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Jimmy Spider – Folge 41

Jimmy Spider und das tödliche Einhorn

Es gibt viele verschiedene Sorten von Bösewichten: Den wahnsinnigen Superverbrecher; den wiederkehrenden, meist ausgelutschten und einfach nur nervigen Handlanger; den liebgewonnenen Psychopathen von nebenan oder auch die durchgeknallten Einzeltäter, die nackt singend in einer einsamen Höhle um einen sprechenden Baumstumpf tanzten. Hin und wieder bekam ich es aber auch mit tierischen Gegenspielern zu tun, nämlich dann, wenn das Veterinäramt am Verzweifeln war.

Nun, in diesem Fall hatte mich nicht das örtliche Veterinäramt, sondern der deutsche Geheimdienst, besser gesagt eine geheime Abteilung des BKA, auf den Plan gerufen. Mein guter Bekannter Hans Olo hatte einen Notruf einer Naturforscherin erhalten, die als Einzige ihrer dreiköpfigen Gruppe eine Begegnung mit einem höchst eigentümlichen Wesen überlebt hatte – einem Einhorn. Man sollte es nicht glauben.

Heutzutage herrschte die Meinung vor, jene Wesen wären rein der Fantasie mittelalterlicher Dichter entsprungen, die augenscheinlich zu viel Zeit hatten. Gefundene Hörner sollten demzufolge nicht von einem Pferd, sondern einem kleinen, glitschigen Wal stammen. Anscheinend hatte sich die Wissenschaft da mal wieder getäuscht.

Warum sich das ominöse Einhorn ausgerechnet den Rheingau ausgesucht hatte, um nach Jahrhunderten des Versteckspiels sich den Menschen zu offenbaren und dabei gleich mordend durch die Wälder zu ziehen, würden wir vielleicht nie erfahren. Außer wir fragten es. Aber an einer Unterhaltung mit einem Einhorn war ich ungefähr so interessiert wie an einer Zahnwurzelbehandlung in der Hölle.

Der Weg, den wir zwischen den Rebstöcken hinaufschritten, stieg steil an, sodass mein leicht übergewichtiger Begleiter bereits den einen oder anderen Schweißtropfen von der Stirn hatte wischen müssen.

»Warum musste dieses verdammte Einhorn auch unbedingt da oben auftauchen?«, murmelte Hans Olo. »Warum nicht direkt am Rhein? Dieses Vieh will mich nur quälen.«

»Vielleicht wollte es ein Zeichen setzen, damit du mehr Sport treibst.«

»Ha ha. Immerhin habe ich Turnschuhe an, das ist schon ziemlich sportlich.«

»Die hast du doch immer an.«

Während der Kommissar abwinkte, konzentrierte ich mich wieder auf die Umgebung. Irgendwo dort oben, am Kamm des Hanges, hatte das Einhorn das Forschertrio überfallen und zwei von ihnen mit seinem Horn erstochen. Ihre Leichen mussten noch immer dort liegen, falls sich das Einhorn nicht an ihrem Fleisch gütlich getan hatte. Von irgendetwas musste dieses Vieh schließlich leben, wenn es nicht gerade reife Reben futterte.

»Warum noch mal haben deine Leute die Leichen eigentlich nicht abgeholt?«, fragte ich meinen deutschen Freund.

»Warum wohl? Solche Fälle werden sofort an Stellen abgeschoben, die sie nicht mehr zurückschieben können. Außerdem hat sich kein Beamter da hoch getraut.«

»Und da hast du natürlich sofort an mich gedacht.«

»Klar. Die TCA hat doch sonst nichts zu tun, oder? Außerdem hab ich dich vermisst.«

Ich tippte mir an die Stirn. Endlich hatten wir die Spitze des Hügels erreicht. Bei einem Rundblick erkannte ich, dass sich nicht weit entfernt ein Parkplatz befand, auf dem zwei Geländewagen standen.

»Das darf doch nicht wahr sein!«, entfuhr es Olo. Beinahe schien es, als würde der Kommissar den Hang ohnmächtig wieder hinunterkullern, aber im letzten Moment fing er sich und setzte sich auf einen großen Stein. Sein Kopf glühte wie eine glühende Glühbirne. Immerhin hatte er auf seinen heißgeliebten Schlapphut verzichtet.

Von dem Einhorn war noch immer nichts zu sehen. Wahrscheinlich lachte es sich gerade hinter einem Baumstamm über meinen Partner und mich kaputt. Oder es sonnte sich irgendwo und wartete darauf, dass weitere Forscher vorbeikamen. Diese Berufsgruppe lebte gefährlich, vor allem in der freien Natur.

