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Die Gefangene der Goldräuber – Teil 1

Die Gefangene der Goldräuber

Schmerzensschreie gellten durch die Kenosha Mountains und wurden von den nackten Felswänden als Widerhall zurückgeworfen. Hinter der zackigen Kette der Felsspitzen erreichte die gelb leuchtende Sonne ihren Höchststand. Zwei Männer hielten mit vereinten Kräften die Beine des Bärtigen. Er wand sich unter Schmerzen. Die unartikulierten Schreie, die er von sich gab, hatten nichts Menschliches an sich. Trotz der Mittagssonne war es kühl, denn der Nordwind trug eine frische Brise mit sich. Doch deswegen hatten die Männer das Lagerfeuer nicht entzündet. Der Wind zerteilte den Geruch von Rauch und verbranntem Fleisch.

»Denver City. Bei einem Anwalt in Denver City.« Joseph Tucker hätte nie gedacht, es zu verraten, doch die Schmerzen waren unerträglich.

»Warum, Tucker?«

Tucker drehte den Kopf zu dem Mann, der neben ihm in die Hocke ging. Durch einen Nebelschleier, der ihn schon einmal in die Bewusstlosigkeit getragen hatte, blickte er ihn an. Erneut schrie er auf, als die beiden Männer seine Füße, die nur noch schwarze Stümpfe waren, zum wiederholten Male in das Feuer zwangen. Seine Schreie, die an klagende Tierlaute erinnerten, prallten an den Banditen ab. Durch seinen gesamten Körper zuckten Schmerzblitze. Er hatte lange durchgehalten, hatte ertragen, dass sie seine Finger mit dem Revolverknauf zerschlugen, doch länger konnte er die Qualen nicht erdulden. Waren anfangs Tränen wie ein Fluss seine Wangen herabgeronnen, versiegten sie durch den unendlichen Schmerz. Er wollte sein einziges Kind nicht diesen Bastarden ausliefern, doch er war am Ende angelangt. »Meine Tochter«, er schluckte mühsam, »erhält alles an ihrem 21. Geburtstag.«

»Sag mir noch, wann das sein wird, dann lassen wir dich in Ruhe.«

Joseph Tucker wusste, was das bedeutete. »In drei Wochen.«

Der Mann neben ihm erhob sich. »Gebt ihm ’ne Kugel.«

Tucker nahm wahr, wie sie das Feuer löschten, und spürte den Einschlag in seine Brust.

***

Von Weitem sah Cole Shannon dunkle Punkte in der Luft kreisen. Er nahm seine 50kalibrige Springfield aus dem Scabbard, entsicherte sie und legte sie in seine rechte Armbeuge, jederzeit bereit, sie zu benutzen. Die Aasvögel ließen sich bei ihrem grausigen Festmahl nicht stören. Ohne richtig zu zielen, schoss er auf die Vögel, damit sie endlich abließen. Einige hoben ab und ließen sich wenige Yards neben der Leiche wieder nieder. Cole zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen. Auch wenn die Vögel ihre Arbeit schon begonnen hatten, erkannte er in dem Toten Joseph Tucker. Seine Augen standen weit offen und starrten blicklos Richtung Himmel. Der Geruch nach verbranntem Fleisch und kalter Asche hing in der Luft. Tucker war noch nicht lange tot. »Mein Gott, Joe«, kam es heiser über Coles Lippen, »was haben sie mit dir gemacht?« Er unterdrückte den Würgereiz, wandte den Blick von den Beinen ab, die in zwei verbrannten Stümpfen endeten, und blieb an seinem, noch im Tode schmerzverzerrten, wie zu Stein gewordenem Gesicht hängen. Es war für ihn ein langes und schweres Sterben gewesen. Das Gold hatte ihm kein Glück gebracht, nur Schmerzen und Tod. Wie oft hatte Cole ihn gewarnt, nicht mit Gold zu bezahlen und mit Geld um sich zu werfen, doch die gut gemeinten Ratschläge waren an Joseph abgeprallt wie eine Kugel an einer Felswand. Geschmeidig glitt Cole aus dem Sattel, verscheuchte die Vögel, die mutig an die Leiche hüpften, und suchte den Boden ab. Es waren mehrere Pferde gewesen, wie Abschürfungen am Felsgestein zeigten. Fliegenschwärme umschwirrten die feuchten Pferdeäpfel.

