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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Käthchen und Yola

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 14
Käthchen und Yola

In einer dem Getöse und dem Geräusch der Küche am weitesten entlegenen Ecke des Herrenhauses von Willkommenberg befand sich eine kleine, aufs Reichste und Zierlichste ausgestattete Kammer. Das Licht fiel von zwei Seiten durch die mit Jalousien versehenen Fenster hinein, die, wenn sie geöffnet wurden, freien Zutritt auf einen kleinen Balkon gestatteten, der an der Außenseite vor jedem der Fenster angebracht war.

Eines der Fenster ging nach hinten hinaus, wo man den Hinterhof, einen Teil des Gartens und dabei den bewaldeten Abhang erblickte. Das andere gewährte den Blick auf die linke Seite des Hauses, wo die Zierbüsche sich bis zum Fuß des Berggipfels erstreckten.

Wäre selbst niemand in dieser kleinen Kammer anwesend gewesen, die Art und Weise ihrer ganzen Einrichtung und Ausstattung würde alsbald gezeigt haben, dass ihr Bewohner dem schönen Geschlecht angehöre.

In einer Ecke stand ein zierliches Bett mit geschnitzten Pfosten aus gelbem Lanzenholz, von denen Vorhänge herunterhingen, die beim ersten Anblick für weiße Mosselingardinen gehalten werden konnten, die aber bei näherer Besichtigung offenbar ein gazegleiches Moskitonetz waren.

In einer Fensternische stand ein Putztisch aus Papiermasché, der mit Perlmutt ausgelegt war, und auf diesem befand sich ein runder Spiegel vom feinsten spanischen Mahagoni.

Vor dem Spiegel befanden sich sehr viele Gegenstände der verschiedensten Art, worunter die gewöhnlichen Toilettenbedürfnisse zugleich mit allen jenen kleinen Sachen und Sächelchen der Mode und des Luxus sich zeigten, welche einer feinen und gebildeten Frau zukommen.

Noch andere Stücke des Ameublements in diesem Gemach waren drei oder vier chinesische Rohrstühle, ein kleiner hölzerner Tisch von eingelegter Arbeit, ein Nähtisch aus Schildkrötenschale auf einem eben solchen Fuß und ein kleiner reich verzierter Schrank aus Ebenholz.

Im Zimmer war weder ein Kamin noch sonst dergleichen, um ein Feuer zu machen, da dies alles in einem solchen Klima ununterbrochenen Sommers vollkommen überflüssig ist.

Die Fenstergardinen bestanden aus dünnem durchsichtigen Musselin mit in den Stoff eingewobenen roten Blümchen, umfasst von einer Franse aus abwechselnd roten und weißen Quasten.

Der durch das offene Gitterwerk der Jalousien eindringende Luftzug bewegte leise diese Vorhänge und verlieh auf diese Weise der ganzen Räumlichkeit eine ausreichende Kühlung, die durch die glänzende spiegelgleiche Glätte des harten Holzbodens noch bedeutend gehoben wurde.

Gewiss, keiner hätte in dieses kleine Gemach geschaut, der nicht über dessen kostbare, doch zugleich einfache Ausstattung gestaunt hätte. Jedoch war es des Gegenstandes würdig, den es gewöhnlich enthielt, es war dies nämlich die Schlafkammer und das Boudoir der kleinen ›Quasheba‹, der mutmaßlichen Erbin von Schloss Willkommenberg.

Nur wenige waren ja mit einem Einblick in dieses einfache und kostbare Gemach beglückt worden, denn es war gleichsam ein geweihtes Gebiet, wohin ein neugieriges Auge nicht dringen durfte. Sein glänzender Fußboden war noch niemals von gemeinen Füßen betreten worden. Mit Ausnahme ihres Vaters war noch niemals ein Mann in dieses jungfräuliche Heiligtum eingedrungen und selbst er nur selten und bei besonderen Gelegenheiten. Ja selbst den Dienern stand der Zutritt nicht frei, und nur eine Einzige durfte es ohne weitere Erlaubnis betreten – die Dienerin der schönen Herrin.

 

***

 

Am selben Tag, kurz, nachdem das Läuten der Glocken die Ankunft des englischen Schiffes angekündigt hatte, und während die schwarzen Diener bei den beschriebenen Vorbereitungen beschäftigt waren, hielten sich zwei Personen in jener Kammer auf.

Die eine war die junge Dame, der das Gemach gehörte, die andere ihre Dienerin Yola. Die Erstere saß auf einem der chinesischen Stühle dem Fenster gegenüber, während das Mädchen hinter ihr stand und beschäftigt war, ihrer Herrin das Haar zu ordnen.

Das Mädchen war gerade am Beginn ihrer Arbeit, wenn das überhaupt Arbeit genannt werden kann, was ganz sicher ein Vergnügen für sie sein musste. Bereits lagen die verschiedenartigen Kämme und Haarnadeln auf dem Tisch zerstreut, und die langen kastanienbraunen Locken hingen in reichster Verwirrung um die schneeweißen Schultern, dass aus ihrer zarten Samtfläche gewiss nicht die geringste Spur von ›Farbe‹ entdeckt werden konnte.

