Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Sage des Billy the Kid Kapitel I – Teil 1

Die Sage des Billy the Kid
Kapitel I
Der König des Tals

John Chisum kannte sich mit Kühen aus. Er verdankte dies all seinen gesammelten Erfahrungen und führte dazu, dass er im Laufe der Jahre zu einem Viehbaron wurde. Er war kein winziger Eigentümer von einigen vereinzelten Corrals, doch durch das göttliche Recht auf Verstand, seine Visionen und sein Geschick im Umgang mit Kühen entwickelte er sich unumstritten zu einem Monarchen, welcher über riesengroße Herden und grenzenloses Weideland verfügte. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere besaß er mehr Vieh als jeder andere Mann in den Vereinigten Staaten. Hunderttausend Tiere trugen seine berühmten Brandzeichen Long Rail und den Jingle-Bob und weideten auf fast der Hälfte des Territoriums von New Mexiko – von den Steilhängen der Llano Estacado bis zum Rio Grande im Westen und vom Seven River und dem Tal Jordana del Muerto bis zum Canadian River im Norden.

Chisum kam 1867 als Siedler nach New Mexico, aber als ein reicher Siedler. Was er an Vermögen mitbrachte, war kein Prairie Schooner, bespannt mit einer weißen Wagenplane, mit Hausrat und Bettzeug bis oben beladen und Töpfe und Pfannen, die bei jedem Ruck klapperten. Er kam mit zehntausend Rindern und einem Gefolge von braun gebrannten und wettergegerbten Reitern aus der texanischen Pampa, einer Wagenkolonne, einer Remuda an Cow Ponys und all dem Staub und Getöse, dem Glanz und Gloria eines fürstlichen Vorrückens im Grenzland. Er erhob keinen Anspruch auf ein viertel Regierungsland, um darauf eine Hütte zu bauen, zu pflügen und sich für ein spärliches Leben abzumühen, jedoch für die Zukunft ein kleines Königreich in einer neuen Welt bewohnbar zu gestalten,

Vom Concho County, Texas, brach er zu seiner Hedschra in Richtung Westen auf. Sein Weg führte durch Mesquite- und Birnbaum-Ländereien südlich des Llano Estacado zu der Horsehead Crossing des Pecos. Danach wurde seine große Herde nordwärts das Pecostal hinauf geführt – eine endlose Kolonne von Kühen, ihre Köpfe am Horizont eintauchend, ihre Schwänze einer über dem anderen, träge vorwärts dahinziehend, gewunden, wie ein lebender Fluss, zehn Meilen pro Tag über das kurze wabernde Gras einer baumlosen Wildnis.

Chisum schätzte texanische Longhorn-Rinder sehr. In jener Zeit waren sie die einzige Art des Südwestens und Nachkommen der aus Andalusien nach Mexiko während der Tage der spanischen Eroberung eingeführten Rinder. Schlank, geschmeidig, so aufmerksam und schnell wie Hirsche, halbwild dadurch, da sie Sommer wie Winter ihr Leben unter freiem Himmel fristeten; mit langen Hörnern, weiß, blau, poliert und glänzend, geschwungen wie Krummsäbel, so scharf wie Bajonette und oft sechs Fuß von Spitze zu Spitze reichend. Solche Rinder findet man vom Rio Grande bis zur kanadischen Grenze nun nicht mehr. Sie sind wie die Bisons verschwunden, gezüchtet, um nur einen Tropfen ihres tobenden Blutes im Fett zu belassen und schlanken Kurzhorn-, schwarzen Angus- und blassen Hereford-Sorten, die auf ihren alten Weiden grasen, Platz zu machen.

Die Richtung dirigierend, die Herde vor indianischen Überfällen schützend, ritten Cowboys an die Spitze des Trosses, wechselten die Positionen, schleppten sich durch die langen Trail-Tage und sangen während der Nachtwachen unter dem Sternenhimmel ihren Kühen auf den Strohlagern Wiegenlieder. Sie trugen Six-Shooter am Gürtel, die Gewehre baumelten an ihren Sattelknäufen. Sie waren selbst ein halbwilder Menschenschlag, als geschickte Reiter im Sattel in den Texas Plains geboren, sowohl versiert im Umgang mit der Waffe als auch in der Reitkunst, raue Kerle allesamt, denen Mut und Loyalität als Teil ihres Erbes genauso viel bedeuten wie Entbehrung und Gefahr.

