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Mythen und Legenden der Sioux 1

Mythen und Legenden der Sioux 1

Am Klang der Geschichten der Sioux, erzählt in den Hütten und an den Lagerfeuern der Vergangenheit sowie an den Kaminen von heute, erkennt man das Gefüge der Gedanken einfacher, ernsthafter und aufrichtiger Menschen, die in vertrautem Kontakt und inniger Freundschaft mit dem Großen da draußen, was wir Natur nennen, lebten. Es sind Geschichten eines Volkes, die auch nicht alle Dinge verstanden, nicht hochmütig und überheblich in Erscheinung traten, sondern eher kindlich, aufrichtig und gerecht. Es sind Geschichten eines Volkes, welches die einfachsten Dinge ernsthaft betrachtete und daraus seine Schlüsse zog.


Der vergessene Maiskolben

Einst sammelte eine Arikara-Frau Mais vom Feld, um einen Vorrat für den Winter zu haben. Sie ging von Stängel zu Stängel, riss die Kolben ab und legte sie in ihre Decke. Nachdem sie alle Maiskolben eingesammelt hatte und sie schon zu gehen in Begriff war, hörte die Frau eine leise Stimme wie die eines Kindes, weinend und rufend.

»Oh, lass mich nicht allein zurück! Geh nicht ohne mich!«

Die Frau wunderte sich. »Was für ein Kind kann das sein?«, fragte sie sich selbst. »Was hat ein Baby im Maisfeld verloren?«

Sie legte die Decke, in welche sie ihren Mais gelegt hatte, ab und ging zurück, um zu suchen; jedoch fand sie nichts.

Als sie das Feld verlassen wollte, hörte sie erneut die Stimme.

»Oh, lass mich nicht allein zurück! Geh nicht ohne mich!«

Sie suchte eine lange Zeit. Schließlich fand in einer Ecke des Feldes, versteckt unter den Blättern der Stängel, einen kleinen Maiskolben. Das war es, was geweint hatte. Und das ist es, warum alle Indianerfrauen seither ihren Mais sehr sorgfältig einsammeln, sodass das saftige Nahrungsmittel nicht bis zum letzten kleinen Halm vernachlässigt oder verschwendet wird und somit dem Großen Geist missfällt.


Die kleinen Mäuse

Vor langer, langer Zeit beschäftigte sich eine Präriemaus den ganzen Herbst über mit dem Anlegen eines Bohnenlagers. Jeden Morgen war sie recht früh mit ihrer leeren abgestreiften Schlangenhaut unterwegs, die sie mit Bohnen füllte, und zog sie mit ihren Zähnen nach Hause.

Die kleine Maus hatte eine Cousine, die gern tanzte und schwatzte, aber nicht gern arbeitete. Sie war nicht darauf bedacht, ihr Bohnenlager anzulegen. Der Herbst war fast vorüber, bevor sie sich regte. Als sie sich darauf besann, einen Vorrat für den kommenden Winter anzulegen, stellte sie fest, dass sie kein geeignetes Behältnis fand. So ging sie zu ihrer hart arbeitenden Cousine und sagte:

»Cousine, ich habe keine Bohnen für den Winter eingelagert und die Saison ist fast vorbei. Aber ich habe keine Schlangenhaut, um die Bohnen einzusammeln. Kannst du mir eine borgen?«

»Aber warum hast du kein Behältnis? Warst du auf dem Mond, als die Schlangen sich häuteten?«

»Ich war hier.«

»Und was hast du gemacht?«

»Ich habe fleißig geschwätzt und getanzt.«

»Und nun bist du bestraft worden«, sagte die andere. »Es ist immer so mit den faulen und sorglosen Leuten. Ich will dir eine Schlangenhaut borgen. Und nun geh, arbeite hart und fleißig, und hole die vergeudete Zeit auf.«


Das kleine Kaninchen

Ein kleines Mädchen besaß ein kleines Kaninchen, das sie sehr liebte. Sie trug es wie ein Baby, machte ein kleines Paar Mokassins für das Tier, und nachts teilte sie mit ihm ihren Schlafanzug.

Nun hatte das kleine Mädchen eine Base, welche sie von ganzen Herzen liebte und ihr etwas Gutes tun wollte.

So sagte ihre Base zu sich selbst: »Ich liebe meine kleine Base sehr und werde sie fragen, ob ich ihr kleines Kaninchen herumtragen darf.« Das tun Indianerfrauen, wenn sie eine Freundin ehren wollen. Sie bitten um Erlaubnis, um das Baby der Freundin tragen zu dürfen.

Sie ging zu dem kleinen Mädchen uns sprach: »Base, lass mich dein kleines Kaninchen auf dem Rücken tragen. Damit möchte ich dir zeigen, wie lieb ich dich habe.«

Ihre Mutter sagte ebenfalls zu ihr: »Oh nein, lass nicht zu, dass unser kleines Enkelkind von unserem Tipi weggetragen wird.«

Aber die Base antwortete: »Lasst es mich tragen. Ich möchte doch damit meine Ehre zu meiner Base bekunden.«

Schließlich stimmten das kleine Mädchen und ihre Mutter zu.

Als die Base des kleinen Mädchens zu ihrem Tipi nach Hause kam, begannen einige wilde Jungs, die dort spielten, sich über sie lustig zu machen. Um das kleine Mädchen zu necken, warfen sie Steine und Stöcke auf das kleine Kaninchen. Schließlich traf ein Stock das kleine Kaninchen am Kopf und tötete es.

Als sie das tote Tier zurück zu ihrer kleinen Base brachte, weinte die Adoptivmutter des kleinen Hasen bitterlich. Als Zeichen der Trauer schnitt sie sich die Haare ab, und all ihre kleinen Freundinnen weinten mit ihr. Auch ihre Mutter trauerte.

»Oh je!«, schrien sie, »oh je, der kleine Hase. Er war immer liebenswürdig und sanftmütig. Nun ist unser Kind tot und wird einsam sein.«

Die Mutter des kleinen Mädchens rief ihre kleinen Freunde herbei und machte ein großes Trauerfestmahl zu Ehren des kleinen Kaninchens. Wie das Tier so im Tipi lag, brachten die kleinen Freunde brachten viele wertvolle Dinge und bedeckten damit dessen Körper. Es waren Kleidung, Kessel, Decken, Messer und weitere große Reichtümer zu Ehren des kleinen Kaninchens. Sie hüllten ihn in ein Gewand mit seinen kleinen Mokassins und begruben ihn höheren Ortes auf einem Schafott.


Quelle:

  • McLaughlin, Marie L.: Myths and Legends of the Sioux. Bismarck Tribune Company, Bismarck, North Dakota. 1916.

(wb)