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Curumilla – Erstes Buch, Kapitel 8

Gustave Aimard
Curumilla
Eine Abenteuergeschichte aus dem Jahr 1861
Kapitel 8 – Der Abgesandte

Nach beendeter Wahl verlief in der Kolonie, wenigstens dem Anschein nach, alles wieder wie gewohnt.

Dem war aber in Wahrheit nicht so.

Der Graf von Lhorailles hatte die Hoffnungen der Abenteurer, die sein entschlossener und unternehmender Sinn versammelte, mit in sein Grab genommen.

Nach seinem Tod mussten die Dinge eine andere Wendung nehmen und Schwierigkeiten entstehen.

Die mexikanischen Behörden, denen nur der unbeugsame Wille des Grafen ein scheinbares Wohlwollen abgezwungen hatte, obwohl sie die Ansiedelung der Kolonisten auf dem Grund und Boden der Republik nie mit günstigen Blicken angesehen hatten, fingen nun, wo sie die Rache des Mannes, den sie fürchten gelernt, sobald sie ihn kennengelernt hatten, nicht mehr zu gewärtigen hatten, verstohlen an ein System kleiner Ärgernisse zu verfolgen, das schon begann, die Lage der Franzosen schwierig zu machen und sie bald ganz unerträglich machen musste, wenn Letztere nicht zu einem energischen Mittel griffen, um ihrer Lage, die täglich schwieriger wurde, eine andere Wendung zu geben.

Andererseits war zwar die Kolonie von der Küste entfernt genug, dennoch drangen je zuweilen die Gerüchte, die in der Welt kursierten, zu ihnen.

Es zogen Truppen von Auswanderern durch Guetzalli, die alle nach Kalifornien wollten.

Jene Auswanderer, die Gambusinos oder mexikanische Abenteurer waren, träumten von nichts anderem als von unerschöpflichen Goldfeldern und ungeheuer ergiebigen Minen.

Das Goldsieben, jene schreckliche Krankheit, welche die Engländer mit dem kräftigen Namen Das gelbe Metallfieber richtigerweise bezeichnen, hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Aus allen Ecken der Welt strömten Abenteurer, die aus Europäern, Asiaten, Afrikanern, Amerikanern und Ozeaner bestanden, wie Schwärme unheilvoller Heuschrecken herbei, um sich auf dem Land niederzulassen, auf welchem sie nach unsäglichen Leiden untergehen sollten.

Es war ein gottloser Kreuzzug der niedrigen Begierden und das Feldgeschrei lautete: »Gold! Gold!«

Die Menschen, welche ihr Vaterland, ihre Familien, kurz alles verließen, kannten nur einen Wunsch, nur ein Verlangen: Gold, immer mehr Gold zusammenzuscharren.

Es war ein widriger Anblick.

Solche Züge folgten sich rasch aufeinander in der Kolonie. Sie blickten unverwandt in die Ferne und hatten auf alle Fragen nur eine Antwort: Kalifornien, Goldminen.

Zur Erlangung jenes vornehmsten aller Metalle war ihnen jedes Mittel recht und nichts konnte sie daran hindern. Sie waren zu allem bereit, sowohl zu den größten Verbrechen als auch zu den niederträchtigsten Betrügereien und schändlichsten Gemeinheiten.

Unglücklicherweise für die Kolonie gehörten die durchwandernden Abenteurer zu den unwissendsten, verderbtesten und rohesten Bewohnern Mexikos.

Die Franzosen, deren ursprüngliches Ziel auch die Ausbeute der Minen war, fühlten das Verlangen in sich erwachen, nach dem verlassenen Eldorado zurückzukehren, um ihren Anteil an der Beute zu fordern.

So stark sich auch ein Mensch zu Unrecht etwas einbilden mag, wird er doch nicht ungestraft das Wort Gold fortwährend vor seinen Ohren ertönen hören.

In der Zusammenstellung der wenigen Buchstaben liegt ein gewaltiger und unbegreiflicher Reiz, der die Habsucht anregt und alle bösen Neigungen erweckt.

