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Die Trapper in Arkansas – Band 1.2

Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 1
Vorspiel – Der Ausgestoßene
Kapitel 2 – Die Hazienda del Milagro

Die Umgebung von Hermosillo ist eine wahre Einöde, und hauptsächlich führt der Weg zur Hazienda del Milagro durch einen der traurigsten und unfruchtbarsten Landstriche. Nur selten sieht man stellenweise den Eisenholzbaum den Gummibaum, den Perubaum mit seinen roten, pfefferartigen Früchten, die indische Feige und den Kaktus, die einzigen Bäume, welche auf einem Boden vorkommen, den die glühenden Strahlen einer senkrecht über den Häuptern stehenden Sonne ausgebrannt haben. Hin und wieder tauchen, als bitterer Spott, lange Zisternenstangen mit einem verschrumpften ledernen Schöpfeimer an dem einen und mit Riemen festgemachten Steinen an dem andern Ende auf. Allein die Wassergruben sind ausgetrocknet, und auf dem Boden sieht man nur eine Masse schwarzen Schlamms, in welchem Myriaden unreiner Tiere sich tummeln. Ein leichter Luftzug wirbelt Wolken feinen Staubes auf, der den keuchenden Wanderer zu ersticken droht. Unter jedem dürren Grashalm schmachten schrillende Heuschrecken nach dem wohltätigen Tau der Nacht.

Nachdem man mit unsäglicher Anstrengung in dieser dürren Wüste sechs Wegstunden zurückgelegt hat, erblickt das Auge mit Entzücken eine herrliche Oase, die plötzlich sich aus dem Sand zu erheben scheint. Dieses Eden ist die Hazienda del Milagro.

Um die Zeit unserer Geschichte war jene Hazienda eine der reichsten und größten in der Provinz. Das Hauptgebäude bestand aus zwei Stockwerken und hatte ein Altandach, das aus Schilf gefertigt und mit geschlagener Erde bedeckt war. Zu dem Haus gelangte man über einen weiten Hof, dessen Zugang aus einem gewölbten Portikus mit starken Flügeltüren und einem an der Seite angebrachten Ausfallpförtchen bestand. Die Vorderseite wurde von vier Gelassen eingenommen, deren Fenster mit vergoldeten Gittern und im Innern mit Blenden, ja selbst mit Glasscheiben, einem damals in diesem Land unerhörten Luxus, versehen waren. Auf jeder Seite des Hofs oder Patio befanden sich die gemeinschaftlichen Räume für die Peones, Kinder und so weiter. Das Erdgeschoss des Hauptgebäudes bestand aus drei Gemächern. Das eine war eine große Vorhalle, in welcher mit gemodeltem Corduan gepolsterte, altertümliche Lehnsessel und Ruhebänke, ein großer Nopaltisch und etliche Sitze ohne Lehne standen. An den Wänden hingen in vergoldeten Rahmen mehrere alte Porträts, Bilder von Familienmitgliedern in Lebensgröße, und das Holzwerk der Decke zeigte einen Überfluss von erhabener Schnitzarbeit. Eine Flügeltür führte in den Salon, dessen gegen den Patio hingekehrte Seite einen Fuß höher lag als der übrige Boden. Man sah dort eine Reihe seltsam geschnitzter, niedriger, mit carmoisinrotem Samt überzogener Tabourets mit gleichen Fußpolstern und einem kleinen viereckigen Tisch von achtzehn Zoll Höhe, der als Arbeitstisch dienen konnte. Dieser Teil des Salons war für die Damen bestimmt, welche nach Art der Maurinnen mit gekreuzten Beinen hier Platz zu nehmen pflegten. Auf der andern Seite befanden sich gleichfalls mit rotem Samt gepolsterte Sessel. Dem Eingang des Salons gegenüber erblickte man das Hauptschlafgemach mit einem Alkoven am Ende einer Erhöhung, auf welcher ein reich vergoldetes Paradebett mit Brokatvorhängen stand, die mit goldenen und silbernen Borten und Fransen verziert waren. Überzüge und Kopfkissen bestanden aus feinstem Leinen und zeigten eine Verzierung von breiten Spitzen.

Nach dem Hauptgebäude kam ein zweiter Patio mit den Küchen und dem Corral. Diesem Hof schloss sich ein großer Garten an, der von Mauern und einem mehr als hundert Ruten großen, englisch angelegten Park umgeben war, in welchem man die seltensten Bäume und Sträucher sehen konnte.

