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Der Welt-Detektiv Band 6

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Im Sande verlaufen

Im Sande verlaufen

Heiß strich der Wind über die wüstenhafte Einöde, die wohl jeden normalen Menschen das Leben kosten würde. Doch die Gestalt, die sich hier Meter um Meter vorwärts schob, musste sich über dererlei Dinge keinerlei Gedanken mehr machen, da sie schon seit mehreren Wochen tot und dies doch auch wieder nicht war. Denn nachdem sie vergeblich versucht hatte, den rechtmäßigen Thronfolger des alten und bereits im Sterben liegenden Pharaos Rhuatep, des II. vor dessen Einsetzung hinterrücks mit Gift zu ermorden und dies zu ihrem Leidwesen noch rechtzeitig genug entdeckt wurde, war ihr Schicksal selbstverständlich besiegelt. Zwar wurde sie noch sorgfältig nach der uralten Kunst des Einbalsamierens präpariert, aber entgegen der vorgeschriebenen Riten einfach nur in einem beliebigen Sandloch verscharrt. Doch niemand im Hofstaate des noch jungen Herrschers hätte auch nur im entferntesten erahnen können, dass der Hohepriester schon etliche Tage davor – als er seinen perfiden Plan zur Übernahme des mächtigen Pharaonenreiches vorzubereiten begann – ein schwarzmagisches Ritual an die alten und bereits seit Generationen verbotenen Götter abgehalten hatte, welches ihm im Falle eines Misserfolges von den Toten wieder auferstehen lassen sollte.

Und so wandert nun sein mumifizierter Leichnam mit vergilbten und im Wind flatternden Stoffbändern aus Leinen schnurstracks durch die Wüste auf die Hauptstadt des Reiches zu, um sämtliche Bewohner derselben seinen unbändigen Zorn spüren zu lassen. Sicher, vielleicht würden sie schon von dem einzigen Überlebenden seines Überfalls auf eine nahe gelegene Oase gewarnt sein. Er – der wieder auferstandene und ehemals höchste Hohepriester des Landes – hatte sie vor einigen Stunden heimgesucht. All ihre Bewohner hatte er niedergemetzelt, doch der tief in ihm brodelnde Hass, der unaufhörlich in seinem Innern vor sich hinschwelte, würde auch den dekadentesten und verkommensten Ort des früheren Großreiches erbarmungslos niederbrennen. Nichts als glühende Steine und rauchende Trümmer sollten von der einstmals so großen Hauptstadt und den darin enthaltenen Palästen des Königs und seiner getreuen Vasallen im Zweistromland übrig bleiben. Die schon bald vergossenen Tränen der Angehörigen der Toten würden flussabwärts den Nil ansteigen lassen und die dortigen Felder überfluten, was zum Verfaulen ihrer Ernte führen sollte. Krankheiten und Tod wären somit die weiteren Folgen des Rachefeldzugs der unaufhaltsamen Mumie, die voller Groll Schritt um Schritt im heißen Sand der hitzeflirrenden Wüste hinter sich brachte und dabei Tod und Verderben, wie ein Krokodil seinen Schwanz, hinter sich herzog.

Und während er langsam und behäbig, aber stetig vor sich hinschritt, tauchten im umnebelten Geist des rachsüchtigen Leichnams erst gänzlich unscharf, dann aber immer klarer werdende Bilder aus seinem vormaligen Leben auf, die ihm aber in seinem jetzigen Geisteszustand zum größten Teil nichts mehr sagten und in ihm – wie nicht anders zu erwarten war – keinerlei Gefühle mehr wecken konnten. Zu lange schon hatte er nicht mehr unter den Lebenden verweilt und doch ließ ihn deren deutlich spürbare Anwesenheit innerlich voller Vorfreude wohlig erschaudern. Wieder würde er unzähligen Bewohnern der alten Reichshauptstadt seine klauenhaften Hände um die dürren Hälse legen und sie solange genüsslich zudrücken, bis ein sattes, schnappendes Geräusch den Bruch des ein oder anderen Kehlkopfes sowie der dahinter liegenden Halswirbel bedeuten würde, wenn nicht gar müsste.

In dererlei Gedanken versunken, wanderte die Mumie des Hohepriesters einsam und verlassen durch die hohen Sanddünen der Wüstenei, als in der Ferne die kalkweißen Mauern der ersten Gebäude am Stadtrand der ägyptischen Metropole auftauchten. Im Hintergrund war ein tiefes Rumpeln und Dröhnen zu hören, welches das sonst so monotone Heulen des Windes abzulösen schien. Ungeachtet dessen schritt Talohm-ha-thotep – wie der ehemalige Priester vormals, vor gar nicht allzu langer Zeit genannt wurde – einen Fuß vor den anderen setzend immer weiter voran. Plötzlich wurde die stets sengende Sonne einen winzigen Augenblick lang verdeckt, was wohl an einem flüchtig aufgetauchten und rasch vorbeigezogenen Schatten eines größeren Vogels vor der Scheibe des Ra lag. Doch die Mauern der Häuser kamen näher und die entsetzten Schreie der Menschen, die dort wohl ihr Heim und Herd hatten, schallten bruchstückhaft zum sich nähernden Tod herüber. Diejenigen, welche ihm auf offener Straße begegneten, blieben stehen, stierten wie entgeistert auf den lebenden Leichnam und zeigten mit den Fingern auf ihn. Der Schrecken, der von ihr ausging, schien ihre Gesichter mit maskenhafter Starre überzogen zu haben, als sich die Sonnenscheibe erneut verdunkelte. Und wieder erschallte ein Donnern, das dieses Mal aber erheblich näher zu sein schien. Der verwesende Körper der Gruftgestalt drehte sich langsam und bedächtig um, als die ersten Tropfen des seit vielen Mondläufen ausgebliebenen Regens zu Boden fielen. Im Kopfe des verstorbenen Ordensmannes begann es zu arbeiten und er versuchte sich bestimmte Dinge wieder in sein geschwundenes Gedächtnis zu rufen, doch wollte ihm dies nicht wirklich gelingen …

Was aber wohl besser gewesen wäre, da der nun immer stärker werdende Regenschauer, der sintflutartig auf den ausgetrockneten Boden und die staubigen Leinenbänder der Mumie niederging. Er wurde sowohl von der nach Wasser lechzenden Erde als auch dem brottrockenen Stoff sofort aufgesogen und verwandelte Mutter Naturs Grund und die staubbedeckten Stoffstreifen binnen Sekunden zu Schlamm und eine derart zähe und klebrige Masse, die sich dann auch mehr und mehr verdichtete. Dies führte schließlich und endlich dazu, dass der untote Racheengel zwar alles weitere, was um ihn herum geschah, sehen, sich steif wie er war aber nicht mehr dagegen wehren konnte … auch nicht mehr dagegen, dass sein Kopf, von der Klinge des Pharaos Erben vom Rumpf abgetrennt, über den Rand eines nun fruchtbaren Ackers rollte und mit leeren Augen, die zum Himmel gerichtet waren, liegen blieb. Und gemächlich kam wieder die strahlende Sonne hinter den sich gerade verziehenden Gewitterwolken hervor.