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Der Welt-Detektiv Band 6

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Das Geheimnis zweier Ozeane 21

Zweites Buch
Neuntes Kapitel
Von Magnettorpedos eingekreist

Gorelow fuhr plötzlich zusammen. Im Lichtkegel seiner Stirnlaterne zeigten sich die Umrisse eines schnell dahinjagenden glatten Gegenstandes von zylindrischer Form. An seinem hinteren Ende funkelte ein mit rasender Geschwindigkeit rotierender Kreis. Deutlich hob sich ein Leitwerk ab – feste Stabilisierungsflossen an den Seiten und zwei kleine schwenkbare Ruderflächen. Von der Mitte des metallenen Schwimmkörpers spannten sich nach allen vier Seiten matt schimmernde dünne Drähte.

Die Stirnlaterne des Zoologen beleuchtete in diesem Augenblick den benachbarten Raum. Rechts und links, oben und unten, überall breitete sich ein riesiges Metallnetz aus. In die Knoten der drei Meter weiten Maschen des Netzes waren die gleichen seltsamen, zylindrischen Gegenstände geknüpft; wie eine Wand, deren Seiten sich in der Dunkelheit verloren, raste das Netz auf die Taucher zu.

»Hinunter!«, brüllte Gorelow. »Zum Meeresboden!«

Ohne zu stoppen, warfen beide das Ruder herum und sausten kopfüber nach unten, bis zum. Gürtel im weichen Schlamm versinkend. Gorelow kroch sofort heraus. Neben ihm strampelte der Zoologe. Etwa sechs Meter über dem Meeresboden brauste mit unheimlichem Getöse das mit einer Reihe der fischähnlichen Metallkörper gespickte Netz heran. Als es über den Köpfen der liegenden Taucher hinwegraste, zeigten die Metallkörper, die ihnen am nächsten waren, plötzlich eine auffallende Eigenbewegung. Ihre halbkugelförmigen Köpfe neigten sich nach unten, als zöge sie dort etwas an. Vier große runde Augen von der Farbe gebräunten Stahls, die in jedem dieser Köpfe saßen, schienen auf die Menschen zu glotzen, als wollten sie sie genauer betrachten. Ein oder zwei dieser gespenstischen Ungeheuer rissen ihre Köpfe so jäh nach unten, dass ihre rotierenden Schwänze fast senkrecht standen. Aber schon richteten sie sich wieder auf und jagten mit dem ganzen Netz davon.

»Was ist das? Was bedeutet das?« flüsterte der Zoologe tief erschrocken und rief dann mit lauter Stimme: »Das sind ja Torpedos! Fjodor Michailowitsch, Torpedos …«

»Still!« zischte Gorelow. »Warum brüllen Sie wie ein Verrückter? Vielleicht haben die Dinger einen Schalldetonator, und wir werden atomisiert!«

Der Zoologe saß im Schlamm und sah dem davonjagenden Netz mit schreckgeweiteten Augen nach. Endlich sagte er flüsternd: »Aber das Netz entfernt sich südwärts, Fjodor Michailowitsch. Das U-Boot kann ja mit ihm zusammenstoßen.« Gorelow lachte spöttisch. »Warum so ängstlich, Arsen Dawidowitsch? Die Ultraschall-Bildwerfer werden das Netz schon aus einer Entfernung von zwanzig Kilometern melden. Lind dann die Infrarot-Aufklärer! Sie brauchen sich nicht zu sorgen. Eilen wir lieber zu unseren Seelilien!«

Irgendetwas missfiel dem Zoologen in dem Lachen und den nervös hervorgestoßenen Worten Gorelows. Wieder flammte die alte Antipathie, das alte Misstrauen auf. Er wollte antworten, widersprechen, schwieg aber und blickte nur in die Finsternis – dorthin, wo er das U-Boot vermutete und wohin vielleicht jetzt die schreckliche Wand Verderben und Zerstörung trug.

»Gut«, sagte der Zoologe. »Schwimmen wir zu den Seelilien.

