Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Wolfram von Bärenburg – Teil 10

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 10

Im Speisesaal

»Ihr führt ein behagliches klösterliches Leben, wie ich sehe«, sprach Wolfram höhnisch bei seinem Eintritt.

Die Äbtissin und alle Nonnen nebst der Novizenmeisterin sprangen erschrocken von ihren Stühlen auf.

»Wie? Ein Mann in unserm Nonnenkloster!«, rief die Äbtissin entsetzt aus, die Hände ringend.

»Ja, ein Mann, und was für ein Mann! Einer, der Euch in ein geschützteres Kloster zu stecken gedenkt.«

Die Nonnen stießen einen Schrei des Entsetzens aus, denn die Gäste, welche zu besonderen Festlichkeiten geladen kamen, hatten schon oft von Wolframs furchtbaren Gräueltaten erzählt. Sie waren bereits mit sich selbst darüber im Reinen, dass dieser Wolfram der Erzteufel sein musste.

»Wie konntet Ihr es wagen, die Heiligkeit unsers Frauenklosters so frevelhaft zu missachten?«, fuhr die Äbtissin männlich gefasst fort.

»Ich kümmere mich um keine Heiligkeit!«, erwiderte Wolfram, nahm an der Tafel Platz, zerlegte gemütlich einen Fasan und leerte rasch mehrere Becher Wein nacheinander.

»Das schmeckt vortrefflich! Es ist nicht so verwerflich, hier eine Nonne oder gar Äbtissin zu sein.«

»Verlasst sofort dieses Gemach und das Kloster oder ich werde mit den Nonnen mich entfernen und die Dienstleute zu Hilfe rufen!«

»Das steht Euch frei und ich gebe Euch noch den guten Rat, Sturm läuten zu lassen.«

»Das soll auch geschehen!«, rief die Äbtissin trotzend aus, eilte mit drei Nonnen und der Novizenmeisterin zur Mitteltür. Die übrigen Nonnen huschten rasch auf die beiden Seitentüren zu. Aber als sie die Türen aufrissen, standen auf jeder Schwelle zwei Bewaffnete, die ihnen die Spitzen ihrer Schwerter entgegenhielten. Die Fliehenden prallten mit einem Angstschrei zurück, Wolfram aber lachte laut auf und fuhr fort, nach Herzenslust zu essen und zu trinken.

»Habt Ihr vor, uns zu ermorden?«, fragte die Äbtissin würdevoll.

»Glaubt Ihr, dass ich ein Mörder bin?«

»Warum lasst Ihr uns dann nicht gehen?«

»Den Grund werde ich Euch bald mitteilen. Wer von Euch ist die Novizenmeisterin?«

»Ich«, antwortete eine Stimme.

»Wo sind die beiden Novizen, Veronika und Elsbeth, die Töchter meines Erzfeindes Anselm von Alpenfall?«

Die Novizenmeisterin schwieg in äußerster Verlegenheit.

»Sprich, oder du bist des Todes!«, gebot Wolfram.

Geistesgegenwärtig gab sie der Äbtissin einen von Wolfram, der eben auf seinen Teller blickte, unbemerkten Blick, welcher andeuten sollte, dass sie eine Notlüge vorbringen solle. Wenn nach dem Abzug der Räuber, dachte sie bei sich selbst, die beiden Novizen nicht mehr in ihren Zellen gefunden würden, dann erscheine es ja ganz deutlich, dass die Eindringlinge sie aufgespürt, und fortgeschleppt haben.

»Mein offenes Geständnis«, sagte die Novizenmeisterin, »wird mir den ganzen Unwillen meiner hochwürdigsten Äbtissin und eine wohlverdiente strenge Strafe zustehen. Nach der Mittagstafel führte ich sie in den Garten, wo sie spielten, hinter Hecken sich verbargen und einander suchten. Auf diese Art kamen sie der heute nicht selten offen gestandenen Gartentür immer näher, schlüpften hinaus, und als ich an die offene Tür kam, sah ich die beiden Novizen schon weit draußen auf dem See. Es half nichts, dass ich ihnen mit einem weißen Tuch zur Umkehr winkte. Sie steuerten und ruderten fort, und landeten am jenseitigen Ufer, wo sie bald im Walde verschwanden.«

»Wie erwünscht, denn in jenem Wald werden sie meinen ihn durchstreifenden Reisigen gewiss nicht entgangen sein.«

»Gedenkt Ihr noch lange zu verweilen, verwegener Raubritter?«, fragte die Äbtissin ernst und gebieterisch.

»Nur so lange, bis ich mit meinem Vorhaben fertig bin. Heda!«

Auf seinen lauten Ruf traten durch jede Tür zwei Reisige ein, und je zwei andere besetzten an ihrer Stelle die Türschwellen.

»Nehmt alles mit, was hier auf der Tafel steht, ausgenommen die Lichter! Speisen und Getränke gehören euch, was von Gold und Silber ist, bleibt mein Eigentum. Vom Keller bis zum Speicher schleppt alles mit fort! Vergesst auch nicht das Brauchbare in der Klosterkirche und in der Gruftkapelle!«

»Das ist alles schon geschehen, Herr Ritter!«

»Desto besser! Für euren Fleiß schenke ich euch sieben von diesen Nonnen, die ihr mitnehmt, aber redlich mit den andern Reisigen teilt. Diese drei Täubchen – er wies mit dem Finger auf sie – behalte ich für mich allein. Sie sollen mir auf meiner Burg die Langweile vertreiben. Die Äbtissin bleibt hier und sammelt wieder frische junge Nonnen bis zu meinem nächsten Klosterbesuch. Auch die Novizenmeisterin bleibt da. Sie soll wieder die künftigen Novizen über den See entwischen lassen, indem sie auf diese Art mir am Leichtesten ins Netz gehen.«

Die Äbtissin verwehrte sich feierlich gegen alle diese Gewalttaten und rief die Rache Gottes gegen den kirchenschänderischen Erzteufel an. Die Nonnen lagen, um Gnade flehend, auf ihren Knien.

»Verwegene Dirne«, fuhr Wolfram zornentbrannt die Äbtissin an, indem er ihr einen Becher Wein ins Gesicht schüttete, »du hast es nur deiner Verwandtschaft mit dem Kaiser zu verdanken, dass ich dich nicht mit meinem Schwert durchbohre. He, Reisige, bindet allen, wie sie da sind, die Hände auf den Rücken, und auch die Füße, und knebelt ihnen den Mund, damit sie weder schreien noch weglaufen können!«

Dies geschah in gut geübter Weise.

»Nun tragt die Beute fort und packt sie auf die Sattelknöpfe! Mit den zwei silbernen Leuchtern gehe ich voraus, euch den weiten Klostergang zu erhellen. Wohl bekomm’s, hochwürdigste Äbtissin«, rief er hohnlachend aus, »und auch Euch, pflichtgetreue Novizenmeisterin!«

Mit diesen Worten verließ der Erzteufel den Speisesaal an der Spitze seiner Spießgesellen. Eine halbe Stunde später ritt die ganze Räuberbande mit den geraubten Nonnen und einer sehr reichen Beute von dannen.