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Der Welt-Detektiv Band 6

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John Tanner – Das Leben eines Jägers 3

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Drittes Kapitel

Am Frühlingsanfang machte sich Net-no-kwa mit ihrem Mann und ihren Kindern auf den Weg nach Mackinack. An der St. Ignatiusspitze wurde ich wie im vorigen Jahr versteckt gehalten, denn sie fürchteten mich zu verlieren, wenn die Weißen mich gesehen hätten. Auf der Rückreise hatten wir widrigen Wind und mussten, als wir etwa 25 bis 30 Meilen zurückgelegt hatten, am Ufer des Sees bei einer Landspitze, Me-nau-ko-king genannt, liegen bleiben. Es hielten sich aus eben demselben Grund mehrere Indianer und Handelsleute an derselben Stelle auf. In den Wäldern flogen damals viele Tauben herum, und die Handelsleute und Indianerkinder machten Jagd auf sie. Ich hatte in meinem Leben noch kein Stück Wild erlegt, und noch nie ein Gewehr abgefeuert. Meine Mutter hatte in Mackinack ein Fass Pulver gekauft, und Taw-ga-we-ninne besaß eine große Sattelpistole. Seine Nachsicht machte mich dreist und ich bat ihn um diese Waffe, weil ich Tauben schießen wollte. Meine Mutter billigte meinen Wunsch und sprach: »Es ist Zeit für unseren Sohn, dass er lernt, wie man ein Jäger wird.«

Mein Vater, denn so nannte ich Taw-ga-we-ninne, gab mir die schon geladene Pistole und sagte: ,»Geh, mein Sohn. Wenn du etwas Wild erlegt hast, so sollst du bald ein Gewehr bekommen und wir wollen miteinander jagen.«

Seitdem ich ein Mann geworden bin, habe ich mich oft in sehr schwierigen Lagen befunden, aber nie habe ich so lebhaft gewünscht, meine Sachen möchten gut vonstattengehen, wie damals, als ich zum ersten Mal auf die Jagd ging. Kaum hatte ich den Lagerplatz verlassen, so sah ich auch schon Tauben, von denen sich mehrere auf einem nahen Baume niederließen. Ich nahm die Pistole, hielt sie so nahe an mein Gesicht, dass sie fast an die Nase stieß, zielte auf die Tauben und drückte ab. Im selben Augenblick hörte ich ein Summen, als wenn ein heftig geschleuderter Stein durch die Luft saust, die Waffe fiel einige Fuß hinter mir zu Boden, und die Taube flatterte vom Baum herab.

Ohne mich weiter darum zu bekümmern, dass mein Gesicht zerfetzt war und stark blutete, raffte ich die Taube auf und brachte sie triumphierend zur Hütte. Nun wurden meine Wunden verbunden, und ich bekam eine Jagdflinte, ein Pulverhorn sowie Blei und durfte seitdem auf die Taubenjagd gehen. Ein junger Indianer begleitete mich, um mir zu zeigen, wie ich zielen müsste. Am gleichen Nachmittag schoss ich noch drei Tauben und hatte kein einziges Mal das Ziel verfehlt. Seitdem wurde ich mit etwas mehr Achtung behandelt, und durfte oft auf die Jagd gehen, um größere Übung zu bekommen.

Es war bereits der Sommer und ein Teil des Herbstes vergangen, als wir nach Schab-a-wy-wy-a-gun zurückkehrten. Bei unserer Ankunft erfuhren wir, dass die Masern im Dorf große Verwüstungen anrichteten. Net-no-kwa wusste, dass diese Krankheit ansteckend war, und wollte ihre Familie vor dem Leiden bewahren. Wir gingen daher rasch durch das Dorf und ans andere Ufer. Allein ungeachtet dieser Vorsicht wurde unsere Familie dennoch angesteckt. Sie bestand, zwei jüngere Weiber Taw-ga-we-ninnes mitgerechnet, aus zehn Personen, und alle wurden, Net-no-kwa und ich ausgenommen, angesteckt. Mehrere waren sehr krank, und wir beiden konnten nur mit großer Mühe sie alle pflegen.