Gorelow stellte eilig seine Schraube an, erhob sich ein paar Dutzend Meter über den Meeresboden und nahm wieder die alte Schwimmrichtung auf. Der Zoologe folgte ihm in einiger Entfernung. Jetzt hielt er Gorelow ständig im Lichtkegel seiner Stirnlaterne und beobachtete jede seiner Bewegungen. Nach einigen Minuten öffnete er langsam seine Seitentasche. Zögernd drückte er auf einen Knopf, bewegte ihn einige Teilstriche über die Skala und schob ihn wieder zurück. Gorelows Telefon war abgeschaltet. Anschließend drückte der Zoologe auf einen anderen Knopf und stellte ihn ein. Sofort hörte er eine bekannte, ruhige Stimme: »Hier spricht Oberleutnant Bogrow. Was gibt’s, Lord?«

»Von Nord nach Süd«, sagte der Zoologe halblaut, ohne Gorelow aus den Augen zu lassen, »rast ein riesiges, senkrecht gestelltes Netz, das mit Torpedos gespickt ist. Wir sind ihm entgangen, indem wir uns auf den Meeresboden warfen. Ich befürchte, das Netz könnte mit dem U-Boot zusammenstoßen.«

»Was?«, rief der Oberleutnant verblüfft. »Torpedos sagen Sie? Wo haben Sie sie gesehen?«

»Ich weiß es nicht …«, antwortete der Zoologe verlegen, »die Zeit habe ich mir auch nicht gemerkt. Es könnte sechzig bis siebzig Kilometer vom letzten Standort des U-Bootes gewesen sein.«

»So! Gut … Wir werden aufpassen. Ich danke Ihnen. Kehren Sie zum U-Boot erst zurück, wenn wir Sie dazu auffordern. Entfernen Sie sich nicht weiter. Beobachten Sie Ihre Umgebung!«

Der Oberleutnant schaltete ab und benachrichtigte den Kapitän. Dann funkte er Schelawin und Skworeschnja, die nicht an Bord waren, sie sollten nur auf Aufforderung zurückkehren und jetzt mit voller Geschwindigkeit Westkurs nehmen – immer möglichst nahe am Meeresboden.

Die Pionier änderte die Fahrtrichtung. Sie kehrte die eben durchlaufene Fahrstrecke zurück, von Süd nach Nord. Der Oberleutnant ließ kein Auge vom Bildschirm und beschleunigte etwas die Geschwindigkeit des U-Bootes.

Der Kapitän erschien. Bogrow meldete ihm, was der Zoologe gefunkt hatte und welche Maßnahmen er bisher getroffen hatte.

Das Gesicht des Kapitäns drückte nur für den Bruchteil einer Sekunde maßloses Erstaunen aus. Dann sagte er:

»Gut, Alexander Leonidowitsch! Das haben Sie richtig gemacht. Ich übernehme das Kommando. Bleiben Sie am Steuerpult und beobachten Sie den Heckteil des Bildschirms. Den Bugteil behalte ich im Auge. – Und geben Sie Alarm!«

Ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, stand der Kapitän, die Hände auf dem Rücken verschränkt, breitbeinig in der Mitte des hell erleuchteten Steuerraumes.

»Die Jagd geht also weiter«, sagte er nach einer kurzen Pause, als wende er sich an einen unsichtbaren Zuhörer. »Ausgezeichnet! Aber dieses Mal, meine lieben Freunde, wird es euch teuer zu stehen kommen.«

Der Oberleutnant saß reglos vor dem Steuerpult; seine Finger ruhten auf der unteren Tastenreihe.

»Backbord-Aufklärer voraus!«, befahl der Kapitän. »Im Halbkreis vor dem Bug hin und her laufen lassen. Distanz: fünfzig Kilometer. Kurs: abwechselnd von West nach Nord.«

Die Finger des Oberleutnants glitten schnell über Knöpfe und Tasten des Steuerpultes.

Im Raum herrschte angespannte Stille.

