Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Jackson – Teil 32

Monster gegen Menschen

Einmal mehr hatte ich das Gefühl, dass diese Albtraumwelt, in der ich mich befand, nichts anderes war als ein einziges, großes Irrenhaus.

Ein Irrenhaus, das nicht von Menschen, sondern Geschöpfen bevölkert wurde, die den schlimmsten Albträumen eines drogensüchtigen Bildhauers entsprungen sein mussten.

Ein normaler Mensch konnte sich das hier gar nicht ausdenken.

Neben mir hinkte Arne auf den Ausgang des Zellentrakts zu. Der ehemalige Maschinenbauschlosser der Stanford Company, ein ganz normaler Arbeiter also, schien plötzlich das Wesen eines wilden Tieres zu besitzen, dessen Körpersprache und dessen Instinkte. Während er an mir vorbeilief, gruben sich seine raubtierhaften Zähne ständig in die Reste der zerrissenen Ratte, die Arne immer noch in den Händen hielt.

Neben mir stand Skmil, eine Mischung aus Mensch und Gorilla mit dem Verstand eines kleinen Kindes, und um mich herum tobten Kreaturen mit vier Armen, mit Köpfen, die einem Schwein ähnelten, oder geleeartigen Auswüchsen am Körper, die so groß wie Wassermelonen waren. Ich stand einfach nur da und starrte wie betäubt auf den Mob aus Tiermenschen und Missgebildeten, der sich einem unaufhaltsamen Strom gleich auf den Ausgang zuwälzte.

Ich wusste nicht, wie lange ich herumstand, als mich plötzlich eine harsche Stimme wieder in die Realität zurückholte.

»Hör auf zu träumen und beweg dich endlich«, fauchte mich Linda an. Dabei deutete sie mit einer Hand auf das Ende des geifernden und tobenden Mobs. »Wenn wir jetzt nicht bald hinter ihnen herlaufen, können wir uns unseren Plan, von hier zu verschwinden, endgültig abschminken.«

Ich musterte sie erstaunt.

Ihr Mund war verzerrt, das Gesicht vor Erregung gerötet und ihre Augen glitzerten in wilder Kampflust. Ihre Bluse stand bis zum Ansatz ihrer Brüste offen und sie fuchtelte wie eine Furie mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum. In diesem Moment hatte sie wenig Ähnlichkeit mit jener Wissenschaftlerin, die ich vor Wochen kennengelernt hatte.

Das war nicht mehr die Linda, mit der ich in die Kiste gestiegen war, die Frau, die jetzt vor mir stand, war mir völlig fremd.

Aber in einem hatte sie trotzdem recht. Wenn wir hier aus diesem Wahnsinn herauskommen wollten, mussten wir wirklich langsam von hier verschwinden.

»Also dann mal los«, sagte ich und setzte mich in Bewegung.

Skmil rannte los wie ein Verrückter, während ich es vorzog, diesen Geschöpfen etwas vorsichtiger zu folgen. Ich hatte in einige Gesichter gesehen, nachdem wir sie aus ihren Zellen befreit hatten. Die Mordgier und die pure Lust am Töten waren dabei unübersehbar gewesen.

 

***

»Pst«

Ich verharrte mitten in der Bewegung und drehte mich um. Zu meinem Erstaunen erkannte ich, dass Linda immer noch an der gleichen Stelle stand, an der sie sich befunden hatte, als sie mich aufforderte, mich endlich in Bewegung zu setzten. Und sie machte auch keinerlei Anstalten, sich fortzubewegen.

Wie zum Teufel passte das jetzt wieder zusammen?

Ich zog den Kopf zwischen die Schultern, machte ein fragendes Gesicht und deutete etwas hilflos auf den Ausgang, durch den inzwischen sowohl die Kreaturen als auch Skmil entschwunden waren.

Die Antwort gab mir Linda, indem sie sich zur Seite drehte und einen Metallspind öffnete, der sich zwischen zwei Zellen befand. Ich hatte das Ding bisher überhaupt nicht registriert, aber das war auch kein Wunder. Erstens herrschte hier in den Katakomben ein halbdunkles Licht vor, das den ebenfalls dunklen Spind fast unsichtbar erscheinen ließ, und zweitens, wer betrachtet schon einen dunklen Metallspind, wenn vor ihm Kreaturen herumtanzen, die aussahen, als wären sie dem Forschungslabor von Doktor Frankenstein entsprungen?