Im Dorf starben viele Indianer, von den unseren aber unterlag keiner. Sie wurden am Anfang des Winters wieder gesund, und so kamen wir endlich zu dem Platz zurück, wo wir im vergangenen Jahr überwintert hatten. Hier musste ich nun, wie die übrigen Jäger, Marderfallen stellen. Am ersten Tag ging ich früh aus, arbeitete nach Kräften, hatte aber, als ich spät nach Hause kam, nur drei gemacht, während ein guter Jäger 25 bis 30 zustande bringt. Am anderen Morgen untersuchte ich meine Fallen, fand aber nur einen Marder, und an den folgenden Tagen war ich nicht erfolgreicher. Die jungen Leute verhöhnten mich nun über meine Ungeschicklichkeit, und das tat meinem Vater leid.

Er sagte zu mir: »Mein Sohn, ich will dir helfen, Fallen machen.«

Und hielt sein Wort. Eines Tages machte er eine Menge und gab sie mir. Nun fing ich ebenso viele Marder wie die anderen. Die jungen Leute ließen aber keinen Augenblick aus, um mir vorzuwerfen, dass ich es nur mithilfe meines Vaters ihnen gleich täte. Dieser Winter verfloss ebenso, wie der vorige. Da ich aber allmählich ein geschickter Jäger wurde, gut zu zielen und Fallen zu legen verstand, so brauchte ich keine Weiberarbeiten mehr zu verrichten.

Im nächsten Frühling begab sich Net-no-kwa, wie sie es gewöhnlich um diese Jahreszeit tat, nach Mackinack. Auf ihrem Kanu führte sie stets eine Flagge, und wenn sie in der Stadt ankam, wurde sie vom Fort herab jedes Mal mit einem Kanonenschuss begrüßt. Damals war ich dreizehn Jahre alt. Als wir abreisten, hörte ich, dass Net-no-kwa davon sprach, zum roten Fluss zu reisen und die Verwandten ihres Mannes zu besuchen. Mehre Ottawa fassten den Entschluss, mit uns zu reisen, und unter ihnen befand sich namentlich Wah-ka-zi, Häuptling des Dorfes War-gun-uk-ke-ze, oder der krumme Baum. Wir hatten im ganzen sechs Kanus. Diesmal ließen mich die Indianer nicht bei der St.-Ignatius-Landspitze zurück, sondern landeten bei Nacht mitten unter Zedernbäumen. Die alte Frau führte mich zu einem französischen Kaufmann, der aus Rücksicht auf sie sich bereit erklärte, mich mehrere Tage in seinem Keller versteckt zu halten. Abgesehen davon, dass ich meiner Freiheit beraubt war, wurde ich sehr gut behandelt. Allein jene Vorsicht war unnütz, denn als später, nachdem wir unsere Reise fortgesetzt hatten, widrige Winde uns zwangen bei der Landspitze anzulegen, wo sich Missionare angesiedelt haben, ließen sie mich ganz frei umhergehen.

Während die Indianer sich dort aufhalten mussten, betranken sie sich oft. Einst hatte mein Vater einen sehr starken Rausch, konnte dabei aber noch gehen und schwatzte mit zwei anderen Männern, die zusammengingen. Einen dieser hielt er am Ärmel fest und zerriss ihm dabei, ohne es zu wollen, das Hemd. Der junge Mensch, Namens Sug-gut-taw-gun (halb verfaultes Holz) wurde böse und gab meinem Vater einen Schlag, dass er hinten über stürzte. Damit noch nicht zufrieden, nahm er einen großen Stein und schleuderte ihm diesen gerade vor den Kopf.

