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Die im Schatten sterben wollten

Die im Schatten sterben wollten

Kreischend sprang der halb nackte Sioux-Krieger auf den Soldaten zu. Der Wilde schwang den Tomahawk und war fest entschlossen, seinem Gegner den Schädel zu spalten.

Lieutenant Thomas Morgan wirbelte herum, legte den Revolver an und drückte ab. Die Kugel zerfetzte die rechte Schädelseite des Angreifers, der nach einem spektakulären Salto auf den sandigen Boden stürzte und mit verdrehten Gliedern liegen blieb.

Keuchend und am ganzen Leib zitternd wandte sich der Offizier von dem grässlichen Anblick des Toten ab und sah bereits den nächsten Feind auf sich zu rennen. Erneut legte er an und betätigte den Abzug. Jedoch löste sich diesmal kein Schuss. Verdammt, die Trommel ist leer, dachte er verzweifelt und wich in letzter Sekunde dem tödlichen Hieb des bemalten Sioux-Kriegers aus. Er schleuderte das nutzlose Schießeisen zur Seite und zog den Säbel, der sich scharrend aus der Scheide löste. Wieder stieß der dunkelhäutige, sehnige Arm mit der blutigen Klinge vor. Bevor das Messer ihn erreichen konnte, holte der Offizier mit dem Säbel weit aus und schlug von einem Aufschrei begleitet zu. Die lange, gekrümmte Klinge schnitt durch Haut, Fleisch und Knochen wie durch Butter. Die geballte Faust, die noch immer den lederumwickelten Messergriff geschlossen hielt, flog durch die Luft. Der Getroffene kreischte und starrte ungläubig auf den Stumpf, aus dem das Blut sprudelte.

Ein Speer sauste am Gesicht des Soldaten vorbei und streifte leicht die gerötete Wange. Erneut wirbelte er herum und erkannte ein Dutzend Indianer, die sich mit ihrem markerschütternden Kriegsgeschrei näherten. Morgan zischte einen Fluch und ergriff die Flucht. Er sprang über Gefallene hinweg und rannte an zwei Kameraden vorbei, die mit ihren Gewehren auf die Verfolger schossen. Ein Pfeil zischte durch die Luft und vergrub sich in der Kehle des ersten Schützen, der mit einem gurgelnden Schrei auf die Knie sackte. Morgan kämpfte verbissen mit zwei Gegnern gleichzeitig, die ihn wie aus dem Nichts ansprangen. Einem rammte er den Ellenbogen ins Gesicht und versuchte gleichzeitig, die Attacken des Zweiten abzuwehren.

»Großer Gott, diese gefiederten Bastarde kommen von allen Seiten!«, rief von irgendwo jemand verzweifelt.

Lieutenant Morgan schrie kurz auf, als der linke Arm von einer scharfen Schneide aufgerissen wurde. Er tötete den Indianer mit dem Hieb seines Säbels und durchbohrte sofort einen zweiten Krieger, ohne auf die blutende Armwunde zu achten.

Seine besorgten Blicke glitten über das Schlachtfeld. Ein Gefreiter wurde von einem erbeuteten Gewehr erschossen, ein anderer hauchte mit drei Pfeilen im Leib sein Leben aus und ein Dritter wurde von Tomahawk-Schlägen regelrecht in Stücke gehauen.

Allmächtiger Gott, was für ein Gemetzel!

Am liebsten wollte der Lieutenant schreien, alles niederwerfen und die Flucht vor diesem Ort des Grauens ergreifen. Trotzdem kämpfte er tapfer weiter.

Plötzlich schlug in der Nähe eine Granate ein. Von der enormen Wucht der Detonation getroffen, wurde der Offizier durch die Luft geschleudert und hart gegen einen Felsbrocken gestoßen. Er hörte die eigenen Knochen bersten und eine Welle aus Schmerz brach über ihm zusammen. Bunte Sterne tanzten vor seinen trüben Augen, dann folgte die Bewusstlosigkeit.

Als er Stunden später erwachte, stand die brennende Sonne unmittelbar über ihm. Sein glühendes Gesicht schmerzte und schien augenblicklich zu zerspringen. Morgan wollte sich aufrichten, als ein grauenhafter Schmerz über ihn kam. Er kreischte laut auf und bemerkte erst jetzt sein gebrochenes rechtes Bein. Der Unterschenkel stand in einem verdrehten Winkel ab, die hellblau gestreifte Uniformhose Blut durchtränkt.

»Gott, haben sie mich doch noch erwischt«, sagte er zu sich selbst. Kraftlos sackte der Kopf wieder zurück auf den Boden.

Endlose Minuten später wandte er seinen Blick über das Schlachtfeld. Überall um ihn herum lagen schlimm zugerichtete Leichen. Indianer wie auch Soldaten. Zu Lebzeiten Feinde, im Tode vereint. Herrenlose Pferde stapften umher, Aasgeier zogen am Himmel Kreise und warteten auf ihre Mahlzeit.

Gott, lass mich doch endlich sterben, dachte der Offizier voller Pein.

