöhnlichen Hass hegte, und den er vergebens zu ermitteln trachtete, ja den er vielleicht bei etwaiger Begegnung in der ungezügelten Wildheit seines Hasses und seiner Rachgier getötet haben würde. Jedenfalls weckte der Beiname Limpy, so oft Kit ihn hören musste, in ihm wieder die bittere Erinnerung an seine Gefangennahme, an seine Leiden und Todesgefahr in der Wildnis und nährte seine geheime Feindschaft gegen die Yankton.

So war denn Kit kein Engel und kein vollkommener gut erzogener und gut gearteter Knabe und hatte unzweifelhaft auch seine Fehler, aber gegenüber seinen Pflegeeltern war er gehorsam, anhänglich, dienstfertig, dankbar und so ergeben, wie es nur ein Sohn sein kann. Er half Vater Hogg den Garten und Acker bestellen und bei seinen Beschäftigungen als Zimmermann, Wagner, Tischler, Schlosser und Schmied. Er hütete draußen in der Prärie die Pferde und Kühe, besorgte Jagd und Fischfang und schaffte das Brennholz ins Haus, kurzum, er machte sich in allen Dingen nützlich und verrichtete seine Arbeiten mit einer erstaunlichen Ruhe und Umsicht, die weit über seine Jahre ging, und er setzte einen gewissen Stolz darin, alle seine Leistungen tadellos und planmäßig zu verrichten und seinen Pflegeeltern gleichsam deren Wünsche an den Augen abzulesen. Vor allem aber hatte er das Herz des kleinen Theodor so gewonnen, dass dieser ihm wie sein Schatten folgte und nicht von ihm weichen wollte. Fuhr Kit auf Fischfang, so musste er den kleinen Theo im Rindenkahn mitnehmen. Ritt er in die Prärie hinaus, um nach den Rindern und Pferden zu sehen, so wollte Theo vor ihm auf dem Sattelknopf sitzen. Führte Kit die Weizengarben, die Maisstängel oder die Kartoffeln vom Feld ein, so wollte der Kleine auf dem Wagen mitfahren. So ängstlich aber auch sonst Mutter Judith mit ihrem kleinen Liebling war, so vertraute sie ihn doch ohne Besorgnis Kit an, denn sie wusste ja, wie treu und liebreich dieser für den kleinen Knaben sorgte.

Luke und Tim schrieben natürlich den Eltern häufig von ihrem College aus und waren glücklich und zufrieden, wenn auch zuweilen ein leises Heimweh nach der Wildnis, nach dem weiten Horizont der Prärie und nach den Schönheiten der freien Natur zwischen ihren Zeilen zu lesen war. Sie schrieben aber auch sehr oft an Kit, um ihm über ihre eigenen Erlebnisse und Studien und über die neuen Anschauungen zu berichten, die sie im Schoß der Zivilisation gewannen, und Kit musste ihnen antworten und namentlich über ihre Eltern berichten, was er denn auch getreulich und in seiner bündigen knappen Weise tat, und worin er immer des kleinen Theo mit besonderer Ausführlichkeit gedachte, und ebenso auch seiner eigenen kleinen Jagdabenteuer und Erlebnisse.

So vergingen weitere drei Jahre, und Kit war zu einem kräftigen, strammen Jungen herangewachsen, der in allen Stücken ein brauchbarer Mensch zu werden versprach. Er hatte so ziemlich alles gelernt, was Vater Hogg ihn lehren konnte. Er fasste leicht und lernte spielend, was ihn ansprach, aber er war nicht gerade das, was man einen fleißigen Schüler nennen konnte. Er halte nicht die Geduld und Ausdauer, über Büchern zu sitzen und gründliche Studien zu machen, obwohl er sonst begierig las, besonders Geschichten, Bücher über Naturgeschichte, die Schriften von Catlin und Schoolcroft über die Indianer oder die Geschichte des nordamerikanischen Befreiungskrieges und die Reisen in den fernen Westen. Er verschlang beinahe alle derartigen Bücher, welche Vater Hogg besaß, obwohl deren eben nicht viele waren. Vor allem interessierten ihn das Leben und die Zustände seiner eigenen Stammesgenossen, der Indianer, und Vater Hogg musste ihm alles erzählen, was er von diesen, von ihren früheren Wohnsitzen und Sitten, von ihrer Vertreibung aus deren ehemaligen Gebieten und von deren zwangsweiser Übersiedlung zu den neuen Wohnstätten und Reservationen wusste. Der Pflegevater befriedigte Kits Neugier nach Kräften und verhehlte ihm nicht, dass die Weißen eigentlich eine widerrechtliche Vergewaltigung an den Rothäuten geübt hätten und dass die Rothäute in diesem Kampf schließlich unterliegen müssten, da auf der Seite der Weißen überlegene Weisheit und Erfahrung, bessere Waffen und Erziehung, ein einheitlicher Plan und eine geschlossene Gliederung seien, während unter den in Hunderte von kleineren Stämmen zerfallenen Rothäuten weder Einigkeit noch Verständnis ihrer Lage noch der Eifer herrsche, sich die Kenntnisse und Künste der Weißen anzueignen und der Segnungen des Ackerbaus und der Zivilisation sich teilhaft zu machen. Er setzte Kit auseinander, dass die Indianer ihre eigenen Händel und Fehden aufgeben, sich zu einem großen Ganzen zusammenschließen und auf einem selbst gewählten Gebiet niederlassen, den Ackerbau, das Christentum annehmen, sich selbst eine Organisation geben müssten, um dann als geschlossene Nation dem weiteren Vordringen der Weißen Halt gebieten zu können.