Auf der Hazienda gab es eine Festlichkeit. Es war die Zeit der Matanga del ganado oder des Stierschlachtens. Die Peones hatten einige Schritte von der Hazienda eine Einfriedung errichtet, in welche man die Rinder trieb, um die mageren von den fetten zu trennen. Von Letzteren wurde eines um das andere wieder hinausgelassen. Ein Vaquero stand hinter der Tür der Einfriedung auf der Lauer und hatte ein halbmondförmiges, schneidendes Instrument, das auf Fußweite mit Stacheln versehen war, in der Hand. Dieses Werkzeug führte er mit größter Gewandtheit gegen die hinteren Kniekehlen der aus der Umzäunung hervorkommenden Tiere. Wenn in seltenen Fällen der Hieb fehlging, so folgte ein berittener Vaquero dem Stier im Galopp, warf ihm das Lasso um die Hörner und hielt ihn fest, bis der Erste herankam und den Kniekehlenhieb an dem armen Tier vollendete. An dem Portikus der Hazienda lehnte lässig ein Mann von ungefähr vierzig, der in das reiche Kostüm der adeligen Landbesitzer gekleidet war. Über seine Schultern hing ein Zarapé von heller Farbe, und den Kopf schützte ein feiner Panama-Strohhut im Wert von mindestens fünfhundert Piastern gegen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Er hatte eine Maiszigarre im Mund und schien die Schlächterei zu überwachen. Man bemerkte an dem Kavalier eine stolze Miene, einen schlanken ebenmäßigen Bau und ein fein geschnittenes Gesicht, dessen feste, gehaltene Linien Loyalität, Mut und vor allem einen ehernen Willen bekundeten. Seine großen, schwarzen, von starken Brauen beschatteten Augen waren von unvergleichlicher Anmut. Aber wenn ein etwas lebhafterer Widerspruch seinen dunklen Teint mit einem Anflug von Rot überzog, gewann sein Blick eine Festigkeit und eine Gewalt, der niemand zu widerstehen vermag, sodass selbst die Mutigsten vor einem solchen Blick zitterten. Die Feinheit der Glieder, vor allem aber der Stempel des Adels, der sich in der ganzen Persönlichkeit kundgab, ließ auf den ersten Blick erkennen, dass dieser Mann der reinen Klasse kastilischer Edlen angehörte. Dabei handelte es sich um keinen geringeren als um Don Ramon Garillas de Saavedra, den Besitzer der Hazienda von Milagro.

Don Ramon stammte aus einer spanischen Familie, deren Oberhaupt unter die ersten Offiziere des Cortez gehörte und nach der wundervollen Eroberung, welche dieser geniale Abenteurer vollbrachte, sich in Mexiko niedergelassen hatte. Im Besitz eines fürstlichen Vermögens, aber von dem spanischen Adel gemieden, weil er sich eine Frau von aztekischer Abkunft nahm, hatte er sich ganz dem Feldbau und der Verbesserung seiner ausgedehnten Besitzungen hingegeben. Nach siebzehnjähriger Ehe stand er an der Spitze einer zahlreichen Familie, aus sechs Söhnen und drei Töchtern bestehend, von denen der uns bereits bekannte Rapháel das Älteste war.

Die Verbindung des Don Ramon und der Donna Jesusita war zwar durch Vermögensrücksichten herbeigeführt, aber dennoch beziehungsweise eine glückliche – wir sagen beziehungsweise, denn das junge Mädchen hatte vom Kloster weg heiraten müssen, ohne dass zwischen dem Paar eine Liebe bestanden hatte. Dagegen war an die Stelle der Letzteren eine innige und aufrichtige Anhänglichkeit getreten.

Donna Jesusita lebte, von ihren indianischen Dienerinnen umgeben, nur der Sorge für ihre Kinder. Ihr Gemahl, welchen die Landwirtschaft völlig in Anspruch nahm, hielt sich fast immer unter seinen Vaqueros, Peones und Jägern auf, sah während der Ruhestunden seine Gattin höchstens auf einige Minuten und blieb bisweilen, wenn ihn eine Jagdpartie an die Ufer des Rio Gila lockte, ganze Monate aus. Wir müssen übrigens beifügen, dass Don Ramon, mochte er anwesend sein oder nicht, sorgfältig auf seine Frau Bedacht nahm und es ihr an nichts fehlen ließ. Ja, er sorgte sogar für die Befriedigung ihrer flüchtigsten Launen und schonte weder Geld noch Mühe, um ihr das zu beschaffen, was sie zu wünschen schien.