Ächzend stand Olo wieder auf. »Okay, jetzt geht es wieder.«

»Sicher?«, fragte ich. »Soll ich nicht doch noch einen Rettungshubschrauber rufen?«

»Später vielleicht. Hast du schon etwas von unserem gehörnten Freund gesehen?«

»Nein.«

Ich ging etwas näher an den Waldrand heran. Für die saftigen Trauben hatte ich keinen Blick. Schon allein deshalb, weil ich mich nicht sonderlich für Wein interessierte. Mein Einsatzkoffer lag leider weit weg in Olos Wagen, sonst hätte ich mir vielleicht einen kühlen Schluck Wodka gegönnt.

Da ich jederzeit mit einem Angriff des mordenden Einhorns rechnete, zog ich meine Desert Eagle. Anlocken konnte ich damit den finsteren Waldbewohner allerdings auch nicht. Das Einhorn blieb im Schutze der Bäume verborgen. Falls es überhaupt noch da war. Vielleicht hatte es sich längst in eine der zahlreichen Gutsschänken abgesetzt und schlürfte einen guten Riesling. Wenn Wein im Spiel war, geschahen schließlich die wunderlichsten Dinge.

Auch Hans Olo hatte mittlerweile seine Waffe gezogen. Immer wieder zog er Luft tief durch die Nase ein. »Riechst du das auch?«

Ich versuchte, die Gerüche der Umgebung aufzunehmen, doch ohne Erfolg. Meine Nase war zudem leicht verstopft. Wahrscheinlich hatte ich mir bei meinem Kurzausflug nach Schweden eine leichte Erkältung geholt. Schließlich schüttelte ich nur den Kopf.

»Es riecht nach Pferdemist.«

»Aha.«

Seinem ausgeprägten Geruchssinn folgend trat Olo in den Wald hinein und schob dabei einige Büsche zur Seite. Ich folgte ihm und behielt dabei die Umgebung im Blick. Nach einigen Schritten bereits machten wir die Quelle des Gestankes ausfindig. Ein recht hoher Haufen Pferdemist breitete sich neben einer alten Eiche aus. Ein Mistkäfer versuchte gerade verzweifelt, eine aus den Exkrementen geformte Kugel über den Waldboden zu rollen. Allerdings blieb das Tier irgendwie hängen, wurde von der rollenden Kugel mitgerissen und zerquetscht. Damit hatte dieser Fall schon das dritte Opfer gefordert.

»Immerhin wissen wir jetzt, dass das Einhorn noch da ist. Der Misthaufen dampft noch.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Du bist der Experte.«

Ich erntete einen bösen Blick des Kommissars, der mich jedoch nicht weiter störte. Stattdessen ging ich an dem Misthaufen vorbei und nahm die Umgebung in Augenschein. Die Bäume rings herum standen relativ dicht, und auch das Buschwerk ließ kaum einen weitschweifenden Blick zu. Vielleicht sollte ich mal an einen der Bäume klopfen und nach Jotan fragen, letztlich besann ich mich aber doch auf meine weltlichen Fähigkeiten. Ob der Gott einer schwedischen Höhle nach der Sprengung eben jener überhaupt noch existierte, stand sowieso in den Sternen. Oder in den Baumstümpfen.

»Ich glaube, ich habe ein paar Hufabdrücke entdeckt«, holte mich Olo wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Das ist ja nun nicht so überraschend.«

»Das nicht, aber vielleicht können wir ihnen folgen.«

»Bist du jetzt unter die Fährtenleser gegangen?«

Olo grinste mich an. »Ich war mal Pfadfinder.«

»In einem anderen Leben, nehme ich an.«

Sein Grinsen verschwand. »Hör endlich auf, dich über mich lustig zu machen!«

»Mach ich doch gar nicht.«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte er und begann, der Fährte zu folgen. Sie führte uns immer tiefer in den Wald hinein. Außer Jägern, Pilzsammlern und lebensmüden Naturforschern verirrte sich sicher niemand in diese Gegend. Dementsprechend wenigen Passanten begegneten wir bei unserem unfreiwilligen Waldspaziergang.

Als Hans Olo plötzlich stoppte, wusste ich, dass wir wahrscheinlich unser Ziel erreicht hatten. Wenige Meter vor uns befand sich ein etwa ein mal ein Meter großes Erdloch, aus dem kaum wahrnehmbar ein Horn herausragte. Anscheinend hielt das Einhorn gerade seinen Mittagsschlaf, denn an unsere Ohren klang ein leises Schnarchen. Von den toten Forschern war nichts zu sehen, aber zumindest entdeckte ich im frischen Laub einige Blutspuren.