Nach einigen Minuten zeigten sich auf einem Teil des vorderen Bildschirmhalbrundes die verschwommenen Umrisse eines Netzes mit großen dunklen Punkten in den Maschenknoten. Bald erstreckte sich das Netz über die ganze Bildschirmfläche. Mit jeder Sekunde traten seine Konturen schärfer hervor. Die dunklen Punkte verwandelten sich in stumpfe, kugelige Gebilde; hinter ihnen zeigten sich die matt leuchtenden Scheiben rasend rotierender Schrauben. Im vorderen Teil des Bildschirmes konnte man jetzt das Torpedonetz klar und deutlich sehen. Dieser Stelle des Netzes schien der Aufklärer ganz nahe zu sein, entfernte er sich aber, wurde das Netzbild an beiden Flügeln seiner halbkreisförmigen Bahn wieder dunkler und verschwommener.

»Das ist verständlich«, sagte der Kapitän. »Und auch interessant. Das Netz bewegt sich wie eine Wand vorwärts und umfasst einen großen Raum. Seine Geschwindigkeit beträgt etwa fünfzig bis sechzig Kilometer in der Stunde.« Der Kapitän lachte plötzlich. »Fast sieht es so aus, als wollten sie unseretwegen den ganzen Ozean durchkämmen … Allerhand …!« Er wandte sich an den Oberleutnant und befahl: »Entfernung zwischen Aufklärer und Netz: hundert Meter, Entfernung beibehalten!«

Die Umrisse des Netzes änderten sich jetzt nicht. Der Aufklärer projizierte das Bild aus immer gleichbleibender Entfernung, und deshalb schien es, als seien Netz und U-Boot unbeweglich.

»Wie weit ist es bis zum Netz?«, fragte der Kapitän nach kurzem Schweigen.

»Vierzig Kilometer.«

»Dem Netz mit sechzig Stundenkilometern entgegenfahren«, befahl der Kapitän und fügte leise, wie im Selbstgespräch, hinzu: »Es bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit auf das Schiff zu, in einigen Minuten wird sich die Lage auf dem Bildschirm ändern. .

Der Oberleutnant richtete sich auf. Erst dachte er: Wozu entgegenfahren? Man könnte doch dem Netz ausweichen. Aber dann verscheuchte er diesen Gedanken, als das Netz auf dem Bughalbrund des Bildschirms plötzlich einen Satz zum U-Boot zu machen schien.

Die Ultraschall-Bildwerfer traten in Tätigkeit.

»Aufklärer an Bord zurücknehmen! Bugkanone gefechtsbereit!«

Aha! Das also!, dachte der Oberleutnant. Wir sprengen die Torpedos … Kurz und schmerzlos …

Mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit raste das Netz auf das Schiff zu. Seltsam schien es nur, dass die Netzumrisse rechts und links von der Bildschirmmitte immer deutlicher wurden. Wenn das Netz wie eine senkrechte gerade Wand auf das U-Boot zukam, dann müssten ihre Seitenteile, die vom U-Boot am weitesten entfernt waren, nicht so klar auf dem Bildschirm zu sehen sein wie ihre Mitte direkt vor dem Bug. Auf dem Bildschirm aber rasten die Seitenteile des Netzes anscheinend mit doppelter Geschwindigkeit auf den Beschauer zu und waren fast genauso klar zu erkennen wie seine Mitte. Es sah fast so aus, als umspanne das Netz das U-Boot back- und steuerbords, als krümme es sich … Was hatte das zu bedeuten? Der Kapitän schien ratlos zu sein.

Die laute Stimme des Oberleutnants unterbrach die lastende Stille:

»Das Netz wird auf beiden Flügeln des Heckbildschirms sichtbar!«

»Tod und Teufel!«, rief der Kapitän in höchster Erregung. Er starrte auf den Bildschirm. »Magnettorpedos! Sie kreisen uns ein!«

Er blickte zur Bildschirmkuppel. Die oberen Ränder des Netzes bogen sich dort nach unten, undeutlich und dünn noch wie ein Spinnennetz.

»Bugkanone abstellen! U-Boot auf der Stelle wenden! Einhundertundachtzig Grad!«

Das U-Boot machte eine scharfe Drehung. Jetzt stand es mit dem Bug nach Süden, mit dem Heck nach Norden zum Netz.