Ein Grab hier zu schaufeln war unmöglich. Cole steckte Tuckers Leiche in einen Felsspalt und deckte sie mit Steinen ab, um sie vor Raubtieren zu schützen. Unbändige Wut erfüllte ihn plötzlich und er spuckte zu Boden. Joseph Tucker hatte ihm einmal erzählt, dass er mit dem Gold an seiner Tochter wieder gutmachen könnte, was er als junger Mann verabsäumte. Daraus würde nun nichts werden. Cole fühlte sich verpflichtet, die Frau über den Tod ihres Vaters zu benachrichtigen. Auch wenn die beiden keinen Kontakt miteinander hatten, sollte sie es doch erfahren. Er wusste nur ihren Namen und dass sie in Black Hawk lebte.

Cole hatte gerade nichts anderes zu tun. Er war ein Ruheloser, immer getrieben von etwas, das er selbst nicht benennen konnte, der seinen Revolver vermietete und sich auch mal als Sheriff sein Geld verdiente.

***

Bis auf einen einzigen Mann waren die Passagiere der Postkutsche Goldsucher, die es danach drängte, ihr Glück zu finden. Der Kutscher holte ihr Gepäck vom Dach der Concord und schmiss es auf den Boden, sodass Staubfontänen hochstiegen. Matt Benbow stieg als Letzter aus. Auch wenn er wie ein Städter gekleidet war, ließ sich ein guter Beobachter dadurch nicht täuschen. Dunkelblondes Haar quoll unter seinem braunen Hut hervor. Für einen Mann war er nicht sonderlich groß. Auffallend war die quer über den Hals verlaufende Narbe, die ihm ein Bulle als Junge zugefügt hatte. Lange sah er sich um und nahm jede Einzelheit auf. Ein Teil der Stadt war innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden gestampft worden. Neben einigen fest errichteten alten Häusern standen viele schnell erbaute Hütten und eine Menge Zelte. Auf der Mainstreet herrschte reges Treiben. Beladene Frachtwagen fuhren in die Stadt, schwer bepackte Reiter ritten beiderseits zur Stadt hinaus. Viele Männer verließen zu Fuß die Stadt, mit schwerem Gepäck, Schaufel und Siebpfanne auf dem Rücken. Das Gold in den Bergen lockte die Glücksritter scharenweise an. Und nicht nur Glücksritter, wie Matt wusste. Er hatte nicht vor, länger hier zu bleiben als unbedingt nötig. Deshalb war es wichtig, die Frau, die er suchte, so schnell wie möglich zu finden. Als Erstes jedoch würde er etwas essen. Ein Holzschild mit Teerfarbe beschriebenen, schiefen Buchstaben wies das Zelt als Restaurant aus. Matt steuerte darauf zu und trat ein. An grob gezimmerten Tischen saßen eine Menge Männer in abgetragener, schmutziger Arbeitskleidung. Einige aßen bereits, andere warteten ungeduldig. Die Luft war erfüllt von Schweiß, Tabak und Essensgerüchen.

Die Matrone am Eingang des Zeltes blaffte ihn an: »Steak, Bohnen und Kartoffeln. Zwei Dollar.«

Ein stolzer Preis, vor allem, wenn man nicht wusste, ob es essbar war. Matt zahlte den Betrag und nahm am Ende eines Tisches Platz.

»Hast du deinen Claim schon eingetragen?«, fragte der Mann neben ihm kauend. Reste seines Essens hingen in seinem Schnurrbart.

»Scheint wohl neue Goldfunde zu geben«, antwortete Matt.