Automatisch fragte ich mich, wie das Vieh so lange unentdeckt in diesem Loch hatte leben können. So tief im Wald waren wir, als dass nicht mal jemand sich zum Austreten, Jagen oder zum Abladen einer Leiche hierher verirrt hatte. Vielleicht hatten aber auch die Naturforscher etwas damit zu tun. In der Nähe entdeckte ich eine herrenlose Schaufel. Möglicherweise hatten die Forscher einen geheimen Zugang freigelegt und so das Einhorn zu neuem Leben erweckt. Oder die Schaufel hatte ein irrer Serienmörder irgendwann hier vergessen.

Vorsichtig näherte ich mich dem Loch. Dabei achtete ich nicht genau genug auf meine Füße und trat auf einen Ast, der natürlich so laut knackte, wie er nur knacken konnte. Wie ein weißer, überdimensionaler Flummi schoss das Einhorn aus dem Loch hervor und baute sich nur wenige Meter vor mir auf. Außer dem etwa armlangen, geschwungenen Horn auf seiner Stirn unterschied es sich nicht von einem normalen Schimmel. Aus den Nüstern des Tieres drang grauer Dampf. Die Augen fixierten mich regelrecht.

»Wohl schlecht gefrühstückt, oder?«, fragte ich.

Als Antwort erhielt ich ein wütendes Wiehern. Im nächsten Moment schoss das Tier auf mich zu. Da ich nicht als Spießbraten enden wollte, sprang ich zur Seite, überrollte mich und kam neben einem morschen Baumstamm wieder auf die Beine.

Noch zögerte ich, meine Desert Eagle einzusetzen. Immerhin wollte ich nicht als derjenige in die Geschichtsbücher eingehen, der die Einhörner endgültig ausgerottet hatte. So unfreundlich dieses Exemplar vor mir auch sein mochte.

Nachdem es mich verfehlt hatte, wirbelte das Einhorn herum und galoppierte erneut auf mich zu. Dabei riss es sogar sein Maul auf und präsentierte seine langen, spitzen Zähne, an denen sogar noch Blut- und Fleischfetzen hingen. Dass diese Spuren nicht von einer zarten Rinderlende stammten, konnte ich mir auch ohne DNA-Untersuchung zusammenreimen.

Wieder schwang ich mich im letzten Moment zur Seite, doch diesmal streifte mich das Tier leicht, wodurch ich zu Boden geschleudert wurde. Das Tier erkannte sofort seine Chance, senkte sein Horn und trabte drohend auf mich zu.

Ich war schon kurz davor, dem Einhorn eine Kugel in den Kopf zu jagen, als plötzlich Hans Olos Stimme erklang. »Liebes Pferdchen. Komm, Happi Happi!«

Zunächst dachte ich, in der Nähe wäre Gas ausgetreten und ich halluzinierte, aber als der Kommissar seine Aufforderung wiederholte, wusste ich, dass er es ernst meinte. Und tatsächlich wandte sich das Einhorn von mir ab und trabte auf ihn zu.

Als ich mich aufrichtete, sah ich, wie Olo dem Einhorn eine Möhre entgegen hielt. Genüsslich biss das Tier die Spitze ab und verschlang schließlich auch den Rest der Möhre. Danach strich es an dem Kommissar vorbei wie an einem guten Freund und ließ sich sogar von ihm streicheln. »Ja, du bist ein braves Einhorn, nicht wahr?«

Als wäre die Situation nicht schon peinlich genug, leckte das Einhorn Olo auch noch das Gesicht ab.

»Sieht aus, als hättest du einen neuen Freund gefunden«, rief ich meinem deutschen Freund zu.

»Er steht anscheinend auf Gemüse.«

»Nicht nur. Warum hast du eigentlich eine Möhre dabei?«

»Meine Frau will unbedingt, dass ich mehr Gemüse esse. Deshalb steckt sie mir immer eine Möhre in die Jacke.«

Nun, das war eine Erklärung, die man erst einmal sacken lassen musste. Vielleicht sollte ich demnächst auch frisches Gemüse in meinen Einsatzkoffer packen.

Als sich das Einhorn neben Olo auf den Boden legte und seinen Rücken eng an den Kommissar kuschelte, wusste ich, dass der Fall endgültig gelöst war. Was mit dem Tier weiter geschehen würde, war nicht mehr in meiner Verantwortung. Vielleicht würde Olo es als Haustier behalten, verfressen, wie es war, würde es zu ihm passen. Ich dagegen streifte mir das Laub vom Jackett, steckte mir zufrieden eine Zigarre an und ging davon.

ENDE