»Sechs Zehntel der vollen Geschwindigkeit.«

»Zu Befehl!«

Vorn auf dem Bughalbrund des Bildschirmes war für einen Augenblick nur eine dunkle, leere Fläche zu sehen, die von den Seitenteilen des Netzes allmählich überdeckt wurde.

Beide Flügel des Bildschirmes waren schon fast ganz von einem maschigen Gewebe überzogen, auf dem die dunklen Punkte der Torpedos wie aufgenähte Knöpfe aussahen. Immer schmaler wurde der Spalt vorn zwischen den seitlichen Rändern des Netzes. Der tödliche Kreis um das U-Boot schien sich bald zu schließen …

Hindurchschlüpfen! Wird es noch gelingen?, dachte der Oberleutnant mit klopfendem Herzen. Aber seine Finger lagen ruhig auf den Tasten.

»Acht Zehntel!«

Das U-Boot schien einen Sprung zu machen.

Auf dem hinteren Halbrund des Heckbildschirms hob sich das Netz nicht mehr so scharf ab, aber der Spalt vorn wurde schmaler und schmaler … Der riesige Metallleib des U-Boots zog mit furchtbarer Gewalt Hunderte und Tausende magnetischer Köpfe der todbringenden stählernen Ungeheuer an, das verdoppelte die Geschwindigkeit ihres rasenden Laufes …

»Zehn Zehntel!

Der Kapitän wandte sich nicht mehr um. Er stand vornübergebeugt und starrte mit geweiteten Augen auf den Bildschirm.

Das U-Boot flog wie ein Pfeil dahin. Es war ein Spiel mit dem Tode.

Der Kapitän ballte die Fäuste. Seine Wangen brannten. Und wenn man seine leuchtenden und harten Augen sah, konnte man meinen, dieses Spiel werde ein anderer bezahlen.

»Elf Zehntel!«, rief der Kapitän mit klingender Stimme.

Der Spalt auf dem Bildschirm war nur noch ganz schmal, verengte sich aber nicht mehr …

»Zwölf! Zwölf Zehntel und alles, was nur möglich ist!!!«

Es war ein Rennen auf Leben und Tod! Alle Reserven warfen sich ungezügelt in den Wettlauf um die größte Geschwindigkeit. In seinen Dampfmantel gehüllt, brauste das U-Boot wie ein weißglühender Meteor dahin!

Auf den seitlichen Flügeln des Bildschirms verwandelte sich das Netz in ein dichtes, nebliges Gewebe. Es holte das U-Boot nicht mehr ein! Es blieb immer mehr zurück!

Noch einige Augenblicke, und der graue Schleier des Gewebes schrumpfte zusammen. Der Spalt wurde breiter. Ein paar Sekunden noch, und der Bugbildschirm war vom schrecklichen Spinngewebe frei gefegt, als sei ein Schwamm darübergewischt. Der Weg war frei! Voraus lagen die unendlichen Weiten des Ozeans.

Plötzlich erschütterte ein furchtbarer Donnerschlag das U-Boot. Wie ein verwundeter Wal bäumte es sich auf, sackte ab und schoss einige Hundert Meter nach oben. Dann wurde es wie von einem Katapult nach vorn geschleudert und jagte mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit weiter. Die Explosionen folgten einander fast pausenlos und verschmolzen zu einem tiefen donnerähnlichen Grollen. Ganze Bündel von flammenden Blitzen durchfurchten nach allen Richtungen den Heckstreifen des Bildschirmes. Es schien, als sei der Meeresboden geborsten, als seien tausend Vulkane zugleich mit höllischem, ohrenbetäubendem Getöse ausgebrochen!

Bogrow wandte sein bleiches Gesicht dem Kapitän zu. Der stand unbeweglich in der Mitte des Steuerraumes und blickte mit einem triumphierenden Lächeln auf den Oberleutnant.

