Jackson – Teil 19
Die Welt um uns herum schien nur aus Sand, Steinen und Dornensträuchern zu bestehen.
Wüste, soweit das Auge reichte.
Kein Mensch, kein Haus, kein Tier, nichts war zu sehen, nur ein schmaler Karrenweg, der den öden Landstrich wie ein Schwert in zwei Hälften teilte und kerzengerade ins Nirgendwo zu führen schien.
Inzwischen ging die Sonne auf und mit dem neuen Tag kam der Wind. Je heller es wurde, desto stärker wurde er, bis er schließlich den Sand wie feinen Regen fast waagrecht über das Land peitschte.
Trotzdem fegte Linda mit dem Jeep in einem geradezu halsbrecherischen Tempo über den Karrenweg, der eigentlich nichts anderes war als ein von unzähligen Reifenspuren durchzogener Trampelpfad mit Millionen von Schlaglöchern, Sandkuhlen und Gestrüppinseln.
Im Gegensatz zu mir schienen sie weder die miserablen Straßenverhältnisse noch die schlechte Sicht zu stören. Der Jeep schleuderte hin und her und donnerte mit fast fünfzig Meilen durch die Wüste.
Mein Bauchgrimmen nahm zu, je weiter wir kamen.
Ein einziges Schlagloch auf dieser Buckelpiste genügte, um unserer Fahrt ein jähes Ende bereiten zu können.
Und dann?
Wenn unsere Verfolger erst einmal den Jeep entdeckt hatten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie uns eingeholt hatten. Ich kannte keinen Menschen, der auf offener Strecke einem Fahrzeug davonlaufen konnte, und wenn es auch nur Armeelaster waren.
»Linda, ich finde …«
»Geiler Wagen«, sagte Linda und tätschelte für einen Moment das Lenkrad. »Jetzt weiß ich auch, warum Lee so sehr darauf geachtet hat, dass niemand außer ihm mit diesem Wagen fährt.«
»Lee?«
Linda nickte. »Der Typ, der dich verhört hat. Vor dem solltest du dich in acht nehmen. Er sieht zwar unscheinbar aus, aber er ist so etwas von intelligent und bösartig zugleich, dass es sogar mich friert, wenn er in meiner Nähe ist.«
»Linda, ich finde wirklich, dass du langsamer fahren solltest. Denn …«
Was ich sonst noch sagen wollte, ging im Kreischen der Bremsen unter, als sie den Jeep abrupt zum Stehen brachte. Ihr Blick war alles andere als freundlich, als sie mir in die Augen sah.
»Du brauchst mir keine Ratschläge zu geben, ich weiß genau, was ich tue. Ich habe dich schließlich nicht nur zum Spaß aus dem Basislager geholt.«
»Sondern?«
Sie schaute mich nachdenklich an.
»Weil ich dich brauche. Du glaubst ja gar nicht, wie mir das Ganze hier zuwider ist, aber ohne Hilfe ist es fast unmöglich auszusteigen. Ich jedenfalls kenne keinen, der es alleine geschafft hat, obwohl unter denen, die es versucht haben, einige darunter waren, denen ich es wirklich zugetraut hätte. Greg Hanson zum Beispiel, Sandolo, der italienische Professor, oder Elmer Nilson, der schwedische Anthropologe.«
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich die Namen hörte.
Ungläubig starrte ich Linda an.
»Was ist los, habe ich etwas Falsches gesagt?«
Ich schüttelte fassungslos den Kopf.
Sämtliche Namen, die sie aufgezählt hatte, waren bis kurz vor meiner Abreise nach Australien noch der Hauptbestandteil der Schlagzeilen der täglich erscheinenden Regenbogenpresse gewesen.
Nilson, der letztes Jahr für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, verschwand Anfang Juni so spurlos, als hätte er sich in Luft aufgelöst, Sandolo starb eine Woche danach bei einem spektakulären Autounfall, als er angeblich mit überhöhter Geschwindigkeit in den Serpentinen der Dolomiten die Gewalt über seinen Maserati verlor, und Hanson, der Arzt, fiel drei Tage später nach offiziellen Meldungen einer Entführung zum Opfer.
Ein begnadeter Chirurg, ein schwedischer Anthropologe, der für den Nobelpreis nominiert war, und ein angesehener italienischer Archäologe verschwanden etwa zur gleichen Zeit von der Bildfläche, als ich einen Auftrag erhielt, der mich durch Zufall mit einer urzeitlichen Welt konfrontierte, in der degenerierte Neandertaler, Dinosaurier und steinzeitliche Pflanzen vorherrschten.
Und die einzige Person in dieser obskuren Welt, mit der ich mich vernünftig unterhalten konnte, nannte mir ausgerechnet die Namen dieser drei Männer, als ich wissen wollte, was für Machenschaften hier am Werk waren.
Bei aller Liebe, aber das war kein Zufall mehr.
»Was hast du, du wirkst plötzlich so nachdenklich?«
Für einen Moment sah ich mich außerstande, Linda zu antworten. Ich starrte sie nur wortlos an und schüttelte den Kopf.
Linda zuckte mit den Schultern und startete den Wagen. Offensichtlich zog ich ein Gesicht, bei dem sich weitere Fragen erübrigten.
Während der Jeep über die Buckelpiste ruckelte, schweiften meine Gedanken ab und ich begann zu grübeln.
Allmählich wurde mir immer deutlicher bewusst, dass ich hier einer Sache auf die Spur gekommen war, die sich allmählich zu einem Flächenbrand entwickelte, der die ganze Welt zu erfassen drohte.
Und die einzigen beiden Menschen, die dagegen etwas unternehmen konnten, waren eine Ärztin, die im Moment mit blankem Busen einen Jeep durch den australischen Busch steuerte, und ein ehemaliger Bodyguard und Versicherungsagent, den man ordentlich durch die Mangel gedreht hatte.