Der Mann überwand seine Überraschung rasch, schüttelte verständnislos den Kopf und schaufelte sein Essen weiter in sich hinein. Eine junge Frau lief mit gerötetem Gesicht umher und teilte Essen aus. Sie war schnell und gab ihr Bestes, aber es war schwierig, den großen Andrang zu bewältigen. Einige rotblonde Strähnen hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und hingen ihr widerspenstig ins Gesicht. Die Männer schlangen das Essen hinunter, verließen das Zelt und machten Neuankömmlingen Platz. Der Mann, an dem sie gerade vorbei lief, klatschte ihr mit einem schmierigen Grinsen auf den Po. Reflexartig drehte sie sich um und kippte den Inhalt des Tellers auf seinen Kopf.

»Fass mich nicht an«, zischte sie.

Die Matrone watschelte heran, packte den Mann am Hemdkragen und zerrte ihn hoch. Erst auf den zweiten Blick erkannte man in ihr eine Frau. Das unförmige Mannweib in dem dunklen, schmuddeligen Kleid blickte auf den leeren Teller des Kerls. »Deinen Bauch hast du dir vollgeschlagen, also verschwinde.« Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, zerrte sie ihn hervor und schubste ihn in Richtung Ausgang. Er versuchte erst gar nicht, sich zu wehren, sondern schlich hinaus. Nun wandte sich die Matrone an die Frau. »Stell dich in Zukunft nicht so an, wenn dich einer am Arsch packt. Wird nicht weniger. Das Essen zieh ich dir vom Lohn ab.«

Die Frau wollte aufbegehren, aber ein Blick in das Gesicht des Mannweibes machte ihr die Ausweglosigkeit klar. Mit zusammengepressten Lippen ging sie ihrer Arbeit nach. Als sie Matt einen Teller hinstellte, sagte er schnell, bevor sie sich abwandte: »Ich suche Jennifer, die Tochter von Joseph Tucker.« Irgendwo musste er mit seiner Suche beginnen. Warum nicht gleich hier?

»Ich wüsste nicht, wozu«, giftete sie.

Sollte das heißen, dass sie die Gesuchte war? Er wollte einen günstigen Moment abwarten, um mit ihr zu sprechen, doch die Matrone machte ihm unmissverständlich klar, dass er nach dem Essen verschwinden sollte. Matt sah sich in der Stadt um, fragte einige Male und erfuhr, dass er nicht der Erste war, der sich nach Jennifer Tucker erkundigte. Es konnte Zufall sein, doch Matt glaubte nicht an Zufälle. Er vertrieb sich die Zeit bis zum Abend, nahm an einer Pokerrunde teil, wo mit geringen Einsätzen gespielt wurde. Goldhungrige rüsteten sich in der Stadt aus, um in den Bergen das Eldorado zu finden. In vielen Hütten und Zelten waren Spieltische aufgestellt, rollende Bordelle, die mit den Goldfunden mitzogen, hatten sich angesiedelt. Jeder Spieltischbetreiber, jede Hure hatte ihren Obolus an die Stadtkasse zu entrichten. Gold zog nicht nur Goldsucher, sondern auch Gesindel jeder Art an, wie einige zwielichtige Gestalten in der Stadt bewiesen. Kurz vor Mitternacht ging Matt zum Restaurant. Er stoppte, bevor er in den Schein der Lampe vor dem Zelt trat, und lauschte dem Gespräch. Jennifer, sofern sie es war, unterhielt sich mit einem Mann.

»Ich will nicht, dass du hier arbeitest.«

»Von irgendetwas muss ich doch leben«, entgegnete Jennifer.

»Dann lass uns heiraten. Wir bauen uns in einer anderen Stadt eine Existenz auf«, drängte der Mann.

»Das haben wir bereits besprochen. Ich heirate keinen Mann, den ich nur wenige Tage kenne.«

»Aber Liebling, komm, küss mich.« Seine Stimme war schmeichelnd.

»Lass diese Tour. Das zieht bei mir nicht.«

Matt grinste. Sie war in Ordnung. Er trat nun in den Lichtschein. »Guten Abend. Ich würde mich gerne kurz mit Ihnen unterhalten. Dauert nicht lange. Falls Sie Bedenken haben, können wir das auch morgen bei Tageslicht machen.«

Ihr Verehrer wandte sich Matt zu. »Verschwinde!«

Seine Aussage gab vielleicht den Ausschlag für Jennifers Entscheidung. »Ich bestimme selbst, mit wem ich mich unterhalte. Gute Nacht.« Ihr Tonfall ließ kein Missverständnis aufkommen. Sie wollte den Mann loswerden. Der Schwarzhaarige mit Sichelbart ballte die Fäuste. Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Dunkelheit.

