Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Zwielicht 4

Zwielicht 4

»Es gibt nicht die Kurzgeschichte. Jede hat ihre eigenen Gesetze […]. Ich glaube, dass sie im eigentlichen Sinn des Wortes modern, das heißt gegenwärtig ist, intensiv, straff. Sie duldet nicht die geringste Nachlässigkeit, und sie bleibt für mich die reizvollste Prosaform, weil sie auch am wenigsten schablonisierbar ist. Vielleicht auch, weil mich das Problem ›Zeit‹ sehr beschäftigt, und eine Kurzgeschichte alle Elemente der Zeit enthält: Ewigkeit, Augenblick, Jahrhundert. Es ist ein ganz verhängnisvoller Irrtum, wenn etwa ein Redakteur zu einem Autor sagt: Schreiben Sie uns doch mal eine Kurzgeschichte. Sie können das doch … Es kann Jahre dauern, ehe ich mit einer Kurzgeschichte zu Rande komme, das heißt, ehe ich sie hinschreiben kann […].«

Heinrich Böll: zitiert nach Horst Bienek: Werkstattgespräche mit Schriftstellern. München 1968, S. 170

Als eine moderne literarische Form der Prosa verfügt die Kurzgeschichte im Genre Horror über eine lange Tradition. Herausgeber Michael Schmidt hat es sich seit 2007 zur Aufgabe gemacht, mit dem Magazin Zwielicht Autoren deutschsprachiger Kurzgeschichten eine Plattform zu bieten und neben den Storys auch Artikel aus dem Genre Horror und Unheimliche Phantastik zu veröffentlichen.

»Horror ist ein gewaltiger Begriff. Weil er so gewaltig ist, verwenden viele stattdessen die Bezeichnung ›Dunkle Phantastik‹ oder ›Unheimliche Phantastik‹. Trotzdem ist Horror drin«, so Michael Schmidt.

Das Buch

Michael Schmidt
Zwielicht 4
Horror-Magazin, Taschenbuch, Verlag Saphir im Stahl, Bickenbach, April 2014, 336 Seiten, 12,95 Euro, ISBN: 9783943948240, Titelbild: Björn Ian Craig
Das neue Horror-Magazin liegt in der vierten Ausgabe vor. Herausgeber Michael Schmidt konnte wieder phantastische Autoren und erfahrene Artikelschreiber auswählen und ein interessantes Magazin präsentieren. Fünfzehn Kurzgeschichten und fünf Artikel bieten viel Abwechslung.

Der Inhalt

Geschichten:

  • Vincent Voss – Rotkäppchen und Dr. Wolf
  • Iven Einszehn – Der Arztbesuch
  • Andreas Schumacher – Dr. Leinensack
  • Josef Helmreich – Tattoo
  • Dominik Grittner – Master Carvats Geheimnis Leichen verschwinden zu lassen
  • Carsten Zehm – Vom wahren Namen eines Baumes
  • Regina Schleheck – Cristal von der Post
  • Andreas Flögel – Der Hauch einer Berührung
  • Verena Gehle – Carlotta
  • Eric Hauser – Mein Onkel Stanislaus
  • Max Pechmann – Ein seltsamer, kühler Ort
  • Daniel Schenkel – Herr Winzig
  • Michael Böhnhardt – Die Flammen von Troja
  • Harald A. Weissen – Am Ende des Sommers

Artikel:

  • Eric Hantsch – Ein poetischer Spökenkieker
  • Daniel Neugebauer und Mirko Stauch – Weird Fiction
  • Achim Hildebrand – Algernon Blackwood
  • Michael Schmidt und Elmar Huber – Vincent Preis 2011+2012
  • Elmar Huber- Vincent Preis Sieger: Die Romane

Weitere Informationen unter defms.blogspot.de

Leseprobe

Michael Böhnhardt
Die Flammen von Troja

»Wenn man tot ist, sollte man zumindest endlich seine Ruhe haben«, sagte Mephistopheles. Er verbarg sich, mehr schlecht als recht, im Halbdunkel jener Ecke der Kammer, in die sich der Schein der Kerze auf dem Schreibpult und das Flackern des Kaminfeuers nicht wagten. »Im Grunde nicht zu viel verlangt, finde ich. Aber nein, stattdessen kommt ständig irgendein dünkelhafter Magicus des Weges, der friedlich verwesende Verblichene aus dem Grab scheucht. Irgendwann werden sie darüber die Geduld verlieren.«

Die Bewegungen der Schatten gemahnten an Schlangen, die sich wanden; sehr große Schlangen, mit Klauen und Zähnen und Hörnern. Faust bemühte sich, ruhig zu atmen. Das alte Spielchen, der Teufel zeigte sich in seiner wahren Gestalt – oder in der, von der er wusste, dass sie Faust fast in den Wahnsinn trieb –, und lauerte darauf, dass Faust die Nerven verlor und zugab, diesen Anblick nicht länger ertragen zu können.

Das ging nun schon eine halbe Ewigkeit so. Je mehr Zaubertränke Faust zusammenbraute, um Geist und Körper zu erhalten, je mehr Hexen er konsultierte, in je mehr fernöstliche Tempel er sich von dem Teufel fliegen ließ, umso bösartiger führte sich Mephisto auf.

Woran das bloß liegen mochte?

»Als ob dich die Befindlichkeiten der teuren Verstorbenen interessieren würden«, sagte Faust.