Er suchte Kit begreiflich zu machen, dass, wenn ein begabter junger Indianer seine Ausgabe verstehen will, sich erst alle Vorteile der zivilisierten Erziehung verschaffen und dann als Apostel des Christentums sowie der Kultur und als Reformator unter seinen roten Brüdern auftreten würde, er für diese von unendlichem Nutzen sein könnte.

Vater Hogg hoffte dabei im Stillen, in Kit das Bestreben entzünden zu können, ein derartiger Wohltäter seines Volks zu werden, denn er hatte sich ja von jeher mit dem Gedanken getragen, in dem Pflegesohn einen künftigen Sendboten des Christentums und der Zivilisation zu erziehen, welcher das Licht des Heils unter seine roten Brüder tragen würde. Allein wenn seine Schilderungen auch unverkennbar einen tiefen Eindruck auf Kit machten, der dann immer ernst und nachdenklich wurde, so schien der junge Sioux doch nicht nach dem Beruf greifen zu wollen, der ihm unter solch verlockenden Aussichten nahe gelegt wurde. Kit schien gar nicht zu ahnen, dass dieser Wink ihm galt und dass er in Vater Hoggs Augen zu einer derartigen Mission geeignet und berufen sei. Ja, wenn Kit dies vielleicht auch ahnte, so ließ er sich doch geflissentlich nichts davon anmerken, und so schienen die stillen Hoffnungen Vater Hoggs sich nicht verwirklichen zu wollen.

Hogg hatte sich in diesen stillen Lieblingsgedanken so hineingelebt, dass er bereits mehrfach an seine Vorgesetzten die Frage gerichtet hatte, ob sie in ihrem College auch Kit eine Freistelle einräumen würden, um ihn zu einem Missionar unter den Indianern ausbilden zu lassen. Man hatte ihm bejahend geantwortet und seine Idee mit Beifall aufgenommen. Endlich erhielt Hogg durch den nächsten Indianeragenten einen Brief, worin ihm der Vorsteher des Colleges anzeigte, dass nun eine Freistelle offen sei, und dass der junge Sioux mit Vergnügen angenommen werden würde. Es handelte sich also nun darum, Kit hierfür zu gewinnen. Hogg hatte diesen Gedanken und Plan schon öfter mit seiner Gattin besprochen und Mutter Judith ihn gebilligt. Beide waren selbstlos genug, der guten Sache und der Zukunft Kits dieses Opfer zu bringen, so nützlich ihnen der brave Junge auch war. Nun allerdings, wo ihnen die Trennung von dem Pflegesohn bevorstand, begriffen sie erst recht die Größe des Opfers, das sie bringen wollten, aber ihr Herz war frei von Selbstsucht und Eigennutz.

»Teile es Kit mit«, sagte Judith, »und wenn er darauf eingeht, so mag er mit Gott seinem Beruf folgen und ich werde ihn entbehren zu lernen suchen!«