Jedenfalls öffnete Linda die schmale Tür und zerrte aus dem Innern des dunklen Spinds eine noch dunklere Tasche. Begleitet von einem metallischen Klappern und Scheppern stellte sie die Tasche vor mir auf den Boden und machte sich am Reißverschluss zu schaffen.

Sekunden später starrte ich auf eine Wumme, die mir ziemlich bekannt vorkam.

Hörbar sog ich die Luft ein.

Der Anblick einer MP7 ließ mich immer sofort an den Tod denken, egal, ob diese fürchterliche Waffe in Gebrauch war oder nicht.

»Sieh an, Pasquales Lieblingsspielzeug. Ich hatte mich schon gefragt, was wohl aus seiner Kanone geworden ist.«

Linda lächelte und dann tat sie genau das, was zu ihrem neuen Wesen passte wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Sie nahm die Waffe hoch, entsicherte sie … und behielt sie in den Händen.

Ich schluckte.

Heavens, das musste ich erst einmal verdauen.

Nicht, dass ich irgendwelche Besitzansprüche auf diese Taschenkanone anmeldete, aber rein logisch betrachtet war diese Waffe in den Händen eines Sicherheitsagenten, der tagtäglich mit Schießeisen umging, meiner Meinung nach bedeutend besser aufgehoben als in den manikürten Fingern einer Wissenschaftlerin, die solche Dinge nur vom Hörensagen kannte.

»Meinst du nicht auch, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich …«, versuchte ich es vorsichtig.

Es blieb bei dem Versuch.

»Vielleicht später«, sagte sie kalt. Als sie meinen Gesichtsausdruck sah, zuckte sie mit den Achseln und versuchte ein Lächeln. Es wirkte allerdings irgendwie gequält.

»Sorry, aber das hier ist meine letzte Chance, diesem Irrsinn endlich zu entkommen, und die werde ich mir nicht nehmen lassen.«

»Diese Waffe hier«, sagte sie und hob die MP7 an, »ist dabei so etwas wie ein Joker auf unserem Weg nach draußen. Du musst es so sehen: Ich kenne den Weg, der hier herausführt, aber was mache ich, wenn du die Waffe hast und tot bist? Soll ich mich dann hinsetzen und darauf warten, bis es mich auch erwischt? Versteh doch, ich bin eine Frau, und die einzige Möglichkeit für mich zu überleben ist diese Waffe hier.«

»Am Anfang hast du aber darauf gesetzt, dass ich dich hier herausbringe.«

»Das war am Anfang, aber wie du dich vielleicht erinnern kannst, sind deine sämtlichen Versuche hierzu bisher gewaltig in die Hose gegangen.«

Das saß!

Egal ob Schicksal, Pech oder widrige Umstände, Linda kreidete mir ganz klar an, dass ich es noch immer nicht geschafft hatte, sie hier herauszubringen.

Als ich die ersten Schüsse hörte, wusste ich, dass für weitere Diskussionen keine Zeit blieb.

 

***

Wir setzten uns in Bewegung und liefen geduckt auf den Ausgang zu.

Das Schießen hatte deutlich zugenommen, das Schreien und Toben des inzwischen wahrscheinlich völlig außer Kontrolle geratenen Mobs ebenfalls. Trotzdem hörte ich aus dem Lärm das dumpfe Belfern schwerer Revolver heraus.

»Da vorne befindet sich irgendwo der Aufenthaltsraum der Wachmannschaft«, sagte Linda, als sie meinen Blick bemerkte. »Wenn wir Glück haben, sind diese Monster so mit den Wachen beschäftigt, dass keiner merkt, wenn wir in einem der angrenzenden Laboratorien verschwinden.«

Beinahe wäre ich vor lauter Überraschung stehen geblieben.