Als ich das sah, fürchtete ich auch für meine Person, denn ich wusste, dass Me-to-saw-gea, ein Anishinabe-Häuptling, sich auf der Insel befand, und eben auf einem Kriegszug gegen die Weißen begriffen, schon Gelegenheit gesucht hatte, mich zu töten. Ich versteckte mich daher im Wald und blieb in ihm bis zum anderen Morgen. Da plagte mich der Hunger, und ich schlich durch die jungen Zedern bis in die Nähe unserer Hütte, um zu sehen, was dort vorginge und ob ich mich hineinwagen könnte. Endlich wurde ich meine Mutter gewahr, die nach mir rief und mich im Gehölz aufsuchte. Ich lief auf sie zu, und sie sagte, ich sollte nur kommen und meinen Vater sehen, der tödlich verwundet sei.

Als Taw-ga-we-ninne mich sah, sprach er zu mir: »Ich bin totgeschlagen worden.«

Ich musste mich nebst den übrigen Kindern zu ihm setzen und nun sprach er viel mit uns.

Er sagte: »Meine Kinder, ich muss euch verlassen und bedauere, dass ihr so arm seid.« Er gab uns nicht, wie es wohl viele andere getan haben würden, Befehl, dem Indianer, der ihn mit dem Stein getroffen hatte, nach dem Leben zu trachten. Er war ein zu guter Mann, als dass er hätte übers Herz bringen können, seine Familie den Gefahren auszusetzen, die eine solcher Order notwendigerweise nach sich ziehen musste. Der junge Mann, der meinen Vater verwundet hatte, blieb bei uns, obschon Net-no-kwa ihm gesagt hatte, dass es gefährlich für ihn sei, mit zum roten Fluss zu gehen, denn die Verwandten ihres Mannes seien dort zahlreich, mächtig und sehr rachsüchtig.

Als wir am St. Marien-Wasserfall angekommen waren, luden wir unser gesamtes Gepäck in ein Handelsfahrzeug, das mitten in den Oberen See steuerte, und setzten die reise auf unseren Kanus fort. Da der Wind schwach war, kamen wir rascher von der Stelle als jenes Fahrzeug und warteten am Tragplatz zehn Tage auf dieses. Endlich warf es unweit vom Ufer seine Anker aus, und mein Vater mit seinen beiden Söhnen Wa-me-gon-a-biew (der Federn aufsteckt), dem älteren, und Ke-wa-tin (der Nordwind) fuhren in ihrem Kanu hin, um nach unserem Gepäck zu sehen. Als Letzterer in den Schiffsraum hinabsprang, stürzte er mit dem Knie auf die Knoten eines Strickes, der um die Warenballen gebunden war, und litt sehr unter diesem Sturz. In der Nacht schwoll sein Knie dick an, und am anderen Morgen konnte er nicht mehr aus der Hütte gehen.

Etwa acht tage später traten wir unsere Reise über den großen Tragplatz an und schleppten Ke-wa-tin auf den Schultern in einer Decke, die wir an zwei Stangen befestigt hatten. Er war aber so krank, dass wir oft anhalten musten. Wir hatten unsere Kanus beim Kontor am anderen Ende des Tragplatzes zurückgelassen. Es vergingen daher einige Tage, ehe wir neue gebaut hatten, die kleiner waren. Als wir diese Arbeit vollendet hatten, schickte mein Vater mich nebst einer seiner Frauen aus, um irgendetwas nachzuholen, was er bei den Kaufleuten hatte liegen lassen. Als wir auf dem Rückweg begriffen waren, kamen uns seine beiden jüngeren Kinder entgegen und sagten, ich möchte mich sputen, weil mein Vater in Todesnöten liege und mich gern noch einmal sprechen wolle.

Als ich in die Hütte trat, warf er einen Blick auf mich, konnte aber nicht sprechen, und wenige Minuten später hatte er zu atmen aufgehört. Neben ihm lag seine Flinte, die er kurz vorher noch in den Händen gehabt hatte. Am Morgen, als ich ihn verließ, schien er sich recht wohl zu befinden, und hatte, wie mir meine Mutter erzählte, erst nachmittags zu klagen angefangen. Er war in die Hütte getreten und hatte gesagt: »Mir nahet der Tod. Da ich euch nun verlassen muss, so soll der junge Mensch, der mich ums Leben gebracht hat, das seine auch missen. Ich glaubte so lange leben zu können, bis ihr alle erwachsen sein würdet. Ich muss aber sterben und euch arm hinterlassen. Ihr habt auch keinen, der euch schützen und für euch sorgen könnte.«

Als er diese Worte gesagt hatte, sei er hinausgegangen und mit seiner Flinte dem Mörder, welcher gerade vor der Hütte stand, eine Kugel durch den Leib jagen wollen.