Die Kolonisten von Guetzalli waren ehrliche, arglose Abenteurer, und die meisten von ihnen hatten Europa verlassen, um sich in dem Wunderland, von dem man fabelhafte Dinge erzählte, rasch zu bereichern.

Der Graf hatte einen solchen Einfluss über sie zu gewinnen gewusst, dass sie sich schweigend in die Lage fügten, die er ihnen angewiesen hatte. Allmählich siegte die Macht der Gewohnheit, und wenn sie ihre früheren Wünsche auch nicht vergessen hatten, betrachteten sie diese jedoch wie schöne Träume und unerreichbare Truggestalten.

Die früheren Ereignisse und der ungeheure Glanz, der den Namen Kalifornien plötzlich umgab, waren dazu geeignet, den Träumen plötzlich Gestalt zu verleihen und die Habgier der Kolonisten aufs Höchste zu reizen.

Charles de Laville beobachtete die Fortschritte, welche die Entsittlichung unter seinen Kolonisten machte, mit Schrecken. Er war sich innerlich bewusst, dass der Feind, den er bekämpfen müsse, um wieder Macht über seine Gefährten zu gewinnen, der alte Drang zu Abenteuern war, der im Grunde ihrer Herzen gärte und ihnen das ruhige friedliche Leben, welches sie führten, verhasst machte, während sie sich zugleich heimlich und fast unbewusst nach einem bewegten und wechselvollen Leben sehnten.

Wer vermag den seltsamen Widerspruch im Menschenherzen zu erklären, vermöge dessen dieselben Leute, welche mit leidenschaftlichem Verlangen und um jeden Preis nach Gold trachten, ja, das furchtbarste Elend ertrugen, um sich dessen Besitz zu sichern, sehr häufig keinen Wert auf das heiß begehrte Metall legten, sobald sie es besahen. Häufig verachteten sie es und vergeudeten es am Spieltisch oder an noch verrufeneren Orten. Man hätte glauben sollen, dass das so mühsam erworbene Gold sich in ihrer Hand zu glühendem Feuer verwandele, das sie nicht schnell genug von sich werfen konnten.

Diese Bemerkung konnte man besonders bei den Franzosen häufig machen. In ihren Augen hatte das Gold nur in sofern Wert, als es ihnen Mühe gekostet hatte, es zu erlangen.

Sie waren echte Abenteurer im eigentlichen Sinne des Wortes, und was ihnen das Gold begehrenswert machte, war nicht der Reichtum an und für sich, sondern der Kampf und der Aufwand von Mut und Energie, dessen es bedurfte, um es zu erwerben.

Charles kannte den Charakter der Leute, die unter seiner Leitung standen, genau. Er wusste, dass er ihrem Tatentrieb nur irgendein anderes Feld anzuweisen brauchte, um sie bei sich zu behalten. Er musste ihre rege Fantasie beschäftigen und dem Herzen und Geist jener außergewöhnlichen Männer Nahrung bieten.

Wie sollte er das anfangen und welches Mittel konnte er anwenden?

Darüber zerbrach sich Charles vergeblich den Kopf. Es wollte kein leuchtender Funke in seinem Geist aufblitzten und kein Licht aufgehen.

Zu der Zeit kamen zwei Franzosen, welche den Grafen auf seinem letzten Zuge begleitet hatten und die man schon lange für tot hielt, nach Guetzalli zurück.

Jedermann war überrascht, als sie bleich, abgezehrt, halb nackt und wankenden Schrittes ankamen. Das Erstaunen steigerte sich aber, als sie zwei Tage nach ihrer Rückkehr, nachdem sie sich unter sorgfältiger Pflege soweit erholt hatten, dass sie reden konnten, anfingen, ihre ans Fabelhafte grenzenden Abenteuer zu erzählen.

