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Der Welt-Detektiv Band 6

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Wolfram von Bärenburg – Teil 1

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 1

Der Schwur der Rache

An den Quellen der Bode, Oker und Leine steigt ein abgerundetes Bergmassiv als das höchste Gebirge Norddeutschlands empor – der Harz, dessen Gipfel, Täler und Ruinen tausend Sagen des deutschen Landes beleben.

Um Mitternacht schritt auf einem spärlich betretenen Fußpfad ein großer, schlanker Mann von 30 bis 36 Jahren in der Tracht eines Holzhauers, mit einer alten Mütze auf dem Kopf, eine scharf geschliffene Axt in seiner rechten Hand, hastig durch den dichten, endlosen Wald jenes Gebirges, unbekümmert um ein furchtbar tosendes Gewitter, dessen rasche Blitze ihm in der grabesfinsteren Nacht als Fackelträger und Wegweiser dienten, zugleich auch zeitweise sein leichenbleiches Antlitz erhellten, das keine Spur von Furcht, wohl aber das unverkennbare Gepräge eines von der schrecklichsten Wut aufgestachelten Gemütes zur Schau trug.

Der Regen stürzte in Strömen herab und sammelte sich in den Vertiefungen des Bodens, sodass der eilige Wanderer oft bis an die Knie im Wasser stand. Ohne darüber zu klagen, setzte er seinen Weg fort, aus kurzer Entfernung umheult von hungrigen Wölfen, die ihn zerfleischen konnten, ohne dass er sie zu sehen vermochte. Das wilde Element schien vollends entfesselt zu sein. Unter betäubendem Krachen des Donners spalteten Blitze einige hoch aufragenden Bäume, deren losgerissene Splitter ihn umschwirrtem und plötzlich auftauchenden Hindernissen gleich oft seine Schritte hemmten, bis ihm das blendende Licht des nächsten Blitzes zeigte, wie er durch Überschreiten oder Umgehen weitergehen könne.

Von Zeit zu Zeit sprach er mit sich selbst wie ein Wahnsinniger. Plötzlich blieb er stehen, streckte beide Arme zum Himmel empor, in der rechten Hand die Axt schüttelnd, dass sie im Widerschein des Blitzes funkelte und rief mit lauter Stimme: »Herr! Lass mich nicht sterben, bevor ich Rache an ihm genommen habe! Lass aber auch ihn nicht sterben vor dieser Zeit, damit mein gerechter Schwur nicht unerfüllt bleiben muss!«

Danach eilte er mit doppelter Hast in die grauenvolle Nacht weiter, als wäre jeder Augenblick des Wartens ein unermesslicher Verlust.

Sein drohender Ausruf wurde nicht nur von Gott gehört, zu dem er flehte, aber nicht im Geist unseres heiligen Erlösers, welcher den Feinden zu verzeihen und ihnen Gutes zu tun gebietet, sondern auch von zwei schwarzen, vermummten Männern, deren Gesichter gleichfarbene Kapuzen bis zum Mund verhüllten, und die ihm, vertrauter mit den verschiedenen Pfaden des Waldes als er, in geringer Entfernung zu beiden Seiten nachgeschlichen waren.

Das Hochgewitter verlor sich allmählich, der Donner rollte bereits in der Ferne, die Blitze verwandelten sich in breites Wetterleuchten, der Regen hörte auf und rieselte nur mehr von den dicht belaubten Zweigen der Bäume herab. Bald ließ Sternenlicht die Windungen der Pfade erkennen, die von einer Wegekreuzung nach verschiedenen Richtungen auseinander liefen.

»Welcher von diesen Wegen ist wohl der rechte, der mich an mein Ziel führt?«, murmelte der Wanderer, indem er einen Augenblick unschlüssig stehen blieb.

Da vernahm er ein entsetzliches Brummen von Bären, als wenn sie sich um eine Beute stritten. Dieses Brummen schien sich weder zu nähern noch zu entfernen, solange der Wanderer stillstand.