Unwillkürlich hörte das Mädchen in der Arbeit auf und sah ihre Herrin mit aufrichtigen und bewundernden Blicken an.

»O, wie schön!«, rief sie murmelnd mit leiser Stimme aus. »Sie sind schön, sehr schön, Missa!«

»Still, Yola, still! Es ist von dir nur Schmeichelei. Du bist genau so hübsch wie ich, nur dass deine Schönheit ganz anderer Art ist. Unbezweifelt würdest du wohl in deinem Vaterland eine große Schönheit sein.«

»O, Missa, Sie sind überall schön – schwarzer Mann – weißer Mann, alle halten Sie schön, bewundern Sie.«

»Danke dir, Yola! Aber mein Wunsch ist es gar nicht, so allgemein bewundert zu werden. Ich weiß wirklich gar kein männliches Wesen, in dessen Augen ich irgendeine Anziehungskraft besitzen möchte.«

»Vielleicht Missa nicht so sagt, wenn junger Mann kommt von England.«

»Welcher Herr? Es werden ja zwei erwartet aus England.«

»Yola nicht gehört, dass zwei kommen. Massa nur von einem gesprochen.«

»O, du hörtest nur von einem sprechen? Hörtest du vielleicht seinen Namen?«

»Ja, er großer Mann! Sultan von Mongou! Yola auch anderen Namen gehört, sie nicht aussprechen kann.«

»Ha, ha, ha! Das setzt mich nicht in Verwunderung. Ich weiß ihn selbst kaum auszusprechen, den zweiten Namen, aber ich meine, er ist Smythje. Ist das der Name, den du gehört hast?«

»Ja, das ist er, Missa! Er sehr feiner Herr, er schöner Mann. Der Aufseher hat es gehört von Massa.«

»O, Yola! Dein Herr ist ein Mann, und Männer sind immer die besten Beurteiler von Personen ihres eigenen Geschlechts. Vielleicht ist der Sultan von Montagu, wie du ihn nennst, keineswegs solch ein Muster von Vollkommenheit, wie Papa ihn beschreibt. Aber wir werden nun bald Gelegenheit haben, selbst zu urteilen. Hast du den Aufseher nicht von noch einem anderen Herrn reden hören, der auch erwartet wird?«

»Nein, Missa. Er sprach nur von einem, und das war der von Schloss Mongou.«

Ein leiser, ihre Täuschung anzeigender Ausruf entschlüpfte den Lippen der jungen Kreolin, ihr Haupt sank etwas nieder in einer Haltung stummen Nachdenkens und ihre Augen blieben auf dem glänzenden Fußboden zu ihren Füßen haften.

Wohl dürfte es nicht leicht zu sagen sein, warum sie die letzte Frage an ihr Mädchen stellte. Vielleicht hatte sie bereits einigen Verdacht in die Pläne ihres Vaters. Auf alle Fälle indes wusste sie, dass irgendein Geheimnis obwaltete, und war begierig, es zu ergründen.

Das Mädchen sah sie noch immer staunend an, als ihre arabisch-artigen dunkeln Gesichtszüge plötzlich einen gänzlich veränderten Ausdruck annahmen, und der frühere bewundernde Blick sich in tiefes Forschen versenkte, als wenn irgendein neuer Gedanke sie erfasst hätte.

»Allah!«, murmelte das Mädchen, ernsthaft in das Gesicht ihrer Herrin starrend.

»Wohl, Yola«, sagte sie dann, über den Ausruf verwundert und zu ihrer Dienerin aufsehend, »warum rufst du Allah an? Ist dir irgendetwas Besonderes begegnet?«

»O, schöne Missa! Sie so ähnlich einem Mann!«

»Ich einem Mann ähnlich? Ich soll einem Mann gleichen? Ist es das, was du meinst?«

»Ja, Missa.«

»Nun, Yola, schmeichelst du mir ganz gewiss nicht. Wer ist der Mann? Bitte, sag es mir.«

»Er Mann aus den Bergen – Marone.«

»O, immer schlimmer. Ich einem Maronen ähnlich? Gütiger Gott! Nun spaßt du doch gewiss, Yola?«

»O, Missa, er sehr schöner Mann, runde, schwarze Augen, die wie die Feuerfliegen glänzen – Augen wie Ihre, wirklich, wirklich, ganz wie Ihre, Missa.«

»Geh, geh, du albernes Mädchen!«, sagte die junge Dame in einem mehr angenommenen als wahrhaften Ton des Tadels. »Weißt du wohl, dass es sehr unartig von dir ist, mich mit einem Maronen zu vergleichen?«

»O, Missa Käthchen, er schöner Mann – sehr schöner Mann.«

»Das muss ich sehr bezweifeln. Doch selbst, wenn es wahr wäre, so sollst du doch nicht von seiner Ähnlichkeit mit mir sprechen.«

»Verzeihung, Missa! Ich nun nicht mehr so sagen.«

»Ja, du tust besser, nicht so zu reden, gute Yola. Wenn du es wieder tust, werde ich Papa bitten, dich zu verkaufen.«

Dies wurde in einem sanften und spaßhaften Ton gesagt, der anzeigte, dass die Absicht, die Drohung auszuführen, der jungen Dame sehr entfernt lag.