Es war Frühling, ein warmer, sonniger Tag. Vater Hogg und Kit hatten den ganzen Morgen im Feld gearbeitet, um Mais und Bohnen zu säen. Nun war es Mittag, und sie setzten sich zusammen in den Schatten eines Tulpenbaumes am Rande des Ackers, um zu rasten und einen kleinen Imbiss einzunehmen. Hogg hielt die Gelegenheit für passend, um Kit mit dem Plan bekannt zu machen, welchen er mit ihm vorhatte. Er setzte ihm in schlichten herzlichen Worten auseinander, was für ein Segen Kit für seine rothäutigen Brüder werden könnte, wenn er sich zum Sendboten des Christentums und der Kultur ausbilden und dann unter seine Brüder zurückkehren und die Segnungen der Zivilisation unter ihnen verbreiten würde. Kit hörte anfangs aufmerksam zu und sein dunkles Auge hing begierig an des Pflegevaters Lippen. Als aber Hogg ihm dann von dem College sprach, in welchem sich nun für ihn eine Freistelle öffnen werde, als er des nahen Abschiedes, der Jahre ernsten Studiums in der halb klösterlichen Anstalt usw. gedachte, da wurden die Mienen Kits ernster, seine Augen suchten erst den Boden, starrten dann zerstreut in die Weite und vermieden es, den Blicken des Pflegevaters zu begegnen. Man sah dem Jungen an, dass in seinem Gemüt eine tiefe Bewegung, ja sozusagen ein Kampf vor sich ging. Vater Hogg hatte schon längst mit seinem Zuspruch geendet, als Kit noch immer stumm und in sich selbst versunken dasaß.

»Nun, mein Sohn, du antwortest mir nicht? Mein Vorschlag scheint dir nicht zu gefallen?«, fragte Hogg endlich.

»Doch, doch, Vater«, versetzte Kit halb erschrocken und zerstreut. »Ich möchte meinen Brüdern von Nutzen sein, möchte unter den Weißen leben und ihnen ihre Künste ablernen und diese meine roten Brüder lehren. Aber der Antrag kam mir zu unerwartet, zu überraschend. Ich muss mich besinnen, mit dem Gedanken vertraut machen, dass ich von Euch, meinen guten Eltern, und von diesem Leben Abschied nehme und an ein anderes unbekanntes mich gewöhne … ich weiß nicht, was ich sagen soll …«

»Nichts sollst du mir jetzt sagen, Sohn! Du sollst den Vorschlag in dir verarbeiten und dich damit vertraut machen«, sagte Vater Hogg sanft. »Ich will dich nicht überreden, geschweige denn zwingen, obwohl ich gestehe, dass es mir immer ein Lieblingsgedanke war, dich zu einem Sendboten des Evangeliums und der Kultur unter den Indianern zu erziehen. Du sollst jedoch selbst wählen, und ich gebe dir acht Tage Bedenkzeit, um zu einem Entschluss zu kommen, für welchen Gott dich erleuchten möge.«

Kit nickte stumm, stand auf, nahm seine Hacke und machte sich wieder an die Arbeit mit einem Eifer, als ob er das ganze Feld allein umbrechen wollte. Er schaute nicht auf, er wollte nicht plaudern, seine Züge waren ernst und verrieten einen heftigen inneren Kampf. Hogg sah es und ließ ihn gewähren, denn er wusste, dass man solchen tiefen ernsten Gemütsbewegungen, welche vielleicht über Wohl und Wehe eines Menschenlebens entscheiden, ihren ruhigen Verlauf lassen müsse. Aber im Stillen bat er zum lieben Gott, dieser möge das Herz des Jünglings wenden. Kit blieb mehrere Tage in dieser gedrückten, ernsten, gedankenvollen Stimmung, welche seinen Pflegeeltern nicht entging, aber sie ließen ihn gewähren, um so mehr, als er mit seinem gewohnten Eifer und Fleiß seinen häuslichen und ländlichen Geschäften nachging. Die Frist der Bedenkzeit verstrich langsam, und der Gegenstand jenes Gesprächs war zwischen Kit und seinen Pflegeeltern nicht weiter erörtert worden, obwohl Hogg mit begreiflicher gespannter Erwartung dem Entschluss seines Pflegesohnes entgegensah. Am Vorabend des Tages, wo die Frist ablief, war Kit von einem Gang in die Prärie, wo Hoggs kleine Herde weidete, spät und in einer ungewöhnlichen Aufregung zurückgekommen, welche er aber sichtlich zu verhehlen suchte und welche Vater Hogg dem einsamen Nachdenken oder der Schwierigkeit, einen Entschluss zu fassen, zuschrieb. Kit hatte noch mit dem kleinen Theodor gespielt und war dann zu Bett gegangen, nachdem er Mutter Judith noch in ungewohnter Bewegung stumm geküsst und Vater Hogg die Hand geschüttelt hatte.

»Kit ist ein braver Sohn«, hatte dann Hogg zu seiner Gattin gesagt. »Ich sehe, sein Entschluss ist gefasst, uns zu verlassen und Missionar zu werden, der Entschluss ist ihm nicht leicht geworden, aber der Herr hat mein Gebet erhört und sein Herz erleuchtet.«

»Gott segne Kit, Väterchen!«, erwiderte Judith, »ich gestehe, es fällt mir schwer, ihn weggehen zu sehen, aber des Herrn Wille geschehe! Er weiß am besten, was uns nützt.«