Die lange Reise war 35 Meilen nördlich der jetzigen kleinen Stadt Roswell an einem Fleckchen Erde zu Ende. Dort, wo der Pecos einen großen Bogen macht und sich das Tal in flache Wiesen, von Tafelbergen flankiert, öffnet, errichtete Chisum in einem Pappelwäldchen am Rande des Flusses eine Ranch, die später überall im Südwesten als Bosque Grande Ranch berühmt werden sollte, und ließ sich nieder, um seinen Weg zu Wohlstand und Reichtum zu machen.

Chisum wurde 1824 in Tennessee geboren. Seine Herkunft geht bis zu jener Zeit zurück, in welcher seine Familie aus englischen Vorfahren hervorging, die in früher Kolonialzeit zum ersten Mal ihren Fuß auf den Boden von Virginia gesetzt hatten. Claiborne und Lucy Chisum waren sein Vater und seine Mutter. Es muss nicht unbedingt gefragt werden, aus welchem Teil des Landes der Name Claiborne stammt. Es ist ein südlicher und bedeutet soviel wie Grütze, Hirse oder Maisbrot. Als John Chisum geboren wurde, war Tennessee selbst ein Grenzstaat. Diese Wildnis, jenseits des Mississippi River gelegen, wurde 7 Jahre, bevor Jefferson von Napoleon I. Louisiana kaufte, US-Territorium. Als Grenzmann geboren, war der Pioniergeist in Claiborne Chisum so groß, dass er im Jahre 1837 mit seiner Familie alle seine Haushaltsgüter und Götter auf einen Planwagen verstaute, über das wilde, fast unberührte Land nach Westen jenseits des Mississippi zog und sich südlich des Red River, der nördlichen Grenze von Texas in der Nähe der heutigen Stadt Paris niederließ. 1836 war Texas eine Republik und blieb es bis 1845, als es der Union beitrat. Nur ein Jahr zuvor hatte das Land die Unabhängigkeit errungen. Santa Anna und seine mexikanische Armee, bei San Jacinto vernichtend geschlagen, zog sich für immer über den Rio Grande zurück, und die neue Nation bejubelte immer noch den entscheidenden Sieg des tapferen alten Sam Houston und das Heldentum eines Davy Crockett, William Travis, James Bowie und anderer Märtyrer, die bei Alamo für die Freiheit von Texas gefallen waren.

Hier, im Grenzland, wuchs John Chisum zum Mann heran. Wenn es eine Sache gab, die ihn in seinen frühen Jahren von anderen hervorhob, so war dies sein ausgeprägter Geschäftssinn, diejenige Fähigkeit, seine Visionen mit den tagtäglichen Möglichkeiten klar abzuwägen. Während andere junge Männer ihrer Nase folgten, folgte er den Regeln des Erfolgs. Während sie schwoften, marschierte er stetig vorwärts. Während sie aus Spaß auf ein Ziel schossen, schoss er in vollem Ernst für seine Zukunft empor.

Siedler begannen ins Land zu strömen. Für alle gab es genug Land für einen Spottpreis. Reichlich Land auf Jahre gesehen. Doch sollte dieses Land in der Zukunft eine Zeit kommen, in welcher es sehr wertvoll sein würde. So erwarb auch der junge Chisum Land. Auf seinem Land legte er den Grundstein für Paris. Er half beim Aufbau des ersten Hauses dieser zukünftigen Stadt. Er beobachtete, wie die Stadt wuchs, wie sie und damit sein Reichtum größer wurden. Er wurde Unternehmer und Baumeister und errichtete das erste Gerichtsgebäude von Paris. In dieser Arbeit spiegelte sich das Genie dieses Mannes zum ersten Mal wider. Er war, bei allem, was ihn im steckte, ein Baumeister – zuerst ein Städtebauer, später ein Staatenerbauer in New Mexico und schließlich in seinem Verhältnis zum Südwesten und der Nation ein Erbauer eines Imperiums.

1854 stieg er in das Viehgeschäft ein. Für drei Jahre machte er jährliche Triebe nach Shreveport am Red River in Louisiana, von wo aus sein Vieh mit Dampfschiffen zu den Märkten der Städte am Mississippi River wie Vicksburg, Natchez, Memphis und New Orleans verschifft wurden. Um eine bessere Reichweite zu erzielen, zog er 1857 ins Denton County und 1867 ins Concho County. Er blieb am Concho River, bis er 1867 seine Zelte abbrach und sich nach New Mexico auf den Weg machte.