Folgendes ist der kurz zusammengefasste Inhalt ihrer Erlebnisse:

Der furchtbare Sturm, welcher die Truppe des Grafen überfiel, überraschte sie in ziemlicher Entfernung von dem Ort, wo ihre Kameraden eine Zuflucht gesucht hatten und machte es ihnen unmöglich, zu diesen zurückzukehren.

Sie hatten sich, so gut es anging, gegen den Sturm zu sichern gesucht. Als sich dieser endlich gelegt hatte, sahen sie mit Schrecken, dass alle Spuren verschwunden waren.

Vor, hinter und um sie her dehnte sich düster, öde und trostlos die Wüste aus. So weit ihr Auge reichte, sahen sie nichts weiter als Sand.

Sie hielten sich für verloren, fühlten sich von Verzweiflung erfasst und sanken mit dem Entschluss zu Boden, den Tod zu erwarten, der ihrem Elend ohne Zweifel bald ein Ende machen würde.

So blieben sie nebeneinander, gesenkten Hauptes und mit glanzlosen Augen liegen und überließen sich der tiefen Trostlosigkeit, die sich der stärksten Menschen bemächtigt, wenn sie von großem Unglück betroffen werden und die sie des Selbstbewusstseins und der Fähigkeit zu denken beraubt.

Sie wussten nicht zu sagen, wie lange der Zustand dauerte. Sie lebten und fühlten nicht mehr, sondern vegetierten nur. Das plötzliche Erscheinen einer Truppe Indianer entriss sie diesem leblosen Zustand. Es waren Apachen, die mit furchtbarem Geschrei und drohend geschwungenen Waffen um sie herumjagten.

Die Indianer bemächtigten sich ihrer, ohne dass sie den geringsten Widerstand geleistet hätten, und führten sie zu einem ihrer Atepelt oder Dorf, wo sie die Indianer zur schmachvollen und erniedrigendsten Sklaverei zwangen.

Bald erwachte aber die schlummernde Energie im Herzen der beiden Abenteurer, und sie bereiteten mit Geduld, Geschicklichkeit und unglaublicher Verschwiegenheit alles für ihre Flucht vor.

Wir wollen nicht näher auf die Art und Weise eingehen, wie es ihnen endlich gelang, sich der Aufsicht ihrer Wächter zu entziehen und nach endlosen Kreuz- und Querzügen in die Kolonie zurückkamen, wo sie gänzlich erschöpft und halb verhungert ankamen, um uns gleich den wichtigsten Punkt ihrer Erzählung zuzuwenden.

Die beiden Männer versicherten den Kolonisten, dass das Dorf, zu welchem sie die Apachen gebracht hatten, kaum einen Büchsenschuss von einem unglaublich reichen Goldfeld entfernt sei und dasselbe außerordentlich leicht auszudeuten gehe, weil das Metall fast zutage liege. Sie brachten zum Beweis der Wahrheit ihrer Behauptung mehrere Stücke des feinsten Goldes mit, die es ihnen gelungen war, sich zu verschaffen und boten sich an, diejenigen Abenteurer, die sich ihrer Führung anvertrauen wollten, zu jenem Goldfeld zu führen, das kaum zehn bis zwölf Tagereisen von der Kolonie entfernt sei, und gaben ihnen die Versicherung, dass die reiche Beute, welche sie dort finden würden, sie für ihre Mühe tausendfach belohnen werde.

Diese Erzählung erregte die Teilnahme der Kolonisten in hohem Grade, besonders aber widmete Charles de Laville dieser die ernsteste Beachtung. Er ließ die Männer ihre Geschichte mehrfach wiederholen, doch blieben sie unabänderlich bei ihrer ersten Aussage.

Der Capitaine hatte endlich das so lange und vergeblich gesuchte Mittel gefunden. Er konnte versichert sein, dass ihn seine Gefährten nicht nur nicht verlassen, sondern ihm in allem blindlings gehorchen würden, was es ihm gefiele, anzuordnen.