Donna Jesusita war von entzückender Schönheit und engelgleicher Anmut. Sie schien, vielleicht nicht mit Freude, doch jedenfalls ohne großen Schmerz, sich der Lebensweise zu fügen, die ihr Gatte führen musste. Aber die Tiefe ihrer großen, schwärmerischen, schwarzen Augen, das bleiche Antlitz und vor allem die Wolke der Trauer, welche stets die mattweiße Stirn umschleierte, verriet, dass in dieser üppigen Natur eine glühende Seele eingeschlossen war, und dass die Frau, welche für ihr eigenes Herz so wenig verlangte, ihr ganzes Sinnen und Denken ihren Kindern zuwandte, die sie mit der ganzen, reinen Innigkeit mütterlicher Liebe, dieser schönsten und heiligsten von allen, umfing. Obschon Don Ramon sich nie die Mühe gegeben hatte, seine Frau zu studieren, benahm er sich doch stets so gütig und zuvorkommend ihr gegenüber, dass er sie wohl für das glücklichste Wesen von der Welt halten durfte, und sie war es auch wirklich, seit es dem Himmel gefallen hat, sie Mutter werden zu lassen.

Die Sonne war bereits untergegangen, der Himmel verlor allmählich seine Purpurfarbe und hüllte sich mehr und mehr in Schatten. Einige Sterne begannen sichtbar zu werden, und der Abendwind erhob sich mit einer Gewalt, welche für die Nacht einen der schrecklichen Orkane in Aussicht stellte, die man in jenen Gegenden häufig zu erleben Gelegenheit hatte. Nachdem der Mayoral den Rest des Ganado in der Einfriedung hatte absperren lassen, versammelte er die Vaqueros und Peones um sich und zog mit ihnen zu der Hazienda, von der aus die Nachtessensglocke verkündete, dass die Zeit der Ruhe endlich gekommen war. Der Mayor Domo war der Letzte, welcher grüßend an seinem Herrn vorüberkam.

»Wie viel Köpfe haben wir dies Jahr, No Eusebio?«, fragte Don Ramon.

»450, mi amo,« versetzte der Mayoral, ein großer hagerer Graukopf mit einem Gesicht, so braun wie ein Stück Leder, indem er sein Pferd anhielt und den Hut abnahm, »65 mehr als im vorigen Jahr. Unsere Nachbarn, die Jaguare und die Apachen haben uns keinen großen Schaden zugefügt.«

»Das habe ich Euch zu danken, No Eusebio,« entgegnete Don Ramon. »Ihr seid ungemein wachsam gewesen, und ich werde es Euch zu lohnen wissen.«

»Der beste Lohn ist Eurer Herrlichkeit gute Meinung«, erwiderte der Mayoral, über dessen raues Gesicht ein zufriedenes Lächeln huschte. »Ziemt es mir nicht, über Euer Eigentum eben so sorgfältig zu wachen, als ob es das meine wäre?«

»Ich danke Euch«, sagte der Edelmann, dem Diener bewegt die Hand drückend. »Ich weiß, dass Ihr mir treu ergeben seid.«

»Auf Leben und Tod, mein Gebieter. Meine Mutter hat Euch mit ihrer Milch genährt; ich gehöre Euch und Eurer Familie.«

»Jetzt vorwärts, No Eusebio«, rief der Haziendero heiter, »das Nachtessen ist bereit. Die Señora wird schon am Tisch sitzen, und wir dürfen sie nicht warten lassen.« Nachdem beide im Patio angelangt waren, schickte No Eusebio, wie Don Ramon ihn genannt hatte, sich an, dem allabendlichen Brauch zufolge, das Tor zu schließen, während der Haziendero sich in den Speisesaal begab, wo bereits die Vaqueros und Peones versammelt waren. In der Mitte des Speisesaals befand sich ein langer Tisch, und um ihn her standen mit Leder gepolsterte Bänke nebst zwei geschnitzten Lehnsesseln, die für Don Ramon und die Señora bestimmt waren. Hinter Letzterer hing ein vier Fuß hohes Elfenbeinkruzifix zwischen zwei Bildern, von denen eines Christus am Ölberg und das andere die Bergpredigt darstellte, an der Wand. Die langen Wände waren einfach getüncht und da und dort mit den wilden Köpfen von Jaguaren, Büffeln und Elentieren verziert, welche der Haziendero auf der Jagd erlegt hatte. Auf dem Tisch standen in reichlicher Menge Schüsseln mit Lahua (eine dicke Suppe aus mit Fleisch gekochtem Maismehl), Puchero oder Ollapodrita, und Pepian, zwischenhinein aber Flaschen mit Mezcal oder Wasser. Auf ein Zeichen des Hazienderos begann das Mahl.