Mit zitternder Hand langte er nach der Wasserflasche und benetzte mit den letzten Tropfen die spröden Lippen.

Mit blinzelnden Augen starrte er in die brennende Sonne und sprach zu sich selbst: »Ich muss aus dieser Hitze heraus, sonst werde ich am lebendigen Leib gebraten.«

Vorsichtig drehte er den Kopf von der einen zur anderen Seite und erspähte einen sandfarbenen Felsbrocken, der schräg aus dem Boden ragte und einen schattigen Platz spendete.

Ich danke dir, lieber Gott, dachte der Mann.

Lieutenant Morgan mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Er versuchte die Schmerzen in seinem geschundenen Körper zu ignorieren, als er sich drehte und langsam in Richtung der schattigen Stelle kroch.

»Bitte, Gott, gib mir die Kraft dazu. Lass mich bitte im Schatten sterben, lass mich nicht qualvoll unter dieser grausamen Hitze verenden!«

Doch noch jemand anderer hatte die Idee.

Ein Sioux-Krieger, fast noch ein Junge, robbte gleichermaßen in die Richtung des Felsens. Sein rechtes Schienbein war von einer Kugel zerschmettert, an der linken Seite klaffte eine Schnittwunde, die von verkrustetem Blut verklebt war.

»Dies ist mein Platz, weißer Hund!«, rief er bestimmend und zog mit zittriger Hand sein Messer.

Morgan, der die Absichten des Feindes erst jetzt erkannte, bellte zurück: »Unterstehe dich, du Bastard!«

Der andere wedelte mit dem blutbefleckten Messer hin und her.

»Ich schwöre dir, weißer Hund, kreuzt du meinen Weg, schneide ich dir die Kehle durch.«

Morgan knirschte mit den Zähnen. Er war fast schon zu schwach, auf allen vieren über den Boden zu kriechen. Er wusste nicht, ob er einen weiteren Kampf überstehen konnte. Allerdings konnte er dem Indianer seine Hoffnungslosigkeit nicht zeigen. Er musste entschlossen wirken, um den anderen einzuschüchtern.

»Warte nur ab, Rothaut, ich komme dir schon zuvor.«

Beide Männer kämpften sich weiter vorwärts. Der Abstand zueinander wurde nach und nach kleiner. Schließlich passierte der Offizier einen toten Kameraden. Aus dem geöffneten Halfter zog er den Armee-Revolver.

»Jetzt bekommst du dein Fett weg, du Hund!«

Der Indianer wirkte unbeeindruckt, als sein Feind anlegte und schoss. Die Kugel zischte einen halben Meter über dem Kopf der Rothaut vorbei. Dann war die Trommel leer. Morgan fluchte, der andere fühlte sich siegessicher.

Beide verharrten wenige Augenblicke in Bewegungslosigkeit. Dann krochen sie weiter. Sie kamen sich immer näher. Irgendwann konnten sie sich direkt in die Augen sehen.

»Gleich schneide ich dir die Kehle durch, weißer Mann.«

»Du bekommst mich nicht, das schwöre ich.«

Schließlich begann der verzweifelte Kampf. Der Sioux stach zu, Morgan wich aus. Beim nächsten Hieb bekam der Offizier das Handgelenk des Gegners zu fassen. Verbissen kämpften und rangen sie miteinander, keiner wollte sich geschlagen geben. Plötzlich, ineinander verkeilt, bohrte sich die Klinge in den Hals des roten Mannes. Der Krieger stieß einen gurgelnden Laut aus und sah den anderen ungläubig an. Dann sackte der Kopf nach unten und das braun gebrannte Gesicht vergrub sich im Staub. Morgan rückte von dem Toten ab. Die entsetzlichen Anstrengungen der vergangenen Minuten forderten ihren Tribut. Wieder wurde es dunkel vor den stahlblauen Augen des blondhaarigen Mannes und er fiel in einen lähmenden Zustand der Besinnungslosigkeit.

Unbestimmte Zeit später öffnete er die schweren Lider. In seinem Schädel dröhnte und hämmerte es, als er sich langsam drehte. Ein Geier hüpfte vor ihm ungeduldig hin und her.

»Verschwinde, du Bestie. Noch bin ich nicht tot.«

Seine Stimme war nur noch ein heißeres Krächzen.

Dann traf den Mann ein weiterer Schicksalsschlag. Die Sonne hatte sich inzwischen gedreht, die schattige Stelle war verschwunden. Tränen schossen in seine Augen. Lieutenant Morgan hatte nicht einmal mehr die Kraft laut zu schreien.

***

»General Allister!«, rief der Gefreite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der hochgewachsene Offizier sprang von seinem Pferd und folgte der Stimme des Untergebenen. Dieser beugte sich über einen Toten und erklärte: »Ich glaube, das ist Lieutenant Morgan, Sir.«

»Großer Gott, Sie haben recht, Junge.«

General Allister zog eine Grimasse und nahm den breiten Hut vom Kopf.

»Mein Gott, sehen Sie sich den verzweifelten Gesichtsausdruck an. Unter welchen Qualen muss dieser arme Teufel gestorben sein?«

(ag)