Noch am selben Tag kündigte er den Kolonisten an, dass er gewillt sei, mit einer Truppe zur Entdeckung des Goldfeldes auszurücken, aus dessen Nähe er die Indianer vertreiben und dessen Schätze er, zum Nutzen sämtlicher Mitglieder der Kolonie ausbeuten wolle. Diese Nachricht wurde mit Jubel aufgenommen.

De Laville schritt sofort zur Verwirklichung seines Planes.

Die Zahl der Kolonisten war durch häufige Desertionen sehr verringert worden. Indessen zählte Guetzalli noch immer ungefähr zweihundert Franzosen.

Es war für die Goldsucher von der größten Wichtigkeit das Bestehen der Kolonie zu sichern, indem es der einzige Ort war, wo sie von der Mine aus Verstärkung und Lebensmittel beziehen konnten. Denn Guetzalli war, wie schon früher erwähnt wurde, der äußerste Vorposten der Zivilisation und befand sich an der Grenze der Wildnis.

Jene Lage, welche man anfangs gewählt hatte, um die Indianer leichter zurückschlagen und sich ihren periodischen Einfällen auf mexikanisches Gebiet wirksamer widersetzen zu können, wurde im gegenwärtigen Fall für die Abenteurer unschätzbar, indem sie dadurch in die Situation versetzt wurden, sich ohne andere Hilfe als ihre eigene mit allem zu versehen, dessen sie bedurften. Auch wurde es ihnen auf diese Weise möglich, die Entdeckung des Goldfeldes lange genug geheim zu halten, um die mexikanische Regierung trotz ihrer Habsucht zu verhindern, sich einzumischen und gewohnter Maßen den Löwenanteil an sich zu reißen.

Der Capitaine wollte daher die Kolonie nicht ganz entvölkern, damit sie imstande sei, ihr Ansehen zu behaupten und sich gegen einen Angriff der Apachen oder Comanchen, jenen unerbittlichen Feinden der Weißen, die stets auf der Lauer liegen und den geringsten Fehler benutzen, um sie zu überfallen. De Laville bestimmte daher, dass die zu dem Unternehmen bestimmte Truppe aus achtzig gut berittenen und bewaffneten Männern bestehen sollte und die übrigen zum Schutz der Kolonie zurückzubleiben hätten.

Um ferner jede Eifersucht und Feindseligkeit unter den Leuten zu verhindern, erklärte der Capitaine, dass durch das Los entschieden werden solle, wer den Tross zu den Goldminen mitzumachen habe.

Dieses Mittel, welches alle zufriedenstellte, fand echte Anerkennung. Man schritt daher zur Ziehung der Lose.

Diese wurde auf sehr einfache Weise durchgeführt. Der Name jedes Abenteurers wurde auf ein Stück Papier geschrieben, zusammengerollt und in ein Gefäß geworfen, worauf ein Kind beauftragt wurde, die gezogenen Namen zu verlesen. Die achtzig, welche zuerst gezogen wurden, waren bestimmt, um zu den Goldvorkommen zu ziehen. Dieses Verfahren war außerordentlich einfach und besonders unparteiisch, und niemand konnte sich beklagen.

Es geschah alles, wie es angeordnet war. Der Zufall begünstigte den Capitaine, wie es bei ähnlichen Fällen häufig geschieht, indem die unternehmendsten und energischsten Männer zu seinen Begleitern bezeichnet wurden.

Nun ging man eifrig daran, die Vorbereitungen zur Abreise schnell zu beenden. Man sammelte Vorräte aller Art ein, sorgte für Maultiere und versah sich mit den nötigen Gerätschaften, um die Minen auszubeuten.

So große Anstrengungen der Capitaine auch entwickelte, verging doch fast ein Monat, ehe alles bereit war.

Die furchtbare Katastrophe, deren Opfer der Graf von Lhorailles geworden war und das ihm in der großen Wüste Del-Nort zugestoßen, war für den Capitaine de Laville, der diese mit seinen Leuten auch durchziehen musste, eine ernste Warnung, größte Vorsicht an den Tag zu legen und nichts dem Zufall zu überlassen.