Es war nicht ganz der Geist eines angeborenen Pioniers, der John Chisum veranlasste, weiter und weiter nach Westen zu ziehen. Die Verlockung der Märkte leitete ihn dazu. Es gab im Norden keine Märkte. Vom Concho River geradewegs nach Norden zu den Handelsposten der Hudson’s Bay Company in Kanada lag in weitem Bogen ein wildes Land ohne Städte und Siedler, nur von Indianern bevölkert, wo Bisons und Antilopen weideten. Jenseits der östlichen Grenzen von Texas gab es Märkte in Shreveport, Little Rock und Baxter Springs. Im Süden waren es die Märkte zwischen den Häfen an der texanischen Golfküste. Aber die Gewinne in diesen östlichen und südlichen Märkten waren gering, und die Trails dahin lang und schwierig. Seltsamerweise lagen Chisums beste Märkte im Westen.

In der südwestlichen Ecke der Vereinigten Staaten standen seit mehr als 250 Jahre spanische Siedlungen in voller Blüte. Oñate gründete 1608 Santa Fé. Die Stadt entwickelte sich zeitnah mit Jamestown, welches ein solides Dorf war, als die Pilgerväter bei Plymouth Rock an Land gingen. Chisum richtete seinen Blick nach New Mexico, die Metropole des Südwestens, welche durch den Handel über den Santa Fé Trail reich geworden war. Die Bevölkerung des Landes, die einmal unter der Lehnshoheit Seiner Katholischen Majestät von Spanien standen, war durch einen starken Zustrom von Siedlern erheblich erweitert worden. Santa Fé, Taos, Las Vegas, El Paso und Albuquerque stellten sich für den texanischen Viehzüchter als Erfolg versprechend heraus. Tucson und Prescott in Arizona, Denver, Pueblo und Trinidad in Colorado lagen weit entfernt. Besonders verlockend waren die Aussichten auf fette Regierungsaufträge um Rindfleisch für die Indianerreservate zu liefern und die Armeeposten zu versorgen. Fort Sumner lag im Pecostal, Fort Stanton und die Reservation der Mescalero-Apachen nur etwas über den Westrand hinaus. So wie Coronado auf der Suche nach den Sieben Städten von Cibola und dem goldenen Mythos von Quivira war, folgte Chisum auf einem Cow Pony seinem Traum westwärts. Der alte Kavalier suchte eine Illusion, der moderne Viehzüchter einen Markt.

Der Zustand des texanischen Rinderbestandes war einzugartig. Der Bürgerkrieg hatte die Anzahl an Männern stark dezimiert. Tausende, die losmarschiert waren, um unter dem Sternenbanner der Konföderation zu kämpfen, haben ihre Knochen auf fernen Schlachtfeldern verloren. In den vier Jahren des Krieges kam das Geschäftsleben fast zum Stillstand. Auf vielen Plantagen wucherte das Unkraut, viele Ranchs waren unbewohnt. Die Sklaven waren befreit worden, das Geld der Konföderierten wertlos. Glück im Unglück hatten jene, die die Hoffnung noch nicht verloren hatten. Die texanische Industrie startete von Neuem, als Lee kapitulierte.

Millionen von Rindern waren im öffentlichen Handel fast wertlos geworden. Man konnte sie für einen Dollar pro Kopf kaufen, aber es gab keine Käufer, weil kein Geld da war. Während des Krieges waren die Kälber nicht gebrandet worden. Niemand wusste, wem diese mutterlosen Kälber gehörten. Es war kein Diebstahl, wen man sie sich einfach nahm. Derjenige Mann, der sie mit seinem Brandzeichen versah, konnte sie als sein Eigen nennen. Aber der Erwerb von Rindern für nichts stieß nicht auf eine allgemeine Begeisterung und stellte sich als Spekulation in Termingeschäfte dar. Warum sollte man tausend Stück Rind besitzen, wenn man es nicht verkaufen konnte? Das Brandmarken von Kälbern konnte sich nicht zu einer extensiven Branche entwickeln, bevor auf dem Markt steigende Preise zu verzeichnen waren. Vergleichsweise schafften es nur ein paar weise Männer, die schon immer gut gearbeitet und bereits vorher mit einem Seil und einem Brandeisen die Voraussetzungen für die Zukunft geschaffen hatten. Märkte hätten einen Unterschied zwischen Armut und Reichtum bedeutet. Doch es gab keine Märkte.

Neue Aufbruchstimmung machte sich breit. Ein erster schwacher Hoffnungsschimmer zeigte sich am Horizont. Das Jahr 1867 nahm in der Geschichte des Westens einen bedeutenden Platz ein. Der Tag der Planwagen und der alten Einwanderertrails ging seinem Ende entgegen. Der Tag der Eisenbahn war greifbar nahe. Mit der Fertigstellung der Union Pacific verband eine durchgehende Eisenbahnstrecke zwei Ozeane. Die Kansas Pacific stieß schnell nach Westen vor, und New York und San Francisco wurde plötzlich zu Nachbarn. Die erreichen Märkte des Ostens waren zu den Prärien endlich offen.