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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Der Zwischendeck-Passagier

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 11
Der Zwischendeck-Passagier

Am dritten Tage, nachdem das Sklavenschiff in der Bay von Montego vor Anker gegangen war, erschien ein großes Schiff unter vollen Segeln auf der hohen See, lief der Küste zu und fuhr dann in den Hafen hinein. Die englische Nationalflagge wehte hoch über dem Taffrail des Schiffes und spielte munter in der Luft. Die verschiedenen Kisten, Ballen, Koffer und Mantelsäcke, die auf dem Deck zu sehen und für die Ausladung hinaus gebracht waren, sowie die freie männliche Haltung der Matrosen zeigten an, dass es sich dabei um ein stattliches Kauffahrteischiff handeln musste. Die Inschrift am Heck zeigte an, dass es die Seenymphe von Liverpool sei.

Obwohl mit Kaufwaren beladen und in der Tat nur ein Kauffahrer, zeigte doch die Gegenwart verschiedener Personen in gewöhnlicher bürgerlicher Tracht, dass die Seenymphe auch Passagiere an Bord genommen hatte.

Die meisten derselben waren westindische Pflanzer mit ihren Familien, die von einem Besuch im Mutterland zurückkehrten, nachdem ihre Söhne vielleicht akademische Würden auf einer englischen Universität erlangt und ihre Töchter die letzte feine Ausbildung in einer beliebten Erziehungsanstalt erhalten hatten. Diese hauptsächlich, zugleich mit einigen wenigen jungen Rechtsgelehrten, so wie auch einigen Jüngern des Aeskulap, welche alle ihr Glück in der an Verbrechen wie an Krankheiten reichen Kolonie versuchen wollten und es wahrscheinlich auch fanden, bildeten die Passagiere der ersten Kajüte der Seenymphe.

Zwischendeckpassagiere waren nur wenige unter ihnen.

Alle, die genötigt wären, eine solche unbequeme Reise über den Atlantischen Ozean zu wählen, haben in Westindien wie in allen anderen tropischen Ländern wenig Aussichten, wo die Arbeit einzig von den Muskeln und Sehnen der Sklaven betrieben wird. Nur drei oder vier hatten deshalb das Zwischendeck am Bord der Seenymphe eingenommen. Dennoch war einer von diesen bescheidenen Reisenden bestimmt, eine hervorragende Rolle in unserer Geschichte zu spielen.

Dies war ein junger Mann, dem Äußeren nach im Alter von zwanzig oder einundzwanzig Jahren, von mittelhohem Wuchs mit wohl gerundeten und fein gebauten, Kraft und Gewandtheit verkündenden Gliedmaßen. Sein Aussehen, obwohl keineswegs vollkommen brünett, war dennoch viel dunkler, als dies bei einem in Großbritannien Geborenen gewöhnlich der Fall ist.

Das Gesicht war höchst edel gebildet und seine ganze Erscheinung bedeutend genug, um die Aufmerksamkeit auch des gleichgültigsten Beobachters auf sich zu ziehen.

Dunkle, braune Augen und im reichsten Überfluss seine Wangen umspielendes Haar von gleicher Farbe verliehen seinem Gesicht eine ganz besondere Anmut. Überhaupt konnte er als ein hübscher junger Mann bezeichnet werden.

Seine Kleidung, obwohl sie weder reich noch vom neuesten Schnitt war, saß ihm dennoch gut und entzog ihm nichts von der Anmut, mit welcher die Natur ihn beschenkt hatte. Die Tracht war nicht gerade ländlich, sondern vielmehr die eines jungen Studenten, dessen arme, aber liebevolle Eltern sich selbst beschränkt hätten, um ihm eine der gewöhnlichen Kirchspielschule überlegene Erziehung angedeihen zu lassen, so wie auch ein Kleid, welches der für ihn gesuchten Stellung entspräche.

Die Kleider, welche er trug, waren seine besten, die er zum ersten Male während der Reise und ganz besonders für die Landung angelegt hatte. Der junge Mann sah darin auch keineswegs übel aus. Ihre außerordentliche Knappheit diente lediglich dazu, die schöne Tournüre seines Körpers wie die natürliche Anmut seiner Gliedmaßen hervorzuheben, und der kurze, blaue Überrock mit schwarzen Aufschlägen, der über ein Paar eng anschließende Beinkleider auf sogenannte hessische Stiefel fiel, verlieh ihm, ungeachtet einer, jedoch nur geringen, Fadenscheinigkeit längs der Nähte, ein gewisses distinguiertes Aussehen.

Die Beschäftigung des jungen Mannes verriet ebenfalls einen Grad von höherer Bildung. Auf der Spitze des Fockmastes sitzend, zeichnete er auf einem weißen Blatt eines Buches, das sein Tagebuch zu sein schien, den Hafen, in den das Schiff einlief. Die Zeichnung, obwohl nur eine leicht hingeworfene Skizze, verriet keine ganz gewöhnliche künstlerische Bildung.

Dennoch war der junge Mann durchaus kein Künstler. Berufsmäßig war er, leider zu seinem eigenen Schaden, so gut wie gar nichts. Als armer Student, ohne eine Kunst oder ein Handwerk zu besitzen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, war er nach Westindien gekommen, in der Meinung, – gleich anderen jungen Leuten, welche mit unbestimmten Hoffnungen in fremden Kolonien gehen – dass das Glück sich in irgendeiner Weise freundlicher in der Fremde zeigen möge, als es dies daheim getan.

Welche Hoffnungen aus Erfolg indes auch der junge Kolonist gehegt hatte, sie waren keineswegs sanguinisch oder übertrieben. Obwohl von Natur von heiterem Geist, wie seine ganze Gesichtsbildung verkündete, so konnte ein genauer Beobachter doch zuweilen einen gewissen, sich auf ihn lagernden düsteren Schatten bemerken.

Als das Schiff näher zur Küste kam, schloss er das Buch und beobachtete sinnend das glänzende Gemälde der tropischen Welt, das sich zum ersten Male vor seinen Augen ausbreitete.

Trotz der angenehmen Gefühle, die eine so schöne Landschaft erwecken musste, verriet sein Gesicht einige Ängstlichkeit, vielleicht einige Zweifel in die Art des Empfanges, der ihm in diesem herrlichen, vor seinen Blicken sich entfaltenden Land zuteilwerden sollte.