»In keinem Falle ist’s gefehlt«, sagte er, »wenn ich jene Richtung einschlage, aus welcher dieses Gebrumme der Bären dröhnt. Sind sie im Freien, so nehme ich den Kampf mit ihnen auf, um mich mit Axtschlägen an dem größeren zu üben, in welchem ich das von Gott verfluchte Ungeheuer zu erlegen erhoffe.«

Und wieder eilte er fort und erreichte nach einer halben Viertelstunde einen Bärenzwinger.

Über ein breites, steinernes Geländer, fünf Fuß hoch, oben scharfkantig, um nicht darauf stehen zu können, schaute er in eine unendliche Tiefe hinunter, wo zahlreiche Bären durch wilde Gebüsche mit kurzen plumpen Schritten trabten, häufig den Kopf emporreckend, als erwarteten sie von oben herab ihr Futter.

Denn oben, aus einem, nach allen Seiten hin senkrechten Granitfelsen, in einer Höhe von zweihundert Fuß, erhob sich eine stattliche, zu dieser Stunde hell erleuchtete Burg, aus deren offenen Bogenfenstern das jubelnde Getöse von Trompeten und Pauken erscholl. Die steinerne Brüstung des Bärenzwingers umgab den ganzen Granitfelsen in einem Abstand von fünfzig Fuß. Der Wanderer brauchte eine Viertelstunde, um den aus Felsen gehauenen Zwingergürtel zu umkreisen.

Danach blieb der Wanderer, am Ausgangspunkt seiner Umwanderung des Zwingers angekommen, stehen, atmete tief durch, ließ sich unter einem Baum nieder, die Burg im Blickfeld, um sich von der Anstrengung des Tages auszuruhen, und zog ein Stück schwarzes Brot aus der Tasche, seinen nagenden Hunger zu stillen.

»Es ist mein letztes Stück Brot«, sagte er mit verbissenem Zorn, »und ich weiß nicht, wer mir das nächste als ein Almosen reichen wird.«

»Almosen?«, rief er zornig aus, »mir ein Almosen? Dies wolle Gott verhüten! Ich habe starke Arme und ein tapferes Herz. Im Land gibt es gerechte Fehden genug, in denen ich mein Brot redlich verdienen kann, während das Ungeheuer da oben …« Er sprang auf und ballte die Faust in Richtung der Burgzinnen. »… das die Hölle ausgespien hat, im Genuss der Früchte satanischer Gräueltaten schwelgt. Aber bald soll deine letzte Stunde schlagen, landesverrufener Erzbösewicht! Vor Gott schwöre ich feierlich deinen Tod! Ich will dich erschlagen oder durchbohren wie eine wilde Bestie, mit den Händen erwürgen oder mit den Zähnen zerreißen, wenn mir die Waffen fehlen. Überall, wo immer ich dich treffe, im Wald, auf dem Feld, in Burgen oder Hütten, ob du wach bist oder schläfst, selbst an den Stufen eines Hochaltares, selbst in dem Augenblick, wo der Priester die heilige Hostie auf deine Gott lästernde Zunge legen will. Ja selbst meine Seligkeit geb’ ich hin für den Vollgenuss meiner Rache!«

»Das ist frevelhaft gesprochen«, tönte eine dumpfe Stimme hinter ihm.

Rasch, mit hochgeschwungener Axt, drehte der Wanderer sich um.

»Wer wagt es, mich zu beleidigen?«

Die zwei schwarzen Gestalten standen vor ihm. Er trat einen Schritt zurück und lehnte schlagfertig seinen Rücken an den breiten Stamm einer vierhundertjährigen Eiche.

»Ich hab Euch nicht beleidigt, Herr Ritter Kurt von Steinau«, antwortete einer der beiden schwarzen Männer, »sondern nur die Wahrheit gesagt, die ich beweisen kann.«

»Wer seid Ihr, und woher kennt Ihr meinen Namen?«

»Wir beide sind Wissende des heimlichen Gerichtes, der heiligen Feme.«

»So! Wohlan, als Wissende werdet Ihr wohl auch wissen, warum und an wem ich Rache nehmen will, und dass meine Rache vollkommen gerechtfertigt ist?«

Der schwarze Mann schüttelte den Kopf.