»Sie interessieren mich sogar brennend.« Mephisto lachte. Ein heiseres, bellendes Lachen, das Frohlocken einer satten Bestie. »Aber du hast Recht. Von mir aus kannst du ganze Friedhöfe zur Parade aufmarschieren lassen. Und dich darauf freuen, dass nach deinem Ableben auch dein verfaulendes Gerippe wieder und wieder aus seinem Grab heraufbeschworen wird. Und wozu? Damit ein gelangweilter Kaiser ein wenig Zerstreuung findet.«

»Da gibt es nichts zu verhandeln«, sagte Faust. »Er ist der Kaiser, und wenn er wünscht, dass die Sterne tanzen, so werde ich die Musik dafür spielen.«

»Du wolltest sagen: Mich die Musik dafür spielen lassen.«

»Wenn man seine Seele dem Teufel verkauft, kann man doch wohl einiges dafür erwarten. Schließlich gehört sie dir einst für die Ewigkeit.«

»Das solltest du nicht vergessen. Ich kann sehr, sehr nachtragend sein.«

Das verängstigte Licht gab nicht wirklich etwas preis: vereinzelte Extremitäten, mehr Tentakel als Arme, verschorfte Haut, von der eine glibberige Flüssigkeit tropfte, glühende Augen, Reißzähne, um die ein stinkender Odem waberte … Doch all das war mehr als genug.

Oh Gott, bitte, rette mich … Wie konnte ich bloß … Was habe ich nur getan … Bitte … Oh Gott … Vergib mir …

»Ich will dich sehen, wenn ich mit dir rede«, sagte Faust. Seine Stimme schwankte nur ein wenig, fand er. »Jetzt nimm gefälligst menschliche Gestalt an und komm da raus.«

Mephisto lachte.

»Ich befehle es dir.«

Der Teufel zögerte lange genug, um Faust einen Moment lang zweifeln zu lassen, dann trat er, jetzt ein älterer, vornehmer Kavalier, aus dem Schatten heraus. »Nun denn, wen will denn unser geliebter Herrscher in seiner ewigen Ruhe stören?«

Faust benötigte ein paar Sekunden, um wieder zu Atem zu kommen. Sein Herz raste und er blickte in eine Schwärze, von der er nicht hoffen durfte, dass sie das Ende wäre. Dann gewann er seine Fassung zurück. Er war Faust, der große Magier, und hier und jetzt war Mephistopheles sein Knecht. Und was eines Tages sein würde … Das lag in der Ferne. Er würde für alles bezahlen müssen, so viel stand fest. An ihm lag es, dafür zu sorgen, dass es diesen Preis wert wäre. »Der Kaiser bewundert die Werke von Homer und würde gern Achilles, Hektor, Odysseus und all die anderen sehen. Vor allem natürlich Helena.«

»Nun, das geht nicht«, stellte Mephisto nicht ohne Schadenfreude fest.

Faust verdrehte die Augen. »Wieder die alte Leier? Das liegt nicht in meiner Macht. Dieser Spruch wird mit der Zeit etwas fade. Bisher hast du zum Schluss ja doch immer alles hinbekommen.«

»Diesmal liegt die Sache anders. Es ist zwar schwierig, jedoch möglich, jemanden aus dem Totenreich zu rufen; aber diese Figuren existieren nun mal nicht.«

»Wie meinst du das?«

»Was glaubst du wohl? Der Kampf um Troja ist eine Sage, seine Helden sind Erfindungen. Sicher, damals wütete tatsächlich in jener Gegend ein verheerender Krieg. Es ist lange her, deshalb müsste ich die Einzelheiten noch einmal in unseren Aufzeichnungen nachschlagen. Aber eins ist gewiss: Sie haben nicht zehn Jahre lang um eine Frau gefochten. So klingt es ritterlicher, wenn man davon erzählt, doch es ging wie eh und je nur um Geld und Macht.«

Das brachte Faust zum Grübeln. Er trat zum Fenster seiner Studierstube und blickte hinaus in den Mond. »Ich habe es ihm versprochen, also bekommt er sie auch zu sehen«, sagte er nach einer Weile.

Der Teufel grinste. »Du willst ihn betrügen?«

Es war so viel angenehmer, mit dem Teufel zu plaudern, wenn er in menschlicher Gestalt erschien. »Was heißt betrügen? Er will altgriechische Helden, also zaubern wir ihm ein paar besonders beeindruckende antike Gestalten hervor. Wen interessiert, ob sie wirklich Achilles oder Ajax heißen?«

»Mich wahrlich nicht. Doch wie willst du Helena erschaffen? Eine Frau, traumhaft vollkommen, bei deren Erscheinen man keinen Augenblick bezweifelt, dass ihretwegen eine ganze Flotte in See gestochen ist?«

»Was willst du jetzt Probleme herbeireden? Es wird in dieser oder jener Welt ja wohl ausreichend schöne Frauen geben.«

»Er ist der Kaiser. Maximilian kennt unzählige Frauen, und wenn er sagt, er will unbedingt Helena erblicken, dann meint er eine Frau, wie er keiner zuvor jemals beigewohnt hat. Was du brauchst, ist eine Frau, die dir den Verstand raubt, nach der du dich verzehrst, auch wenn tausend Frauen sich für dich die Kleider vom Leibe reißen und splitternackt in dein Bett hüpfen.«

Faust dachte darüber nach. »Eine solche Frau gibt es nicht«, sagte er.

Mephisto nickte. »Das ist das Problem.«

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung von Michael Schmidt

Quelle:

  • Der Ernstfall Michael Schmidt

(wb)