»Die Torpedos sind von beiden Seiten einander entgegengerast. Sie sind zusammengestoßen und explodieren jetzt. Unser Manöver ist gelungen! – Eine halbe Tonne Maschinenöl aussetzen! Zwanzig Kubikmeter Wasserstoff dazu, und dann entzünden!«

Auf der Kuppel des Bildschirms zeigte sich jetzt nach einigen Sekunden eine riesige Feuerblase. Gleich danach erhob sich über der ruhigen Oberfläche des Ozeans, wie von der Eruption eines unterseeischen Vulkans, ein Berg aus Wasser und Flammen. Er fiel in sich zusammen und verschwand im Wellenspiel eines schnell verebbenden Wirbels.

»Somit sind wir vernichtet!«, bemerkte der Kapitän ironisch. »Niemand wird jetzt mehr daran zweifeln.« Und sich an den Oberleutnant wendend, befahl er: »Mit acht Zehnteln der vollen Geschwindigkeit nach Ost abdrehen!«

Das U-Boot drehte in einem riesigen Bogen nach Ost. »Kurs direkt auf Nord! Steuerbord-Aufklärer über der Oberfläche kreisen lassen!«

Die Explosionen hörten auf. Das aufgewühlte, schlammige Wasser lag wie ein Nebel auf dem Rundbildschirm. Die Schatten zahlloser Fischkadaver zogen in allen Richtungen vorbei.

»U-Boot bis auf fünfhundert Meter unter der Oberfläche auftauchen lassen!«

Auf der klaren Kuppel des Bildschirmes strahlte der helle Fleck der im Zenit stehenden Sonne. Die reglosen Nebeltupfen einiger kleinerer Wolken säumten sie ein. Der Ozean war öde, ohne Spur von Leben.

»Aufklärer höher hinauf lenken!«, befahl der Kapitän.

Im Norden, ganz weit am Horizont, tauchten die winzigen Silhouetten zweier Schiffe auf, über ihnen, wie Wattebäuschchen, qualmender Rauch.

»Da sind sie ja«, sagte der Kapitän befriedigt. »Drei Windstriche nach West! – Jetzt rechnen wir ab …«

Bald würde man den Infrarot-Aufklärer nicht mehr brauchen. Die Schiffe waren jetzt im Bereich des Bildwerfers.

Eines dieser Schiffe war die prächtige Idzumo, ein moderner Kreuzer von fünfzehntausend Tonnen. Der Kapitän erkannte ihn sofort. In einiger Entfernung vom Kreuzer erhob sich aus den Wellen ein riesiger Ozeandampfer mit vier Schornsteinen.

»Aufklärer zurücknehmen! Drei Zehntel der vollen Geschwindigkeit!« befahl der Kapitän.

Er drückte auf einen Knopf neben einem kleinen ovalen Bildschirm unterhalb des Steuerpults. Auf dem Bildschirm erschien der Gefechtsstand der Ultraschall-Bugkanone. Tschishow, der dicke Chefakustiker, saß in seinem Drehsessel. Vor ihm leuchtete die Fläche eines Bildschirms mit den scharfen Umrissen des Kreuzers und des Dampfers und zahlreicher Kutter, Rettungsboote und Schaluppen, die zwischen den beiden Schiffen hin und her flitzten. Hoch am Himmel kreiste wie ein Raubvogel ein großes weißes Flugzeug mit grellroten Ringen unter den Tragflächen.

»Alle Mann gefechtsbereit!«, befahl der Kapitän mit heller Stimme. »Angriffsziel: der Kreuzer! Schallfrequenz: Metall! Nur Metall! Menschen schonen!«

»Zu Befehl! Nur Metall!«, bestätigte Tschishow und machte sich an der Kanone zu schaffen.

»Schiffsboden bis zur Wasserlinie beschießen! Mit halber Fahrt voraus! Achtung!«

In fünfhundert Meter Tiefe näherte sich das U-Boot geräuschlos dem Panzerkreuzer, dessen Geschützrohre nach allen Seiten gerichtet waren.

Auf dem Bildschirm sah man deutlich Marineinfanterie an Deck und einige Offiziere, die von der Kommandobrücke aus den Ozean beobachteten.