»Ihr schweigt? Schüttelt Ihr den Kopf, weil Ihr nichts wisst, und doch ein Wissender sein wollt?«

»Nicht deshalb. Der Besitzer dieser Burg, der mächtige und verwegene Raubritter Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel, hat zur Zeit, da ihr im Heer des Kaisers tapfer gekämpft habt, Euer junges und schönes Weib, kaum seit einem halben Jahr Euch angetraut, geraubt, Eure Burg ausgeplündert und niedergebrannt. Ist es nicht so?«

»Es ist so, wie Ihr sagt, aber es ist nicht alles.«

»Möglich! Es ist aber alles, was das heimliche Gericht über diese Freveltat erfahren hat. Daraus mögt Ihr entnehmen, dass auch das heimliche Gericht nicht allwissend ist. Zugegeben, allein auf die Dauer bleibt ihm nichts verborgen. Habt Ihr nirgends Klage erhoben?«

»Ich hoffe nicht, dass Ihr einen Scherz mit mir treibt. Wo soll ich klagen? Welches Gericht hätte die Macht oder auch nur den guten Willen, meine Klage anzuhören, und die Mittel, die ausgesprochene Strafe an dem Beklagten vollziehen zu lassen?«

»Klagt bei Kaiser und Reich!«

»Bei Kaiser und Reich? Ein billiger Rat, wahrhaftig! Ich habe es getan, ich habe beim Kaiser geklagt, in dessen Feldlager ich stand, als mir ein entlaufener Knecht Wolframs die schreckliche Kunde brachte. Ich habe für den Kaiser mein Blut vergossen, ihm Siege erkämpfen helfen und mir dadurch einen gerechten Anspruch auf seine Dankbarkeit erworben. Ich hoffte auf einen Beweis derselben. Eitle Hoffnung!«

»Was antwortete Euch der Kaiser?«

»Dass der große Krieg, den er zu führen habe, seine ganze Kriegsmacht in Anspruch nehme, und er deshalb die Züchtigung der Raubritter und die Zerstörung ihrer Burgen einer günstigeren Zeit vorbehalten müsse. Sollte aber meine Geduld bis dahin nicht ausreichen, so möge ich trotz allem mich an das heimliche Gericht wenden.«

»Da gab Euch der Kaiser einen guten Rat, Herr Ritter! An jedem Freitag um Mitternacht, auf zehn Stunden im Umfang, werdet Ihr auf dem Kreuzweg des Waldes zwei Wissende finden, die bereit sind, Eure Klage beim freien Stuhl zu melden.«

»Ich werde kommen, obwohl im Voraus davon überzeugt, dass selbst die heilige Feme ihr Urteil an Wolfram nicht wird vollziehen können. Erwartet nicht, dass er auf Eure Vorladung hin erscheint. Anderswo werdet Ihr ihn nur von zahllosen und verwegenen Reisigen umgeben finden.«

»Seid unbesorgt, Herr Ritter! Ein von der heiligen Feme Verurteilter kann seiner Strafen nicht entkommen.«

»Aber wann?«

»Spätestens in sechs Wochen.«

»Lang genug für meine Rache. Aber wenn die sechs Wochen fruchtlos verstrichen sind, dann werdet Ihr mich doch für berechtigt halten, mit eigener Hand mich zu rächen?«

»In diesem Fall … ja.«

»Wohlan, so sei es.«

»Kennt Ihr den Wolfram, Herr Ritter?«

»Nein, ich hab ihn noch nie gesehen.«

»So will ich ihn Euch beschreiben.«

»Ihr habt ihn als schon gesehen, und wo?«

»In einer Dorfkirche, worin er mit zwölf Spießgesellen die Messe hörte, während zwanzig andere vor der Kirche Wache hielten.«

»Höllische Gotteslästerung! Doch lasst hören!«

Fortsetzung folgt …