Am späten Abend steigerte sich der Wind zu einem wütenden Sturm. Der Regen schoss in Strömen nieder und alle Augenblicke erhellte fahles Wetterleuchten, Vorläufer furchtbarer Blitz- und Donnerschläge, die Szenerie. Gegen Ende der Mahlzeit hatte der Orkan eine solche Höhe erreicht, dass man im Tumult der Elemente kaum mehr das eigene Wort hörte. Der Donner rollte mit schrecklicher Gewalt, ein Windstoß schlug eines der Fenster ein, die Lichter erloschen, und alle Anwesenden bekreuzten sich ängstlich. In diesem Augenblick ließ sich vom Portal her die Glocke wie in krampfhaftem Lauten vernehmen. Eine Stimme, die nichts Menschliches zu haben schien, rief in zweimal wiederholend um Hilfe.

»Beim Blut Christi«, rief Don Ramon, aus dem Saal eilend, »man erwürgt jemand in der Ebene.«

Zwei Schüsse erschollen fast gleichzeitig. Ein Schmerzruf folgte darauf, und dann trat eine unheimliche Stille ein. Plötzlich brach ein Blitzstrahl, dem ein furchtbarer Donner folgte, in die Dunkelheit. Man sah Don Ramon, der einen ohnmächtigen Menschen auf dem Arme trug, wieder im Saal erscheinen. Der Fremde wurde auf einen Sitz niedergelassen, und alles drängte sich um ihn her. Sein Gesicht und seine Kleidung zeigten nichts Außerordentliches. Als jedoch Rapháel, Don Ramons Ältester, ihn sah, konnte er eine Gebärde des Schreckens nicht unterdrücken, während zugleich sein Antlitz leichenblass wurde.

»Oh«, murmelte er mit erstickender Stimme, »der Juez de Letras!«

Es war in der Tat der würdige Richter, den man mit so glänzendem Gefolge von Hermosillo haben ausziehen sah. Die langen, vom Regen durchnässten Haare fielen ihm auf die Brust nieder und an seinen zerknitterten und teilweise zerrissenen Kleidern sah man Blutflecke. Seine Rechte hielt krampfhaft den Schaft einer abgeschossenen Pistole umschlossen.

Don Ramon hatte gleichfalls den Juez de Letras erkannt und unwillkürlich seinem Sohn einen Blick zugeworfen, den dieser nicht auszuhalten vermochte. Der Richter hatte es der verständigen Sorgfalt der Donna Jesusita und ihrer Frauen zu danken, dass er bald wieder zu sich kam. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, öffnete die hohlen Augen, mit denen er noch umherstierte, ohne etwas zu sehen, und gelangte allmählich zur Besinnung. Plötzlich überflog ein lebhaftes Rot sein eben noch so blasses Gesicht und sein Auge funkelte. Mit einem Blick auf Rapháel, der auf den Knaben die lähmende Gewalt eines unüberwindlichen Schreckens übte, erhob er sich mühsam, wankte auf den jungen Menschen zu, der ihn kommen sah, ohne dass er es wagte, ihm auszuweichen, und legte ihm rau die Hand auf die Schulter, während er sich zugleich gegen die Peones umwandte, welche erschrocken dem seltsamen Auftritt zusahen, ohne etwas davon begreifen zu können.

»Ich, Don Inigo Tormentos d’Albaceyte«, sagte er mit feierlicher Stimme, »Kriminalrichter der Stadt Hermosillo, verhafte im Namen des Königs diesen Menschen, der des Mordes überführt ist.«

»Barmherziger Gott!«, rief Rapháel und sank auf die Knie nieder, während er zugleich verzweifelnd die Hände faltete.

»Wehe!«, murmelte die arme Mutter und brach ohnmächtig zusammen.