Auf dem Dampfer zogen steuerbord zwei Hebewinden ein breites Metallnetz mit leeren, großen Maschen aus dem Wasser und rollten es zusammen … Man konnte sehen, dass auch backbord zwei Winden das Gleiche taten. Es war klar: Der Dampfer – der schwimmende Stützpunkt des Kreuzers – barg die Reste des Torpedonetzes.

»Stop!«, befahl der Kapitän; das U-Boot blieb unbeweglich liegen. »Achtung! Schall!«

Der Gefechtsstand der Ultraschall-Bugkanone, der Steuerraum und gleich darauf das ganze U-Boot waren von einem tiefen, melodischen Summen, wie vom Geräusch einer riesigen Dynamomaschine, erfüllt.

Im ersten Augenblick änderte sich nichts am Aussehen des Kreuzers. Die Ultraschallkanone schoss zunächst mit halber Leistung.

Plötzlich entstand unter den Offizieren auf der Kommandobrücke Bewegung. Sie verließen fluchtartig die Brücke und liefen aufs Deck. Bug und Heck des Kreuzers hoben sich langsam, die Schiffsmitte sackte allmählich ab, und die eleganten geraden Linien der Deckaufbauten krümmten sich bogenförmig. Auf dem Schiff brach eine Panik aus.

Das ganze Kriegsschiff – vom Kiel bis zur Radioantenne war deutlich auf dem Bildschirm des U-Bootes zu sehen. Der Kapitän und der Oberleutnant beobachteten, wie die Mitte des Unterwasserteils des Kreuzers sich dehnte und auseinander- strebte. Kaum eine Minute nach dem Beschuss bog sich die ganze dem U-Boot zugewendete Schiffswand plötzlich nach außen und platzte dann wie eine riesige Blase. Ungeheure Wassermassen ergossen sich in das Schiffsinnere, in Maschinenräume und Munitionskammern.

Der Mittelteil des Kreuzers sackte immer mehr ab. Der Ozean ließ sein Opfer – den herrlichen Kreuzer, den Stolz der kaiserlichen ostasiatischen Flotte – nicht mehr aus seinen Fängen.

»Schall einstellen!« Der Kapitän wandte sein bleiches Gesicht dem Oberleutnant zu und bemerkte: »Man muss den Menschen Zeit lassen, in die Rettungsboote zu gehen.«

Der Kreuzer versank langsam in den Fluten, Bug und Heck bäumten sich immer höher empor. Kutter, Motorboote und Schaluppen füllten sich mit der Schiffsmannschaft. Von allen Seiten eilten zahlreiche kleine Wasserfahrzeuge, die bisher in der Ferne gekreuzt hatten, zum sinkenden Kriegsschiff. Vom Ozeandampfer kamen Rettungsboote herangerudert.

Der Bordfunker stand in der Tür mit Funksprüchen in der Hand.

»Was gibt’s?«, fragte der Kapitän.

»Der Kreuzer Idzumo sendet ununterbrochen SOS-Rufe. Er sinkt und gibt an, dass die rechte und linke Schiffswand aus unerklärlichen Gründen zerfließen und Wasser ins Schiffsinnere dringt.«

»Gut, nehmen Sie weitere Funksprüche auf.«

Der Kapitän schaute wieder auf den Bildschirm. Alle Decks waren jetzt menschenleer. Nur die einsame untersetzte Figur des Schiffskommandanten stand unbeweglich auf der oberen Brücke. Jetzt legte er salutierend die Hand an die Mütze. Die kleinen Wasserfahrzeuge um das langsam sinkende Kriegsschiff strebten fächerförmig in die offene See.

»Gut«, sagte der Kapitän. »Alle anderen haben das Schiff verlassen.« Dann befahl er mit klarer Stimme dem Chefakustiker- »Schall! Mit höchster Wirkung!«

Eine halbe Stunde später befand sich die Pionier in voller Fahrt nach Süden; sie war in tiefere Regionen getaucht. Durch Funkspruch wurden alle Mitglieder der Schiffsbesatzung, die während der Schlacht nicht an Bord gewesen waren, zusammengerufen.