»In der Tat, Yola«, fuhr sie fort, »ich könnte einen guten Preis für dich bekommen. Was glaubst du wohl, dass mir jüngst für dich geboten wurde?«

»Missa Käthchen, ich weiß nicht. Möge Allah verhüten, dass ich Sie je verlassen muss. Wenn Sie nicht meine Missa, so will ich nicht mehr leben.«

»Danke dir, Yola«, sagte die junge Kreolin, offenbar aufs Innigste von den Worten ihres Mädchens gerührt, deren Aufrichtigkeit durch den Ton, in dem sie gesprochen hatte, bezeugt wurde. »Sei nicht bange, dass ich mich je von dir trennen werde. Deshalb schlug ich eine sehr hohe Summe für dich aus. Kannst du wohl raten, wie viel?«

»Ach, Missa, ich habe für keinen anderen Wert, als für Sie. Wenn Sie mich verlassen, so sterbe ich.«

»Nun, da ist jemand, der dich zweihundert Pfund werthält und sie für dich geboten hat.«

»Wer ist das, Missa?«

»Ja, der, der dich an Papa verkauft hat, Herr Jessuron.«

»Allah beschütze arme Yola! O, Missa Käthchen! Er sehr schlechter Herr! Er sehr böser Mann. Yola sterben – Cubina sie töten, Yola sich selbst töten, wenn sie zurückverkauft an den bösen Sklavenhändler! Gute Missa! … schönste Missa! … Sie nicht verkaufen arme Sklavin? …«

Das Mädchen fiel auf die Knie zu Füßen ihrer jungen Herrin, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verblieb einige Augenblicke in dieser Stellung.

»Fürchte nicht, dass ich dich verkaufe«, sagte die junge Dame, indem sie die Flehende aufforderte, aufzustehen. »Am allerwenigsten an ihn, den ich ganz dafür halte, wie du ihn bezeichnest, für einen bösen Mann. Habe keine Furcht mehr. Aber sage mir, was war das für ein Name, den du gerade ausgesprochen hast? Cubina, nicht wahr?«

»Ja, Missa, Cubina.«

»Und wer ist Cubina?«

Das braune Mädchen zögerte zu antworten, während eine dunkle, tiefe Röte sich auf ihren kastanienbraunen Wangen zeigte.

»Nun, nichts für ungut!«, sagte ihre junge Herrin, die ihr Zögern bemerkte. »Wenn dabei irgendein Geheimnis besteht, Yola, so will ich deine Antwort gar nicht verlangen.«

»Missa, vor Ihnen Yola kein Geheimnis haben. Cubina Gebirgsmann – Marone.«

»Was, ist er der Marone, dem ich ähnlich sein soll?«

»Ja, Missa, ja, derselbe.«

»O, ich sehe nun wohl, wie das alles zusammenhängt. Deswegen hältst du mich also für so schön? Dieser Cubina ist unbezweifelt ein Anbeter von dir?«

Yola senkte ihren Kopf, ohne eine Antwort zu geben, und die Röte ihrer Wangen bewältigte vollkommen das Kastanienbraun derselben.

»Du brauchst gar nicht zu antworten, gute Yola«, sagte die junge Kreolin mit bedeutungsvollem Lächeln. »Ich weiß schon, was du antworten würdest, wenn du dich aussprechen wolltest. Ich glaube, ich habe von diesem Cubina gehört. Aber nimm dich in acht! Diese Maronen sind eine ganz andere Art von Männern, als die farbige Bevölkerung auf der Pflanzung. Er ist wie ich! Ha, ha, ha!« Und die junge Schönheit warf einen schüchternen und sittsamen Blick in den Spiegel. »Nun, Yola, ich bin dir nicht böse, da es dein Geliebter ist, dem ich ähnlich sein soll. Liebe soll wunderbar verschönern, und unbezweifelt ist Cubina in deinen Augen ein wahrhafter Endymion.«

»Komm!«, fügte sie nach einiger Unterbrechung und nach einem kurzen Lächeln hinzu, »ich fürchte, wir haben schon zu viel Zeit versäumt. Wenn ich nicht fertig bin, um diesen hohen Gast zu empfangen, so habe ich Verdruss von Papa. Darum eile, Yola, und zieh mich an, wie es der Herrin von Willkommenberg zukommt.«

Mit heiterem, schallendem Gelächter und einem im Scherz angenommenen vornehmen Anstand beugte die junge Dame ihren Kopf und unterwarf ihr prachtvolles Haar der sorgsamen Behandlung ihrer Dienerin.