»Was soll denn das jetzt wieder? Ich dachte, wir suchen einen Weg, der uns so schnell wie möglich hier raus bringt, also was bitteschön sollen wir dann dort?«

»Ganz einfach, in allen Labors hier unten gibt es geheime Nebengänge, die nach oben führen. Die hat man angelegt, um dem Personal bei eventuellen Notfällen die Möglichkeit zu geben, unbehelligt von diesen Monstern nach draußen zu gelangen, und das Wichtigste dabei, jeder dieser Gänge verfügt über eine eigene Sauerstoffzufuhr, ist hitzebeständig und schusswaffenfest und kann, wenn man weiß, wie es geht, von den Überwachungskameras nicht eingesehen werden. Glaube mir, in spätestens fünf Minuten wirst du mir für diese Information vielleicht unendlich dankbar sein.«

Aber auch nur vielleicht, dachte ich im Stillen. Trotzdem trottete ich einer treuen Hundeseele gleich hinter Linda her, bis sie plötzlich neben mir eine Tür aufriss, mich am Arm packte und mich in den dahinterliegenden Raum zerrte.

Überrascht drehte ich den Kopf. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte ich noch, wie eine der Albtraumgestalten plötzlich wieder zurückgelaufen kam, unvermittelt stoppte und mich wahrscheinlich genauso verblüfft anglotzte wie ich sie.

Dann war ich im Labor.

Der Raum war ein langgezogenes Rechteck mit zwei schmalen Stahltischen, einem Waschbecken aus Stahl und vier oder fünf Schränken aus dem gleichen Material. Überall standen Reagenzgläser, Bunsenbrenner, Messkolben und Kühler herum. Dazwischen gab es allerdings auch gewisse Gegenstände, die meine Fantasie aufgrund ihres Aussehens und ihrer Materialbeschaffenheit in eine Richtung erblühen ließen, die mir ehrlich gesagt Angst machte.

Auch Linda schien mit diesem Labor so ihre Art von Problemen zu haben.

Die Art, wie sie hin und her rannte und nach etwas Speziellem zu suchen schien, bekräftigte mich jedenfalls in meiner Meinung.

»Was ist, kann ich dir helfen?«

»Ja, verriegle die Tür, ich brauch noch ein paar Minuten.«

»Für was?«

Linda wirbelte auf dem Absatz herum und starrte mich an, als wollte sie mir die Augen auskratzen.

»Frag nicht, sondern verriegle endlich diese Scheißtür!«

Ich zuckte mit den Schultern und schlurfte, ein braver Junge, wie ich war, zur Eingangstür zurück. Ich drückte die Tür ins Schloss, schob oben und unten die beiden Metallriegel in ihre Endstellung und ließ die Vorhängeschlösser, welche die Riegel mit den eisernen Halterungen, die in der danebenliegenden Wand eingelassen waren, einrasten.

Dann drehte ich mich um, grinste Linda an und sagte: »Erledigt.«

Scheiße, nichts war erledigt!

Ich hatte kaum ausgesprochen, als irgendetwas mit voller Wucht gegen die Tür knallte, die ich vor wenigen Sekunden verschlossen hatte. Es klang, als hätte neben mir jemand eine Bombe hochgehen lassen. Ich zuckte zusammen, drehte mich um und hatte plötzlich das Gefühl, als hätte jemand einen Kübel mit Eiswasser über mir ausgeleert.

Um meine Reaktion zu verstehen, muss ich vorausschicken, dass besagte Tür nur in etwa zur Höhe meiner Schultern aus Metall war. Der Rest, bis hoch zur Decke, bestand aus durchsichtigem Panzerglas. Dahinter war die verzerrte Fratze jener Albtraumgestalt zu erkennen, die zurückgelaufen war.

Nicht, dass mich sein entstelltes Gesicht erschreckte, ich hatte in dieser verrückten Welt schon ganz anderer Dinge gesehen, was mich entsetzte, war die Tatsache, wie er draußen mit solcher Gewalt an der Tür rüttelte, dass sich drinnen die Metallriegel in ihren Halterungen zu verbiegen begannen.

Und als wäre das nicht genug, musste ich mit ansehen, wie dieses Monster langsam Gesellschaft bekam. Die Wachmannschaften wussten anscheinend mit ihren Waffen umzugehen, jedenfalls ging es dort vorne nicht weiter.

Immer mehr von diesen Kreaturen kamen ins Labor zurück. Und immer mehr begannen an der Tür zu rütteln.

Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich bemerkte, wie sich allmählich die Schrauben aus der Wand lösten, die eigentlich die Halterungen fixieren sollten, die dafür sorgten, dass die Tür verriegelt blieb.

Als die erste Schraube zu Boden fiel, wirbelte ich herum.

»Linda!«

Fortsetzung folgt …