Je länger ich über unsere Situation nachdachte, umso beschissener fühlte ich mich.
***
»Was hast du jetzt vor?«
Linda schenkte mir einen kurzen Blick und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf den Karrenweg. Sie fuhr jetzt deutlich langsamer, dennoch zog der Jeep hinter sich eine riesige Wand aus hochgewirbeltem Sand und Staub her.
Mein Bauchgrimmen wurde nicht besser.
Die Staubwolke war in dem topfebenen Land meilenweit zu sehen. Unsere Verfolger mussten schon blind sein, um uns nicht zu entdecken.
»Wir fahren ins Hauptquartier«, erwiderte Linda beiläufig.
»Bist du wahnsinnig?«, platzte es aus mir heraus. »Das Basislager hat unsere Flucht bestimmt schon längst gemeldet.«
Linda lächelte sanft. »Das glaube ich kaum. Die einzigen beiden Möglichkeiten, mit denen das Basislager mit der Außenwelt kommunizieren kann, sind per PC oder durch die Funkanlage. Aber beides funktioniert nun mal nicht ohne Strom und den haben sie nicht, weil ich in den Sicherungskästen einige Dinge unbrauchbar gemacht habe.«
»Es gibt nichts, was man nicht reparieren kann«, warf ich ein.
»Aber nicht mit den Mitteln, die im Basislager vorhanden sind.«
»Für solche Fälle gibt es aber ein Notstromaggregat, das man mit Diesel oder Benzin betreiben kann«, gab ich zu bedenken.
»Aber was ist, wenn man diesem Benzin Zucker und einige andere Dinge beimischt? Das ist auch der Grund, warum sie uns so schnell nicht einholen. Ihnen fehlt schlicht und einfach der Sprit dazu.«
Ich kam nicht umhin, bewundernd durch die Zähne zu pfeifen.
Linda hatte die Flucht anscheinend schon seit Langem geplant. Die Vorbereitungen, die sie alle getroffen hatte, bewerkstelligte man nicht in einer Nacht.
Die Lady hatte es faustdick hinter den Ohren.
Wie dick, bekam ich bereits hinter der nächsten Felsenkehre zu spüren.
Sie schaltete in den ersten Gang zurück, nahm den Fuß vom Gas und ließ den Jeep ausrollen. Als der Wagen zum Halten gekommen war, zog sie die Bremse an und brachte ihr Gesicht vor das meine.
»Ich denke wir sollten endlich damit weitermachen, mit dem wir in der Hütte aufgehört haben«, hörte ich sie sagen.
Ihr heißer Atem traf mein Gesicht, während ihre Hände auf einmal auf meinen Schultern lagen. Keuchend presste Linda ihre Brüste gegen mich. Einen Moment lang wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte, aber als ihre Hände von meinen Schultern hinab über den Bauch zum Schritt meiner Hose wanderten, warf ich alle Bedenken über Bord.
Dieses Luder hatte trotz der prekären Lage, in der wir uns befanden, tatsächlich nur das eine im Sinn.
Sekundenlang starrten wir uns schweigend in die Augen. Ihr Mund war leicht geöffnet und sie atmete erregt und hektisch.
»Und jetzt?«
Linda lachte gurrend.
Mit einem Satz war sie aus dem Wagen, umrundete den Jeep und baute sich breitbeinig vor mir auf. Ihre Brüste wippten dabei geradezu herausfordernd.
»Komm«, sagte sie leise, griff nach meiner Hand und zog mich aus dem Wagen.
Zwei Schritte später blieb sie abrupt stehen, bückte sich und streifte die Hose ab. Als ich sah, dass sie darunter völlig nackt war, begann ich an meinem Gürtel zu nesteln.
Über den Rest breite ich den Mantel des Schweigens.
***
»Am Anfang war alles fantastisch«, sagte Linda danach. Ihre rechte Hand strich kreisend über meine Brust. »Das Projekt, die Bezahlung, die Kollegen. Nachdem die erste Versuchsreihe abgeschlossen war, träumten einige von uns bereits vom Nobelpreis. Aber dann zeigte unser Auftraggeber sein wahres Gesicht.«
Ich horchte auf. »Wer ist euer Auftraggeber?«
Linda seufzte. »Wenn ich das wüsste.«
Ich richtete den Oberkörper auf und betrachtete die Frau mit gerunzelter Stirn.
»Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du ein Arbeitsverhältnis mit dieser Firma eingegangen bist, ohne zu wissen, was dich erwartet? Sorry, aber das kauf ich dir nicht ab.«
»Es ist aber so, wir waren alle jung und brauchten das Geld.«
»Hast du keine bessere Erklärung parat? Den Spruch kannte bereits meine Oma.«
Linda schoss jäh in die Höhe und bedachte mich mit einem Blick, der wahrscheinlich sogar die Hölle hätte zufrieren lassen.
»Du gottverdammter Macho, was hättest denn du an meiner Stelle getan? Ich hatte zwar einen Doktortitel in der Tasche, aber keine zehn Dollar im Portemonnaie. Ich wusste nicht einmal, wovon ich meine Miete bezahlen sollte, als jemand auf mich zukam und mir für die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt 20.000 Dollar im Monat anbot.«
Langsam wurde es interessant und ich begann die Ohren zu spitzen.
Seitdem das Schicksal mich in diese Welt verschlagen hatte, waren Lügen und Halbwahrheiten alles, was ich zu hören bekommen hatte.
Sollte Linda tatsächlich damit herausrücken, was hier gespielt wurde?
Ich beugte mich über sie und sah ihr tief in die Augen.
In diesem Moment knirschten Stiefeltritte im Sand.
Fortsetzung folgt …