»Sind Sie Jennifer Tucker?«

»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.«

»Matt Benbow, ich arbeite für das Anwaltsbüro Brighton & Smith in Denver City«, erklärte er leise.

»Ich bin müde. Gute Nacht.«

»Sie haben mir noch nicht gesagt, ob Sie Miss Tucker sind.«

»Ist doch egal.«

»Sind Sie immer so giftig?« Welch unumgängliches Weib. »Sie haben von mir nichts zu befürchten. Wenn Sie Jennifer Tucker sind, sollten wir uns unterhalten.«

»Ich wüsste nicht, warum.«

»Es spricht für Sie, dass Sie mir nicht vertrauen. Würden Sie mich zum Office des Marshals begleiten?«

»Jetzt? Wollen Sie mich verhaften?«

»Keineswegs. Begleiten Sie mich, dann erfahren Sie Weiteres.«

Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens nickte sie. Den Weg bis zum Office legten sie schweigend zurück. Matt pochte an die Tür und trat ein. Der breitschultrige Mann mit dem Fünfzack auf der ärmellosen Lederweste grüßte und blickte sie fragend an.

»Matt Benbow, ich arbeite für Brighton & Smith in Denver City.«

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Benbow?«

»Bevor ich Ihnen etwas über meinen Auftrag erzähle, muss ich wissen, ob es sich bei dieser Dame um Miss Jennifer Tucker handelt.«

Nach einer Minute des Überlegens nickte der Scheriff. »Miss Tucker lebte schon hier, als ich vor drei Jahren hier ankam.«

»Danke Sheriff.«

»Miss Tucker, ich habe den Auftrag, Sie nach Denver City zu begleiten, damit Sie ihr Erbe antreten.«

Jennifer schüttelte den Kopf. »Hier muss ein Missverständnis vorliegen. Ich habe niemanden zu beerben.«

»Ihr Vater, Joseph Tucker, ist Besitzer einer Goldmine. Die Besitzrechte gehen an Ihrem 21. Geburtstag an Sie über.«

»Ich will damit nichts zu tun haben.« Jennifers Augen blitzten.

Matt lächelte nachsichtig. »Er ahnte, dass Sie so reagieren. Sie sollen es als Wiedergutmachung sehen für etwas, dass ihr Vater nicht mehr ändern kann.«

Jennifer wandte sich ab und sah aus dem Fenster. An ihren Vater konnte sie sich nicht erinnern. Er war ein Herumtreiber, der selten zu Hause gewesen war. Er jagte einem Traum nach dem anderen hinterher, immer auf der Suche nach dem großen Eldorado, wie er es nannte. Zum letzten Mal hatte ihn Jennifer gesehen, als sie elf gewesen war. Ihre Mutter rackerte sich ab, um ihre Schwester und sie durchzubringen. Die Mutter starb an Typhus, ihre Schwester durch eine verirrte Kugel.

Sie drehte sich zu Matt. »Warum schickt er Sie, anstatt selbst zu kommen?«

»Vielleicht ist es ihm nicht möglich«, antwortete Matt leise. Die Frau, die ihm bis zum Kinn reichte, gefiel ihm. Auf den ersten Blick war sie keine Schönheit, dafür war ihre Nase ein wenig zu groß geraten und das Gesicht zu kantig. Doch ihre grünen Augen sprühten vor Stolz und das Wort Gold löste in ihr nicht die Reaktion aus wie bei anderen Menschen. Am auffallendsten war ihr rotblondes Haar. Zu gerne hätte er sie mit offenem Haar gesehen und seine Finger in der gekringelten Haarflut vergraben.

Wie es weitergeht, erfahrt ihr in der nächsten Woche …

2 Antworten auf Die Gefangene der Goldräuber – Teil 1