Er beachtete daher keineswegs die Ungeduld seiner Gefährten, die ihn drängten, sich zu beeilen, sondern beaufsichtigte den Bau der Gepäckwagen mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit, ja es entging ihm kein noch so geringfügiger Umstand, denn er wusste, dass ein, wenn auch nur kurzer Aufenthalt in der Wüste, sei es durch den Verlust einer Schraubenmutter, das Brechen einer Deichsel oder das Reißen eines Stranges verursacht seiner Truppe das Leben kosten könne.

Endlich war alles bereit und der Tag der Abreise bestimmt. Die Truppe sollte binnen achtundvierzig Stunden Guetzalli verlassen, als gegen fünf Uhr abends, da der Capitaine von einer letzten Musterung der bereits gepackt im Hofe stehenden Wagen zurückkehrte, die auf der Landenge aufgestellte Wache die Ankunft eines Fremden verkündete.

So bald man sich überzeugt hatte, dass der Fremde ein Weißer sei, der die Uniform eines hochgestellten mexikanischen Offiziers trug, befahl der Capitaine, dass man ihn einlasse.

Die Barriere wurde sofort geöffnet und der Oberst, denn der Fremde trug die Abzeichen dieser Würde, betrat Guetzalli, gefolgt von zwei Lanceros, die ihm als Begleitung dienten und einem Maultiere, das sein Gepäck trug.

Der Capitaine kam ihm entgegen.

Der Oberst stieg ab, warf einem der Lanceros die Zügel seines Pferdes zu und begrüßte den Capitaine höflich, der seinen Gruß freundlich erwiderte.

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«, fragte er den Fremden.

»Ich bin,« antwortete jener, »Oberst Vicente Suarez, Adjutant des Generals Don Sebastian Guerrero, des Gouverneurs der Provinz Sonora.«

»Ich freue mich des Zufalles, Señor Don Vicente, der mir das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft verschafft. Sie werden von der langen Reise ermüdet sein und ich hoffe, dass Sie einige einfache Erfrischungen annehmen werden.«

»Das nehme ich von Herzen an, Caballero,« antwortete der Oberst mit einer Verbeugung, »und zwar um so lieber, als ich so eilig hergekommen bin, dass ich mir seit meiner Abreise von Pitic nicht gestattet habe, auszuruhen.«

»So, kommen Sie von Pitic?«

»Geradeswegs, ich bin nicht weniger als vier Tage unterwegs.«

»Dann müssen Sie sehr ermüdet sein, denn die Entfernung ist groß, und Sie sind, wie Sie mir die Ehre erwiesen, mir zusagen, sehr schnell geritten. Wollen Sie mir freundlicherweise folgen?«

Der Oberst verneigte sich schweigend und der Capitaine führte ihn in ein Zimmer, wo allerhand Erfrischungen bereitstanden.

»Setzen Sie sich, Don Vicente,« sagte der Capitaine, indem er seinem Gast einen Sessel anbot.

Der Oberst sank auf die Butaca, die man ihm zurechtrückte, mit einem Behagen nieder, das nur diejenigen begreifen können, die ohne Unterbrechung dreißig Stunden hintereinander auf dem Pferde gesessen haben.

Die Gastfreundschaft, welche man dem Obersten bot, wurde von den untergebenen Offizieren der Compagnie, auch den Lanceros und dem Ariero erwiesen.

Die Unterhaltung zwischen dem Capitaine und seinem Gaste wurde eine Zeit lang unterbrochen.

Der Oberst aß und trank mit einer Hast, welche bei der anerkannten Enthaltsamkeit der Mexikaner unwiderleglich bewies, dass er lange nichts zu sich genommen hatte.

De Laville betrachtete ihn nachdenklich und fragte sich im Stillen, welcher wichtige Grund den General Guerrero bestimmt haben könne, einen so hoch angestellten Offizier wie den Obersten nach Guetzalli zu schicken. Unwillkürlich empfand er einige Unruhe.