Ke-wa-tin aber hatte zu schreien angefangen und ausgerufen: »Mein Vater, wenn ich mich wohl befände, wollte ich dir behilflich sein und den Menschen mit töten und nach seinem Tod meine Brüder gegen die Rache seiner Freunde schützen. Aber du siehst, in welchem Zustand ich bin. Ich muss sterben. Meine Brüder sind jung und schwach, und wir werden alle erwürgt werden, wenn du diesen Menschen umbringst.«

Taw-ga-we-ninne antwortete. »Mein Sohn, ich liebe dich so sehr, dass ich dir nichts abschlagen kann«, trat zurück, legte sein Gewehr beiseite, fragte nach mir, ließ mich holen und verschied. Die alte Frau kaufte von den Handelsleuten einen Sarg, und diese ließen die Leiche meines Vaters auf einem Wagen bis zu ihrem Haus schaffen, das auf derselben Seite des Tragplatzes lag, und begruben ihn auf dem Kirchhof der Weißen. Seine beiden Söhne und der junge Mensch, der Schuld an seinem Tod war, begleiteten den Zug und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre der Mörder von einem meiner Brüder getötet worden, aber der andere hielt den schon zum Streich angehobenen Arm zurück.

Bald nach dem Tod meines Vaters setzten wir unsere Reise zum roten Fluss fort. Mein Bruder Ke-wa-tin wurde in einer Art Sänfte getragen, wie bisher, wenn wir ihn nicht in einem Kanu fortschaffen wollten. Bereits hatten wir zwei Tragplätze hinter uns, und den dritten, die Moose-Portage, erreicht, als er zu uns sprach: »Hier will ich sterben, denn ich kann nicht weiter.«

Net-no-kwa beschloss anzuhalten, und der übrige Teil unserer Bande, der sich auch einige Angehörige unserer Familie angeschlossen hatten, setzte seinen Zug fort.

Zurück blieben nur die alte Frau, eines der jüngeren Weiber Taw-ga-we-ninnes, Wa-me-gon-a-biew, Ke-wa-tin und ich, der jüngste von den drei Brüdern.

Es war mitten im Sommer, denn die kleinen Beeren waren bereits gereift, als wir am Ufer des Moose Lake anhielten, dessen Wasser frisch und hell ist, wie das im Oberen See. Der Moose Lake ist klein und rund, und wo er seine größte Breite hat, kann man doch recht gut von jedem User ab ein in der Mitte desselben befindliches Kanu erblicken. Es waren von uns nur zwei imstande, tätig zu sein, und da ich jung und noch kein besonders geschickter Jäger war, so fürchteten wir, dass es uns in unserem verlassenen Zustand bald an allem fehlen würde. Wir hatten ein Netz von der Art bei uns, wie sie bei Mackinack im Gebrauch sind. Wir warfen es abends aus und fingen am anderen Morgen vierundzwanzig Forellen (Salmen) und viele Weißfische.

Einige Zeit danach trafen wir auf Biber. Wir töteten sechs von ihnen sowie einige Ottern und Moschusratten. Außerdem hatten wir etwas Korn und Fett bei uns, und so lebten wir recht ordentlich. Als aber der Winter nahte, sagte uns die alte Frau, sie wolle es nicht wagen, länger hier an einem Platz, der sowohl von den Behausungen der Weißen als auch von denen der Indianer so entfernt sei, liegen zu bleiben. Ke-wa-tin war so matt und schwach, dass wir nur langsam vorwärtskamen. Als wir zum Tragplatz kamen, fing das Wasser schon zu gefrieren an. Er lebte noch zwei Monate. Die alte Frau ließ ihn neben ihrem Mann begraben und eine ihrer Flaggen auf sein Grab pflanzen.