Endlich trank Don Vicente Suarez ein Glas Wasser, wischte sich den Mund und wandte sich dem Capitaine zu.

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung«, sagte er, »dass ich Euch Umstände bereite, aber jetzt kann ich gestehen, dass ich halb verhungert war, da ich seit acht Uhr abends nichts gegessen habe.«

Der Capitaine verneigte sich. »Sie werden doch auf keinen Fall heute Abend wieder abreisen wollen?«, fragte er.

»Bitte um Vergebung, Caballero, ich werde womöglich in einer Stunde weiterreiten.«

»So bald?«

»Der General hat mir größte Eile befohlen.«

»Aber Ihre Pferde sind halb totgehetzt.«

»Ich hoffe, dass sie mir andere geben werden.«

Es fehlte in der Kolonie nicht an Pferden. Es waren mehr vorhanden, als die Kolonisten brauchten. De Laville hätte daher die Bitte des Obersten leicht erfüllen können. Dessen Benehmen kam ihm aber so ungewöhnlich vor und er glaubte in seinem Wesen etwas so Geheimnisvolles zu bemerken, dass seine Unruhe zunahm und er antwortete: »Ich weiß nicht, Oberst, ob es mir trotz meines Wunsches, Ihnen gefällig zu sein, möglich sein dürfte, ihrem Wunsche nachzukommen. Pferde sind gegenwärtig hier sehr selten.«

Der Oberst äußerte seine Unzufriedenheit. »Caramba!«, sagte er, »das würde ich sehr bedauern.«

In dem Augenblick öffnete ein Peone leise die Tür und übergab dem Capitaine ein Papier, auf welchem mit Bleistift einige Worte geschrieben waren.

Der junge Mann entschuldigte sich, entfaltete das Papier und las es schnell.

»Ach!«, rief er plötzlich aus, indem er das Papier hastig zerknüllte. »Er ist hier? Was geht da vor?«

»Wie?«, fragte der Oberst neugierig, der den Sinn seiner Worte, die in französischer Sprache gesprochen wurden, nicht verstand.

»Nichts,« antwortete er, »oder wenigstens etwas, was nur mich persönlich betrifft.« Daraufhin wandte er sich zu dem Peonen und sagte: »Ich komme.«

Der Peone grüßte und entfernte sich.

»Oberst,« fuhr de Laville zu seinem Gast gewandt fort, »erlauben Sie mir, Sie einen Augenblick zu verlassen.«

Ohne die Antwort abzuwarten, verließ er rasch das Zimmer, dessen Tür er hinter sich verschloss.

Der Oberst war über diese plötzliche Situation sehr betroffen.

»Oho!«, murmelte er, indem er ohne es zu wissen auf Spanisch dieselben Worte brauchte, deren sich der Capitaine auf Französisch bedient hatte. »Was geht da vor?«

Da es ein echter Mexikaner war, der gern von allem genau unterrichtet sein wollte und besonders gern zu entdecken suchte, was man ihm verbergen zu wollen schien, stand er leise auf, trat an das Fenster, öffnete die Moskitovorhänge und blickte neugierig in den Hof.

Seine Bemühung half ihm aber nichts, denn der Hof war verlassen.

Da kehrte er langsam auf seinen Platz zurück, streckte sich wieder auf die Butaca; drehte nachlässig ein Papelito und murmelte halblaut: »Geduld! Wer warten kann, kommt auch zum Ziel. Früher oder später werde ich die Lösung des Rätsels erfahren.«

Er schien sich durch diese Betrachtung über die ihm widerfahrene Täuschung getröstet zu haben, denn er zündete philosophisch seine Zigarette an und verschwand bald in einer dicken Rauchwolke, die er aus Mund und Nase blies.

Wir wollen den würdigen Obersten ungestört diesem angenehmen Zeitvertreib überlassen, um Charles de Laville zu folgen und dem Leser die Worte zu erklären, die er beim Durchlesen des Papiers ausgestoßen, welches ihm der Peone so unerwartet überreichte.